Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.11.2012, Az. IX R 34/12

9. Senat | REWIS RS 2012, 1204

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Gegenstand

(Abzuzinsende Bürgschaftsverpflichtung als Maßstab für den nachträgliche Anschaffungskosten bildenden Rückgriffsanspruch des i.S. von § 17 Abs. 1 EStG qualifiziert Beteiligten; nachträgliche Teilzahlungsvereinbarung als rückwirkendes Ereignis)


Leitsatz

1. Wird ein i.S. von § 17 Abs. 1 EStG qualifiziert an einer Kapitalgesellschaft beteiligter Gesellschafter vom Gläubiger der Kapitalgesellschaft aus einer eigenkapitalersetzenden Bürgschaft in Anspruch genommen und begleicht er seine Schuld vereinbarungsgemäß ratierlich, entstehen nachträgliche Anschaffungskosten nur in Höhe des Tilgungsanteils (Anschluss an BFH-Urteil vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, BFH/NV 1999, 922).  

2. Eine Teilzahlungsvereinbarung wirkt materiell-rechtlich und damit als rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt des Entstehens des Auflösungsverlusts zurück.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war zu 50 % Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. In den Jahren 1995 und 1997 verpflichtete er sich für die GmbH als Bürge. Nach seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft im [X.] wurde ein Schuldanerkenntnis von 800.000 DM zugunsten der Gläubigerin beurkundet.

2

Im Streitjahr (1999) wurde die GmbH aufgelöst. Am 12. September 2000 schloss der Kläger mit der Gläubigerin einen Erlassvertrag. Der Kläger hatte danach 200.000 DM zinslos in gleichbleibenden Jahresraten von 20.000 DM zu zahlen.

3

Wie beantragt berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) bei der Ermittlung des [X.] (in einem vorläufigen und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellungsbescheid) die abgezinste Bürgschaftsverpflichtung von 154.900 DM.

4

Der Kläger zahlte bis Ende 2003 insgesamt 60.000 DM an die Bank, dann aber nicht mehr. Aufgrund einer neuen Teilzahlungsvereinbarung vom Januar 2007 zahlte der Kläger ab dem [X.] monatlich 700 € auf die ausstehende Forderung. Das [X.] erließ einen geänderten Verlustfeststellungsbescheid, in dem es erneut abzinste und nunmehr eine (abgezinste) Bürgschaftsverpflichtung von 127.642 DM zugrunde legte.

5

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führt das Finanzgericht ([X.]) in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 2021 veröffentlichten Urteil aus, durch die Zahlungsvereinbarung mit der Gläubigerin sei keine Änderung des [X.] eingetreten. Eine (weitere) Abzinsung komme nicht in Betracht, da es sich um Auflösungsverluste handele, die im Ergebnis nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung darstellten. Dabei sei der Nennbetrag der Forderung auch dann als Anschaffungskosten anzusetzen, wenn die Forderung unverzinslich gestundet sei. Die Unverzinslichkeit oder niedrige Verzinslichkeit beträfen nicht die Höhe der Anschaffungskosten, sondern den --wie sich aus dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 30. November 1988 I R 114/84 ([X.]E 155, 337, [X.] 1990, 117) ergebe-- den Teilwert der Forderung.

6

Hiergegen richtet sich die Revision des [X.]. Anschaffungskosten entstünden nur in Höhe des Tilgungsanteils, so dass die Schuld abzuzinsen sei. Eine geänderte Teilzahlungsverpflichtung führe zu geänderten Anschaffungskosten.

7

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der auf den Nennwert abstellende Ansatz des [X.] sei zutreffend. Die Berücksichtigung der Ratenzahlungsvereinbarung stehe im Widerspruch zur Ratio der Stichtagsbewertung. Die Modifizierung der Ratenzahlungsvereinbarung stelle kein im Rahmen von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) bedeutsames Ereignis dar. Maßgeblich für die Bewertung sei die Inanspruchnahme und nicht die Leistung.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung zur Entscheidung in der Sache selbst, nämlich zur Abweisung der Klage. [X.] hat das [X.] die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] verneint und damit diese Norm verletzt. Das [X.] war vielmehr berechtigt und auch verpflichtet, im angefochtenen Änderungsbescheid die Teilzahlungsvereinbarung vom Januar 2007 im Wege der Abzinsung zu berücksichtigen.

