Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.03.2016, Az. V ZB 75/15

V. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 14313

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[X.]:[X.]:BGH:2016:170316BVZB75.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZB 75/15
vom

17. März 2016

in der Rücküberstellungshaftsache

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 17. März 2016
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.], [X.] Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen werden
die Beschlüsse der 4. Zivilkammer des [X.] vom 29.
April 2015 und des [X.] vom 2.
Oktober 2014 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die mit Beschluss des [X.] vom 6. November 2013 angeordnete Haft den Betroffenen seit dem 14. Dezember 2013 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens
beträgt 5.000

Gründe:

I.

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 3. Oktober 2013 mit dem Zug aus den [X.] nach [X.] ein, wo er am 1
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Bahnhof Emmerich ohne gültige Einreisedokumente angetroffen und festge-nommen wurde. Das Amtsgericht ordnete mit Beschluss vom 4. Oktober 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen Haft zur Sicher-stellung seiner Zurückschiebung an. Mit Beschluss vom 6. November 2013 ver-längerte es die Haft im Hauptsacheverfahren bis zum 2. Januar 2014. Eine Be-schwerde des Betroffenen gegen diese Haftanordnung blieb erfolglos.

Mit am 14. Dezember 2013 bei dem Amtsgericht eingegangenem Antrag hat der Betroffene die Aufhebung der Haft und die Feststellung beantragt, dass diese ihn seit diesem Zeitpunkt in seinen Rechten verletzt. Der Betroffene ist nach Zurückweisung eines Verlängerungsantrags der beteiligten Behörde am 30. Dezember 2013 aus der Haft entlassen worden. Das Amtsgericht hat den Feststellungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen. Die Beschwerde des Be-troffenen hat das [X.] als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbe-schwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

Das Beschwerdegericht hält den Feststellungsantrag und damit auch die Beschwerde des Betroffenen für unzulässig. Er sei mangels Angaben, die eine Identifizierung des Betroffenen erlaubten, insbesondere mangels der Angabe seines
Aufenthalts, nicht hinreichend bestimmt. Ferner fehle das [X.]. Dieses sei zwar regelmäßig bei [X.] gegeben. Es könne aber ausnahmsweise fehlen, wenn sich der Betroffene nicht rechtstreu verhalte. So liege es hier. Der Betroffene habe sich unter Verstoß gegen die Meldevorschriften nicht ordnungsgemäß angemeldet.
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III.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. [X.] ist statthaft und auch sonst zulässig. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen dessen aktu-elle Anschrift nicht angegeben. Das ändert aber an der Zulässigkeit des Rechtsmittels nur etwas, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfah-rens ohne Angabe der [X.] Anschrift gefährdet ist oder wenn die fehlende Angabe der [X.] Anschrift Rückschlüsse auf ein rechts-missbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 -
V ZB 54/14 [X.] 2015, 104 Rn. 5 und vom 18. Febru-ar 2016 -
V
ZB
74/15, juris Rn. 5). Diese Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens wird durch die fehlende Angabe der Anschrift des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Dass und aus wel-chen Gründen sich der Betroffene mit der Stellung des Antrags rechtsmiss-bräuchlich verhalten würde, ist nicht erkennbar.

2. Das Rechtsmittel ist begründet.

a)
Die Beschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig.
Das Beschwerdeverfahren hat sich zwar mit der Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 30. Dezember 2013 in der Hauptsache erledigt. Es konnte aber nach § 62 Abs. 1 FamFG mit einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrig-keit der Haftanordnung fortgesetzt werden. Den dazu erforderlichen Antrag hat der Betroffene in zulässiger Weise gestellt.

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aa) Der Antrag ist entgegen der Ansicht des [X.] nicht deshalb unzulässig, weil es an Angaben fehlte, die eine Individualisierung des Betroffenen erlauben,
und weil
der Aufenthaltsort des Betroffenen nicht ange-geben worden ist. Es trifft zwar zu, dass der Antragsteller in einem das Verfah-ren einleitenden Antrag individualisiert werden muss und dass dies durch An-gabe von Namen, Stand, Gewerbe oder Wohnort und Anschrift geschehen kann ([X.]/[X.], 2. Aufl., § 23 Rn. 30). [X.] ist aber, dass ein Feststellungsantrag des Betroffenen nach §
62 Abs. 1 FamFG nur zulässig ist, wenn er alle vorgenannten Angaben enthält, insbesondere den Aufenthaltsort des Betroffenen angibt. Ein das Verfahren einleitender Antrag nach § 23
FamFG ist vielmehr zulässig, wenn sich ihm entnehmen lässt, wer Antragsstel-ler ist ([X.], FamFG, 18. Aufl., § 23 Rn. 39; [X.]/[X.], 2.
Aufl., § 23 Rn. 28). Für einen Antrag des Betroffenen auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG und einen nach dessen Erledigung in der Hauptsache ge-stellten Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG, um den es hier geht, gilt nichts anderes.

