Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.01.2017, Az. IX R 19/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 16402

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Ergänzung unvollständiger oder unklarer Angaben


Leitsatz

NV: Die Monatsfrist für die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gewahrt, wenn innerhalb dieser Frist zumindest im Kern die Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Ist dies geschehen, können unklare oder unvollständige Angaben auch noch nach Fristablauf erläutert oder ergänzt werden.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.]vom 20. April 2016 9 K 178/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt sind.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte bis einschließlich Februar 2008 Einkünfte aus der Vermietung eines Grundstücks in X, das er am 1. März 2008 veräußerte. [X.]erhielt er von der Stadt [X.]einen Festsetzungsbescheid über einen Ausgleichsbetrag nach § 154 des Baugesetzbuches in Höhe von 179.682 €. Der Kläger ging gegen diesen Bescheid gerichtlich vor. Das Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht endete im Jahr 2012 mit einem Vergleich, wonach der Kläger nunmehr einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 80.938 €, zahlbar in monatlichen Raten, zu leisten hatte. [X.]leistete der Kläger Zahlungen in Höhe von 29.171,64 €. Zudem zahlte er Rechtsanwaltskosten in Höhe von 8.685,48 €. Den Gesamtbetrag in Höhe von 37.857,12 € erklärte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2012 zunächst nicht.

3

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Angaben des [X.]im Einkommensteuerbescheid 2012 vom 31. Januar 2014 größtenteils gefolgt war, legte die Bevollmächtigte des [X.]--Steuerberaterin S-- mit Schreiben vom 26. Februar 2014 Einspruch ein und machte die Aufwendungen in Höhe von 37.857,12 € als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften des [X.]aus Vermietung und Verpachtung geltend.

4

Ausweislich des Eingangsstempels des [X.]ging das Einspruchsschreiben erst am 6. März 2014 beim [X.]ein. Mit Schreiben vom 31. März 2014 wies das [X.]den Kläger darauf hin, dass der Einspruch verspätet eingegangen und damit unzulässig sei.

5

Mit Schreiben vom 9. April 2014 teilte [X.]mit, das Einspruchsschreiben sei am 26. Februar 2014 mit der [X.]verschickt worden. Dieser Tatbestand sei ihrem Postausgangsbuch zu entnehmen. Es sei ihr nicht erklärlich, warum das Schreiben mit einer derartigen Zeitverzögerung zugestellt worden sei. Die [X.]gelte als zuverlässiger Bote. Sie vermute, dass es sich um ein fahrlässiges Verhalten der Post gehandelt habe, da ihr ein derartiger Zustand noch nicht vorgekommen sei. Sie habe auch mit der zuständigen Bearbeiterin in ihrer Kanzlei gesprochen, um ein fahrlässiges Verhalten ihrerseits zu prüfen. Hierbei habe sie die Antwort erhalten, dass das Schreiben am 26. Februar 2014 im Postausgangsbuch eingetragen und mit dem restlichen Schriftwechsel am Abend in den Briefkasten gesteckt worden sei. Sie beantrage aufgrund dessen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO).

6

Das [X.]verwarf den Einspruch als unzulässig. Es sah die Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als nicht ausreichend an.

7

Im Rahmen der dagegen erhobenen Klage brachte der Kläger vor, seine Steuerberaterin [X.]habe ihre Mitarbeiter angewiesen, Post über das Postausgangsbuch auszutragen. Werde die Post über das Postausgangsbuch ausgetragen, so werde sie am selben Tage in den Briefkasten eingeworfen. Am 26. Februar 2014 sei die Post von Frau B, einer Mitarbeiterin der Steuerberaterin, über das Postausgangsbuch ausgetragen worden. Eine weitere Mitarbeiterin der Steuerberaterin, Frau C, habe die über das Postausgangsbuch ausgetragene Post am selben Tage in den Briefkasten der Postfiliale "A" geworfen. Die letzte Leerung dieses Briefkastens am 26. Februar 2014 sei gegen 17:00 Uhr erfolgt. Zur Glaubhaftmachung legte die Steuerberaterin des [X.]einen Auszug aus dem Postausgangsbuch vom 26. Februar 2014 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau [X.]vom 20. Juni 2014 in Kopie vor. Seine Steuerberaterin habe auf die regelmäßigen Postlaufzeiten vertrauen dürfen. Der Einspruch sei vier Werktage vor Ablauf der Frist zum Versand gebracht worden. Eine ernsthafte Gefahr der Versäumung der Einspruchsfrist habe nicht bestanden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen dürfe im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, da sie auf die Postbeförderung keinen Einfluss habe. Auch auf die auf dem Briefkasten angegebenen Entleerungszeiten habe die Steuerberaterin vertrauen können.

