Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2012, Az. AK 1 und 2/12, AK 1/12, AK 2/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 9067

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Gegenstand

Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung: Beteiligung an der kurdischen „Komalen Ciwan“


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Die Beschuldigten wurden aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des [X.] vom 14. Juli 2011 (6 [X.] und 52/11) am 17. Juli 2011 festgenommen und befinden sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

2

Gegenstand der Haftbefehle ist der Vorwurf, die Beschuldigten seien seit dem Frühjahr 2010 als [X.] der "[X.]" ([X.], "[X.]"), einer Jugendorganisation der "[X.]" ([X.], "[X.]") und deren [X.]organisation "Civaka Demokratik a [X.]" ([X.], "[X.]"), tätig und hätten sich dadurch als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der [X.] beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).

3

Das [X.] hat am 12. [X.]i 2011 (hinsichtlich des Beschuldigten [X.]) sowie am 1. April 2011 (hinsichtlich des Beschuldigten [X.]) die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und künftiger Taten des jeweiligen Beschuldigten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die [X.] oder eine ihrer Nebenorganisationen, insbesondere der [X.], erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

II.

4

Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Die Beschuldigten sind der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig.

6

a) Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7

aa) Die [X.] wurde 1978 u.a. von [X.] in der [X.] als [X.]organisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die [X.] verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 - unter dieser Bezeichnung - die "Koma Civaken [X.]" ([X.]K, "Vereinigte Gemeinschaften [X.]"), die staatliche Attribute beansprucht und sich laut ihrem grundlegenden Abkommen als "demokratisches, kommunalistisch-konföderales System" versteht. Als Jugendorganisation innerhalb dieses Systems existiert die [X.]. Die [X.], die letztlich der [X.]K-Führung untergeordnet ist, dient dazu, die in [X.] lebenden [X.] zu organisieren. Dementsprechend sind in [X.] (außerhalb der [X.]) lebende Mitglieder der [X.] an die [X.] angebunden.

8

Die [X.]K ist, ebenso wie die [X.], auf die Person von [X.] ausgerichtet; nach Art. 11 Satz 2 und 3 des "[X.]K-Abkommens" ist er "die [X.], die das gesamte Volk in allen Bereichen vertritt", und "in grundlegenden Fragen die letzte Entscheidungsinstanz". Neben dieser "Entscheidungsinstanz" geschieht die Willensbildung etwa über den "[X.]e [X.]" ([X.], "Volkskongress [X.]s"). Entsprechend hält auch die [X.] Kongresse ab. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie regelmäßig [X.] Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.

9

Die [X.]K sieht die [X.] als [X.] des Systems der [X.]K" und als verantwortlich dafür an, "die Philosophie und die Ideologie der Führung umzusetzen". "Alle [X.]-[X.] innerhalb des Systems der [X.]K sind bezüglich ihrer ideologischen, moralischen, philosophischen sowie die Organisation und das Leben betreffenden [X.]ßstäbe an die Struktur der [X.] gebunden"; außerdem "nimmt jeder, der innerhalb des Systems der [X.]K tätig ist, die ideologischen und moralischen [X.]ßstäbe der [X.] zur Grundlage" (Art. 36 "[X.]K-Abkommen").

bb) Die [X.]K bewertet im Rahmen der "Selbstverteidigung" einen [X.] als legitimes Mittel. Zu ihrem System gehören auch die "[X.]" ([X.], "[X.]"), die nach dem Willen der Führung handeln. Die [X.] verübten vor allem im Osten der [X.] Anschläge gegen [X.] Soldaten sowie Polizisten und töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Die [X.] bekannten sich beispielsweise im [X.] zu diversen Anschlägen mit mindestens vierzig Todesopfern.

cc) Die beiden Beschuldigten waren spätestens ab dem Frühjahr 2010 als Führungskader der [X.] in [X.] in die dargestellte Organisation von [X.] sowie [X.]K eingebunden und förderten diese. Sie nahmen im Februar 2010 als [X.] an einem Zwischenkongress der [X.]führung der [X.] bei [X.] teil. Den Beschuldigten war die Ausrichtung der [X.] sowie der [X.]K auf "[X.]" gegen [X.] Einheiten bekannt, und sie unterstützten diese Richtung bewusst.

(1) Der Beschuldigte [X.](alias "M.    ", "C.    " u.a.) war - zumindest ab dem 19. Januar 2010 - zunächst als für ganz [X.] zuständiger Funktionär der [X.] tätig. Als solcher war er in [X.] unter anderem damit befasst, [X.] für die [X.] zu rekrutieren, die Teilnahme von Interessierten an Ausbildungslagern der [X.] zu organisieren und Veranstaltungen der [X.] zu koordinieren.

Im März 2010 wechselte der Beschuldigte [X.]aufgrund einer Entscheidung der [X.]-Führung als [X.] nach [X.]. Ab [X.] 2010 war er für die [X.] wieder in [X.], und zwar in [X.].   , tätig. Im Dezember 2010 war er an einer mehrtägigen Schulungsveranstaltung der [X.] in [X.]   beteiligt, die unter anderem die Geschichte der [X.] und die Guerilla zum Gegenstand hatte.

