Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.06.2011, Az. 7 VR 8/11

7. Senat | REWIS RS 2011, 5743

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Gegenstand

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts; Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Eisenbahnstrecken in den neuen Bundesländern betreffen


Gründe

I.

1

Die Eisenbahnneubaustrecke [X.]/[X.] durchquert das Gemeindegebiet der Antragstellerin. Für diesen Bereich stellte das [X.] den Plan für den Bau mit Beschluss vom 15. November 1995 in der Fassung des [X.] vom 27. November 2000 (Abschnitt 1.2, [X.] 15,447 bis [X.] 25,239) fest. Der Plan sieht unter anderem den Bau von vier Regenrückhaltebecken vor, davon zwei nordwestlich der bebauten Ortslage der Antragstellerin. Das anfallende Niederschlagswasser soll von dort mit einer zugelassenen Höchstmenge von 10 l/s je Regenrückhaltebecken über einen Entwässerungsgraben in die [X.], ein Gewässer 2. Ordnung, geleitet werden, bevor diese den Ort durchfließt. Im Frühjahr 2011 hat die Beigeladene mit dem Ausbau des bereits vorhandenen Grabens begonnen.

2

Die Antragstellerin hat daraufhin beim [X.] die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um weitere Maßnahmen zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes für den Ort sowie die vorläufige Einstellung der Bauarbeiten beantragt. Aufgrund der Größe des ausgehobenen Entwässerungsgrabens, der nicht dem festgestellten Plan entspreche, sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin mittlerweile mit sehr viel größeren Abflussmengen rechne; daran müsse die Planung angepasst werden.

3

Zugleich hat die Antragstellerin beim [X.] einstweiligen Rechtsschutz beantragt; das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen.

II.

4

1. Das [X.] ist aufgrund der nach § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindenden Verweisung durch das Verwaltungsgericht für die Entscheidung über den Antrag zuständig. Angesichts der divergierenden Auffassungen der Beteiligten sowie des [X.] hält der Senat gleichwohl eine Klarstellung der [X.] für angebracht.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Zuständigkeit des [X.]s für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung als Gericht der Hauptsache nach § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Ergebnis zutreffend - nämlich bezogen auf einen der insoweit in Betracht kommenden Streitgegenstände - bejaht. Nach § 5 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 11 Abs. 2 Satz 1 [X.] entscheidet das [X.] im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Eisenbahnstrecken in den neuen Bundesländern betreffen, sofern die Planung vor dem 17. Dezember 2006 begonnen wurde. Der Zweck dieser Zuständigkeitsvorschrift besteht darin, durch eine Verkürzung des [X.]verfahrens auf eine Instanz den Ausbau der Verkehrswege zwischen alten und neuen Ländern zu beschleunigen und dabei durch die Konzentration der Streitsachen beim [X.] divergierende Entscheidungen zu vermeiden. Dieser Gesetzeszweck verlangt eine weite Auslegung der Vorschrift dahin, dass sie alle Verwaltungsstreitsachen erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 [X.] haben. Eine Streitigkeit betrifft danach das Planfeststellungsverfahren, wenn sie Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens ist. In diesem Sinne muss ein unmittelbarer Bezug zum Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren für ein Vorhaben gegeben sein. § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] verlangt mithin, dass über die Rechtmäßigkeit einer Planfeststellung für ein Vorhaben im Sinne dieser Vorschrift gestritten wird (Beschluss vom 12. Juni 2007 - BVerwG 7 VR 1.07 - [X.] 310 § 50 VwGO Nr. 25 m.w.N.).

6

Danach wird allerdings allein das Begehren, eine vermeintlich planwidrige Verwirklichung eines bestandskräftig planfestgestellten Vorhabens zu verhindern, nicht von § 5 Abs. 1 [X.] erfasst. Denn die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens steht dann nicht in Rede. Vielmehr ist das [X.] in diesen Fällen nicht als Planfeststellungsbehörde (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]), sondern in seiner Eigenschaft als [X.]sbehörde (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]) angesprochen. Aus dem Beschluss des [X.]s vom 31. Juli 2006 - BVerwG 9 VR 11.06 - ([X.] 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 6), auf den das Verwaltungsgericht sich bezieht, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Denn im dort zugrunde liegenden Verfahren wurden Vollzugshindernisse gegenüber einem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss als solchem geltend gemacht.

