Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.03.2012, Az. 5 StR 288/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8090

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Gegenstand

Verfolgung eines ordnungswidrigen Verhaltens nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz nach endgültiger Einstellung eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt gegen Erfüllung einer Geldauflage


Leitsatz

Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Beiträgen (§ 266a StGB) nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig ab, so steht § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG in der Fassung vom 25. April 2007 (nunmehr § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG) wegen der Unterschreitung von Mindestlöhnen (§ 1 Abs. 1 AEntG in der Fassung vom 25. April 2007) nicht entgegen.

Tenor

Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Beiträgen (§ 266a StGB) nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig ab, so steht § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF (nunmehr § 23 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) wegen der Unterschreitung von Mindestlöhnen (§ 1 Abs. 1 [X.] aF) nicht entgegen.

Gründe

I.

1

Dem Vorlegungsverfahren liegt Folgendes zugrunde:

2

1. Die 1973 geborene [X.] Staatsangehörige     S.     war Inhaberin eines an ihrer Familienwohnanschrift ansässigen Gewerbebetriebes, der sich mit dem Innenausbau als Trocken- und Akustikbau, Hausmeisterei als Hausverwaltung, Holz- und Bautenschutz, Garten- und Landschaftsbau sowie Erd- und Baggerarbeiten befasste. Das operative Geschäft besorgte ihr [X.] Ehemann.

3

Das Hauptzollamt [X.] ermittelte bei den Arbeitnehmern des Unternehmens eine Unterschreitung des Mindestlohns in Höhe von 5.939,43 €. Hieraus errechnete es nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge von 3.110,75 € ([X.]). Die Staatsanwaltschaft stellte das wegen des Verdachts einer Straftat nach § 266a StGB geführte Ermittlungsverfahren nach Bezahlung einer Geldauflage von 400 € am 7. Juli 2009 endgültig ein ([X.] 73, 75, 78 Bd. II).

4

Am 18. Juni 2009 erließ die Bußgeldbehörde wegen je einer vorsätzlichen Unterlassung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 [X.] aF einen Bußgeldbescheid gegen die Betroffene. Dieser erfasste folgende Vorwürfe:

5

Bei vier Arbeitnehmern, für die auch keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sind, sind in der [X.] vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2007 die Mindestlöhne in Höhe von 4.435,43 € unterschritten worden (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF: Geldbuße 15.000 €).

6

Entgegen § 1 Abs. 3 Satz 3 [X.] aF ist es von der Betroffenen unterlassen worden, die bei ihr tätigen Arbeitnehmer in der [X.] von Oktober 2003 bis März 2007 bei der [X.] – anzumelden; bei einem Beitragsschaden von 3.168,44 € ist deren Teilnahme am Urlaubskassenverfahren unterblieben (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aF: Geldbuße 11.000 €).

7

Schließlich hat die Betroffene entgegen § 2 Nr. 2 lit. a [X.] aF nicht für jeden Beschäftigten Aufzeichnungen über Beginn, Ende und Dauer der tatsächlichen Arbeitszeit erstellt und gegen die Aufbewahrungspflicht verstoßen (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 [X.] aF: Geldbuße 7.500 €).

8

2. Auf Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht [X.] mit Urteil vom 14. Februar 2011 gegen die Betroffene wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 Nr. 6 [X.] aF in fünf Fällen eine Geldbuße von 500 € festgesetzt. Hinsichtlich der Verstöße gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.] aF hat es das Verfahren hingegen gemäß § 46 OWiG, § 206a [X.] wegen des sich aus der endgültigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs. 1 [X.] ergebenden Strafklageverbrauchs eingestellt.