1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Feststellungsbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Muss dieses Ereignis nachträglich eintreten ([X.]-Urteil vom 22. Juli 2008 IX R 79/06, [X.], 464, [X.], 227), so bestimmt sich nach dem einschlägigen materiellen Recht, ob ihm eine rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt (Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, [X.]E 172, 66, [X.] 1993, 897).

2. Nach § 17 Abs. 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes i.d.[X.] (EStG) gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der --regelmäßig bei Abschluss der Liquidation entstehende-- Verlust aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften, wenn der [X.]er innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der [X.] qualifiziert beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hielt (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteil vom 14. März 2012 IX R 37/11, [X.]E 236, 522, [X.] 2012, 487; zur Entstehung vgl. auch [X.]-Urteil vom 28. Oktober 2008 IX R 100/07, [X.]/NV 2009, 561, m.w.[X.]). Als in diesen Verlust einzubeziehende nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung kommen --bezogen auf den [X.] Leistungen des GmbH-[X.]ers aus einer für Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft eingegangenen [X.] in Betracht, wenn die Übernahme der Bürgschaft durch das [X.]sverhältnis veranlasst und die Rückgriffsforderung gegen die [X.] wertlos ist (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. die ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteil vom 4. März 2008 IX R 80/06, [X.]E 220, 451, [X.] 2008, 577). Die Anschaffungskosten erhöhen sich um den Nennwert der wertlos gewordenen Rückgriffsforderung, wenn die [X.] im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme bereits in der Krise war (vgl. u.a. [X.]-Urteil vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, [X.]/NV 1999, 922).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Beteiligten stellen sie mit dem [X.] nicht in Zweifel. Sie streiten lediglich über die Fragen, welche Auswirkungen eine nachträglich getroffene Teilzahlungsvereinbarung des als Bürge in Anspruch genommenen GmbH-[X.]ers mit der ihn in Anspruch nehmenden Bank auf seine nachträglichen Anschaffungskosten hat (3.) und ob sie auf den Auflösungszeitpunkt zurückzubeziehen ist (4.). Beide Fragen sind so zu beantworten, wie es das [X.] im Vorverfahren getan hat.

3. Eine Teilzahlungsvereinbarung des als Bürge in die Pflicht genommenen [X.]ers mit der ihn für Verbindlichkeiten der GmbH in Anspruch nehmenden Bank führt zu einer Reduzierung der nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe der Differenz zwischen Nennwert und abgezinsten Betrag.

a) Der [X.] ist nach § 17 Abs. 2, Abs. 4 EStG aufgrund einer Stichtagsbewertung der in diesen Vorschriften genannten Faktoren auf den Zeitpunkt der Auflösung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteil in [X.]/NV 1999, 922). Erhöht der Nennwert der (ausgefallenen) Rückgriffsforderung gegenüber der GmbH die nachträglichen Anschaffungskosten (s. zu 2.), richtet sich dieser Wert danach, inwieweit der GmbH-[X.]er aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wurde. Denn insoweit kann er vom Hauptschuldner --der GmbH-- Aufwendungsersatz gemäß §§ 675, 670 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verlangen. Auch die Forderung der [X.] gegen die GmbH geht nach § 774 Abs. 1 BGB auf den Bürgen (den [X.]er) über, soweit er die [X.] befriedigt.

Der Wert der Bürgschaftsverbindlichkeit gegenüber der Bank bestimmt also --bezogen auf den Stichtag der Auflösung ([X.] den Nennwert der Rückgriffsforderung als Bemessungsgrundlage für die nachträglichen Anschaffungskosten. Die Verbindlichkeit aus der Bürgschaft ist im Rahmen der an den §§ 4, 5 EStG orientierten Gewinnermittlungsvorschrift des § 17 Abs. 2 EStG nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abgezinst zu bewerten (zur Anwendbarkeit des § 6 EStG s. [X.]-Urteil vom 13. April 2010 IX R 22/09, [X.]E 229, 189, [X.] 2010, 790, und [X.]-Beschluss vom 6. April 2009 IX B 204/08, [X.]/NV 2009, 1262). Auch jenseits dessen wäre sie als betagte Verbindlichkeit des Privatvermögens für die Zwecke der Einkommensbesteuerung nach § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes ([X.]) in nämlicher Weise abgezinst zu bewerten, § 1 [X.] (so der Ansatz im [X.]-Urteil in [X.]/NV 1999, 922).