8

Im Rahmen des Klageverfahrens verständigten sich der Kläger und das [X.]in materiell-rechtlicher Hinsicht auf einen steuermindernden Abzug in Höhe von 50 % des Betrags von 37.857,12 €.

9

Mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1049 veröffentlichten Entscheidung vom 20. April 2016 gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es sei unter Berücksichtigung der im Einspruchs- und Klageverfahren gegebenen Begründung und Glaubhaftmachung des Absendungsvorgangs von einer unverschuldeten Fristversäumnis auszugehen. Der Kläger habe im Einzelnen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, wann (26. Februar 2014), von wem (Frau C) und in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) das verspätet eingegangene Schriftstück zur Post aufgegeben worden sei. Die Darlegungen seien ausreichend durch eine eidesstattliche Versicherung der Frau [X.]und die Vorlage der Kopie des [X.]glaubhaft gemacht worden. Zwar habe die Bevollmächtigte innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO nur mitgeteilt, das Einspruchsschreiben sei am 26. Februar 2014 mit der [X.]verschickt worden. Aus diesem Vortrag sei jedoch [X.]des [X.]"Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung" eindeutig zu entnehmen. Es werde dargelegt, an welchem Tag (26. Februar 2014) das streitbefangene Schriftstück in welcher Weise (Versendung mit der Post) auf den Weg zum Finanzamt gebracht worden sei. Zudem werde mitgeteilt, dass eine weitere Mitarbeiterin und nicht die Steuerberaterin selbst den Vorgang umgesetzt habe. Diese Darlegung werde durch eine Kopie des [X.]glaubhaft gemacht. Im Klageverfahren sei dann lediglich eine Ergänzung des Vortrags zum [X.]in Form der Benennung der Personen erfolgt, die die Austragung aus dem Postausgangsbuch und den Einwurf in den nunmehr genau benannten Briefkasten "A" vorgenommen haben. Hierin sei kein weiterer Wiedereinsetzungsgrund und kein substantiell neuer Vortrag zu sehen, sondern lediglich eine ergänzende Darlegung des bereits im [X.]dargelegten Absendevorgangs. Dass die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten, die den [X.]vorgenommen hat, erst im Klageverfahren erfolgt sei, sei für die Wiedereinsetzung unschädlich.

Mit seiner unter Beifügung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung eingelegten Revision rügt das [X.]die Verletzung von Bundesrecht (§ 110 AO). Dem Kläger sei keine Wiedereinsetzung zu gewähren, weil er nicht alle erforderlichen Unterlagen und Angaben innerhalb der Antragsfrist eingereicht habe. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO sei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert sei. Dies setze in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten, seien innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen. Es sei nicht ausreichend, innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO lediglich die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Vielmehr müssten innerhalb dieser Frist auch die für eine Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen schlüssig vorgetragen werden. Lediglich die Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe könne auch noch im Verfahren über den Antrag erfolgen. Daher gehöre nicht nur die Bezeichnung der Versendungsart, sondern auch die Darlegung zu welchem Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) der Briefumschlag mit dem betreffenden Schriftsatz von welcher Person und auf welche Weise (Abgabe bei einer Postfiliale oder Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) zur Post aufgegeben worden sei, zu den [X.]innerhalb der Antragsfrist. Danach reiche zur Glaubhaftmachung der Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung begründen sollen, die bloße Vorlage einer Kopie des Postausgangsbuchs nicht aus. Im Streitfall enthalte der Wiedereinsetzungsantrag lediglich die Darstellung, dass eine nicht namentlich benannte Mitarbeiterin der Steuerberaterin das in Rede stehende Schreiben im Postausgangsbuch eingetragen und am Abend in einen nicht näher bezeichneten Briefkasten gesteckt habe. Weitere Angaben und Unterlagen seien erst nach Ablauf der Antragsfrist nachgereicht worden. Daher sei dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entsprechen gewesen.

