Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2013, Az. 1 StR 135/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3248

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 135/13

vom
23. August
2013
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat am 23.
August
2013
beschlos-sen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Land-gerichts [X.] ([X.]) vom 8.
November 2012 mit den Fest-stellungen aufgehoben (§
349 Abs.
4 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuel[X.] [X.] mit sexuellem
Missbrauch von Schutzbefoh[X.]en und [X.] zwischen Verwandten in fünf Fäl[X.], wegen Vergewaltigung mit schwe-rem sexuel[X.] Missbrauch von Kindern mit sexuellem
Missbrauch von Schutz-befoh[X.]en und Beischlaf zwischen Verwandten in zehn Fäl[X.], wegen Ver-gewaltigung mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefoh[X.]en und Beischlaf zwischen Verwandten in fünf Fäl[X.] sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
-
3
-
I.
Die der Verurteilung des Angeklagten wegen der Sexualdelikte zu [X.] liegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
Nach den Feststellungen gebärdete sich der Angeklagte während des Verlaufs seiner 1993 eingegangenen Ehe despotisch und gewalttätig. Die [X.] bekamen drei gemeinsame Töchter, darunter die am 6.
März 1994 gebo-rene F.

. Im Jahre 2002 trennte sich die Ehefrau vom Angeklagten. Da-
raufhin hetzte der Angeklagte seine Tochter F.

gegen die Mutter auf.
F.

wurde schließlich wegen aggressiven Verhaltens -
so hatte sie ihre
Mutter angegriffen
-
in einer Pflegefamilie untergebracht. Sie zog dann 2006 zu
ihrem Vater. Fortan quälte er seine Tochter auf mannigfache Weise, auch durch Gewalttätigkeiten. Zudem übte er bei ihr im Mai 2007 in fünf Fäl[X.] den vagina-[X.] Geschlechtsverkehr aus. Zwischen dem 1.
Juni 2007 und dem 24.
Novem-ber 2007 wiederholte sich dies in weiteren zehn Fäl[X.], [X.] versuchte das Mädchen jedoch, ihn wegzustoßen, wobei er ihr jeweils in den Schenkel kniff, um den Widerstand zu überwinden. Im Oktober 2007 schlug der Angeklagte mit dem Duschkopf auf den Kopf von F.

ein, so dass diese eine stark bluten-
de Platzwunde und einen gebrochenen Finger an der zum Schutz hochgehalte-nen Hand erlitt. Zwischen November 2007 und März 2009 war F.

wegen
des Verdachts der Misshandlung durch den Vater im Kinderheim untergebracht. [X.]. So kam es zwischen dem 6.
März 2009 und Februar 2011 zu weiteren fünf Fäl[X.] des va-gina[X.] [X.] gegen den Wil[X.] des sich wehrenden Mädchens, das der Angeklagte dabei jeweils mit Gewalt niederdrückte.

2
3
-
4
-
Das [X.] hat die Verurteilung des zu den Vorwürfen schweigen-den Angeklagten auf die für glaubhaft erachteten Angaben der Geschädigten gestützt.
2.
Auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen
Überprüfungsmaßstabs (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 14.
Dezember 2011
-
1
StR
501/11, [X.], 148
f.; Beschluss vom 23.
August 2012
-
4
StR
305/12, [X.], 383
f.) weist die Beweiswürdigung wegen der Sexualdelikte Rechtsfehler auf.
In einem Fall, in dem ein Angeklagter sich nicht einlässt, nur die Aussage des einzigen Belastungszeugen zur Verfügung steht und die Entscheidung
allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, müssen die
Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Ent-scheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezo-gen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Dezember 1997 -
2
StR
591/97, [X.], 250; [X.] in Löwe/[X.], StPO,
26.
Aufl.,
§
261 Rn.
72). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
a)
Das [X.] hat
die Angaben der Geschädigten deshalb als
glaubhaft erachtet, weil sie detailreich, in sich schlüssig, widerspruchsfrei und nicht von übermäßigem Belastungseifer getragen seien. Es ist indes den
Urteilsgründen nicht zu entnehmen und somit für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar, worauf es diese Bewertung der Aussage stützt. Insbesondere der angenommene Detailreichtum findet weder in der kargen Darstellung des Tatgeschehens noch in der äußerst knappen Würdigung eine Stütze. Die An-gaben der Geschädigten sind dort nur insoweit dargestellt, als die Zeugin die 4
5
6
7
-
5
-

l-reichtum oder Aussagegenauigkeit in einem gewissen, von der [X.] nicht aufgelösten Spannungsverhältnis steht.
b)
Auch die Feststellungen in Bezug auf die Aussageentstehung lassen eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht zu. Hierzu teilt das [X.] lediglich mit, ein Zeuge S.

habe erklärt, dass die Geschädigte von sich

[X.] sei. Zum Zeugen S.

wird im Rahmen der Darlegungen zu den
persönlichen Verhältnissen des Angeklagten lediglich mitgeteilt, dass im [X.] gegen den Angeklagten ein nicht rechtskräftiges amtsgerichtliches Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung
zu dessen Lasten ergangen ist.
Das [X.] sieht die Angaben des Zeugen S.