7

Im bloßen Unterlassen eines planwidrigen Ausbaus erschöpft sich das [X.] in der Hauptsache aber nicht. Vielmehr möchte die Antragstellerin eine Änderung des Entwässerungskonzepts erreichen und den geltend gemachten Anspruch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sichern. Bei den im Planfeststellungsbeschluss vorgesehenen Maßnahmen zur Ableitung des im Bereich der Trasse anfallenden Niederschlagswassers handelt es sich um Schutzvorkehrungen im Sinne von § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Soweit sich der Antrag auf deren Ergänzung auf der Grundlage von § 75 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG richtet (siehe Urteil vom 7. März 2007 - BVerwG 9 [X.] 2.06 - BVerwGE 128, 177 <187 f.> = [X.] 316 § 75 VwVfG Nr. 27 S. 10 f.), ist das [X.] allerdings nicht zuständig (siehe zuletzt Beschluss vom 24. Juni 2010 - BVerwG 9 A 36.08 - [X.] 407.3 § 5 [X.] Nr. 18 m.w.N.). Insoweit fehlt es am erforderlichen unmittelbaren Bezug zum Planfeststellungsverfahren. Denn eine durch nicht voraussehbare Wirkungen gebotene Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses durch nachträgliche Auflagen stellt die dem ursprünglichen Beschluss zugrunde liegende planungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens nicht infrage.

8

Anders verhält es sich indessen, soweit die Antragstellerin sich nicht auf unvorhersehbare Wirkungen beruft, sondern - etwa wegen Fehlerhaftigkeit der zugrunde gelegten Gutachten - die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses und darauf gestützt dessen Abänderung geltend machen will. Während § 51 VwVfG gemäß § 72 Abs. 1 Halbs. 2 VwVfG im Planfeststellungsverfahren keine Anwendung findet, ist die Durchbrechung der Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 48 f. VwVfG nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. Urteil vom 21. Mai 1997 - BVerwG 11 [X.] 1.96 - BVerwGE 105, 6 <10 ff.> = [X.] 451.171 § 9b AtG Nr. 1). In diesem Fall ist nach (§ 18d Satz 1 [X.] i.V.m.) § 76 VwVfG zu verfahren, wonach es gemäß Abs. 1 zur Änderung des festgestellten Planes im Allgemeinen eines neuen Planfeststellungsverfahrens bedarf; hiervon kann gemäß Abs. 2 bei Änderungen von unwesentlicher Bedeutung abgewichen werden. Wird in dieser Weise eine Änderung des unter der Geltung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes erlassenen Planfeststellungsbeschlusses begehrt, wird als Voraussetzung der (Teil-)Rücknahme um die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung gestritten. Das begründet die Zuständigkeit des [X.]s jedenfalls für diesen Streitgegenstand (siehe dazu Beschluss vom 31. März 2004 - [X.] - [X.] 300 § 17 GVG Nr. 3). [X.] ist dabei, dass die erstrebte Planänderung das Vorhaben im Übrigen unberührt lässt und demnach das mit der [X.] verfolgte gesetzgeberische Anliegen eines zügigen Ausbaus der Verkehrswege in den Hintergrund tritt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die prozessuale Situation nicht von der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss, mit dem eine Planergänzung wegen unzureichender Schutzauflagen begehrt wird; das beschränkte Rechtsschutzziel ändert auch insoweit nichts an der Zuständigkeit des [X.]s.

9

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Bei sachdienlicher Auslegung ihres [X.]s will die Antragstellerin erreichen, dass die Antragsgegnerin, die das planfestgestellte Vorhaben nicht selbst verwirklicht, gegen die Beigeladene einschreitet und dieser einstweilen die Fortführung der Bauarbeiten untersagt.

