Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.02.2010, Az. 1 B 21/09

1. Senat | REWIS RS 2010, 9171

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Gegenstand

Anspruch auf Löschung von im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten; gemeinschaftsrechtskonforme Anwendung nationaler Vorschriften


Gründe

I.

1

Der Kläger, ein in [X.] niedergelassener [X.] Staatsangehöriger, begehrt die Verpflichtung der [X.]eklagten zur Löschung der im [X.] über ihn gespeicherten Daten. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Im [X.]erufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht dem [X.] ([X.]) mehrere Fragen zur Auslegung des [X.]en Diskriminierungsverbots und der Richtlinie 95/46/[X.] (Datenschutzrichtlinie) vorgelegt. Mit Urteil vom 16. Dezember 2008 ([X.]. [X.]/06) hat der [X.] die Vorlagefragen dahin beantwortet, dass ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, wie das mit dem Gesetz über das [X.] ([X.]) eingerichtete System, nur dann dem im Licht des Verbots jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausgelegten Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7 [X.]uchst. e der Richtlinie 95/46/[X.] entspricht, wenn es nur die Daten enthält, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften für die damit betrauten nationalen [X.]ehörden erforderlich sind und sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in [X.]ezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind. Nicht erforderlich im Sinne von Art. 7 [X.]uchst. e der Richtlinie 95/46/[X.] sind die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des [X.]s zu statistischen Zwecken. Art. 12 Abs. 1 [X.] ist ferner dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur [X.]ekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind.

2

Das [X.] hat daraufhin das [X.] als Registerbehörde und das [X.] mit Erlass vom 12. Februar 2009 angewiesen, beim Kläger und anderen Unionsbürgern zu beachten, dass

1. zukünftig nur noch diejenigen Daten im [X.] gespeichert sein dürfen, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften durch die hierfür zuständigen [X.] [X.]ehörden erforderlich sind,

2. die Übermittlung dieser Daten nur an öffentliche Stellen zulässig ist, wenn sie zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften oder zu statistischen Zwecken erfolgt, wobei die Übermittlung zu statistischen Zwecken nur in anonymisierter Form erfolgen darf und

3. ein Zugriff auf diese Daten bis auf weiteres nicht zulässig ist, wenn er allein zum Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung erfolgt; das gilt insbesondere für [X.] nach § 12 [X.].

3

Mit Urteil vom 24. Juni 2009 hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur [X.]egründung hat es ausgeführt: Die vom Gerichtshof aufgestellten [X.]edingungen für die Speicherung von Daten von Unionsbürgern in einem zentralen [X.] seien erfüllt. In [X.]ezug auf den Kläger seien nur Daten gespeichert, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich seien. Aus der Einschränkung zulässiger [X.] durch den Gerichtshof erwachse dem Kläger kein Löschungsanspruch. Die Unterbindung einer Nutzung der Daten zu anderen Zwecken sei nicht durch Löschung, sondern durch ein Verbot einer mit ihrer Zweckbestimmung nicht zu vereinbarenden Weiterverarbeitung zu erreichen. Für einen hierauf gerichteten [X.], den der Kläger nicht gestellt habe, dürfte allerdings das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlen. Die ergangene Dienstanweisung stelle die Einhaltung der [X.]en Vorgaben sicher. Dass deren [X.]eachtung nicht gewährleistet wäre, sei weder vorgetragen noch ersichtlich.

II.

4

Die [X.]eschwerde ist unzulässig. Der allein geltend gemachte [X.] der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt.

5

Die [X.]eschwerde ist der Auffassung, dass das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] abweiche. Um einen grundsätzlichen Klärungsbedarf unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] darzutun, hätte die [X.]eschwerde aufzeigen müssen, welche von dieser Rechtsprechung abweichenden Rechtssätze das Oberverwaltungsgericht aufgestellt hat und inwieweit diese geeignet sein könnten, die mit der erwähnten Rechtsprechung erreichte Klärung wieder in Frage zu stellen und deshalb Anlass zu einer Klärung in einem Revisionsverfahren - gegebenenfalls verbunden mit einer erneuten Vorabentscheidung des Gerichtshofs - zu geben (vgl. [X.]eschluss vom 17. Juli 2008 - [X.]VerwG 9 [X.] 15.08 - NVwZ 2008, 1115). Dies hat die [X.]eschwerde versäumt. Stattdessen begnügt sie sich damit, angebliche Rechtsanwendungsfehler des [X.] aufzuzeigen, die als solche das Revisionsverfahren nicht eröffnen können.

6

Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf ist auch nicht im Zusammenhang mit der von der [X.]eschwerde aufgeworfenen Frage,

"ob eine Dienstanweisung durch das [X.] geeignet ist, eine gemäß der Rechtsprechung des [X.] zweckwidrige Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten eines Unionsbürgers zu vermeiden",

dargelegt. Nach Auffassung der [X.]eschwerde verkenne das [X.]erufungsgericht, dass die personenbezogenen Daten des [X.] auch zu statistischen Zwecken und zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung gespeichert seien. Selbst wenn eine zentrale Datenerfassung zum aufenthaltsrechtlichen Status grundsätzlich zulässig sei, dürfe das Kriterium der Praktikabilität als Rechtfertigung für eine Datenerfassung nicht herangezogen werden. Aus der Einschränkung zulässiger [X.] erwachse dem Kläger ein Löschungsanspruch. Die Unterbindung einer Datennutzung durch andere [X.]ehörden könne eine zweckwidrige Datennutzung nicht ausschließen. Ein bloßes Verbot per Verwaltungsanweisung sei daher nicht geeignet. Solange der Gesetzgeber eine zweckwidrige Speicherung und Verarbeitung der Daten nicht verbiete, könne eine zweckwidrige Datenerfassung und -nutzung nur durch Löschung vermieden werden. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die [X.]eschwerde eine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts, die in dem erstrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre, nicht auf.