allein als Be-
leg für den mangelnden Belastungseifer der Geschädigten. Dies lässt [X.], dass es die Bedeutung der Entstehungs-
und Entwicklungsgeschichte (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 5.
November 1997 -
3
StR
558/97, [X.]R StGB §
176 Abs.
1 Beweiswürdigung
3; und vom 9.
Juli 2009 -
5
StR
225/09) der An-gaben der Geschädigten verkannt hat. So hätte erörtert werden müssen, ob in .

ein Motiv für eine Falschbelastung gelegen
haben könnte.
Auch hätte es der Mitteilung bedurft, ob und welche Angaben die Ge-schädigte während ihrer [X.] im Kinderheim zu Übergriffen des Angeklagten gemacht und wie sie sich zu einer Rückkehr in den väterlichen Haushalt verhal-ten hat.

8
9
10
-
6
-
c)
Den Urteilsfeststellungen kann zudem nicht entnommen werden, [X.] welcher Anknüpfungspunkte im Beweisergebnis sich das [X.] von der Anzahl der festgestellten Taten überzeugt hat. Das [X.] teilt hierzu i-eugin ergebe. Diese Angaben der Geschädigten zur Häufigkeit werden indes nicht mitgeteilt, so dass -
auch unter Berücksichtigung dessen, dass an die Feststellung einer bestimmten Anzahl von Straftaten einer gleichförmig verlaufenden Serie sexueller [X.] keine übersteigerten Anforderungen zu stel[X.] sind (vgl. [X.], Be-schlüsse
vom 27.
März 1997 -
3
StR
518/95, [X.]St 42, 107, 109
f.;
und vom 12.
November 1997 -
3
StR
559/97, [X.]R StGB §
176 Serienstraftaten
8)
-
eine nachvollziehbare Grundlage
für die dahingehende Überzeugungsbildung fehlt.
II.
Da der Senat nicht ausschließen kann, dass die Rechtsfehler bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten sich auch auf die Beweiswürdigung hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung ausgewirkt haben, hebt er das Urteil insgesamt auf.
Sollte das neue Tatgericht erneut zur Verurteilung des Angeklagten [X.], weist der Senat auf Folgendes hin:
[X.] als zulässiges Verteidigungsverhalten darf dem Ange-klagten weder
bei der Strafzumessung noch bei der Prüfung der Voraussetzun-gen der Maßregel der Sicherungsverwahrung angelastet werden. Auf eine mangelnde Auseinandersetzung mit den hiesigen, vom Angeklagten nicht
11
12
13
14
-
7
-
eingeräumten Taten kann weder die Begründung des Hangs noch der [X.] gestützt werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20.
März 2012
-
1
StR
64/12, [X.], 597;
und vom 26.
Oktober 2011 -
5
StR
267/11,
NStZ-RR
2012, 9).
Auch im Übrigen hätten die [X.] zur Anordnung der
Sicherungsverwahrung revisionsgerichtlicher Kontrolle nicht standgehalten. Sollte sich für das neue Tatgericht die Frage der Anordnung der Maßregel er-neut stel[X.], wird es sorgfältiger als bisher sowohl die formel[X.] -
anders als die [X.] nach §
66 Abs.
2
und Abs.
3 Satz
2 StGB verlangt die des §
66 Abs.
3 Satz
1 StGB eine qualifizierte Vorverurteilung zu Freiheits-strafe
-
als auch die materiel[X.] Voraussetzungen der Anordnung der Siche-rungsverwahrung zu prüfen haben. Der Hang als eingeschliffenes Verhaltens-muster, bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem [X.] nicht zugänglich ist, bezeichnet einen aufgrund um-fassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand ([X.], Beschluss vom 25.
Mai 2011 -
4
StR
87/11, [X.], 272). Seine Feststellung obliegt -
nach sachverständiger Beratung
-
unter sorgfältiger Ge-samtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des [X.] und [X.] Taten maßgeblichen Umstände dem [X.] in eigener Verantwortung ([X.], Beschluss vom 30.
März 2010 -
3
StR
69/10,
StV 2010, 484; Urteile
vom 15.
Februar 2011 -
1
StR
645/10, [X.], 204;
und vom 17.
De-zember 2009 -
3
StR
399/09). Diese tatrichterliche Gesamtwürdigung kann nicht durch den Verweis auf die Schlüssigkeit der sachverständigen Ausführun-gen und den
Hinweis, dass diese von keinem Verfahrensbeteiligten angezwei-felt worden seien, ersetzt werden.

15
-
8
-
Soll im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung ein manipulatives Verhalten des Angeklagten verwertet werden, so ist dies entsprechend zu bele-gen. Auch die Frage, in welchem Zusammenhang zur eingeschliffenen Neigung k-ist entsprechend zu erörtern.
Wahl
Graf
Cirener

Radtke
Mosbacher
16

Meta

1 StR 135/13

23.08.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2013, Az. 1 StR 135/13 (REWIS RS 2013, 3248)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3248

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