Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 99/07

3. Senat | REWIS RS 2011, 51

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Gegenstand

Verfassungskonformität des eingeschränkten Schuldzinsenabzugs bei Überentnahmen im Wirtschaftsjahr 1998/1999


Leitsatz

NV: Bei der Berechnung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen sind Überentnahmen, die im Wirtschaftsjahr 1998/1999 noch vor dem 1.1.1999 getätigt worden sind, außer Betracht zu lassen, weil ihre Einbeziehung unverhältnismäßig und mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutz nicht zu vereinbaren wäre (Anschluss an das BFH-Urteil vom 23.3.2011 X R 28/09, BStBl II 2011, 753) .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt … Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Den Gewinn für das vom 1. April bis zum 31. März laufende Wirtschaftsjahr ermittelt er durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes in der für das [X.] (Streitjahr) geltenden Fassung ([X.]). Für das Wirtschaftsjahr 1999/2000 erklärte er einen Gewinn von 167.282,80 DM. In der Gewinnermittlung sind Schuldzinsen von [X.] als Betriebsausgaben enthalten. Die Entnahmen des [X.] beliefen sich im Wirtschaftsjahr 1999/2000 auf 166.513,63 DM, im vorhergehenden Wirtschaftsjahr 1998/1999 auf 505.433,41 DM. In diesem Wirtschaftsjahr hatte der Kläger einen Gewinn von 142.669,53 DM erzielt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) erhöhte den Gewinn des Wirtschaftsjahres 1999/2000 zunächst um den Betrag von 14.474 DM, der nach seinen Berechnungen gemäß § 4 Abs. 4a [X.] nicht als Betriebsausgabe abziehbar war. Der gegen den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 25. April 2002 gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

2

Im Verlauf des anschließenden finanzgerichtlichen Verfahrens erließ das [X.] unter dem Datum des 14. September 2006 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2000. Den nach § 4 Abs. 4a [X.] als nicht abziehbar zu beurteilenden Betrag errechnete es nunmehr in Höhe von 12.387 DM. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab, mit der der Kläger in erster Linie verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Begrenzung des [X.] geltend gemacht hatte (Urteil vom 8. Mai 2007  15 K 20353/04, Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 797).

3

Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, die in § 4 Abs. 4a Satz 6 [X.] (nunmehr Satz 5) vorgesehene Unterscheidung danach, ob Darlehenszinsen für die Finanzierung von Anlage- oder von Umlaufvermögen angefallen seien, sei willkürlich und verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (GG). [X.] sei auch, dass die Beschränkung der Abziehbarkeit von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a [X.] nur bei den Gewinneinkünften zum Tragen komme, nicht aber bei den Überschusseinkünften.

4

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 14. September 2006 die Einkommensteuer 2000 in der Höhe festzusetzen, wie sie sich bei Berücksichtigung weiterer Schuldzinsen von 12.387 DM als Betriebsausgaben ergibt.

5

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

6

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Streitsache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O). Dessen Feststellungen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob und ggf. in welcher Höhe betriebliche Schuldzinsen gemäß § 4 Abs. 4a [X.] nicht abziehbar sind.

8

1. Seit der Neuregelung des [X.] durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 22. Dezember 1999 ([X.], 2601, [X.], 13) sind Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a [X.] nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist nach § 4 Abs. 4a Satz 2 [X.] der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben ([X.]), ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 4 [X.]). Der sich danach ergebende Betrag, höchstens der um 4.000 DM verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Satz 5 [X.]). Von der [X.] sind Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens ausgenommen (§ 4 Abs. 4a Satz 6 [X.]).

9

2. Der [X.] ist zweistufig zu prüfen. Zunächst ist zu klären, ob der betreffende Kredit eine betriebliche oder private Schuld ist. Dann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang die betrieblich veranlassten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a [X.] abziehbar sind (Urteil des [X.] --BFH-- vom 21. September 2005 [X.], [X.], 238, [X.], 125). Anhaltspunkte für private Schuldzinsen liegen im Streitfall nicht vor, so dass eine Aufteilung in einen betrieblichen und einen privaten Zinsaufwand ausscheidet.

