Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.03.2011, Az. IX ZB 217/08

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 8264

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 217/08 vom 24. März 2011 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren während der Insolvenz des Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: jaInsO §§ 89, 91 Abs. 1, § 114 Abs. 3, § 294 Abs. 1; ZPO § 832 Werden fortlaufende Bezüge des Schuldners vor Eröffnung des Verfahrens gepfän-det, ist das Pfändungspfandrecht danach nur so weit und so lange unwirksam, als die Zwecke des Insolvenzverfahrens und der möglichen Restschuldbefreiung dies recht-fertigen. BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 217/08 - LG Dresden AG Dresden - 2 - Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Pape am 24. März 2011 beschlossen: Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 4. September 2008 wird auf Kos-ten der weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 • festgesetzt. Gründe: I. Die Gläubigerin pfändete im Dezember 2003 Ansprüche des 1955 gebo-renen Schuldners gegen die weitere Beteiligte zu 1, eine Sozialversicherungs-trägerin (im Folgenden auch Drittschuldnerin oder Rechtsbeschwerdeführerin), auf Zahlung der künftigen Altersrente wie Arbeitseinkommen. Am 12. Februar 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröff-net, der ferner die Restschuldbefreiung erstrebt. Daraufhin beantragte die Dritt-schuldnerin, die im Jahre 2003 angeordnete Pfändung und Überweisung der Ansprüche auf Altersrente aufzuheben. Das Insolvenzgericht setzte die Vollzie-1 - 3 - hung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus, ohne die Pfändung aufzuheben. Die hiergegen gerich-tete Beschwerde der Drittschuldnerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer zugelas-senen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Aufhebungsantrag weiter. II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 104/04, NZI 2004, 447). Die auch sonst zu-lässige Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. 2 1. Die sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin gegen die Ablehnung ihres Aufhebungsantrags durch das Insolvenzgericht war zulässig. 3 a) Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts war hier entsprechend § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO begründet, obwohl § 114 Abs. 3 InsO auf diese Vorschrift nicht verweist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. September 2006 - IX ZB 11/04, ZInsO 2006, 1049 Rn. 8). Das erste Rechtsmittel der Drittschuldnerin war nach § 567 Abs. 1, § 793 ZPO statthaft; denn der Insolvenzrichter hat hier funktional als besonderes Vollstreckungsgericht entschieden. Der Rechtsmittel-zug richtete sich infolgedessen nach den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004, aaO). 4 b) Die sofortige Beschwerde war auch sonst zulässig; insbesondere war die Drittschuldnerin zu ihrer Einlegung befugt. Der angefochtene Ablehnungs-beschluss des Insolvenzgerichts hatte Entscheidungscharakter, wobei offen 5 - 4 - bleiben kann, ob die erstrebte Aufhebung der Pfändung nur unmittelbar kraft Gesetzes eingetretene Wirkungen verlautbart hätte oder notwendig war, um die andauernde Pfandverstrickung des Rentenanspruchs zu beseitigen. Anstelle einer Erinnerung nach § 766 ZPO war deshalb die sofortige Beschwerde ge-mäß § 793 ZPO entsprechend § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO der richtige Rechtsbe-helf (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004, aaO mwN). Die sofortige Beschwerde steht dem durch die Ablehnung seines Aufhebungsantrags beschwerten Dritt-schuldner bei zunächst wirksamer Pfändung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. No-vember 2002 - IX ZB 85/02, WM 2003, 548) ebenso zu wie die Erinnerung, wenn er dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sogleich entgegentreten will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1977 - VIII ZR 5/76, BGHZ 69, 144, 148 unter II. 2. b, bb). 2. Mit ihrer Sachrüge dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch. 6 a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Zwangsvollstreckung des Gläubigers sei trotz des erlangten Pfändungspfandrechts für die Dauer des Verfahrens nach § 89 Abs. 2 Satz 1 InsO unzulässig. Das könne das Insol-venzgericht feststellen und anordnen. Eine Aufhebung des Pfändungs- und Ü-berweisungsbeschlusses, welche dem Gläubiger den erlangten Rangvorteil für alle Zukunft nehme, sei dagegen nach dem Zweck des Gesetzes nicht geboten. Das Pfändungspfandrecht an der zukünftigen Rente könne vielmehr wieder auf-leben, falls dem Vollstreckungs- und Insolvenzschuldner die Restschuldbefrei-ung versagt werde. Demgegenüber beruft sich die Drittschuldnerin darauf, die Rentenpfändung sei nach § 114 Abs. 3 Satz 1 InsO am 1. März 2007 unwirk-sam geworden. Dies müsse durch die beantragte Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses klargestellt werden. 