9

Hiergegen richtet sich die auf die Verfahrenseinstellung beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das amtsgerichtliche Urteil in diesem Umfang aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen ([X.] 37, 40 Bd. II). Mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts macht sie geltend, dass die Beweiswürdigung des Amtsgerichts widersprüchlich und unklar sei, soweit es – der Rechtsauffassung des [X.] in dessen Beschluss vom 9. April 2009 (Nds. [X.]. 2009, 395 f.) folgend – als Grund für die Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat im Sinne des § 264 [X.] hinsichtlich der Straftat nach § 266a Abs. 1 StGB und der Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF auf die durchgängige Unkenntnis der Betroffenen in Bezug auf die Mindestlohnzahlungspflicht abgestellt habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] ist der Staatsanwaltschaft beigetreten. Sie vertritt – Beschlüssen des [X.] vom 23. Juli 2010 (Ss (B) 50/10) sowie des Landgerichts [X.] vom 11. Januar 2011 (Nds. [X.]. 2009, 395 f.) folgend – die Auffassung, dass selbst bei Vorliegen einer persönlichen und zeitlichen Koinzidenz zwischen dem Gegenstand der Verfahrenseinstellung nach § 153a [X.] und den Verstößen gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.] aF von verschiedenen prozessualen Taten im Sinne des § 264 Abs. 1 [X.] auszugehen sei.

3. Das [X.] [X.] will dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechen. Es sieht sich daran durch Beschlüsse des [X.] vom 9. April 2009 (aaO) sowie des [X.] vom 27. August 2009 ([X.], 39) gehindert und hat die Sache zur Entscheidung folgender Rechtsfrage dem [X.] vorgelegt:

Führt eine nach § 153a [X.] erfolgte endgültige Einstellung eines wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) geführten Ermittlungsverfahrens zu einem Verfahrenshindernis wegen Strafklageverbrauchs gegenüber einem wegen Nichtzahlung des Mindestlohns gesondert geführten Bußgeldverfahren, wenn die Verkürzung der Sozialversicherungsbeiträge allein auf der Unterschreitung des Mindestlohns beruht?

II.

Die [X.] gemäß § 121 Abs. 2 [X.], § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG liegen vor.

1. Die Auffassung des [X.], es komme für seine Entscheidungen auf die vorgelegte Rechtsfrage an, ist zutreffend.

a) Die [X.] ist nicht deswegen obsolet, weil – wie der [X.] in seiner Antragsschrift vom 9. November 2011 meint – das Verfahren ohne deren Beantwortung mangels Vorliegens einer Arbeitgeberstellung der Betroffenen im Sinne eines Durchentscheidens auf Freispruch entscheidungsreif ist. Zwar haben weder das Amtsgericht noch das [X.] die für eine Verurteilung erforderliche Arbeitgebereigenschaft der Betroffenen ausdrücklich erörtert. Das [X.] durfte sie aber – wie geschehen – inzident für den weiteren Verfahrensgang bejahen, weil der [X.] gerade auch die tatsächlichen Feststellungen mit erfasst, so dass im weiteren Verfahren zumindest zu jedem rechtlich relevanten Aspekt der Arbeitgebereigenschaft ausreichende Feststellungen zu erwarten sind. Die Annahme, dass die Betroffene wenigstens neben ihrem das operative Geschäft betreibenden Ehemann ebenfalls Arbeitgeberin gewesen ist, liegt im Übrigen nahe. Sie könnte namentlich darauf gestützt werden, dass die Betroffene gegenüber Behörden, dem Steuerberater und den Arbeitnehmern im schriftlichen Verkehr als Betriebsinhaberin aufgetreten ist, sie sich hierzu sogar bekannt hat und Gründe der Rechtssicherheit dies erfordern (vgl. zur Eigenschaft eines „Strohmanns“ als Arbeitgeber auch [X.], Beschluss vom 14. Oktober 2010 – [X.]; [X.], Urteil vom 13. August 1986 – [X.] bis 9, [X.]). Jedenfalls ist die vom [X.] in dieser Vorfrage vertretene Rechtsauffassung plausibel. Der [X.] hat sie deshalb im Vorlegungsverfahren zugrundezulegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom [X.] 2004 – 5 [X.] ([X.]) 78/03, [X.]St 49, 61, 63 und vom 11. Oktober 2005 – 5 [X.] ([X.]) 54/05, [X.]St 50, 234, 236). Gleiches gilt für die weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF.

