Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.01.2021, Az. III ZR 85/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 9118

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Gegenstand

Richterablehnung: Befangenheit eines Richters in einem den Dieselskandal betreffenden Rechtsstreit


Tenor

Die in der Erklärung des Vorsitzenden [X.] am [X.] [X.]      vom 24. November 2020 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I.

1

Die Kläger nehmen die Beklagte unter dem Vorwurf der Beihilfe zu kapitalmarktrechtlichen Pflichtverletzungen der [X.] (im Folgenden: [X.]) sowie ihrer Konzernmutter, der [X.] [X.] (im Folgenden: Porsche [X.]), auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte lieferte für die [X.] eine Motorsteuerungssoftware, mit der seit 2008 die Dieselmotoren der Baureihe [X.] ausgerüstet wurden. Diese Software bewirkt, dass bei der Abgasprüfung günstigere [X.] erzielt werden als außerhalb des Prüfstands.

2

Anfang September 2015 räumte [X.] gegenüber [X.] Behörden ein, eine als "defeat device" bezeichnete Software in ihren Dieselfahrzeugen verbaut zu haben. Mit [X.] vom 22. und 23. September 2015 informierte sie den Kapitalmarkt über die Abgasmanipulationen.

3

Die Kläger erwarben am 27. März 2015 neun Stück Vorzugsaktien der [X.] und am 29. Mai 2015 weitere fünfzehn Stück. Sie behaupten, sie hätten diesen Erwerb unterlassen, hätten sie Kenntnis von dem Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen gehabt. Sie sind der Ansicht, die Beklagte hafte als Gehilfin insbesondere für die Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten durch die [X.] und die Porsche [X.].

4

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat Schadensersatzansprüche aus § 830 Abs. 2 BGB i.V.m. § 826, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 331 Abs. 1, 2 HGB, § 400 [X.], § 37v Abs. 2 Nr. 2 WpHG a.F. sowie §§ 37b und 37c WpHG verneint. Es hat ausgeführt, es könne dahinstehen, ob eine beihilfefähige Haupttat vorliege, da eine Haftung der Beklagten als Gehilfin aus anderen Gründen nicht in Betracht komme. Gehe man davon aus, dass die Dieselmotoren der Baureihe [X.] mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen gewesen seien, stelle dies eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Erwerber der Fahrzeuge durch den Motor- bzw. Fahrzeughersteller dar. Es liege nahe, dass die Beklagte jedenfalls eine objektive Beihilfehandlung zur Schädigung der Fahrzeugerwerber durch die [X.] erbracht habe. Vorliegend gehe es aber nicht um eine Haftung gegenüber den Erwerbern von Dieselfahrzeugen und daher auch nicht um eine Haftung der Beklagten als Gehilfin zu diesen Haupttaten, sondern um die Verletzung von Pflichten gegenüber dem Kapitalmarkt. Insofern habe die Beklagte keine Tätigkeiten entfaltet, die den für eine Haftung als Gehilfin erforderlichen deliktischen Sinnbezug aufgewiesen hätten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Anspruch weiter.

5

Am 24. November 2020 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender [X.] am [X.] Dr. H.     , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen [X.] CC mit dem Motor [X.] erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die [X.] erhoben habe. Die Beklagte hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Die Kläger haben hierzu keine Stellungnahme abgegeben.

II.

6

Die in der Anzeige des Vorsitzenden [X.]s mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

7

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines [X.]s zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte [X.] eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - [X.], NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität ([X.] aaO). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines [X.]s ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht ([X.] aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein [X.] in einem Verfahren zwar nicht selbst [X.] ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine [X.] geltend macht. Aus der Sicht einer [X.], gegen die ein [X.] Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser [X.] die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die [X.] zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere [X.], dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

8

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor. Seiner Erklärung vom 24. November 2020 zufolge hat der Vorsitzende [X.] einen [X.] CC mit dem Motor [X.] erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die [X.] erhoben. Die Frage, ob Käufern von Fahrzeugen der Marke [X.], die mit dem hier in Rede stehenden Dieselmotor [X.] nebst Abschalteinrichtung ausgestattet sind, Schadensersatzansprüche gegen die [X.] als Herstellerin dieser Automobile zustehen, ist im vorliegenden Verfahren eine Vorfrage, die bejaht werden muss, um annehmen zu können, dass die [X.] zu einer Kapitalmarktinformation verpflichtet war, zu der die hiesige Beklagte Beihilfe geleistet hat. Auch wenn das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, weil es die Haftung der Beklagten aus anderen Gründen verneint hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch diese Vorfrage im Revisionsverfahren zu prüfen sein könnte, so dass der Vorsitzende [X.] insoweit den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen zu beurteilen hätte wie in eigener Sache. Dies ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden [X.]s aufkommen zu lassen. Dabei genügt bereits der "böse Schein", die tatsächliche Einstellung des [X.]s ist insoweit nicht ausschlaggebend.

Tombrink     

        

Remmert     

        

Reiter

        

Kessen     

        

Herr     

        

Meta

III ZR 85/20

28.01.2021

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 24. März 2020, Az: 10 U 542/19

§ 42 Abs 2 ZPO, § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 830 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV, § 325 Abs 1 S 1 Nr 1 HGB, § 331 Abs 1 HGB, § 332 Abs 2 HGB, § 400 AktG, § 37b WpHG, § 37v Abs 2 Nr 2 WpHG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.01.2021, Az. III ZR 85/20 (REWIS RS 2021, 9118)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9118

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II ZB 14/19

VI ZB 94/19

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