Es kann dahinstehen, ob - wie die Beigeladene vorträgt - die beanstandete Baumaßnahme mittlerweile bereits abgeschlossen ist mit der Folge, dass mangels [X.] der Antrag unzulässig geworden ist. Denn die Antragstellerin hat jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin macht geltend, dass die Arbeiten an den Entwässerungsgräben gegen den Planfeststellungsvorbehalt des § 18 Satz 1 [X.] verstießen. Danach dürfen Betriebsanlagen einer Eisenbahn einschließlich der Bahnstromfernleitungen nur gebaut oder geändert werden, wenn der Plan zuvor festgestellt worden ist. Zu den planfeststellungsbedürftigen Anlagen zählen neben den Gräben für die Entwässerung des [X.] auch solche Maßnahmen, die - wie hier - dazu dienen, die durch den Neubau einer Eisenbahnstrecke hervorgerufenen Veränderungen in den [X.] des Oberflächenwassers auszugleichen. Die Überwachung des Verbots der Errichtung einer nicht vom Planfeststellungsbeschluss gedeckten Anlage obliegt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] der [X.]. Das gemäß § 5 Abs. 1a Nr. 1 Buchst. a [X.] i.V.m § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] zuständige [X.] kann gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 [X.] gegen die Beigeladene als Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Beseitigung festgestellter Verstöße einschreiten.

Unter welchen Voraussetzungen der Antragstellerin nach dieser Ermächtigungsgrundlage ein Anspruch auf Einschreiten zustehen kann, bedarf keiner Klärung. Denn es ist schon nicht dargetan, dass die Bauarbeiten den Festlegungen des Planfeststellungsbeschlusses widersprechen. Die Antragstellerin verweist zwar zu Recht darauf, dass nach dem Planfeststellungsbeschluss das Wasser aus den betroffenen Regenrückhaltebecken Bauwerk Nr. 145 ([X.] 12-10.1) und Bauwerk Nr. 147 ([X.] 12-10.2) "über den vorhandenen Graben in die [X.]" eingeleitet werden soll (siehe Anlage 11, Entwässerung/ [X.] Unterlagen S. 22). Daraus folgt jedoch nicht, dass dieser Graben, der nach den Angaben der Antragstellerin etwa 50 cm tief war, im Wesentlichen unverändert bleiben sollte. Vielmehr ergibt sich aus dem Lageplan (Anlage 4, Blatt L/91), dass der Entwässerungsgraben Gegenstand der Planfeststellung ist und am vorhandenen Ort neu gestaltet werden sollte. So weist er nach diesem Plan im nördlichen Bereich eine lichte Weite von [X.] zu [X.] von ca. 4 m auf, die im südlichen Bereich auf bis zu ca. 8 m anwächst. Aus dem erforderlichen Sohlenprofil ergibt sich im Zusammenspiel mit dem Böschungswinkel die Grabentiefe von bis zu 2 m. Das wird in den von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen zur Ausführungsplanung, die von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen werden, näher ausgeführt. Auch der von der Antragstellerin beanstandete Durchmesser für die Rohre bei den vorgesehenen Durchlässen (DN 1000 bzw. [X.]) ist schon im Lageplan festgesetzt. Dass die Ausführungsplanung nicht den Regeln der Technik genügt und deswegen die Stabilität der neben dem Graben verlaufenden Straße nicht mehr gewährleistet ist, wird nicht belegt.

Entspricht der Ausbau dem Planfeststellungsbeschluss, fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt für die Vermutung der Antragstellerin, die Beigeladene gehe nunmehr von einer geänderten Einschätzung der Entwässerungssituation aus. Auch im Übrigen bringt die Antragstellerin nichts vor, was die Annahme rechtfertigen könnte, dass die im Planfeststellungsbeschluss insoweit verfügten Schutzvorkehrungen gemessen an § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG unzureichend seien und ihren Interessen nicht Rechnung trügen. Demnach bedarf es keiner Erörterung, unter welchen Voraussetzungen die Antragstellerin etwa einen Anspruch auf Änderung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses haben könnte.

Meta

7 VR 8/11

15.06.2011

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: VR

§ 1 Abs 1 S 1 Nr 1 VerkPBG, § 5 Abs 1 VerkPBG, § 11 Abs 2 S 1 VerkPBG, § 74 Abs 2 VwVfG, § 76 VwVfG, § 18d S 1 AEG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.06.2011, Az. 7 VR 8/11 (REWIS RS 2011, 5743)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5743

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