Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2020, Az. XII ZB 153/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1156

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Gegenstand

Betreuungssache: Voraussetzungen für das Absehen von der Bekanntgabe eines Gutachtens; Erforderlichkeit der Wiederholung der Anhörung des Betroffenen; Voraussetzungen für eine Anordnung zur Entscheidung über die Postangelegenheiten


Leitsatz

1. Sieht das Betreuungsgericht entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG von der Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen ab, kann durch die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht. Letzteres setzt in der Regel einen entsprechenden Hinweis des Betreuungsgerichts an den Verfahrenspfleger voraus (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. März 2020 - XII ZB 496/19, FamRZ 2020, 1124).

2. Auch wenn der Sachverständige den Betroffenen während der Anhörung begutachtet und eine mündliche Einschätzung zur Betreuungsbedürftigkeit abgibt, die dem Betroffenen mitgeteilt wird, ist der Betroffene nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens erneut anzuhören. Dazu ist ihm dieses rechtzeitig vor dem neuen Anhörungstermin zu überlassen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 27. Mai 2020 - XII ZB 582/19, FamRZ 2020, 1410).

3. Eine Anordnung zur Entscheidung über die Postangelegenheiten des Betroffenen nach § 1896 Abs. 4 BGB ist nur zulässig, soweit die Befugnis erforderlich ist, um dem Betreuer die Erfüllung einer ihm ansonsten übertragenen Betreuungsaufgabe in der gebotenen Weise zu ermöglichen. Zudem setzt eine solche Anordnung regelmäßig voraus, dass sie erforderlich ist, um eine erhebliche Gefährdung oder Beeinträchtigung von wesentlichen Rechtsgütern des Betroffenen zu beseitigen. Beides muss durch konkrete tatrichterliche Feststellungen belegt werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 2. März 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Der Betroffene wendet sich gegen die für ihn eingerichtete Betreuung.

2

Auf Anregung der Tochter des Betroffenen hat das Amtsgericht ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Es hat zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und den Betroffenen wiederholt, zuletzt am 9. Oktober 2019, angehört. In diesem Anhörungstermin hat der Sachverständige den Betroffenen begutachtet und eine vorläufige Einschätzung seiner Begutachtung mitgeteilt. Das schriftliche Sachverständigengutachten datiert vom 10. Oktober 2019. Mit Beschluss vom 12. November 2019 hat das Amtsgericht die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin für den Betroffenen mit folgendem Aufgabenkreis bestellt: Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung, Unterhalt und [X.] Sicherung, Vertretung gegenüber Heim- bzw. Klinikleitung, Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen sowie „Entscheidung über die Entgegennahme und das Öffnen der Post“. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

4

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Betroffene leide nach dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten an einer paranoiden Schizophrenie. Aufgrund dieser Erkrankung sei die Unterstützung des Betroffenen durch einen Betreuer in dem vom Amtsgericht angeordneten Aufgabenkreis erforderlich. Der Betroffene lehne eine Betreuung zwar ab; dies sei jedoch unbeachtlich, weil er aufgrund fehlender Krankheitseinsicht nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage sei. Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht habe abgesehen werden können.

5

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass der angefochtene Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil dem Betroffenen das zugrundeliegende Sachverständigengutachten nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist.

7

aa) Das Amtsgericht hat zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit ein Sachverständigengutachten nach § 280 FamFG eingeholt und seine Entscheidung – ebenso wie das Beschwerdegericht – darauf gestützt.

8

Nach der Rechtsprechung des [X.]s setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gutachten dem Betroffenen mit seinem vollen Wortlaut zur Verfügung gestellt wird. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (st. Rspr., vgl. etwa [X.]sbeschluss vom 12. August 2020 - [X.] 204/20 - juris Rn. 11 mwN). Eine in erster Instanz verfahrensfehlerhaft unterbliebene ordnungsgemäße Bekanntgabe des Gutachtens ist gemäß § 68 Abs. 3 FamFG im Beschwerdeverfahren nachzuholen ([X.]sbeschluss vom 11. März 2020 - [X.] 496/19 - FamRZ 2020, 1124 Rn. 6).

9

bb) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.