3. Die vom Kläger vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die [X.] nach § 4 Abs. 4a [X.] teilt der Senat nicht.

a) Die Unterscheidung danach, ob Schuldzinsen für die Finanzierung von Anlage- oder von Umlaufvermögen angefallen sind (§ 4 Abs. 4a Satz 6 [X.], nunmehr Satz 5), verstößt entgegen der Rechtsansicht des [X.] nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie ist nicht willkürlich. Für eine Gleichbehandlung des Anlagevermögens mit dem Umlaufvermögen besteht kein Anlass, da Umlaufvermögen zum alsbaldigen Absatz bestimmt ist und bei späteren Käufen häufig von Lieferanten Zahlungsziele eingeräumt werden (BFH-Urteil vom 23. März 2011 [X.], [X.], 404, [X.], 753).

b) Ebenso unbedenklich ist, dass die Vorschrift nur die [X.] nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 [X.] betrifft, nicht aber die Überschusseinkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 bis 7 [X.]. Auch ein Bezieher von [X.] kann frei wählen, ob er eine Vermögensanlage mit Eigen- oder Fremdkapital finanziert, er ist jedoch an die einmal getroffene Entscheidung gebunden (BFH-Urteil in [X.], 238, [X.], 125, mit Hinweis auf das BFH-Urteil vom 27. Oktober 1998 [X.], [X.], 276, BStBl II 1999, 676). Im Bereich der [X.] verhindert § 4 Abs. 4a [X.], dass ein Unternehmer Eigen- durch Fremdkapital substituiert und die dafür zu entrichtenden Schuldzinsen als Betriebsausgaben abzieht.

c) Schließlich ist § 4 Abs. 4a [X.] auch im Hinblick auf das sog. Nettoprinzip unbedenklich (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 2006 [X.], [X.], 501, [X.], 588).

4. Im Streitfall ist die [X.] für betriebliche Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a [X.] dem Grunde nach anwendbar. Es handelte sich um betriebliche Darlehen, die überwiegend zur Finanzierung von Umlaufvermögen verwendet wurden. Insoweit greift die Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 4a Satz 6 [X.] (nunmehr Satz 5), die nur das Anlagevermögen betrifft, nicht ein.

5. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Kläger ermittelt den Gewinn für seinen Betrieb nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr (§ 4a Abs. 2 Nr. 2 [X.]). Nach dem BFH-Urteil in [X.], 404, [X.], 753, dem sich der Senat anschließt, wäre die Einbeziehung von Überentnahmen, die im Wirtschaftsjahr 1998/1999 noch vor dem 1. Januar 1999 getätigt worden sind, unverhältnismäßig und mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutz nicht zu vereinbaren. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen des Wirtschaftsjahres 1999/2000 werden von der Höhe der im Wirtschaftsjahr 1998/1999 getätigten Überentnahmen beeinflusst (§ 4 Abs. 4a Satz 4 [X.]). Bei der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen sind deshalb bei einer verfassungskonformen Auslegung des § 4 Abs. 4a [X.] [X.]. § 52 Abs. 11 Satz 1 [X.] Überentnahmen des Jahres 1998 nicht zu berücksichtigen. [X.]. sind die vor dem 1. Januar 1999 getätigten Entnahmen zu schätzen, soweit die für § 4 Abs. 4a [X.] maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen auch unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand zu ermitteln sind (BFH-Urteil in [X.], 404, [X.], 753). Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang die nicht abziehbaren Schuldzinsen unter Außerachtlassung der noch im [X.] getätigten Überentnahmen zu berechnen haben.

Meta

III R 99/07

22.12.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 8. Mai 2007, Az: 15 K 20353/04, Urteil

§ 4 Abs 4a EStG 1997, Art 3 Abs 1 GG, § 2 Abs 1 EStG 1977

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 99/07 (REWIS RS 2011, 51)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 51

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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