Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.12.2023, Az. VIa ZB 17/23

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 10053

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des [X.] vom 24. Juli 2023 aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 20. April 2023 gegen [X.] am [X.]wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis 13.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb im Januar 2016 einen gebrauchten [X.] 3.0 [X.], der mit einem von der [X.] entwickelten und hergestellten Motor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verlangt der Kläger im Wesentlichen Zahlung in Höhe von 10.783,92 € Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs.

3

[X.] am [X.], der nach der Geschäftsverteilung der für die Entscheidung über die Berufung zuständigen [X.] angehört, hat im April 2023 angezeigt, er sei Eigentümer eines Fahrzeugs der Marke [X.], in dem ein Dieselmotor der Baureihe [X.] verbaut sei. Er habe sich der Musterfeststellungsklage gegen die [X.] betreffend diesen Motor vor dem [X.] zum Aktenzeichen 4 MK 1/18 angeschlossen. Im dortigen Verfahren habe er einen Vergleich geschlossen, mit dem auch Ansprüche gegen andere Konzerngesellschaften - insbesondere auch gegen die im Vergleich namentlich bezeichnete [X.] AG - abgegolten gewesen seien. Daraufhin hat die Beklagte [X.] am [X.] wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

4

Das Berufungsgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der [X.].

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 575 ZPO. Sie ist zudem in der Sache gerechtfertigt.

6

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung - ausgeführt, allein die Anmeldung von Ansprüchen des abgelehnten [X.]s zum Musterfeststellungsverfahren gegen die [X.] sei bei Abwägung aller Umstände nicht geeignet, vom Standpunkt der [X.]en bei vernünftiger Betrachtung heute noch Zweifel an dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit aufkommen zu lassen. Das Musterfeststellungsverfahren vor dem [X.] sei allein gegen die [X.] als Herstellerin bestimmter Motoren geführt und schon im Frühjahr 2020 abgeschlossen worden. Eine rechtliche Verbindung zu den übrigen Konzerngesellschaften sei erst durch den verfahrensbeendenden Vergleich entstanden. Ein enger zeitlicher Zusammenhang, der bei dieser Sachlage die Annahme des Vorliegens von Befangenheitsgründen trage, bestehe nicht mehr. Zwischen dem [X.] mit der [X.] und dem Verhandlungstermin vor dem Senat lägen mehr als drei Jahre. Entscheidend komme hinzu, dass mittlerweile eine differenzierte Rechtsprechung des [X.] flankiert durch die Vorgaben des [X.] für sogenannte Dieselverfahren vorliege. Diese Entscheidungen bestimmten die Rechtsfindung der Berufungsgerichte und der ihnen angehörenden [X.]. Gegen eine Voreingenommenheit des abgelehnten [X.]s zum Nachteil der [X.] spreche schließlich, dass er sein Fahrzeug der Marke [X.] weiterhin nutze.

7

2. Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8

a) Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines [X.]s zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte [X.] eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus Sicht der ablehnenden [X.] bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines [X.]s ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn er in einem Verfahren zwar nicht selbst [X.] ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine [X.] geltend macht. Aus der Sicht einer [X.], gegen die ein [X.] Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser [X.] die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die [X.] zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere [X.], dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. zum Ganzen [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2019 - [X.], NJW 2020, 1680 Rn. 9 f.; Beschluss vom 28. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 3458 Rn. 7 f.; Beschluss vom 25. März 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 2368 Rn. 7).

9

b) Nach diesen Maßstäben liegt ein Ablehnungsgrund vor. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Beteiligung des abgelehnten [X.]s an dem Musterfeststellungsverfahren aufgrund des Zeitablaufs für unerheblich erachtet hat, sind von Rechtsfehlern beeinflusst.

aa) Die Anmeldung von Ansprüchen des abgelehnten [X.]s zum Musterfeststellungsverfahren gegen die [X.] ist geeignet, vom Standpunkt der [X.] aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an seiner Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit auch ihr selbst gegenüber aufkommen zu lassen.