b) Der Vorlagebeschluss (wie auch die amtsgerichtliche Entscheidung) leidet allerdings unter dem Mangel, dass weder die [X.] der im Raum stehenden Verstöße gegen § 266a StGB bzw. § 5 Abs. 1 [X.] aF konkret benannt werden noch mitgeteilt wird, welche tatbestandlichen Varianten des § 266a Abs. 1 bis 3 StGB Gegenstand des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens waren. Es ist deshalb vorab klarzustellen, dass – was die Generalstaatsanwaltschaft auch in Zweifel zu ziehen scheint – die Vorenthaltung von Beiträgen gemäß § 266a StGB, die vom staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erfasst worden sind, nicht zugleich Gegenstand eines Bußgeldverfahrens wegen Verstößen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aF sein können. Insoweit bestünde kein Abweichungsfall (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Oktober 2005 – 5 [X.] ([X.]) 54/05, [X.]St 50, 234, 237). Soweit ersichtlich gehen sämtliche [X.]e davon aus, dass § 153a Abs. 1 Satz 5 [X.] wegen der hiermit verbundenen Sachentscheidung die Vorschrift des § 21 Abs. 2 OWiG ausschließt ([X.] NJW 1977, 1787, 1788; [X.] NJW 1985, 1850; [X.], 240; vgl. auch [X.] in [X.][X.], [X.], 26. Aufl., § 153a Rn. 27 mwN; [X.], [X.], 3. Aufl., § 21 Rn. 27 mwN; [X.], [X.], 101, 103).

c) Auf das Verhältnis von § 266a StGB zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aF kommt es hier nicht an. Die Nichtverfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aF ist von der Staatsanwaltschaft nämlich nicht angegriffen worden. Ersichtlich bezieht sich der Vorlagebeschluss dementsprechend nur auf die Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF.

d) Das Ordnungswidrigkeitsverfahren hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 Nr. 6 [X.] aF ist durch das amtsgerichtliche Urteil rechtskräftig abgeschlossen.

III.

Der [X.] hält die Rechtsauffassung des vorlegenden [X.] (ebenso Saarländisches [X.], Beschluss vom 23. Juli 2010 – Ss (B) 50/2010) für zutreffend. Zwischen den Taten nach § 266a StGB und der Nichtzahlung des – für die Höhe der Beiträge maßgeblichen – Mindestlohns (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF) besteht weder materiell-rechtliche Tateinheit noch liegt eine Tat im prozessualen Sinn (§ 264 [X.]) vor.

1. Ausgangspunkt der Bewertung ist die materiell-rechtliche Betrachtung. Zwar ist der prozessuale Tatbegriff im Verhältnis zum materiellen Recht selbständig ([X.], Beschluss vom 24. Juli 1987 – 3 [X.], [X.]St 35, 14, 19; [X.], Urteil vom 16. März 1989 – 4 StR 60/89, [X.]St 36, 151, 154). Jedoch sind materiell-rechtlich selbständige Taten in der Regel auch prozessual selbständig ([X.]St aaO), falls nicht weitergehende Umstände die Annahme einer Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 [X.] rechtfertigen ([X.], Urteile vom 16. März 1989 – 4 StR 60/89, [X.]St 36, 151, und vom 29. September 1987 – 4 [X.], [X.]St 35, 60, 64). Letzteres wird angenommen, wenn die Handlungen innerlich so verknüpft sind, dass nur ihre gemeinsame Würdigung erlaubt ist, eine getrennte Würdigung sowie Aburteilung in verschiedenen Verfahren mithin als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würden (st. Rspr., vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 2004 – 5 [X.], [X.]St 49, 359, 362 mwN).

a) Die Vorwürfe nach § 266a StGB und der Mindestlohnunterschreitung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF stehen im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander (§ 53 StGB). Dies gilt für sämtliche tatbestandliche Varianten des § 266a StGB.

