Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.01.2019, Az. II ZR 94/17

2. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 11802

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Gegenstand

Verschmelzung von Aktiengesellschafen: Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung eines Beschlusses über die Bestellung eines besonderen Vertreters des übertragenden Rechtsträgers und eines Geltendmachungsbeschlusses


Gründe

1

I. Die Parteien werden auf Folgendes hingewiesen:

2

1. a) Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin zu 1 für die Anfechtung des Beschlusses der Hauptversammlung des übertragenen Rechtsträgers vom 19. Juni 2015, mit dem der Streithelfer der Klägerin zu 2 zum besonderen Vertreter bestellt wurde (§ 147 Abs. 2 [X.]), ist mit der Verschmelzung entfallen. Der angefochtene Beschluss hat keinerlei Wirkung für die Gesellschaft oder die Organe mehr. Auch ohne Nichtigerklärung des Beschlusses kann der besondere Vertreter keine weitere Tätigkeit entfalten, weil sein Amt mit der Verschmelzung erloschen ist ([X.], Beschluss vom 18. Juni 2013 - [X.] 4/12, [X.], 1467 Rn. 3 mwN). Es ist - auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin zu 1 - nicht ersichtlich, dass eine Nichtigerklärung noch Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben kann. Wenn ein Beschluss keinerlei Wirkung für Vergangenheit und Zukunft mehr hat, besteht auch an seiner Vernichtung oder Klärung der Rechtmäßigkeit kein anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse mehr ([X.], Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, [X.], 720 Rn. 10, 13 f.). Zwar besteht grundsätzlich das Interesse an der Vernichtung eines Beschlusses fort, wenn er für die Vergangenheit Grundlage für weitere Rechtshandlungen oder Maßnahmen war. Im Rahmen seines [X.] besitzt der besondere Vertreter aber Organqualität, so dass die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung auch auf ihn anwendbar sind. Dies hat zur Folge, dass auch bei einer Nichtigerklärung des angefochtenen [X.] die bis zur Abberufung vollzogenen Rechtshandlungen des besonderen Vertreters für die Gesellschaft wirksam bleiben ([X.], Beschluss vom 27. September 2011 - II ZR 225/08, [X.], 2195, 2196) und damit auch für die Vergangenheit das Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerklärung entfällt.

3

1. b) Hinsichtlich des die Klägerin zu 1 betreffenden angefochtenen [X.] (§ 147 Abs. 1 [X.]) ist fraglich, ob ein solcher nach einer Verschmelzung überhaupt noch eine Bindungswirkung entfaltet (dagegen: [X.] in [X.]/Stilz, [X.], 4. Aufl., § 147 Rn. 25, 63, 167). Die Fortwirkung eines Beschlusses nach der Verschmelzung ist grundsätzlich notwendige Voraussetzung für die Feststellung eines Rechtschutzbedürfnisses (LG München I, [X.] 1999, 628, 629; [X.], Urteil vom 18. Juni 2008 - 6 O 78/04, juris Rn. 57; [X.], [X.], 835, 836; Hüffer/[X.], [X.], 13. Aufl., § 246 Rn. 28; MünchKomm [X.]/Hüffer/Schäfer, 4. Aufl., § 246 Rn. 53; [X.], Festschrift [X.], 2003, [X.], 257; Winter in [X.]/Hörtnagl/[X.], [X.], 8. Aufl., § 20 Rn. 40;Vossius in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 28 Rn. 7).

4

Es handelt sich insoweit um eine ungeklärte Rechtsfrage, bei der die Rechtslage nicht eindeutig ist. Der [X.] sieht zunächst davon ab, sich in Bezug auf die Frage der Bindungswirkung festzulegen, da auch aus anderen Gründen in Frage kommt, dass das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin entfallen ist: In den bisher bekannt gewordenen Fällen war eine Entscheidung über diese Fragen nicht veranlasst, da der übernehmende Rechtsträger den Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 [X.] des übertragenden Rechtsträgers nach der Verschmelzung selbst aufgehoben hat (so u.a. OLG München, [X.], 725, 726 - [X.]/[X.]). Unabhängig davon hat der [X.] für die GmbH bereits entschieden, dass das Bedürfnis für eine Beschlussanfechtung entfallen kann, wenn der Alleingesellschafter die angefochtenen Beschlüsse durch eine neue Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung aufheben und damit selbst, ohne Gestaltungsurteil, die Wirkungen der Beschlüsse beseitigen kann ([X.], Urteil vom 26. Juni 2018 - II ZR 205/16, [X.], 1492 Rn. 28).

5

2. a) Hinsichtlich der Revision der Klägerin zu 2 und ihres Streithelfers betreffend die Anfechtung der ablehnenden Beschlüsse nach § 147 Abs. 1 [X.] ist gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO nur noch über die Kosten zu entscheiden, nachdem die übrigen Parteien der Erledigungserklärung der Klägerin zu 2 nicht innerhalb von zwei Wochen widersprochen haben. Der einfache Nebenintervenient muss die übereinstimmende Erledigung der Parteien hinnehmen (§ 67 ZPO; MünchKommZPO/[X.], 5. Aufl., § 91a Rn. 27 mwN; [X.] ZPO/[X.], 30. Edition 15. September 2018, ZPO § 91a Rn. 20; Zöller/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 91a Rn. 58 - Streitgenossenschaft und [X.]).

