Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2014, Az. V ZB 54/14

5. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1125

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Gegenstand

Rücküberstellungshaftverfahren: Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen eine Haftanordnung bei fehlender Angabe einer ladungsfähigen Anschrift


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 28. Januar 2014 und der Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 13. März 2014 den Betroffenen bis zum 17. März 2014 in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert in allen Instanzen beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 20. Januar 2014 aus den [X.] nach [X.] ein und führte lediglich eine [X.] Carta d'Identità (Identitätsausweis), die nach ihrem Aufdruck auf der Rückseite nicht für die Ausreise gilt, und einen [X.]n Permesso di Soggiorno (Aufenthaltserlaubnis) bei sich. Eine Recherche in dem [X.] ergab, dass er im März 2011 in [X.] und im Juni 2011 in [X.] Asyl beantragt hatte. Die [X.] Behörden teilten auf Nachfrage mit, dass der Betroffene von dort nach [X.] zurückgeführt worden sei. Das Amtsgericht ordnete im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 23. Februar 2014 an, die in der [X.] vollzogen wurde.

2

Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 20. März 2014 angeordnet. Die Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 13. März 2014 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Zurückschiebung nach [X.] am 17. März 2014 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, soweit sie vollzogen worden ist.

II.

3

Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Haft für rechtmäßig. Ihr stehe insbesondere nicht entgegen, dass sie in der [X.] vollzogen werde. Dort werde zwar auch Strafhaft vollzogen. Das sei aber nach § 62a [X.] nicht zu beanstanden, da es in [X.] keine speziellen Abschiebungshafteinrichtungen gebe. Unerheblich sei auch, dass in dieser Justizvollzugsanstalt Betroffene, die einen Asylantrag gestellt hätten, nicht von solchen getrennt würden, die einen solchen Antrag nicht gestellt hätten. Eine solche Vorgabe folge zwar aus Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/33/[X.] ([X.] Nr. L 180 S. 96). Die Frist zu deren Umsetzung sei aber noch nicht abgelaufen.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis nicht stand.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die [X.] enthält zwar keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Betroffenen. Diese Angabe ist aber keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ([X.], Urteile vom 9. Dezember 1987 - [X.], [X.]Z 102, 332, 333 f. und vom 11. Oktober 2005 - [X.], NJW 2005, 3773 sowie Beschluss vom 1. April 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1009 Rn. 10). Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn ohne die Angabe der [X.] Anschrift der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens gefährdet ist oder wenn die fehlende Angabe der [X.] Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt, etwa darauf, dass er das Verfahren aus dem Verborgenen führen will, um sich Ansprüchen gegen ihn zu entziehen ([X.], Beschluss vom 1. April 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1009 Rn. 13, 18 f.). Für das Vorliegen solcher Ausnahmen ist hier nichts ersichtlich.

6

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.

7

a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen jedenfalls deshalb in seinen Rechten verletzt, weil abzusehen war, dass die Haft in der [X.] und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/[X.] auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 [X.] vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 - [X.], [X.] 2014, 230 Rn. 7 bis 10).

8

b) Die Vorgaben der Richtlinie sind auch für [X.] nach der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 ([X.] Nr. L 180 S. 31 - sog. Dublin-III-Verordnung) einzuhalten. Die Bedingungen für die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung solcher [X.] richten sich zwar gemäß Art. 28 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung nach den Art. 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/[X.], die nach ihrem Art. 31 Abs. 1 bis zum 20. Juli 2015 umzusetzen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Vorgaben der Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/[X.] bis dahin bei [X.] nicht einzuhalten wären. Diese gelten zwar nur für die Inhaftierung zur Sicherung einer Rückkehr in das Heimatland. Eine Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat der [X.] (sowohl nach der [X.] als auch nach der Dublin-III-Verordnung) wird aber in Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie einer Rückkehr in das Heimatland gleichgestellt. Die Vorgaben der Richtlinie 2008/115/[X.] sind deshalb bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2013/33/[X.] auch bei [X.] einzuhalten. Das ist hier nicht geschehen und führt zur Rechtswidrigkeit der Haft.

9

c) Die richtlinienkonforme Unterbringung hat das Rechtsbeschwerdegericht unabhängig von einer Rüge des Betroffenen zu prüfen, weil dies eine materielle Voraussetzung für die Anordnung von [X.] betrifft und weil die gebotene möglichst wirksame Anwendung des Rechts der Union (effet utile) anders nicht zu erreichen ist. Die Anwendung der genannten Vorschrift steht auch nicht zur Disposition des Betroffenen oder anderer Beteiligter ([X.], Urteil vom 17. Juli 2014 - Rs. [X.]/13 - [X.], [X.]:[X.]:[X.] Rn. 22 f.; Senat, Beschluss vom 25. September 2014 - [X.], juris Rn. 6).

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Stresemann                           Schmidt-Räntsch                            Czub

                       Weinland                                       [X.]

Meta

V ZB 54/14

20.11.2014

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Krefeld, 13. März 2014, Az: 7 T 32/14, Beschluss

§ 62a Abs 1 AufenthG, Art 15 Abs 1 EGRL 115/2008, Art 16 Abs 1 S 1 EGRL 115/2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2014, Az. V ZB 54/14 (REWIS RS 2014, 1125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1125

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