b) Damit entstehen dem qualifiziert an einer Kapitalgesellschaft beteiligten [X.]er, der vom Gläubiger der Kapitalgesellschaft aus einer eigenkapitalersetzenden Bürgschaft in Anspruch genommen wird und der seine Schuld vereinbarungsgemäß ratierlich begleicht, nachträgliche Anschaffungskosten nur in Höhe des [X.] (so bereits [X.]-Urteil in [X.]/NV 1999, 922; dem folgend das einhellige Schrifttum, vgl. [X.]/[X.], § 17 EStG Rz 692; [X.] in [X.], EStG, 11. Aufl., § 17 Rz 100; [X.]/[X.], EStG, 31. Aufl., § 17 Rz 178). Der Zinsanteil ist Ausgleich für den Vorteil, die Bürgschaftsverbindlichkeit in [X.] begleichen zu dürfen.

c) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zutreffend den am Maßstab der abgezinsten [X.] bewerteten Nennbetrag der Rückgriffsforderung des Klägers als nachträgliche Anschaffungskosten berücksichtigt. Die [X.] und der Kläger haben eine Teilzahlungsvereinbarung getroffen. Aufgrund dessen führt nur der Tilgungsanteil, nicht aber der Zinsanteil zu nachträglichen Anschaffungskosten.

Das [X.]-Urteil in [X.]E 155, 337, [X.] 1990, 117, auf das sich das [X.] zur Begründung seiner abweichenden Auffassung stützt, ist hier nicht einschlägig; denn es geht in jener Entscheidung nicht um die Bilanzierung einer unverzinslichen Darlehensforderung mit ihrem Nennbetrag als Anschaffungskosten, sondern um die vorgelagerte Fragestellung, in welcher Weise der Nennbetrag zu ermitteln ist.

4. Die weitere im [X.] getroffene Teilzahlungsvereinbarung führt zu einer erneuten Reduzierung der nachträglichen Anschaffungskosten mit Wirkung zurück auf den Zeitpunkt des Entstehens des [X.]s.

Aus dem punktuellen Erfassen des [X.]s folgt, später eintretende Veränderungen der in die Ermittlung des [X.]s einfließenden Faktoren grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens des [X.]s zurückzubeziehen. Eine materiell-rechtliche und deshalb nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] auch verfahrensrechtliche Rückwirkung liegt bezogen auf den Streitfall vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleistete Zahlung im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt ist ([X.]-Urteil vom 23. Mai 2012 IX R 32/11, [X.]E 237, 234, [X.] 2012, 675; in diesem Sinne Beschluss des Großen Senats des [X.] in [X.]E 172, 66, [X.] 1993, 897).

Nach diesen Maßstäben wirkt die weitere [X.]zahlungsvereinbarung aus dem [X.] materiell-rechtlich wie auch verfahrensrechtlich auf den Zeitpunkt des Entstehens des [X.]s zurück. Denn sie beeinflusst mit der Bürgschaftsinanspruchnahme die nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung, die sich (nur) bei der Ermittlung des [X.]s auswirken (vgl. dazu [X.]-Urteil in [X.]/NV 1999, 922; s. auch [X.], in: [X.]/Söhn/[X.], EStG, § 17 Rz [X.] 291, [X.] 20; [X.]/R. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 17 EStG Rz 202). Der Rechtsgrund für die [X.]zahlung ist ersichtlich allein in der [X.] angelegt. Der aufgrund der Bürgschaft vom Kläger geschuldete Betrag, den die Parteien des [X.] auf 200.000 DM festgelegt haben, hat sich durch die weitere [X.]vereinbarung nicht geändert.

5. Da das Urteil der Vorinstanz diesen Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Das [X.] hat die Abzinsung der [X.] nach den obigen Maßstäben zutreffend berechnet. Das wird von den Beteiligten auch nicht angegriffen.

Meta

IX R 34/12

20.11.2012

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 18. Januar 2012, Az: 3 K 594/09, Urteil

§ 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 181 Abs 1 S 1 AO, § 6 Abs 1 Nr 3 EStG 1997, § 17 Abs 1 EStG 1997, § 17 Abs 2 EStG 1997, § 17 Abs 4 EStG 1997, § 12 BewG 1991

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.11.2012, Az. IX R 34/12 (REWIS RS 2012, 1204)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1204

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