Das [X.]beantragt sinngemäß,
das [X.]vom 20. April 2016  9 K 178/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

In der [X.]werde die Revision gegen ein Urteil des [X.]vom 2. Mai 2016 eingelegt und kein Aktenzeichen angegeben. Ein Urteil vom 2. Mai 2016 existiere aber nicht. Daher sei die Revision nicht wirksam eingelegt. Im Übrigen habe das [X.]zutreffend Wiedereinsetzung gewährt. Unklare oder unvollständige Angaben könnten noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist [X.]der [X.]in sich schlüssig vorgetragen worden sei.

Entscheidungsgründe

II. Die zulässige Revision des [X.]ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig (dazu unter 1.). Sie ist aber nicht begründet. Das [X.]hat zutreffend die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO als gegeben angesehen (dazu unter 2.). Die vom [X.]angeführte Rechtsprechung des [X.](BFH) steht dem nicht entgegen (dazu unter 3.). Daher hat das [X.]zu Recht der Klage in dem beantragten Umfang stattgegeben (dazu unter 4.).

1. Die Revision ist zulässig.

Nach § 120 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muss die [X.]das angefochtene Urteil so genau angeben, dass jeglicher Irrtum ausgeschlossen ist. Fehlen diese Angaben, so ist die Revision unzulässig. Innerhalb der Revisionsfrist ist das angefochtene Urteil daher durch Angabe des Gerichts, das es erlassen hat, des Urteilsdatums, des Aktenzeichens und der Sache, in der die Vorentscheidung ergangen ist, ferner mit Angabe der Beteiligten zu bezeichnen (vgl. [X.]vom 16. Juli 1996 VII R 103/95, [X.]1996, 922; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 120 Rz 13). Es reicht aber aus, dass die fehlenden Angaben aus den sonstigen Unterlagen, etwa der Anlage zur Revisionseinlegungsschrift, zu entnehmen sind. Denn Mängel bei der Bezeichnung des Urteils in der [X.]sind unschädlich, wenn --wie im [X.]die fehlenden Angaben bis zum Ende der Revisionsfrist aus sonstigen Umständen festgestellt werden können, etwa dem in der Anlage beigefügten Urteil (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 3 FGO), aus der die fehlenden Angaben entnommen werden können (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1980 VII R 94/74, [X.]130, 480, [X.]1980, 588; [X.]in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 120 FGO Rz 13 f.).

2. Die Revision ist nicht begründet.

Das [X.]hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO zutreffend bejaht. Der Vortrag des Klägers, das Einspruchsschreiben rechtzeitig abgesandt zu haben, genügt den Anforderungen, die an einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 110 Abs. 2 Satz 1 AO zu stellen sind.

a) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag --ggf. auch von Amts wegen, wie aus § 110 Abs. 2 Satz 4 AO folgt-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 AO). Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).