7 - 5 - b) Im Ansatz zutreffend geht die Drittschuldnerin davon aus, dass Bezü-ge im Sinne von § 114 Abs. 3 Satz 1 InsO nach dem vorangestellten bestimm-ten Artikel ebenso wie in Absatz 1 der Vorschrift und § 81 Abs. 2, § 89 Abs. 2 InsO solche aus einem Dienstverhältnis des Schuldners sind oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge. Sämtliche Auslegungsmethoden führen zu diesem eindeutigen Ergebnis. Zu den Lohnersatzleistungen, die § 114 InsO er-fasst, gehören nach einhelliger Ansicht auch die fortlaufenden Auszahlungen der sozialen Rentenversicherung, die als pfändbares Recht bereits vor der In-solvenzeröffnung begründet sind (BT-Drucks. 12/2443 S. 136 zu § 92 EInsO a.E.; BSGE 92, 1 Rn. 9 bis 11; Löwisch/Caspers in MünchKomm-InsO, 2. Aufl. § 114 Rn. 14, 44; Berscheid/Ries in Uhlenbruck, InsO 13. Aufl. § 114 Rn. 10; Moll in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 114 Rn. 22). 8 Nicht entscheidend ist, ob eine wie Arbeitseinkommen gepfändete Sozi-alversicherungsrente sich bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits im Leistungsstadium befindet, solange sie noch während der Abtretung dieser Be-züge an den Treuhänder gemäß § 287 Abs. 2 InsO auszahlungsreif werden kann. Über den Zeitpunkt der Auszahlungsreife für die gepfändete Altersrente haben die Tatsacheninstanzen in diesem Verfahren keine Feststellungen ge-troffen. Im Ergebnis war dies auch unnötig. Denn die beantragte Aufhebung der Rentenpfändung kam erst recht nicht in Betracht, wenn vor dem Wegfall der Vollstreckungshindernisse des § 89 Abs. 2 Satz 1 InsO und § 294 Abs. 1 InsO keine Rentenbezüge zu erwarten waren. Dem Vollstreckungs- und Insolvenz-schuldner bleibt es dann überlassen, gegen die andauernde Zwangsvollstre-ckung der Gläubigerin aus dem vorliegenden Titel nach § 767 ZPO die Rest-schuldbefreiung einzuwenden, sobald sie ihm erteilt worden ist (vgl. BGH, Be-schluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, WM 2008, 2219 Rn. 8). Ande-9 - 6 - renfalls kann die Gläubigerin, wie nachfolgend noch auszuführen ist, die Voll-streckung fortsetzen. c) Die Ansicht der Rechtsbeschwerde, dass die befristete Wirksamkeit von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vollstreckungsschuldners gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 InsO zu einer nachfolgend endgültigen Unwirksamkeit füh-re, wonach die ergangenen Vollstreckungsanordnungen mit Wirkung für die Zu-kunft aufzuheben seien, steht mit dem Gesetz nicht in Einklang. Im Ergebnis zutreffend hat das Insolvenzgericht den Vollzug der Rentenpfändung zunächst nur bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgesetzt. Konnten in dieser Zeit noch keine Rentenbezüge anfallen, war die angeordnete Beschränkung gegenstandslos. 10 aa) Nach § 832 ZPO erstreckt sich die Pfändung von Gehaltsforderun-gen oder in ähnlicher Weise fortlaufenden Bezügen auch auf die nach der Pfän-dung fällig werdenden Beträge. In diesem Umfang kann eine Forderung, die in fortlaufenden Bezügen besteht, auch durch eine einmalige Verfügung abgetre-ten werden. Diese zukünftige Wirkung von rechtsgeschäftlichen oder vollstre-ckungsmäßigen Verfügungen über fortlaufende Bezüge wird für die Zwecke und die Dauer des Insolvenzverfahrens von dem gesetzlichen Erwerbsverbot des § 91 Abs. 1 InsO durchbrochen, weil der Rechtsübergang oder die Begründung des Pfändungspfandrechts das Entstehen der Forderung auf den Einzelbezug voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2006 - IX ZR 247/03, BGHZ 167, 363 Rn. 6 mwN). Diese sonst nach § 91 Abs. 1 InsO eintre-tende Durchbrechung der Verfügungswirkungen, die laufende Bezüge aus Dienstverhältnissen betreffen, ändert § 114 InsO in bestimmter Hinsicht ab. 11 - 7 - bb) Der Zweck des § 114 InsO hat allerdings im Wortlaut dieser Vor-schrift, für die sich in der Konkursordnung kein Vorbild findet, nur unvollkomme-nen Ausdruck gefunden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs einer Insolvenzordnung vom 15. April 1992 war beabsichtigt, im Interesse der Vertei-lung von