Zwar richtete sich die Musterfeststellungsklage nicht gegen die Beklagte, sondern gegen ihre Konzernmutter, die bloße Herstellerin des im Fahrzeug des abgelehnten [X.]s verbauten [X.] ist, und betraf das Musterfeststellungsverfahren einen Motor einer anderen Baureihe. Eine Haftung der [X.] eines vom sogenannten [X.] betroffenen [X.] - hier der Konzernmutter der [X.] im Musterfeststellungsverfahren - nach §§ 826, 31 BGB kann allerdings nicht nur mit deren mittelbarer Täterschaft gerechtfertigt werden, sondern kommt auch in Betracht, wenn die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Fahrzeugherstellerin und die [X.] als Mittäter begangen worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 11. Mai 2021 - [X.], [X.], 1300 Rn. 12; Urteil vom 27. Juli 2021 - [X.]/20 [X.], 1661 Rn. 12; Urteil vom 19. Oktober 2021 - [X.], [X.], 186 Rn. 13). In der Inanspruchnahme der Konzernmutter nach §§ 826, 31 BGB lag insoweit keine Vorfestlegung des abgelehnten [X.]s zur Frage einer täterschaftlichen Schädigung durch die Beklagte, so dass die Möglichkeit offenblieb, auch die Beklagte als Verwenderin des [X.] nach §§ 826, 31 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz in Anspruch zu nehmen. Welches Vorstellungsbild der abgelehnte [X.] subjektiv tatsächlich mit seiner Anmeldung verfolgte, ist für § 42 Abs. 2 ZPO unerheblich (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2019 - [X.], NJW 2020, 1680 Rn. 19).

Aus der maßgeblichen Sicht der ablehnenden [X.] war wegen der vorausgehenden Inanspruchnahme der Konzernmutter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s betreffend einen umfassenderen Lebenssachverhalt - Einbau eines nach dem Vortrag des [X.] vom sogenannten [X.] wie Motoren der Baureihe [X.] betroffenen, wenn auch einer anderen Baureihe zugehörigen [X.] in das Fahrzeug des [X.] - auch gegenüber der [X.] als Fahrzeugherstellerin zu zweifeln. Die Sachverhalte sind ausreichend vergleichbar, weil es in beiden Fällen um den Vorwurf geht, ein von der [X.] hergestelltes Fahrzeug habe bei Erwerb wegen der (vorsätzlichen) Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht den einschlägigen Zulassungsvorschriften entsprochen.

bb) Die Anmeldung der Ansprüche im Musterfeststellungsverfahren ist auch weiterhin geeignet, aus Sicht der [X.] den Anschein der [X.]lichkeit zu begründen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt der Zeitablauf von mehr als drei Jahren zwischen [X.] und Verhandlungstermin nicht zum Wegfall der Besorgnis der Befangenheit.

Nach welchem zeitlichen Ablauf von einem Wegfall des Ablehnungsgrunds ausgegangen werden kann, lässt sich nicht durch eine starre Frist bestimmen. Gleichzeitig ist ein [X.] im Fall der Interessenparallelität nicht dauerhaft von solchen Verfahren ausgeschlossen, sondern nach der Geschäftsverteilung zuständig, wenn die Bejahung einer Besorgnis der Befangenheit auf die Entziehung des Rechts auf den gesetzlichen [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) hinausliefe (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Oktober 2014 - [X.], [X.], 50 Rn. 7). Maßgeblich ist, dass - erneut aus der maßgeblichen Sicht einer verständigen [X.] - mit einer genügenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, der abgelehnte [X.] habe seine negative Haltung ihr gegenüber inzwischen geändert (vgl. [X.], Beschluss vom 25. März 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 2368 Rn. 13). Diese Annahme ist - ohne zusätzliche Anhaltspunkte - nach Ablauf von drei Jahren nicht gerechtfertigt. Der vom Berufungsgericht angeführte Umstand, der abgelehnte [X.] nutze sein Fahrzeug der Marke [X.] weiterhin, bietet keinen entsprechenden Anhalt, weil dem allein wirtschaftliche Erwägungen zugrunde liegen können.

cc) Schließlich kommt dem aus Sicht des Berufungsgerichts entscheidenden Aspekt, die differenzierte Rechtsprechung des [X.] und die Vorgaben des Gerichtshofs der [X.] bestimmten die Rechtsfindung der den Berufungsgerichten angehörenden [X.], im Zusammenhang mit der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit keine Bedeutung zu. [X.] sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG). Ein Gericht braucht deswegen bei der Auslegung und Anwendung von Normen einer vorherrschenden Meinung nicht zu folgen. Es ist selbst dann nicht gehindert, eine eigene Rechtsauffassung zu vertreten und seinen Entscheidungen zugrunde zu legen, wenn alle anderen Gerichte - auch die im Rechtszug übergeordneten - den gegenteiligen Standpunkt einnehmen. Die Rechtspflege ist wegen der Unabhängigkeit der [X.] konstitutionell uneinheitlich ([X.], Beschluss vom 3. November 1992 - 1 BvR 1243/88, [X.]E 87, 273, 278).

III.

Der Senat kann in der Sache selbst das Ablehnungsgesuch für begründet erklären, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten der erfolgreichen Rechtsbeschwerde sind Kosten des Rechtsstreits ([X.], [X.], 1399).

[X.]     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZB 17/23

04.12.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 24. Juli 2023, Az: I-18 U 95/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.12.2023, Az. VIa ZB 17/23 (REWIS RS 2023, 10053)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10053

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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