Mit Ausnahme von § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB sind in § 266a StGB durchgehend echte Unterlassungsdelikte normiert. Sie knüpfen – wie zum Teil auch der [X.] des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF – häufig an ein Unterlassen des Arbeitgebers an. Auch für Unterlassungen ist die Frage, ob Tateinheit gegeben ist, an den allgemeinen Regeln zu messen. Danach ist entscheidend, ob die mehrfachen Gesetzesverletzungen durch eine einheitliche Unterlassung begangen worden sind. Dabei kann es wie bei [X.] auf die bloße Gleichzeitigkeit nicht entscheidend ankommen. Ob „ein und dieselbe Unterlassung“ zu mehreren Gesetzesverletzungen geführt hat, kann vielmehr nur im Hinblick auf die [X.] beurteilt werden, die durch die Unterlassung verletzt worden sind. Sind mehrere Pflichten durch „ein und dieselbe Handlung“ zu erfüllen, so wird in ihrer Unterlassung regelmäßig nur eine Handlung – im weiteren Sinne – gesehen werden können. Sind hingegen mehrere Handlungen erforderlich, um mehreren – selbst gleichartigen – Pflichten nachzukommen, so sind in ihrer Nichtvornahme in aller Regel mehrere Unterlassungen zu finden; es ist also Tatmehrheit gegeben ([X.], Beschluss vom 30. Mai 1963 – 1 StR 6/63, [X.]St 18, 376, 379 mwN). So liegt es hier.

Auch wenn man, wofür viel spricht, für den Fall der Auszahlung zu geringen Lohns den [X.] Handlungsschwerpunkt in der Tätigkeit des [X.] und damit in [X.] sieht, ergibt sich nichts anderes. Denn dann liegt die relevante Handlung in einer den gesetzlichen Mindestarbeitsbedingungen nicht genügenden Leistung an den Arbeitnehmer. Sie fällt gleichfalls nicht mit Tathandlungen nach § 266a StGB zusammen, die in den Fällen der Absätze 1 und 2 Pflichten des Arbeitgebers im Verhältnis zur Einzugsstelle, in den Fällen des Absatzes 3 dessen Obliegenheiten zur Abführung von Lohnbestandteilen zugunsten Dritter betreffen.

Die Betroffene war aufgrund der dem öffentlichen Recht zugehörigen Vorschrift des § 28e Abs. 1 [X.] gegenüber den Einzugsstellen als Schuldnerin originär zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, [X.]St 47, 318, 319). Diese Pflicht besteht unabhängig von ihrer aus dem Arbeitsverhältnis entsprungenen Lohnzahlungsverpflichtung (vgl. [X.] aaO). Die Betroffene war damit jedem Gläubiger gegenüber zu unabhängig voneinander vorzunehmenden Zahlungen verpflichtet, die lediglich in ihrer Höhe durch gesetzliche Vorgaben beeinflusst waren (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Mai 1963 – 1 StR 6/63, [X.]St 18, 376, 379 f.). Dies begründet das Vorliegen von Tatmehrheit (vgl. zum in gleicher Weise zu beurteilenden Verhältnis zwischen Nichtabführen von Lohnsteuer und dem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen [X.], Beschluss vom 24. Juli 1987 – 3 [X.], [X.]St 35, 14, 17, und Urteil vom 13. Mai 1992 – 5 StR 38/92, [X.]St 38, 285, 286; vgl. auch Saarländisches [X.], Beschluss vom 23. Juli 2010 – Ss (B) 50/10).

Sollte – was nach den dem [X.] vorliegenden bruchstückhaften Unterlagen allerdings nicht sehr wahrscheinlich ist – von der Einstellung eine strafbare Handlung nach § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst worden sein, so läge ebenfalls keine einheitliche Handlung vor. Denn die danach maßgeblichen Falschangaben können nicht mit einem Pflichtenverstoß im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF zusammentreffen.

b) Der aus der materiell-rechtlichen Realkonkurrenz folgende Begründungsansatz für die Annahme unterschiedlicher prozessualer Taten wird durch keine weitergehenden Umstände widerlegt (vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 2004 – 5 [X.], [X.]St 49, 359, 363).