Auch eine Beschwerde des Betroffenen ist bei Fehlen der Angabe zum Aufenthaltsort nur ausnahmsweise, nämlich dann unzulässig, wenn der geord-nete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens ohne Angabe der [X.] An-schrift gefährdet ist oder die fehlende Angabe der [X.] Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 -
V
ZB
54/14, [X.] 2015, 104 Rn. 5 und vom 18. Februar 2016 -
V
ZB
74/15,
juris Rn. 13). Danach führt das Fehlen einer Angabe zum derzeitigen Aufenthalt des Betroffenen weder zur Unzulässigkeit des [X.] nach § 62 Abs. 1 FamFG noch zur Unzulässigkeit der Beschwerde. Auch ohne diese Angaben bestand kein Zwei-fel daran, dass sowohl der Feststellungsantrag als auch die Beschwerde na-8
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mens des Betroffenen eingelegt worden waren, gegen den das Amtsgericht am 6. November 2013 Haft zur Sicherung seiner Zurücküberstellung verhängt hatte und der aufgrund der Zurückweisung des Verlängerungsantrags am 30.
Dezember 2013 aus der [X.] entlassen worden war. Die [X.] Angabe zum Aufenthaltsort erlaubt auch keinen Rückschluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen, etwa darauf, dass er das Verfahren aus
dem Verborgenen führen will, um sich Ansprüchen gegen ihn zu entziehen.

bb) Es fehlt auch nicht an dem nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderlichen Feststellungsinteresse. Das berechtigte Interesse liegt nach § 62 Abs. 2 Nr.
1 FamFG bei schwerwiegenden [X.] in der Regel vor. Zu die-sen [X.] gehört auch eine rechtswidrige Freiheitsentziehung zur Sicherung der Abschiebung oder Rücküberstellung. Daran ändert es entge-gen der Ansicht des [X.] nichts, wenn sich der Betroffene nach seiner Haftentlassung rechtswidrig verhält, etwa -
wie möglicherweise hier
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ge-gen eine ausländerrechtliche Meldeauflage oder eine gesetzliche Meldepflicht verstößt. Der Feststellungsantrag nach § 62 FamFG ermöglicht dem [X.] zwar auch,
seinen guten Ruf wieder herzustellen. Er soll ihm aber [X.] hiervon eine Möglichkeit geben, sich auch nach ihrer Beendigung gegen die unberechtigte Freiheitsentziehung und den in ihr enthaltenen unberechtigten Vorwurf zur Wehr zu setzen. Dieses Interesse ist unabhängig von dem konkre-ten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme anzuerkennen. Es besteht deshalb auch bei einem späteren rechtswidrigen Verhalten des Betroffenen (Senat, Beschlüsse vom 14. Januar 2016 -

V
ZB 174/14, juris Rn.
6 und vom 18. Februar 2016 -
V
ZB 74/15, juris Rn. 14).

b) Die Beschwerde ist begründet.
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aa) Zur sachlichen Bescheidung der Beschwerde ist der Senat in der [X.]. Das Beschwerdegericht hat sich zwar, da es die Beschwerde als unzulässig angesehen hat, nicht mit den Gründen befasst, aus denen das Amtsgericht den Feststellungsantrag als unbegründet zurückgewiesen hat. Es hat aber die für eine Endentscheidung in der Sache erforderlichen Feststellungen getroffen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die erneute Befassung des [X.] mit der Sache zu zusätzlichen Erkenntnissen führt.

bb) Das Amtsgericht musste dem Haftaufhebungsantrag stattgeben. Die Haft hätte
nicht angeordnet werden dürfen, weil abzusehen war, dass sie in der [X.] und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/[X.] auszulegenden Vorschrift des §
62a Abs. 1 [X.] vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 -
V [X.], [X.] 2014, 230 Rn. 7 bis 10).
Diese [X.] ist auf die Haft zur Sicherung von Rücküberstellungen nach der Verord-nung ([X.]) Nr.
604/2013 vom 26. Juni 2013 ([X.].
Nr.
L 180 S.
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sogenannte Dublin-III-Verordnung) ebenfalls anzuwenden (Senat, Beschlüsse
vom
20.
November 2014 -
V
ZB 54/14, [X.] 2015, 104 Rn.
8 für [X.] und vom 3. März 2015 -
V
ZB 108/14 juris Rn.
1 für Dublin-III-Verordnung).
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IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs.
1, § 83 Abs.
2, § 430 Fa-mFG, Art.
5 EMRK.
Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs.
3 GNotKG.

Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner

Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 02.10.2014 -
22 [X.] B -

LG Kleve, Entscheidung vom 29.04.2015 -
4 [X.] -

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Meta

V ZB 75/15

17.03.2016

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.03.2016, Az. V ZB 75/15 (REWIS RS 2016, 14313)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14313

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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