Der Antragsteller muss innerhalb der Antragsfrist von einem Monat (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO) diejenigen Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass ihn hinsichtlich der Versäumung der gesetzlichen Frist ein Verschulden nicht trifft. Nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO können (selbständige) [X.]nicht mehr nachgeschoben werden. Jedoch können unklare oder unvollständige Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist [X.]der [X.]in sich schlüssig vorgetragen ist. Das erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb der Monatsfrist (vgl. BFH-Urteile vom 24. August 1990 VI R 178/85, [X.]1991, 140; vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, [X.]1995, 989; vom 13. Dezember 2007 VI R 75/04, [X.]220, 18, [X.]2009, 577, unter II.1.a; vom 18. März 2014 VIII R 33/12, [X.]246, 1, [X.]2014, 922, unter II.2.b aa; [X.]vom 9. November 1999 XI R 17/99, [X.]2000, 583; vom 15. Mai 2003 VII B 246/02, [X.]2003, 1206; vom 26. April 2005 I B 248/04, [X.]2005, 1591; vom 17. Juni 2010 IX B 32/10, [X.]2010, 1655; Klein/Rätke, AO, 13. Aufl., § 110 Rz 102; [X.]in Tipke/Kruse, a.a.O., § 110 AO Rz 32; [X.]in Hübschmann/Hepp/[X.]--HHSp--, § 110 AO Rz 507, 510; [X.]in Beermann/Gosch, AO, § 110 Rz 81; Wagner in Kühn/v. Wedelstädt, 21. Aufl., [X.]§ 110 Rz 36). Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 110 Abs. 2 Satz 2 AO. Danach sind die "Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen". Das Ergebnis folgt aber auch aus dem Sinn und dem systematischen Zusammenhang der Sätze 1 und 2 in § 110 Abs. 2 AO. Zweck dieser Befristung ist die Sicherung einer zügigen und sachgemäßen Behandlung eines Wiedereinsetzungsbegehrens, um die Unsicherheit, ob es bei den Folgen einer Fristversäumnis bleibt, in engen Grenzen zu halten. Der Antragsteller soll nicht neue, möglicherweise wechselnde Gründe vortragen können, für deren Glaubhaftmachung er sich bessere Erfolgsaussichten verspricht. Das spätere Nachschieben von [X.]ist daher nicht zulässig (vgl. BFH-Urteil in [X.]246, 1, [X.]2014, 922, unter II.2.b aa; [X.]vom 6. Dezember 2011 XI B 3/11, [X.]2012, 707, unter II.2.c bb). Sollen wesentliche Lücken in der Sachverhaltsdarstellung nachträglich nach Fristablauf geschlossen werden, stellt dies ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar (vgl. [X.]in Tipke/Kruse, a.a.O., § 110 AO Rz 32; [X.]in HHSp, § 110 AO Rz 510; [X.]in Beermann/Gosch, a.a.O., § 110 Rz 81).

Wer die Gewährung von Wiedereinsetzung wegen des Nichteingangs eines angeblich rechtzeitig abgesandten fristgebundenen Schreibens begehrt, muss genau darlegen, welche Person zu welcher Zeit (Tag, Uhrzeit) in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einer bestimmten Postfiliale) den Brief, in dem sich das fristgebundene Schreiben befunden haben soll, zur Post gegeben hat. Die Angaben sind durch die Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen (vgl. BFH-Urteile in [X.]1995, 989; in [X.]220, 18, [X.]2009, 577, unter II.1.b; vom 9. Juni 2015 X R 38/14, [X.]2015, 1376, m.w.N.; [X.]vom 14. Februar 2002 VII B 112/00, [X.]2002, 798; vom 16. Dezember 2002 VII B 99/02, [X.]200, 491, [X.]2003, 316; vom 3. August 2005 IX B 26/05, [X.]2006, 307, unter a; Klein/Rätke, a.a.O., § 110 Rz 105; [X.]in HHSp, § 110 AO Rz 496 a.E.).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.]die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht bejaht.

aa) Die Bevollmächtigte des [X.]hat den geltend gemachten [X.]überlanger Postlaufzeit im [X.]innerhalb der Antragsfrist und damit rechtzeitig vorgebracht. Die Bevollmächtigte des [X.]hat nach den Feststellungen des [X.]im Schreiben vom 9. April 2014 auf die überlange Beförderungsdauer hingewiesen. Sie hat mitgeteilt, dass das Einspruchsschreiben am 26. Februar 2014 mit der Post versandt worden ist. Zudem hat sie dargelegt, dass eine --von ihr nicht namentlich genannte-- Mitarbeiterin ihrer Kanzlei am 26. Februar 2014 den Versand im Postausgangsbuch eingetragen und das Schreiben noch am gleichen Tag mit dem restlichen Schriftwechsel in den Briefkasten geworfen worden war.