Das Amtsgericht hat das Sachverständigengutachten ausweislich seiner Verfügung vom 12. November 2019 nicht dem Betroffenen, sondern ausschließlich dem Verfahrenspfleger bekanntgegeben.

(1) Es kann dahinstehen, ob nach den getroffenen Feststellungen ein Fall vorliegt, bei dem entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG von der Bekanntgabe des Gutachtens an den Betroffenen abgesehen werden konnte, weil das Sachverständigengutachten den Hinweis enthält, dass auf die Mitteilung der Fremdanamnese an den Betroffenen zur Vermeidung einer weiteren „familiären Eskalation“ verzichtet werden sollte. Unbeschadet der Frage, ob dies die Annahme rechtfertigt, dass der Betroffene durch die Bekanntgabe des Gutachtens [X.] entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte (vgl. [X.]sbeschluss vom 6. Mai 2020 - [X.] 6/20 - FamRZ 2020, 1303 Rn. 8), hätte das Gericht schon nicht das Sachverständigengutachten mit seinem vollen Wortlaut gegenüber dem Betroffenen zurückhalten dürfen.

(2) Hinzu kommt, dass das Gericht den Verfahrenspfleger ersichtlich nicht mit der Aufgabe betraut hat, das Gutachten mit dem Betroffenen nach den Vorgaben des Sachverständigen zu besprechen.

Sieht das Betreuungsgericht entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG von der Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen ab, kann durch die Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht. Letzteres setzt in der Regel einen entsprechenden Hinweis des Betreuungsgerichts an den Verfahrenspfleger voraus ([X.]sbeschluss vom 11. März 2020 - [X.] 496/19 - FamRZ 2020, 1124 Rn. 5 mwN).

Weder den getroffenen Feststellungen noch den Gerichtsakten ist ein entsprechender Hinweis zu entnehmen. Das Sachverständigengutachten ist dem Verfahrenspfleger ausweislich der Gerichtsakten erst mit dem Beschluss über die Anordnung der Betreuung bekanntgegeben worden. Auch seiner – gegenüber dem [X.] im Beschwerdeverfahren abgegebenen – Stellungnahme ist nicht zu entnehmen, dass der Verfahrenspfleger das Sachverständigengutachten mit dem Betroffenen besprochen hat. Deshalb ist [X.] davon auszugehen, dass dies nicht geschehen ist.

(3) Der darin liegende Verfahrensfehler ist im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden. Weder aus den Feststellungen des [X.] noch aus den Gerichtsakten lässt sich entnehmen, dass dem Betroffenen das Sachverständigengutachten im Beschwerdeverfahren zur Verfügung gestanden hat.

b) Die Rechtsbeschwerde rügt weiter zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen durfte, weil die im ersten Rechtszug erfolgten Anhörungen verfahrensfehlerhaft waren.

aa) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Einer der Zwecke der persönlichen Anhörung besteht darin, den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu sichern. Diesen Zweck kann die Anhörung regelmäßig nur dann erfüllen, wenn das Sachverständigengutachten dem Betroffenen rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen wurde, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu diesem und den sich hieraus ergebenden Umständen zu äußern ([X.]sbeschluss vom 27. Mai 2020 - [X.] 582/19 - FamRZ 2020, 1410 Rn. 6).

Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. etwa [X.]sbeschluss vom 12. August 2020 - [X.] 150/20 - juris Rn. 7 mwN).

bb) Das Amtsgericht hat bei seinen Anhörungen zwingende Verfahrensvorschriften verletzt. Der Betroffene ist (erst) im letzten Anhörungstermin am 9. Oktober 2019 vom anwesenden Sachverständigen begutachtet worden. In diesem Anhörungstermin hat der Sachverständige lediglich eine vorläufige mündliche Einschätzung seiner Begutachtung abgeben. Das schriftliche Gutachten ist erst nach der Anhörung am 10. Oktober 2019 gefertigt und dem Amtsgericht am 14. Oktober 2019 überlassen worden. Auch wenn dem Betroffenen in der Anhörung die vorläufige Einschätzung des Sachverständigen mitgeteilt worden ist, hatte er vor seiner Anhörung nicht die Möglichkeit, sich mit dem bis dahin noch nicht vorliegenden schriftlichen Gutachten auseinanderzusetzen und entsprechende Einwendungen vorzubringen. Schon aus diesem Grund hätte das Beschwerdegericht die Anhörung gemäß §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG wiederholen müssen (vgl. [X.]sbeschluss vom 27. Mai 2020 - [X.] 582/19 - FamRZ 2020, 1410 Rn. 7).

