Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2016, Az. 5 AZR 696/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 9095

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Gegenstand

Annahmeverzug - regelmäßige Arbeitszeit - unregelmäßige Arbeitszeitverteilung


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 29. September 2015 - 11 [X.] - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2

Der Kläger ist als Fahrer bei der [X.] im Geld- und Werttransport beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden [X.] die tariflichen Regelungen für Geld- und Wertdienste in der [X.] Anwendung.

3

[X.] vom 1. Dezember 2006 für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die [X.] (im Folgenden [X.]) regelt [X.].:

        

„§ 6   

Arbeitszeit

        

1.1.   

Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit soll 8 Stunden nicht überschreiten. Sie kann ohne Vorliegen von Arbeitsbereitschaft auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von 12 Kalendermonaten im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. …

        

…       

        
        

1.5.   

… Die monatliche Regelarbeitszeit im Geld- und Werttransport und für Angestellte beträgt 173 Stunden im Durchschnitt des Kalenderjahres.

        

…       

        
        

§ 7     

Freizeit

        

1.    

Jeder Arbeitnehmer hat pro Woche einen Anspruch auf mindestens eine unbezahlte [X.]. …“

4

Am 11. November 2013 schlossen die [X.] ([X.]) e. V. und der [X.] Bundesvorstand eine „Rahmenvereinbarung für Geld- und Wertdienste in der [X.]“ (im Folgenden Rahmenvereinbarung), die [X.]. bestimmt:

        

„§ 2 Besitzstandsfortschreibung und Arbeitsortprinzip

        

…       

        
        

1.    

Die Tarifparteien vereinbaren für die Laufzeit dieser Tarifvereinbarung, dass zunächst alle bis 31. Dezember 2013 für die Geld- und Wertdienstleistungsunternehmen gültigen oder nachwirkenden regionalen Tarifverträge und der Mantelrahmentarifvertrag vom 1. Dezember 2006 für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die [X.] für die Geld- und Wertdienstleistungsunternehmen ab 1. Jan[X.]r 2014 weitergelten, sofern nachfolgend nichts anderes vereinbart ist.

        

…       

        
        

§ 3 Arbeitszeit

        

(Punkt I.3. des abschließenden [X.] vom 11.11.2013)

        

Die regelmäßige tarifliche monatliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte ist für 5 Tage an den Werktagen von Montag bis Samstag zu leisten und errechnet sich aus der entsprechenden Anzahl der Arbeitstage/Monat/Bundesland multipliziert x 8 Stunden pro Arbeitstag.

        

…       

        

§ 6 Mehrarbeitszuschlag

        

(Punkt I.6. des abschließenden [X.] vom 11.11.2013)

        

Bei Fortschreibung des Besitzstandes im Übrigen ist in Änderung der bisherigen Tarifregelung ein Mehrarbeitszuschlag zu zahlen für jede, über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit gemäß § 3 Ziffer 1. hinaus angeordnete und geleistete Arbeitszeit im

        

a)    

Bundesland [X.] ab der 186. Monatsarbeitsstunde …“

5

Der Rahmenvereinbarung ist als Anlage das zuvor zwischen den Tarifvertragsparteien erzielte „Abschließende Verhandlungsergebnis zwischen der [X.] und [X.] anlässlich der 6. Tarifverhandlungsrunde am 11. November 2013 in [X.]“ (im Folgenden Verhandlungsergebnis) beigefügt, das [X.]. beinhaltet:

        

„I.     

Mantel

        

…       

        
        

3.    

Arbeitszeit: verstetigtes Einkommen: Arbeitstage / Monat x 8 h für Vollzeitkräfte …“

6

Betriebliche Regelungen zur Arbeitszeitverteilung bestehen bei der [X.] nicht. Die Zuweisung von Arbeitstagen, abz[X.]rbeitenden Touren und dienstfreien Tagen erfolgt durch mit dem Betriebsrat abgestimmte Dienstpläne.

7

In der dritten und siebten [X.] 2014 beschäftigte die Beklagte den Kläger jeweils an vier Tagen, in der achten [X.] 2014 an drei Tagen.