6

2. b) Für die weitergehende Revision der Klägerin zu 2 betreffend die von ihr erhobene Klage auf Feststellung, dass die Nichtannahme der Anträge zu [X.] zur Abstimmung durch den Versammlungsleiter in der Hauptversammlung vom 19. Juni 2015 rechtswidrig gewesen sei und sie in ihren Rechten verletzt habe, dürfte ein ggf. bestehendes Feststellungsinteresse mit dem [X.] und der Verschmelzung jedenfalls entfallen sein. [X.] ein Anfechtungskläger - wie hier die Klägerin zu 2 - aus dem Kreis der Gesellschafter aus, entfällt die Anfechtungsbefugnis, sofern der Gesellschafter kein rechtlich geschütztes Interesse an der Fortsetzung mehr hat ([X.], Urteil vom 25. Februar 1965 - II ZR 287/63, [X.]Z 43, 261, 266 ff.; Urteil vom 9. Oktober 2006 - II ZR 46/05, [X.]Z 169, 221 Rn. 14;Urteil vom 26. Juni 2012 - II ZR 30/11, [X.], 1753 Rn. 26). Ist keine Anfechtungsklage, sondern eine Feststellungsklage erhoben, dürfte das nicht anders sein. Für ein fortbestehendes Interesse an der Feststellung ist bisher nichts ersichtlich. Der Ausgang der Feststellungsklage hat keine rechtlich erheblichen Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung der Klägerin zu 2 zur Gesellschaft mehr.

7

3. Für die Revision der Beklagten und ihrer Streithelferin, der Klägerin zu 1, betreffend die Entscheidung des Berufungsgerichts zu der Nichtigerklärung des Beschlusses, mit dem die Abwahl des satzungsmäßigen Versammlungsleiters Dr. B.    abgelehnt worden ist und die Feststellung, dass die Hauptversammlung der Beklagten vom 19. Juni 2015 vor der Abstimmung über die Beschlussvorschläge zu [X.] 8 und 9 den Beschluss gefasst habe, "Der satzungsmäßige Versammlungsleiter Herr Dr. B.   wird mit sofortiger Wirkung abgewählt", gilt Folgendes:

8

Mit dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre und der Verschmelzung des übertragenden Rechtsträgers auf die jetzige Beklagte als übernehmenden Rechtsträger dürfte auch hier das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin zu 2 für die kombinierte Anfechtungs- und positive Feststellungsklage entfallen sein. [X.] ein Anfechtungskläger - wie hier die Klägerin zu 2 - aus dem Kreis der Gesellschafter aus, entfällt die Anfechtungsbefugnis, sofern der Gesellschafter kein rechtlich geschütztes Interesse an der Fortsetzung mehr hat.

9

Ein solches fortbestehende Rechtsschutzinteresse ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Ausgang des [X.] keine rechtlich erheblichen Auswirkungen auf die als Vermögensausgleich für den Verlust der Mitgliedsrechte zu gewährende angemessene Barabfindung (vgl. [X.], Urteil vom 9. Oktober 2006 - II ZR 46/05, [X.]Z 169, 221 Rn. 19; Urteil vom 26. Juni 2012 - II ZR 30/11, [X.], 1753 Rn. 26). Durch die erstrebte Aufhebung des ablehnenden Beschlusses und die positive Feststellung, dass der Versammlungsleiter abgewählt sei, kann auch weder eine Gestaltungswirkung eintreten, noch hat die Nichtigerklärung Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (vgl. [X.], Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, [X.]Z 196, 195 Rn. 13 f.). Denn mit der Verschmelzung und dem Erlöschen der übertragenden Gesellschaft hat der Versammlungsleiter seine Funktion und seine Stellung verloren.

II. Soweit vor einer Entscheidung über das weitere Vorgehen Erklärungen abgegeben werden sollen, sieht der [X.] diesen innerhalb eines Monats ab Zugang dieses Beschlusses entgegen.

Drescher     

   

Born     

   

B. Grüneberg

   

V. Sander      

   

von [X.]      

   

Hinweis: Der Rechtsstreit wurde für erledigt erklärt. Über die Kosten des Verfahrens wurde durch Beschluss vom 8. Oktober 2019 gemäß § 91a ZPO entschieden.

Meta

II ZR 94/17

08.01.2019

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 9. März 2017, Az: I-18 U 19/16, Urteil

§ 147 Abs 1 AktG, § 147 Abs 2 AktG, § 243 AktG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.01.2019, Az. II ZR 94/17 (REWIS RS 2019, 11802)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11802


Verfahrensgang

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Az. II ZR 94/17

Bundesgerichtshof, II ZR 94/17, 08.10.2019.

Bundesgerichtshof, II ZR 94/17, 08.01.2019.


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