Damit hat die Bevollmächtigte des [X.]den [X.]des [X.]"Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung" eindeutig innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 1 Satz 1 AO mitgeteilt. Sie hat dargelegt, an welchem Tag (26. Februar 2014) das Einspruchsschreiben in welcher Weise (Versendung mit der Post) auf den Weg gebracht wurde. Ebenfalls hat sie mitgeteilt, dass eine --zu diesem Zeitpunkt von ihr nicht benannte Mitarbeiterin-- das Schreiben auf den Weg (durch Einwurf in den Briefkasten) gebracht hat.

bb) Diese Angaben hat die Bevollmächtigte des [X.]im Klageverfahren weiter konkretisiert. Mit ihrem Schriftsatz vom 20. Juni 2014 hat sie dargelegt, welche Person genau (Frau C) zu welcher Zeit konkret (26. Februar 2014 nachmittags) in welcher Weise genau (Einwurf in den Briefkasten der Postfiliale "A") das fristgebundene Einspruchsschreiben zur Post gegeben hat. Ebenfalls im Klageverfahren hat die Bevollmächtigte den Auszug aus dem Postausgangsbuch vom 26. Februar 2014 sowie eine eidesstattliche Versicherung der [X.]vorgelegt. Damit hat die Bevollmächtigte des [X.]nicht --wie das [X.]meint-- einen neuen [X.]nachgeschoben, sondern nur den bisher geltend gemachten [X.]"Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung" erläutert und ergänzt.

3. Entgegen der Auffassung des [X.]steht diesem Ergebnis die Rechtsprechung des [X.]nicht entgegen.

Soweit sich das [X.]auf den [X.]vom 13. Januar 2004 VII B 127/03 ([X.]2004, 655) beruft, greift dieses Vorbringen nicht durch. In dieser Entscheidung war maßgebend, dass der Beschwerdeführer dem Begründungserfordernis nicht vollständig nachgekommen war. Er hatte dort ohne Angabe der damit verbundenen näheren Umstände behauptet, das streitige Schriftstück sei zur Post aufgegeben worden und lediglich eine Kopie des Postausgangsbuchs vorgelegt. Insoweit fehlte eine lückenlose und schlüssige Darlegung des Absendevorgangs, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise das Schriftstück zur Post gegeben hatte.

In den BFH-Beschlüssen in [X.]200, 491, [X.]2003, 316 und in [X.]2003, 1206 fehlte eine lückenlose und schlüssige Darlegung des Absendevorgangs, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise das Schriftstück zur Post gegeben hatte, gänzlich. Gleiches gilt für den [X.]in [X.]2002, 798. In allen drei Fällen war lediglich eine Kopie des Postausgangsbuchs vorgelegt worden.

Auch der [X.]vom 26. November 1993 VIII R 53/93 ([X.]1994, 645) steht nicht entgegen. Dort fehlte es an einer lückenlosen und schlüssigen Darlegung des Absendevorgangs sowie an einem Nachweis über Vorkehrungen zur Fristeinhaltung. Zudem fehlte es an einer eidesstattlichen Versicherung der Person, die den [X.]durchgeführt hatte.

4. Das [X.]hat daher zu Recht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO gewährt und der Klage in dem beantragten Umfang stattgegeben. Dass die geltend gemachten nachträglichen Werbungskosten in Höhe von 18.928,56 € zu berücksichtigen sind, steht zwischen den Beteiligten außer Streit.

5. [X.]beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Meta

IX R 19/16

31.01.2017

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. April 2016, Az: 9 K 178/14, Urteil

§ 110 Abs 1 AO, § 110 Abs 2 AO, § 120 Abs 1 FGO, § 355 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.01.2017, Az. IX R 19/16 (REWIS RS 2017, 16402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16402

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 K 3421/16 (FG München)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


VIII B 121/20 (Bundesfinanzhof)

Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Einwurfs einer angeblich auf dem Postweg verlorengegangenen Sendung durch den Bevollmächtigten


VIII R 33/12 (Bundesfinanzhof)

Organisationsverschulden hinsichtlich Fristversäumnis


7 K 2501/17 (FG München)

Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld


7 K 1778/20 (FG München)

Keine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist


Referenzen
Wird zitiert von

5 K 93/21

8 N 16.2563

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.