8

Nach erfolgloser Geltendmachung eines „Nachzahlungsanspruchs“ hat der Kläger im Juli 2014 Klage auf Zahlung weiterer Vergütung iHv. 422,40 Euro brutto erhoben.

9

Der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet, ihn an fünf Tagen in der Woche einzusetzen. Obwohl er seine Arbeitskraft angeboten habe, sei er nicht entsprechend beschäftigt worden, womit ihm für weitere vier Tage Vergütung wegen Annahmeverzugs zustehe.

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 422,40 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Juli 2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. [X.] bestehe keine Pflicht zur Beschäftigung der Arbeitnehmer an fünf Tagen in der Woche.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gemäß § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB für weitere vier Tage im Januar und Februar 2014 besteht nicht. Die Beklagte war nicht verpflichtet, den Kläger an diesen Tagen zu beschäftigen.

I. Der Vergütungsanspruch folgt nicht aus Annahmeverzug. Das [X.] hat einen solchen Anspruch, gestützt auf § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB, zu Recht verneint.

1. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug kommt. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. In welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich grundsätzlich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Diese bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen (vgl. [X.] 16. April 2014 - 5 [X.] - Rn. 13; 25. Februar 2015 - 5 [X.] - Rn. 14, [X.]E 151, 45).

2. Die Beklagte war an den streitgegenständlichen Tagen nicht verpflichtet, den Kläger zu beschäftigen.

a) § 3 Rahmenvereinbarung begründet keine Pflicht, Arbeitnehmer an fünf Tagen in der Woche zu beschäftigen. Das ergibt die Auslegung der Rahmenvereinbarung.

aa) Bei der Rahmenvereinbarung handelt es sich um einen Tarifvertrag iSv. § 1 Abs. 1 TVG. Die Tarifvertragsparteien wählen in § 1 und § 2 Rahmenvereinbarung diese Bezeichnung. Nach ihrem Willen sollen durch Modifikation der Regelungen des [X.] unmittelbar Rechte und Pflichten für die tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse begründet werden (vgl. [X.] 19. September 2007 - 4 [X.] - Rn. 16, [X.]E 124, 110).

bb) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom [X.] auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem [X.] ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., vgl. nur [X.] 24. Februar 2016 - 5 [X.]/15 - Rn. 15 mwN).

cc) Danach ergibt die Auslegung, dass § 3 Rahmenvereinbarung zum Zweck der Einführung eines verstetigen monatlichen Einkommens eine monatliche Mindestarbeitszeit festlegt. Die Tarifnorm enthält jedoch keine Regelung zur Verteilung dieser Arbeitszeit auf einzelne Tage.

(1) Nach § 3 Rahmenvereinbarung ist „die regelmäßige tarifliche monatliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte […] für 5 Tage an den Werktagen von Montag bis Samstag zu leisten und errechnet sich aus der entsprechenden Anzahl der Arbeitstage/Monat/Bundesland multipliziert x 8 Stunden pro Arbeitstag“.

Bereits der Wortlaut regelt lediglich eine regelmäßige „monatliche“, nicht aber eine „wöchentliche“ oder „tägliche“ Arbeitszeit. Der Begriff der Regelmäßigkeit setzt nach der Rechtsprechung des [X.] eine gewisse Stetigkeit und Dauer voraus, auf den Rhythmus der Wiederholungen kommt es jedoch nicht an, Schwankungen und Ausnahmen sind möglich (vgl. [X.] 3. Mai 1989 - 5 [X.] - zu I der Gründe zur „regelmäßigen Arbeitszeit“ nach § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF; 5. November 1992 - 6 [X.] - zu II 4 der Gründe zum Begriff der „regelmäßigen Arbeitsstelle“; 24. September 2008 - 10 [X.]/08 - Rn. 20).

