Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2011, Az. 4 StR 303/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4360

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Gegenstand

Bildung der Gesamtstrafe: Auswirkung der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität bei Einbeziehung einer früheren Verurteilung durch ein deutsches Gericht


Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2011 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel bleibt dem für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der durch das Urteil des [X.] vom 26. März 2010 verhängten Einzelstrafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es bestimmt, dass die in [X.] erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die Strafe angerechnet wird. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.]. Die zu Gunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist, hat Erfolg.

2

Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das [X.] unter Einbeziehung der durch das Urteil des [X.] vom 26. März 2010 verhängten Einzelstrafen eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB gebildet hat. Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Angeklagte ist aufgrund des [X.] Haftbefehls vom 26. Juli 2010 ([X.], [X.]. 670), der Bezug nimmt auf den Haftbefehl des [X.] vom 25. Juni 2010 ([X.], [X.]. 612) aus [X.] ausgeliefert worden ([X.], [X.]. 687), nachdem das Bezirksgericht [X.] mit Beschluss vom 30. August 2010 wegen der im Haftbefehl aufgeführten Betäubungsmitteldelikte die Auslieferung bewilligt hatte ([X.], [X.]. 882).

Der Angeklagte hat der Durchführung des vereinfachten [X.] widersprochen und auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet ([X.], [X.]. 882). Eine [X.] zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des [X.] liegt bisher nicht vor.

a) Der das [X.] beherrschende Grundsatz der Spezialität - Art. 14 des [X.], § 83h [X.] - verbietet es grundsätzlich, die mangels Zustimmung der [X.] Behörden nicht vollstreckbare Strafe aus dem Urteil des [X.] in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen (Senat, Beschluss vom 12. August 1997, 4 StR 345/97 m.w.N.; vgl. auch [X.], Beschluss vom 22. April 2004, 3 StR 115/04).

b) [X.] weist zwar zu Recht darauf hin, dass § 83h Abs. 2 [X.] im Hinblick auf Personen, die - wie vorliegend - von einem [X.] aufgrund eines [X.] Haftbefehls überstellt worden sind, Ausnahmen vom Grundsatz der Spezialität vorsieht. Diese greifen jedoch für den vorliegenden Fall nicht durch.

Nach § 83h Abs. 2 Nr. 3 [X.] entfällt die Spezialität, wenn die Strafverfolgung im konkreten Fall nicht zu einer Freiheitsbeschränkung führt. Diese - ursprünglich für Geldstrafen vorgesehene (vgl. [X.]/[X.]/[X.], Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 83h [X.], Rdn. 5 m.w.N.) - Ausnahme dürfte nach der Entscheidung des [X.] vom 1. Dezember 2008 ([X.], 35) zwar - wie vom [X.] entschieden (Beschluss vom 29. Juli 2010, 3 [X.] = StraFo 2010, 469) - einen Widerrufsbeschluss hinsichtlich einer Strafaussetzung zur Bewährung ermöglichen. Anderes muss jedoch für die Einbeziehung einer Strafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe gelten, da - worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Revision zutreffend hinweist - die Sach- und Rechtslage nicht vergleichbar ist. Zwar bleiben bei einer nach § 55 StGB gebildeten Gesamtstrafe - anders als bei der [X.] nach § 31 JGG - die zugrunde liegenden Einzelstrafen in gewissem Umfang selbständig, dies ändert jedoch nichts daran, dass - im Falle der Rechtskraft - die Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt wird. Dies kann aber nur mit Zustimmung des [X.] erfolgen ([X.], aaO). … [X.] zulässig wäre wohl allenfalls eine vollständige Zurückstellung der Vollstreckung der verhängten Gesamtstrafe. Dies würde jedoch zum einen eklatant dem Gebot widersprechen, die Vollstreckung unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft einzuleiten (vgl. [X.], [X.], 53. Aufl., § 449 Rdn. 2), und wäre im Falle von Untersuchungshaft - wie vorliegend - praktisch nicht durchführbar, da die Untersuchungshaft mit der Rechtskraft des Urteils unmittelbar in die Strafhaft übergeht ([X.]St 38, 63).

c) Das [X.] wird somit aus den für die abgeurteilten Verstöße gegen das [X.] rechtsfehlerfrei bestimmten Einzelstrafen von vier und fünf Jahren unter Beachtung des § 358 Abs. 2 Satz 1 [X.] eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden haben. Dies kann im [X.] nach den §§ 460, 462 [X.] erfolgen (§ 354 Abs. 1 b [X.]). Im Falle einer nachträglichen Zustimmung [X.]s zur Vollstreckung des Urteils des [X.] wird - ebenfalls gemäß § 460 [X.] - nachträglich eine neue Gesamtstrafe zu bilden sein (Senat, Beschluss vom 12. August 1997, 4 StR 345/97).“

3

Dem tritt der Senat bei. Nach der vom [X.] zitierten Entscheidung des [X.] vom 1. Dezember 2008 ist die in Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/[X.] des Rates vom 13. Juni 2002 über den [X.] Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (= § 83h Abs. 2 Nr. 3 [X.]) vorgesehene Ausnahme dahin auszulegen, dass bei einer "anderen Handlung" als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, nach Art. 27 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses um Zustimmung ersucht werden und diese Zustimmung spätestens dann eingegangen sein muss, wenn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist. Die übergebene Person kann wegen einer solchen Handlung verfolgt und verurteilt werden, bevor diese Zustimmung eingegangen ist, sofern während des diese Handlung betreffenden Ermittlungs- und Strafverfahrens keine freiheitsbeschränkende Maßnahme angewandt wird. Die Ausnahme des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses verbietet es jedoch nicht, die übergebene Person einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, bevor die Zustimmung eingegangen ist, wenn diese Beschränkung durch andere Anklagepunkte im [X.] Haftbefehl gerechtfertigt wird. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallgestaltung, in der Untersuchungshaft wegen der Taten vollzogen wird, derentwegen die Auslieferung bewilligt wurde, steht der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit Einzelstrafen aus einer nicht von der [X.] umfassten Vorverurteilung bereits das vom [X.] Gerichtshof angenommene Vollstreckungshindernis entgegen. In einem solchen Fall ginge nicht nur die Untersuchungshaft mit Rechtskraft (§ 34a [X.]) in Strafhaft über (§ 449 [X.]), sondern die Gesamtfreiheitsstrafe wäre infolge der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 StGB bereits teilweise vollstreckt.

Mutzbauer                                        Roggenbuck                                         Cierniak

                              Bender                                                 Quentin

Meta

4 StR 303/11

27.07.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 14. Januar 2011, Az: 9 KLs 36 Js 680/09 - 22/10

Art 14 EUAuslÜbk, § 83h Abs 2 Nr 3 IRG, § 55 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2011, Az. 4 StR 303/11 (REWIS RS 2011, 4360)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4360

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