7

Das [X.]erufungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die im [X.] gespeicherten Daten des [X.] für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind und der zentralisierte Charakter des [X.]s eine effizientere Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften ermöglicht als ein alternativ in [X.]etracht kommender Rückgriff auf die dezentralisierten Melderegister der Länder. Die [X.]eschwerde legt nicht dar, inwiefern diese Schlussfolgerung in [X.]er Hinsicht grundsätzlichen Klärungsbedarf aufwirft. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass sich die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs [X.] zulässige Speicherung von Daten, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind, entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde nicht auf anonyme Daten, sondern auf namentlich genannte Personen betreffende Daten bezieht. Die weiter vertretene Auffassung, das "Kriterium der Praktikabilität" dürfe als Rechtfertigung für eine (zentrale) Datenerfassung nicht herangezogen werden, findet in dem Urteil des [X.] keine Grundlage. Die [X.]eschwerde zeigt auch nicht auf, warum es [X.] geboten sein sollte, vor einer den Vorgaben des Gerichtshofs entsprechenden gesetzlichen Neuregelung der zulässigen Verarbeitungszwecke der Daten von Unionsbürgern auch die Speicherung von Daten zu dem [X.] zulässigen Zweck der Anwendung der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften als unzulässig zu erachten.

8

Die [X.]eschwerde weist in diesem Zusammenhang zwar zutreffend darauf hin, dass das [X.]e Diskriminierungsverbot es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur [X.]ekämpfung der Kriminalität personenbezogene Daten von Unionsbürgern in einem zentralen Ausländerregister zu verarbeiten, und dass die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des [X.]s zu statistischen Zwecken nicht erforderlich im Sinne von Art. 7 [X.]uchst. e der Richtlinie 95/46/[X.] ist. Sie legt aber nicht dar, warum die Speicherung von Daten [X.] insgesamt unzulässig ist, wenn sie nach dem anzuwendenden nationalen Gesetz neben zulässigen auch gemeinschaftsrechtswidrigen Zwecken dient, die [X.]ehörden die zu weit gefassten gesetzlichen Grundlagen in der Rechtsanwendung aber auf das [X.] Zulässige zurückführen. Dass vorrangiges Gemeinschaftsrecht in einem solchen Fall die Löschung der Daten gebietet, ist dem Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 2008 (a.a.[X.]) nicht zu entnehmen. Entsprechend seiner ständigen Praxis (vgl. [X.], Urteil vom 15. November 2007 - [X.]. [X.]/06, [X.]. 2007, [X.] Rn. 24) hat er die ihm unterbreiteten Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts eher abstrakt und allgemein beantwortet und es dem vorlegenden Gericht überlassen, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit unter [X.]erücksichtigung der Antwort des Gerichtshofs zu entscheiden. Dieses hat das nationale Recht - unter [X.]eachtung der Vorgaben des Gerichtshofs - gemeinschaftsrechtskonform auszulegen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Oktober 2004 - [X.]. [X.]/01 bis [X.]/01, [X.] u.a. - Slg. 2004, [X.] Rn. 113 ff.). Ist dies nicht möglich, darf es wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nationale Rechtsvorschriften nicht anwenden, wenn und soweit diese mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind (vgl. [X.]VerfG, [X.]eschlüsse vom 9. Juni 1971 - 2 [X.]vR 225/69 - [X.]VerfGE 31, 145 <169 f., 174 f.> und vom 22. Oktober 1986 - 2 [X.]vR 197/83 - [X.]VerfGE 73, 339 <374 ff.>; [X.]VerwG, Urteil vom 29. November 1990 - [X.]VerwG 3 C 77.87 - [X.]VerwGE 87, 154 <158 ff.>).

9

Die Verpflichtung zur [X.]erücksichtigung des Gemeinschaftsrechts gilt gleichermaßen für die [X.]ehörden. Die [X.]eschwerde zeigt keine Gründe auf, warum die - hier sogar durch eine Dienstanweisung verdeutlichte - Verpflichtung der nationalen [X.]ehörden zur [X.]eachtung des Gemeinschaftsrechts (in einer Übergangszeit bis zu einer Änderung des Gesetzes über das [X.]) grundsätzlich nicht geeignet sein soll zu erreichen, dass die Speicherung und Nutzung der Daten des [X.] nur unter [X.]eachtung der Vorgaben des Gerichtshofs erfolgt. Die schlichte [X.]ehauptung der Ungeeignetheit genügt zur Darlegung eines Klärungsbedarfs nicht.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst eine dem Gemeinschaftsrecht widersprechende Nutzung der Daten im Einzelfall keinen Löschungsanspruch begründen würde. Denn zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts genügt die Möglichkeit, die aus dem Urteil des Gerichtshofs folgenden [X.]eschränkungen - etwa im Wege einer Unterlassungsklage - durchzusetzen.

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Meta

1 B 21/09

22.02.2010

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 24. Juni 2009, Az: 17 A 805/03, Urteil

Art 7 Buchst e EGRL 46/95, AZRG, Art 12 Abs 1 EG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.02.2010, Az. 1 B 21/09 (REWIS RS 2010, 9171)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9171

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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