Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.01.2014, Az. X B 68/13

10. Senat | REWIS RS 2014, 8863

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Gegenstand

Pflicht zur Erhebung eines beantragten Beweises; Verlust des Rügerechts


Leitsatz

1. NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann. Liegen diese Ausnahmetatbestände nicht vor, muss das FG einem Beweisantrag auch dann nachkommen, wenn es aufgrund der Lebenserfahrung nicht davon ausgeht, die Beweisaufnahme werde die im Beweisantrag enthaltende Tatsachenbehauptung bestätigen.

2. NV: Ein Verlust des Rügerechts nach § 295 ZPO tritt nicht ein, wenn das FG in seinem Urteil zwar nicht den Beweisantrag als solchen, wohl aber den vollen Wortlaut der unter Beweis gestellten Tatsachen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Schriftsatz, in dem der Beweisantrag enthalten war, wiedergibt.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Ehegatten, die für die Streitjahre 2004 und 2007 zur Einkommensteuer [X.] wurden. Für die Streitjahre 2005 und 2006 wurden sie getrennt veranlagt; insoweit ist nur der Kläger am Verfahren beteiligt.

2

Der Kläger erzielte als Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Seine Einnahmen stammten im Wesentlichen von einer Versicherungsgesellschaft, in geringem Umfang auch von einem Kreditinstitut. Ferner war der Kläger bereits seit Mitte der 1990er Jahre Mitinhaber eines Patents zur Benzinherstellung. Die Patentinhaber beabsichtigten, das Patent zu verkaufen. Zu diesem Zweck gründeten sie im [X.] eine GmbH, die vor allem im Rahmen der Vermarktung im Ausland auftreten sollte. [X.] kam es im Hinblick auf die Vermarktung des Patents zu einer [X.] zwischen den Patentinhabern und einem [X.] Partner, die allerdings nicht von sämtlichen Patentinhabern unterschrieben worden ist.

3

Im Rahmen der Gewinnermittlungen für seine Tätigkeit als Versicherungsvertreter zog der Kläger seit 2003 Aufwendungen für Reisen nach [X.] und in andere Länder des Nahen Ostens sowie Zahlungen an den [X.] Partner des [X.] (Erstattung von Aufwendungen für die Anmietung eines Büros in [X.]) ab. Diese Aufwendungen sollen nach dem Vorbringen des [X.] in Zusammenhang mit der Vermarktung des Patents stehen. Einnahmen hieraus erklärte er nicht.

4

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte diese Aufwendungen weder für das [X.] noch für die Streitjahre 2004 bis 2007. Es erteilte dem Kläger auf dessen Antrag am 24. November 2009 eine verbindliche Auskunft, wonach die Veräußerung des Patents aus dem Privatvermögen keinen steuerbaren Vorgang darstellen würde, weil die in § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannte Frist abgelaufen sei. Eine zeitlich begrenzte Verwertung des Patents (Lizenzerteilung) würde zu Einkünften nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 EStG führen. Dies gelte allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Rechte nicht zu einem Betriebsvermögen gehörten.

5

In einem Klageverfahren, das u.a. wegen der Einkommensteuer 2003 geführt wurde, kam es am 25. März 2011 in der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter desselben Senats, der auch die vorliegend angefochtene Entscheidung zu den Streitjahren 2004 bis 2007 erlassen hat, zu einer tatsächlichen Verständigung. Danach sollte das [X.] % der Aufwendungen für die Reisen nach [X.] und die Anmietung des Büros in [X.] als Betriebsausgaben anerkennen. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt; das [X.] erließ einen entsprechenden Teilabhilfebescheid.

6

Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2013 beantragten die Kläger in dem für die Streitjahre 2004 bis 2007 anhängigen Klageverfahren, die Sachgebietsleiterin der Veranlagungsstelle des [X.] ([X.]) als Zeugin zu vernehmen. [X.] solle bezeugen, dass am 17. September 2009 beim [X.] ein Erörterungstermin im Zusammenhang mit dem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft stattgefunden habe und während dieses Termins zwischen den Beteiligten eine Einigung dahingehend erzielt worden sei, dass zwischen den Mitinhabern des Patents eine Bruchteilsgemeinschaft bestehe (§ 6 Satz 2 des Patentgesetzes) und der Kläger "als Handelsvertreter zur Patentvermarktung anerkannt" werde. Dies stand in Zusammenhang mit dem weiteren Sachvortrag des [X.], er sei als Handelsvertreter von den anderen Patentinhabern mit der Vermarktung des Patents beauftragt worden.

7

Das [X.] beantragte schriftsätzlich, den Beweisantrag abzulehnen, weil die Beweiserhebung durch Verwertung eines von [X.] gefertigten Vermerks über den Erörterungstermin ersetzt werden könne. Der Kläger trat dieser Auffassung des [X.] --ebenfalls schriftsätzlich-- entgegen.

8

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage --die noch mehrere weitere Punkte zum Gegenstand hatte-- ab. Zu den Aufwendungen für die Patentvermarktung führte es aus, ein Zusammenhang mit dem Einzelunternehmen des [X.] (Versicherungsagentur) sei nicht gegeben. Auch ein eigenständiger Gewerbebetrieb "Patentvermarktung" sei nicht feststellbar. Das Besteuerungsrecht für das [X.], das als gewerbliche Personengesellschaft anzusehen sei, würde nach dem anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen ohnehin in [X.] liegen. Nach dem von Bediensteten des [X.] gefertigten Vermerk über den Erörterungstermin am 17. September 2009 sei es fernliegend, dass das [X.] die streitgegenständlichen Aufwendungen als Betriebsausgaben habe anerkennen wollen.