Einkünften des Schuldners während der "Wohlverhaltensperiode" der Restschuldbefreiung seine laufenden Bezüge auch noch für eine längere Zeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zu diesem Zweck verfügbar zu ma-chen und die Wirksamkeit von Lohnabtretungen oder Lohnpfändungen demge-mäß zu beschränken. Diesem zeitlich begrenzten Zweck entspricht die vorge-schlagene Gesetzesfassung nicht eindeutig. Sie lehnt sich an die Bestimmun-gen zur Unwirksamkeit von Vorausverfügungen über Miet- und Pachtzinsforde-rungen in § 21 Abs. 2 und 3 KO, § 110 InsO an (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 150 f zu § 132 EInsO), die im Zusammenhang mit den §§ 566b, 566c BGB und den §§ 1123, 1124 BGB stehen. Der dort verankerte Gläubigerschutz ist zeitlich unbegrenzt. 12 cc) Wie der Bundesgerichtshof bereits zur Wirkungsdauer der Rück-schlagsperre des § 88 InsO ausgeführt hat, darf der Gesetzgeber den durch Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Rechtsschutzanspruch des Vollstreckungsgläubi-gers und seine durch die Zwangsvollstreckung erlangte Rechtsposition nur be-schränken, so weit und so lange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern (BGH, Urteil vom 15. Juli 1999 - IX ZR 239/98, BGHZ 142, 208, 213 zu § 7 Ge-sO; vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74, Rn. 23 mwN). Das gilt auch für die Rechtsfolge des § 114 Abs. 3 InsO. 13 Gesetzeszweck und verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz wirken hier anders als in den Fällen des § 110 InsO. Sie beschränken die Unwirksamkeit von Vorausabtretung und Vorauspfändung auf die Zwecke und die Dauer des 14 - 8 - Insolvenzverfahrens nebst nachfolgender Restschuldbefreiung (§ 88 InsO Kreft, Festschrift für Gero Fischer, 2008 S. 297, 304 ff). Während die Rechtsfigur ei-ner vorübergehend unwirksamen Zwangssicherungshypothek grundbuchrechtli-chen Schwierigkeiten begegnen kann, ist es verfügungsrechtlich ohne weiteres möglich, die Wiederholungswirkung bei der Abtretung oder Pfändung fortlau-fender Bezüge, wie sie sich in der Zwangsvollstreckung aus § 832 ZPO ergibt, zeitweilig zu durchbrechen. Die Nutzung dieser Möglichkeit ist nach dem Ge-setzeszweck und den Anforderungen des grundrechtlichen Eigentumsschutzes zwingend geboten. Der Pfändungspfandgläubiger hätte sonst insbesondere den vom ersten Pfändungsbeschlag begründeten Zeitrang seines Pfändungspfand-rechts aufzuopfern, ohne dass die Zwecke des Insolvenzverfahrens oder der möglichen Restschuldbefreiung dies rechtfertigen können und ohne die schon bestehende Sicherheit, dass die weitere Zwangsvollstreckung wegen Erteilung der Restschuldbefreiung sowieso eingestellt werden muss. Schon gar nicht kann ein solcher Rechts- und Rangverlust durch § 114 Abs. 3 InsO bei der Pfändung einer künftigen Altersrente hingenommen werden, deren Leistungs-stadium bis zur möglichen Erteilung der Restschuldbefreiung gar nicht sicher erreicht wird, so dass an die Insolvenzgläubiger aus dem Rentenan- - 9 - spruch des Schuldners ohnehin nichts verteilt werden kann. Dies hat das Be-schwerdegericht, wenngleich nur vor dem Hintergrund des § 89 Abs. 2 InsO, richtig erkannt. Kayser Raebel Vill

Lohmann Pape Vorinstanzen: AG Dresden, Entscheidung vom 13.06.2007 - 550 IN 3529/06 - LG Dresden, Entscheidung vom 04.09.2008 - 5 T 669/07 -

Meta

IX ZB 217/08

24.03.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.03.2011, Az. IX ZB 217/08 (REWIS RS 2011, 8264)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8264

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 217/08 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Rechtswirkungen der Pfändung fortlaufender Bezüge des Schuldners vor Eröffnung des Verfahrens


IX ZB 14/20 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Beseitigung der öffentlich-rechtlichen Verstrickung einer gepfändeten Forderung ohne Aufhebung der Pfändung insgesamt


IX ZB 11/21 (Bundesgerichtshof)

Zwangsvollstreckung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens: Aussetzung der Vollziehung eines vorinsolvenzlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur …


IX ZB 10/21 (Bundesgerichtshof)

Restschuldbefreiungsverfahren: Beseitigung der Verstrickung einer gepfändeten Forderung


IX ZB 313/11 (Bundesgerichtshof)

Zwangsvollstreckungsverbot für den Gläubiger einer Forderung aus unerlaubter Handlung während der Wohlverhaltensphase


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZB 217/08

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.