Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.12.2022, Az. 4 BN 9/22

4. Senat | REWIS RS 2022, 8739

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Gegenstand

Prägung eines sonstigen Gebiets mit Fremdenverkehrsfunktion


Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 11. November 2021 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die [X.]eschwerde beimisst. Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91> und vom 24. Mai 2022 - 4 [X.] 3.22 - juris Rn. 2). Daran fehlt es.

3

a) Die Antragstellerin bezeichnet als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,

unter welchen Voraussetzungen ein sonstiges Gebiet mit [X.] vorliegt, das durch [X.]eherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt ist im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.], bzw.,

nach welchen Kriterien sich die Prägung und damit auch die Grenzen eines sonstigen Gebiets mit [X.], das durch [X.]eherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt ist im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.], beurteilen, sowie,

ob bei wertender [X.]etrachtung, ob ein Gebiet mit [X.] im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] durch [X.]eherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt ist, auch sonstige [X.], wie

1. Tagungs- und Eventhallen, die innerhalb des Gebiets liegen,

2. Freizeiteinrichtungen, wie Campingplätze und Reithallen, die außerhalb des Gebiets liegen,

3. [X.], wie Spazierwege und Loipen, die außerhalb des Gebiets liegen,

berücksichtigt werden dürfen.

4

Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Sie lassen sich, soweit sie nicht bereits geklärt sind, auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres im Sinne der angefochtenen Entscheidung beantworten (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 24. August 1999 - 4 [X.] 72.99 - [X.]E 109, 268 <270> und vom 16. November 2004 - 4 [X.] 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450>).

5

Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 [X.]auG[X.] ist die Zweckbestimmung eines Gebiets für den Fremdenverkehr insbesondere anzunehmen bei Kurgebieten, Gebieten für die Fremdenbeherbergung, Wochenend- und Ferienhausgebieten, die im [X.]ebauungsplan festgesetzt sind, und bei im Zusammenhang bebauten Ortsteilen, deren Eigenart solchen Gebieten entspricht, sowie bei sonstigen Gebieten mit [X.]en, die durch [X.]eherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt sind. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass das bestimmende [X.] in der Fallgruppe des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] das Merkmal der "Prägung" ist: Es ist nicht erforderlich, dass jedes einzelne Grundstück im [X.] für Zwecke der Fremdenbeherbergung oder für Fremdenverkehrszwecke genutzt wird. Denn die städtebauliche Prägung eines bebauten Gebiets leitet sich aus der für dieses Gebiet charakteristischen Art der baulichen Nutzung ab, ohne dass diese auf jedem einzelnen Grundstück in dem Gebiet vorliegen müsste. Maßgeblich ist nicht eine quantitative Gegenüberstellung der für Fremdenbeherbergung und der auf andere Weise genutzten Grundstücke, sondern eine wertende [X.]etrachtung, die die städtebauliche [X.]esonderheit des vorgesehenen [X.]s zu erfassen sucht ([X.], Urteil vom 15. Mai 1997 - 4 C 9.96 - [X.]E 105, 1 <3>). Der Gesetzgeber hat zudem mit der Ergänzung des Wortes "insbesondere" durch das [X.]au- und Raumordnungsgesetz 1998 vom 18. August 1997 ([X.]G[X.]l. 1997 I S. 2081 ff.; vgl. Söfker, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]auG[X.], Stand April 2022, § 22 [X.]auG[X.] Rn. 7) deutlich gemacht, dass die Vorschrift nicht als abschließende Regelung zu verstehen ist ([X.]. 13/7589 S. 26; anders noch [X.], Urteil vom 7. Juli 1994 - 4 C 21.93 - [X.]E 96, 217 <220>). Hiernach ist es nicht ausgeschlossen, bei der [X.]eurteilung der Prägung eines Gebiets durch Fremdenbeherbergung je nach den städtebaulichen [X.]esonderheiten des Einzelfalls auch eine im oder um das Gebiet gelegene Fremdenverkehrsinfrastruktur zu berücksichtigen. Denn § 22 Abs. 1 [X.]auG[X.] dient gerade der Absicherung der hohen Investitionen von Fremdenverkehrsgemeinden für solche Infrastruktureinrichtungen (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 1997 a. a. O. S. 4; [X.]. 10/4630 S. 55).

6

b) Die Fragen,

ob bzw. unter welchen Voraussetzungen unbebaute landwirtschaftlich genutzte Außenbereichsflächen (insb. sog. Außenbereich im [X.], die von [X.]ebauung umgeben sind, selbst aber nicht bebaut sind) Teil eines sonstigen Gebiets mit [X.] im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] sein können, und

ob eine solche Außenbereichsfläche durch [X.]eherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] geprägt sein kann,

sind nicht klärungsfähig. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass das noch unbebaute Areal eine Außenbereichsfläche ist (vgl. [X.] Rn. 30). Ohne eine solche Tatsachenfeststellung und -würdigung steht aber nicht fest, dass die Klärung der aufgeworfenen Frage im Revisionsverfahren zu erwarten ist ([X.], [X.]eschlüsse vom 21. Januar 2016 - 4 [X.] 36.15 - juris Rn. 12 und vom 28. Juni 2021 - 4 [X.] 67.20 - juris Rn. 20).