9

Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln.

Das [X.] tritt der Beschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

II. [X.] ist begründet. Es liegt ein von den Klägern geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] hat seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O) sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der [X.]eweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) verletzt, indem es dem Antrag der Kläger auf Vernehmung von Frau [X.] nicht nachgekommen ist, sondern statt dessen einen Aktenvermerk verwertet hat.

a) Ein ordnungsgemäß gestellter [X.]eweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das [X.]eweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das [X.]eweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des [X.]eweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. [X.]eschlüsse des [X.]undesfinanzhofs --[X.]FH-- vom 17. November 2009 VI [X.] 11/09, [X.]FH/NV 2010, 650, unter [X.], und vom 28. September 2011 X [X.] 69/11, [X.]FH/NV 2012, 32, unter II.2., beide m.w.N.).

Keiner dieser Ausnahmegründe lag hinsichtlich des im Streitfall gestellten [X.]eweisantrags vor. Insbesondere war der [X.]eweisantrag für die Entscheidung des Streitfalls erheblich, da eine wirksam getroffene tatsächliche Verständigung [X.] wie die zum Vorjahr 2003 über denselben Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] erzielte [X.] auch [X.]indungswirkung für das Gericht entfaltet hätte. Allein der Umstand, dass das [X.] --was sowohl nach Aktenlage als auch nach der Lebenserfahrung durchaus nahe liegt-- offenbar nicht erwartet hat, eine förmliche [X.]eweisaufnahme werde die Tatsachenbehauptungen der Kläger zum Ergebnis des Erörterungstermins bestätigen, berechtigt nicht dazu, einen ordnungsgemäß gestellten [X.]eweisantrag zu übergehen, weil darin eine vorweggenommene [X.]eweiswürdigung läge.

b) Anders als das [X.] meint, haben die Kläger ihr Recht, den Verfahrensmangel zu rügen, nicht nach § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 [X.]O verloren.

aa) Obwohl diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach einen Verlust des [X.] lediglich eintreten lässt, wenn der Verfahrensfehler bei der "nächsten" mündlichen Verhandlung nicht gerügt wird, wird sie nach ständiger Rechtsprechung des [X.]FH auch dann herangezogen, wenn sich der gerichtliche Verfahrensfehler und das Unterbleiben einer Rüge in "derselben" mündlichen Verhandlung ereignen (vgl. zu einem derartigen Sachverhalt [X.]FH-[X.]eschluss vom 3. November 2010 I [X.] 102/10, [X.]FH/NV 2011, 808, unter 2. b).

bb) Ein Rügeverlust tritt allerdings nicht ein, wenn das [X.] im Urteil begründet hat, weshalb es eine beantragte [X.]eweiserhebung nicht durchgeführt hat ([X.]FH-[X.]eschluss vom 26. November 2008 IX [X.] 122/08, [X.]FH/NV 2009, 600). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass eine ausdrückliche Rüge durch den [X.]eteiligten in derartigen Fällen eine überflüssige [X.] darstellen würde, da bereits aus dem angefochtenen Urteil selbst hervorgeht, dass dem [X.] die Existenz des übergangenen [X.]eweismittels bewusst war ([X.]FH-[X.]eschluss vom 29. Juni 2011 X [X.] 242/10, [X.]FH/NV 2011, 1715, unter II.1.b).

Nichts anderes kann aber gelten, wenn das [X.] --wie hier-- zwar nicht ausdrücklich begründet, weshalb es den beantragten [X.]eweis nicht erhoben hat, wohl aber den vollen Wortlaut der unter [X.]eweis gestellten Tatsachen unter ausdrücklicher [X.]ezugnahme auf den Schriftsatz, in dem der [X.]eweisantrag enthalten war, wiedergibt. Auch in einem solchen Fall kann bereits dem finanzgerichtlichen Urteil entnommen werden, dass dem [X.] die Existenz des [X.]eweisantrags im Zeitpunkt seiner Entscheidung bewusst war, ohne dass noch weitere Umstände zu würdigen wären.

cc) Vorliegend war der [X.]eweisantrag in dem --sehr kurzen-- Schriftsatz der Kläger vom 25. Februar 2013 enthalten, den das [X.] ausdrücklich erwähnt. Ebenso zitiert das [X.] wörtlich die von den Klägern in diesem Schriftsatz unter [X.]eweis gestellten Tatsachen. Auch nimmt es in diesem Zusammenhang [X.]ezug auf das Schreiben der Kläger vom 4. März 2013, mit dem sie der Auffassung des [X.] ausdrücklich widersprochen haben, die [X.]eweiserhebung könne durch Verwertung eines Vermerks ersetzt werden. Danach kann ausgeschlossen werden, dass das [X.] den [X.]eweisantrag übersehen hat. Eine Rüge durch die Kläger in der mündlichen Verhandlung wäre --zumal die schriftsätzliche Rüge vom 4. März 2013 der mündlichen Verhandlung unmittelbar vorangegangen ist-- in gleicher Weise als überflüssige [X.] anzusehen, als wenn das [X.], wozu es im Übrigen verpflichtet gewesen wäre, ausdrücklich begründet hätte, weshalb es von der [X.]eweiserhebung abgesehen hat.

2. Die weiteren Verfahrensrügen der Kläger greifen nicht durch. Insoweit sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O von einer [X.]egründung ab.

3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Meta

X B 68/13

08.01.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 7. März 2013, Az: 2 K 192/10, Urteil

§ 76 Abs 1 FGO, § 295 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.01.2014, Az. X B 68/13 (REWIS RS 2014, 8863)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8863

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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