c) Schließlich rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass die bislang getroffenen Feststellungen (unabhängig von den oben aufgeführten Verfahrensfehlern) nicht die Anordnung einer Betreuung für private Postangelegenheiten tragen.

aa) Die Voraussetzungen, unter denen dem Betreuer die Postkontrolle übertragen werden kann, sind im Gesetz nicht eigens geregelt (vgl. § 1896 Abs. 4 BGB; zur eingeschränkten Wirkung dieser Entscheidung im Betreuungsverfahren selbst vgl. [X.]sbeschluss vom 26. Juni 2019 - [X.] 35/19 - FamRZ 2019, 1636 Rn. 15 mwN).

Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer indes nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie – auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit – notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (st. Rspr., vgl. etwa [X.]sbeschluss vom 10. Juni 2020 - [X.] 25/20 - NJW-RR 2020, 1009 Rn. 9 mwN).

Der Erforderlichkeitsgrundsatz gilt auch und gerade im Rahmen einer Anordnung zur Regelung von Postangelegenheiten des Betroffenen nach § 1896 Abs. 4 BGB (vgl. [X.]sbeschluss vom 28. Januar 2015 - [X.] 520/14 - FamRZ 2015, 650 Rn. 15; [X.] FamRZ 2008, 89; [X.] FamRZ 1992, 856, 857). Aus diesem Grundsatz und der gebotenen Beachtung der Verhältnismäßigkeit folgt, dass eine derartige Anordnung nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist (vgl. auch [X.], 1558, 1559; [X.]/[X.] 8. Aufl. § 1896 Rn. 278 f.; [X.]/[X.] BGB [2017] § 1896 Rn. 187; [X.] Betreuungsrecht [Stand: 1. September 2016] § 1896 Rn. 243; HK-BUR/[X.]/[X.] [Stand: Februar 2013] § 1896 Rn. 268 f.; Jurgeleit Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1896 Rn. 168).

(1) Sie ist nur zulässig, soweit die Befugnis erforderlich ist, um dem Betreuer die Erfüllung einer ihm ansonsten übertragenen [X.] in der gebotenen Weise zu ermöglichen.

Denn mit einer Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB wird dem Betreuer eine Annexbefugnis zur Erfüllung eines anderen – ihm übertragenen – [X.] eingeräumt (vgl. [X.], 586, 588 f.; [X.]/[X.] BGB [2017] § 1896 Rn. 235; [X.]/[X.] BGB 79. Aufl. § 1896 Rn. 21; [X.]/[X.] Betreuungs- und Unterbringungsrecht 6. Aufl. § 7 Rn. 8). Andernfalls wäre eine solche Anordnung, mit der in das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) des Betroffenen eingegriffen wird (vgl. [X.] NJW 1985, 121, 122 - zum Schutzbereich dieses Grundrechts), unverhältnismäßig, weil die Kontrolle der Kommunikation des Betroffenen als solche – ohne sachlichen Bezug zu einem weiteren Aufgabenkreis des Betreuers – keinen legitimen Zweck für einen Eingriff in das vorgenannte Grundrecht des Betroffenen darstellen kann (vgl. [X.]/Schmidt-Recla BGB [Stand: 1. Juli 2020] § 1896 Rn. 287).

Aus diesen Anforderungen folgt zugleich, dass eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB eine Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und einen objektiven Betreuungsbedarf auch in diesem Aufgabenbereich voraussetzt. Denn andernfalls wäre eine Befugnis des Betreuers zur Kontrolle dieser Kommunikation nicht erforderlich, um ihm die Erfüllung seiner eigentlichen [X.] zu ermöglichen.

Aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen lässt sich die Erforderlichkeit einer Betreuung im Rahmen von § 1896 Abs. 4 BGB somit nicht herleiten ([X.] FamRZ 1996, 757, 758 - zur Postkontrolle; vgl. [X.]sbeschluss vom 21. Januar 2015 - [X.] 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 9 - zur Vermögensbetreuung).

(2) Eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB setzt regelmäßig weiter voraus, dass sie erforderlich ist, um eine erhebliche Gefährdung oder Beeinträchtigung von wesentlichen Rechtsgütern des Betroffenen zu beseitigen.

Denn das Grundgesetz weist den in Art. 10 Abs. 1 GG garantierten Grundrechten des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses hohen Rang zu ([X.] NJW 1985, 121, 122). Demgegenüber stellt eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB regelmäßig einen nicht nur geringfügigen, sondern schweren Eingriff in dieses Grundrecht dar. Dieser wäre ohne das Vorliegen gewichtiger Interessen des Betroffenen in Form einer erheblichen Gefährdung oder Beeinträchtigung wesentlicher Rechtsgüter, der mit einer Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB begegnet werden soll, regelmäßig nicht zu rechtfertigen; die Anordnung wäre unverhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. [X.] NJW 2003, 1787, 1791).

(3) Das Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen ist schließlich durch konkrete tatrichterliche Feststellungen zu belegen.

Dies gilt auch bezüglich der privaten Post eines Betroffenen, sofern diese nicht von einer Betreuung in Postangelegenheiten ausgenommen wird (vgl. [X.] Betreuungsrecht [Stand: 1. September 2016] § 1896 Rn. 247; HK-BUR/[X.]/[X.] [Stand: Februar 2013] § 1896 Rn. 272).

bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

Der vom Amtsgericht angeordnete und vom Beschwerdegericht nicht beanstandete Aufgabenkreis umfasst – mangels Einschränkung in der amtsgerichtlichen Entscheidung – auch die Kontrolle der privaten Post des Betroffenen. Für diesen Bereich fehlen indessen ausreichende Feststellungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Betreuung.

Der Verweis des [X.] auf das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten trägt nicht die Anordnung einer Betreuung für private Postangelegenheiten. Denn der Sachverständige hat in seinem Gutachten lediglich eine Betreuung „in Postangelegenheiten, soweit es sich erkennbar nicht um [X.] handelt“, empfohlen.

Auch die Feststellung des [X.], die Erkrankung des Betroffenen habe in den vergangenen Jahren zu einem „massiven Verlust [X.]r Kontakte“ geführt, ist nicht ausreichend. Zwar mag es Fälle geben, bei denen gerade aus diesem Grund ([X.] Isolation) eine Betreuung in privaten Postangelegenheiten erforderlich werden kann, etwa wenn der [X.] auf der subjektiven Unfähigkeit eines Betroffenen beruht, seine private Post mit Verwandten, Freunden oder Bekannten zu regeln (vgl. dazu HK-BUR/[X.]/[X.] [Stand: Februar 2013] § 1896 Rn. 272). Hierzu hat das Beschwerdegericht indes auch im Ansatz keine Feststellungen getroffen, auch nicht dazu, dass der [X.] die Gesundheit des Betroffenen bereits erheblich gefährdet oder beeinträchtigt hat, eine Regelung der privaten Post durch den Betreuer also als Annexbefugnis zur Ausübung der ihm übertragenen Gesundheitssorge erforderlich wäre.

Auch soweit der angefochtene Beschluss auf die amtsgerichtliche Entscheidung Bezug nimmt, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn auch diese enthält keine konkreten Feststellungen zur Erforderlichkeit einer Betreuung in privaten Postangelegenheiten.

3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das [X.] noch die erforderlichen Feststellungen in verfahrensordnungsgemäßer Weise zu treffen haben wird. Deshalb ist die Sache nach § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG an das [X.] zurückzuverweisen.

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 153/20

21.10.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Darmstadt, 2. März 2020, Az: 5 T 697/19

Art 10 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 1896 Abs 4 BGB, § 68 Abs 3 S 2 FamFG, § 278 Abs 1 S 1 FamFG, § 280 Abs 1 S 1 FamFG, § 288 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2020, Az. XII ZB 153/20 (REWIS RS 2020, 1156)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 171-172 REWIS RS 2020, 1156

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