Die Formulierung „für 5 Tage“ statt „an 5 Tagen“ zeigt, dass die Angabe der Anzahl der Tage der Berechnung der monatlichen Arbeitszeit dient. Eine Verpflichtung zur Beschäftigung an mindestens fünf Tagen in der Woche enthält die Regelung nicht (vgl. [X.] 11. März 2015 - 3 Sa 1502/14 - zu [X.] 4 der Gründe in Bezug auf eine tägliche Mindestarbeitszeit). Zudem spricht das Wort „errechnet“ für die Bestimmung einer Berechnungsgrundlage der monatlichen Arbeitszeit. Schließlich lässt sich nichts anderes aus der Formulierung herleiten, wonach die monatliche Arbeitszeit „zu leisten [ist]“. Die Verwendung des [X.] kann zwar eine Verpflichtung ausdrücken, zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. [X.] 21. Januar 2003 - 1 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe; 30. September 2014 - 1 [X.] - Rn. 20).

(2) Auch tarifliche Systematik und Gesamtzusammenhang sprechen für die Festlegung einer monatlichen Arbeitszeit, nicht aber der wöchentlichen Mindestarbeitstage.

Rahmenvereinbarung und [X.] beziehen sich auch an anderer Stelle auf eine monatliche und nicht auf eine wöchentliche/tägliche Arbeitszeit. Nach § 6 Rahmenvereinbarung entsteht ein Anspruch auf Zahlung eines [X.] nicht bei Überschreiten einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden, sondern nach einer näher bestimmten Anzahl geleisteter Monatsarbeitsstunden. Auch die Regelung zu [X.] in § 7 Ziff. 1 [X.] entspricht dieser Systematik. Die Tarifnorm sieht zwar einen Anspruch jedes Arbeitnehmers auf mindestens eine unbezahlte [X.] pro Woche vor, aus der Verwendung des Wortes „mindestens“ folgt aber, dass eine darüber hinausgehende Anzahl an unbezahlten [X.] nicht ausgeschlossen ist.

(3) Regelungszweck und Entstehungsgeschichte des [X.] bestätigen das Ergebnis.

Zweck der Neuregelung der Arbeitszeit war nach Ziff. I.3. des [X.] die Sicherung eines verstetigten (monatlichen) Einkommens. Dieser Zweck wird schon durch Festlegung einer monatlichen Arbeitszeit erreicht. Eine Regelung der Verteilung der Arbeitszeit auf bestimmte Tage ist hierfür nicht erforderlich. Ein Wille der Tarifvertragsparteien zur weiteren Einschränkung der zuvor im [X.] vorgesehenen, weitgehenden Flexibilisierung der Arbeitszeit (vgl. hierzu [X.] 14. September 2011 - 10 [X.] - Rn. 23), lässt sich weder dem Verhandlungsergebnis noch der Rahmenvereinbarung mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen (vgl. hierzu [X.] 19. September 2007 - 4 [X.] - Rn. 32, [X.]E 124, 110).

b) Die Arbeitseinteilung durch die Beklagte verstößt nicht gegen andere Rechtsvorschriften. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass jeder Arbeitnehmer von Montag bis Freitag bzw. an fünf Tagen beschäftigt werden müsse. Ist die Verteilung der Arbeitszeit - wie hier - arbeitsvertraglich nicht geregelt und auch kollektivrechtlich oder gesetzlich nicht beschränkt, legt der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit durch Weisung kraft seines Direktionsrechts fest (vgl. [X.] 14. April 2014 - 5 [X.] - Rn. 18 mwN).

c) Weder der Klägervortrag noch die Lohnabrechnungen lassen erkennen, der Kläger sei in geringerem Umfang als durch § 3 Rahmenvereinbarung vorgesehen eingesetzt worden. Die Richtigkeit der Lohnabrechnungen ist unstreitig.

II. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Weber    

        

    Volk    

        

        

        

    Feldmeier    

        

    [X.]    

                 

Meta

5 AZR 696/15

29.06.2016

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Oldenburg (Oldenburg), 21. Januar 2015, Az: 3 Ca 314/14, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 615 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2016, Az. 5 AZR 696/15 (REWIS RS 2016, 9095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9095

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