Soweit das Amtsgericht der Betroffenen – indes von der Rechtsbeschwerde angegriffen – eine Unkenntnis der Pflicht zur Zahlung von Mindestlöhnen als Grundlage für die Nichterfüllung beider Pflichten zugebilligt hat, rechtfertigt dieses subjektive Element nicht die Annahme einer inneren Verknüpfung der beiden Unterlassungen. Solches wurde nicht einmal in der subjektiv viel stärker ausgeprägten Fallkonstellation anerkannt, in der es der Täter im Rahmen eines Gewerbebetriebs von Anfang an auf derartige Verstöße planmäßig angelegt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 1987 – 3 [X.], [X.]St 35, 14). Das Erfordernis, die Mindestlohnunterschreitung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF auch bei fahrlässigem Unterlassen als Ordnungswidrigkeit sanktionieren zu können, spricht vielmehr gegen die Annahme einer inneren Verknüpfung. Gerade die getrennte Würdigung von Straftat und Ordnungswidrigkeit in getrennten Verfahren ist im Gesetz angelegt.

Auch der Umstand, dass die auszuzahlenden Löhne und die danach abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge gleichermaßen in einem Steuerberatungsbüro – wenn auch mit einem im Verhältnis zur Betroffenen unklar gebliebenen Hinweis auf die [X.] – errechnet worden sind, führt als bloße gemeinsame Vorbereitungshandlung nicht zur Annahme prozessualer Tatidentität (vgl. [X.]St 35, 14, 18, 20).

2. Aspekte des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Vertrauensschutzes (vgl. [X.], Beschluss vom 26. August 2003 – 5 [X.], [X.]St 48, 331, 334) gebieten keine andere Bewertung. Das gemäß § 153a Abs. 1 [X.] endgültig eingestellte Ermittlungsverfahren hat ausschließlich das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a StGB zum Gegenstand. Der in der hier maßgeblichen Fallkonstellation nicht gezahlte Mindestlohn ist zwar zugleich eine Grundlage für die Berechnung dieser Beiträge. Er stellt indes lediglich einen Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Subsumtion dar, ohne hierdurch seine Selbständigkeit für weitere Subsumtionen in anderen rechtlichen Zusammenhängen zu verlieren. Die Mindestlohnunterschreitung nimmt deshalb nicht an einem mit der Einstellungsentscheidung verbundenen Vertrauen teil, dass der gewürdigte Sachverhalt einer weiteren nachteiligen Bewertung in einem anderen Verfahren entzogen sei.

Für einen Vertrauenstatbestand ermangelte es auch tatsächlich jeglicher Grundlage. Wie das [X.] zutreffend bemerkt, war der Betroffenen aufgrund Akteneinsicht bekannt, dass das Hauptzollamt zum Straf- und zum Ordnungswidrigkeitsverfahren getrennte Schlussberichte vorgelegt hatte; hierdurch wurde sie von dem eigenständig durchzuführenden Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Mindestlohnunterschreitung unterrichtet.

Raum                                                    [X.]

                            König                                                   [X.]

Meta

5 StR 288/11

15.03.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend OLG Braunschweig, 15. Juni 2011, Az: 201 SsBs 31/11

§ 266a StGB, § 153a Abs 1 S 5 StPO, § 264 Abs 1 StPO, § 1 Abs 1 AEntG vom 25.04.2007, § 5 Abs 1 Nr 1 AEntG vom 25.04.2007, § 23 Abs 1 Nr 1 AEntG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.03.2012, Az. 5 StR 288/11 (REWIS RS 2012, 8090)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8090

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 58/19

4 StR 503/12

5 StR 288/11

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