7

c) Auch hinsichtlich der Fragen,

ob ein sonstiges Gebiet mit [X.] im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] voraussetzt, dass dieses Gebiet von [X.]eherbergungsbetrieben und Wohngebäuden mit Fremdenbeherbergung geprägt ist oder ob es ausreicht, dass in dem Gebiet lediglich Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung vorhanden sind und keine [X.]eherbergungsbetriebe, und

unter welchen Voraussetzungen ein Gebiet, welches fast ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt wird und damit bauplanungsrechtlich als allgemeines Wohngebiet einzuordnen ist, in dem in einzelnen wenigen Wohngebäuden [X.] vermietet werden (vgl. § 13a Satz 1 [X.]), ein sonstiges Gebiet mit [X.] im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] darstellt, sowie

ob sich allein hieraus bei wertender [X.]etrachtung des Gebiets eine städtebauliche [X.]esonderheit (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 1997 - 4 C 9.96 - [X.]E 105, 1 <2 f.>) ergeben kann, die ein sonstiges Gebiet im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] von einem allgemeinen Wohngebiet schlüssig abgrenzt,

fehlt es schon an den entsprechenden Tatsachenfeststellungen. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass in dem Gebiet insgesamt 24 Fremdenverkehrsbetriebe mit 394 [X.]etten ([X.] Rn. 30) und im südlichen Teil Ferienwohnungen vorhanden sind. Letzteren hat er ein "noch hinreichendes" Gewicht beigemessen ([X.] Rn. 34). Er hat sich weder dazu verhalten, ob es sich um ein allgemeines Wohngebiet handelt, noch hat er festgestellt, dass es sich bei den Ferienwohnungen - wie die [X.]eschwerde unterstellt - nur um "in einzelnen wenigen Wohngebäuden vermietete Zimmer" handele, die keinem [X.]eherbergungsbetrieb zuzuordnen seien. Die [X.]eschwerde kritisiert insofern im Gewand der Grundsatzrüge die Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichtshofs. Das führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung.

8

d) Die Fragen,

ob bei der Subsumtion der Prägung eines sonstigen Gebiets mit [X.] im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] bzw. bei der [X.]eurteilung der Grenzen eines solchen Gebiets die vom [X.] entwickelten Grundsätze zur [X.]estimmung der Grenzen (insb. auch hinsichtlich der trennenden Wirkung von Straßen) und der Prägung der näheren Umgebung im Zusammenhang mit der Art der baulichen Nutzung im Sinne des § 34 [X.]auG[X.] herangezogen werden können,

und für den Fall, dass diese Grundsätze nicht anwendbar sind, nach welchen sonstigen Kriterien die Prägung und die Grenzen eines sonstigen Gebiets mit [X.] im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 [X.]auG[X.] zu bestimmen sind,

führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Sie gehen an dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung vorbei. Die [X.]eschwerde zielt damit auf ihren Einwand aus dem erstinstanzlichen Verfahren, dass sich im südlichen Teil des Gebiets, abgetrennt durch die [X.]undesstraße, nur einzelne Ferienwohnungen befänden (vgl. [X.] Rn. 34). Der Verwaltungsgerichtshof ist auf diesen Einwand zwar insofern eingegangen, als er ausgeführt hat, dass die Kriterien, die sonst im [X.]auplanungsrecht bei der [X.]eurteilung, ob eine Straße trennende Wirkung habe, Anwendung finden, kein Maßstab sein könnten. Darauf beruht die Entscheidung aber nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Prägung des südlichen Teils durch [X.]eherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung selbständig tragend mit der dort vorhandenen Nutzung begründet und die südlich der [X.]undesstraße vorhandenen Ferienwohnungen - für sich genommen - als noch von hinreichendem Gewicht bewertet ([X.] Rn. 34).

9

2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Die Revision ist nicht wegen eines als Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO einzuordnenden Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist u. a. überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt. Solche Verstöße können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschluss vom 19. Dezember 2018 - 8 [X.] 12.18 - juris Rn. 23 m. w. N.).

Die [X.]eschwerde macht geltend, das Urteil gehe aktenwidrig davon aus, dass sich der Campingplatz und die Reitanlage innerhalb des [X.]s befänden. Nach der materiellen Rechtsauffassung der Vorinstanz kam es darauf nicht an. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass auch Fremdenverkehrsinfrastruktur außerhalb des Gebiets bei der [X.]ewertung der Gebietsprägung berücksichtigt werden darf; dementsprechend hat er auch einen entlang der [X.] verlaufenden Spazierweg sowie zwei Skiloipen berücksichtigt. Die Prägung des Gebiets hat er zusammenfassend mit der [X.]egründung bejaht, dass im Gebiet "zum einen hinreichend Fremdenverkehrsbetriebe" bestehen und es "zum anderen [...] zugleich von Fremdenverkehrsinfrastruktur umgeben" sei ([X.] Rn. 30). Auf die exakte Verortung des Grenzverlaufs des Gebiets im Verhältnis zu dem Campingplatz und der Reitanlage kam es hiernach nicht an.

b) Die Aufklärungsrüge greift nicht durch. Die [X.]eschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof hätte nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Ortsbesichtigung durchführen müssen, um die Prägung des Gebiets beurteilen zu können, denn es komme für die Prägung auf die optische Wahrnehmbarkeit an. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch - wie die Antragstellerin selbst erkennt - das optische Erscheinungsbild gerade nicht als rechtlich maßgeblich angesehen, sondern auf den [X.] der [X.]ebauung für den Fremdenverkehr abgestellt. Im Übrigen hat es die Antragstellerin unterlassen, in der mündlichen Verhandlung bei der Vorinstanz durch einen [X.]eweisantrag auf eine Ortsbesichtigung hinzuwirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 9/22

30.12.2022

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 11. November 2021, Az: 2 N 20.965, Urteil

§ 22 Abs 1 S 3 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.12.2022, Az. 4 BN 9/22 (REWIS RS 2022, 8739)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8739

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