(2) Der Beschuldigte [X.](alias "[X.]", "[X.]", "[X.].  " u.a.) übernahm im März 2010 - nach vorangegangener [X.]tätigkeit in der [X.] - vom Beschuldigten [X.]die Aufgabe des für [X.] verantwortlichen Funktionärs der [X.] und reiste dazu nach [X.] ein. Er hielt und vermittelte Kontakte zu über- sowie untergeordneten [X.]n. Ferner richtete er verschiedene Veranstaltungen der [X.] aus und war damit befasst, Reisen von [X.]-Mitgliedern nach [X.] oder von dort in die [X.] oder den [X.] zu organisieren. Zudem entschied er mit über die Verwendung von [X.]. Im Dezember 2010 nahm er ebenso wie der Mitbeschuldigte [X.]an der Schulung in [X.]   teil.

b) Hinsichtlich des vorstehenden Sachverhalts ergibt sich der dringende Tatverdacht aus den (unter anderem im Dezember 2010 in [X.]     ) sichergestellten Unterlagen, der Auswertung der überwachten Telekommunikation, öffentlichen Verlautbarungen der Organisationen und diversen Zeugenaussagen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Haftbefehle des Ermittlungsrichters des [X.] vom 14. Juli 2011 und den Vermerk des [X.] vom 23. Dezember 2011 Bezug genommen.

c) Danach besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Beschuldigten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Die Beteiligung an der [X.] stellt nach gegenwärtigem Ermittlungsstand zugleich eine Beteiligung an dem von der [X.] initiierten System der [X.]K dar. Zwar organisiert sich die [X.] laut Art. 38 des "[X.]K-Abkommens" selbstständig und autonom. Doch ergibt sich sowohl aus dem Abkommen selbst als auch aus den weiteren Ermittlungsergebnissen, dass die Willensbildung der [X.] letztlich in diejenige von [X.]K und [X.] eingebunden ist. So sind die [X.]ndatsträger der [X.] nicht nur ihren eigenen Organen, sondern auch denjenigen der [X.]K gegenüber verantwortlich (Art. 38 Satz 5 "[X.]K-Abkommen"). Für eine entsprechende Anbindung der [X.] in [X.] an die [X.] der [X.] sprechen etwa von [X.]-Kongressen gefasste Beschlüsse, überwachte Telefonate und Zeugenaussagen. Dafür, dass die [X.] letztlich darauf ausgerichtet ist, die Politik der [X.] umzusetzen und den [X.] zu unterstützen, lassen sich unter anderem die Unterlagen heranziehen, die bei der Schulung in [X.]     sichergestellt wurden und Rückschlüsse auf den Schulungsinhalt ermöglichen.

Nach dem Ermittlungsstand stellt die von der [X.] initiierte Verbandsstruktur eine Vereinigung dar, bei der sich der einzelne entsprechend den intern bestehenden Regeln unter den [X.] unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen "Selbstverteidigungsrechts" und der durch ihre weitere Unterorganisation, die [X.], verübten Anschläge auf [X.] Einheiten darauf ausgerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Eine Rechtfertigung für die Tötungsdelikte oder eine Ausnahme von der Strafbarkeit ist nicht gegeben; insbesondere ist eine völkerrechtliche Zulässigkeit der Kampfhandlungen nach dem aktuellen Ermittlungsstand auszuschließen. Unabhängig davon, ob überhaupt völkerrechtlich eine Volksgruppe innerhalb eines bestehenden Staates in Ausnahmefällen das Recht zu einer Sezession haben kann und dieses Recht gewaltsam durchsetzen darf (vgl. [X.], Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 313; [X.], Rechtsgutachten vom 22. Juli 2010 - [X.]. 141, Rn. 82 f., International Legal [X.]terials 49 [2010], 1404 ff.), fehlen in der konkreten Situation die Voraussetzungen für ein solches allenfalls in besonderen Konstellationen gegebenes Recht.

Vor diesem Hintergrund bedarf hier keiner Entscheidung, ob die Annahme in den Haftbefehlen, die "Teyrebazen Azadiya [X.]" ([X.], "Freiheitsfalken [X.]s") gehörten - entgegen deren ausdrücklichen Presseerklärungen und der Distanzierung seitens der [X.]K - zu den Organisationsstrukturen der [X.]/[X.]K, nach den bisherigen Ermittlungen im Sinne eines dringenden Tatverdachts hinreichend belegt ist.

2. Es bestehen hinsichtlich beider Beschuldigter die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 StPO), wie in den Haftbefehlen im Einzelnen zutreffend dargelegt worden ist. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende [X.]ßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Abgesehen davon, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens - unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Senats zu in [X.] tätigen Teilorganisationen ausländischer Vereinigungen - die Organisation der [X.], der [X.]K und ihrer Untergliederungen, insbesondere der [X.], der [X.] sowie der [X.], im Tatzeitraum näher aufzuklären war, war die Auswertung umfangreicher überwachter Telekommunikation erforderlich, um vor allem die konkrete Beteiligung der Beschuldigten näher zu ermitteln. Dies bedurfte der Übersetzung der beweiserheblichen Telefonate und [X.], die erst im Januar 2012 abgeschlossen wurde. Die Schwierigkeit und der Umfang der konkreten Ermittlungen haben daher ein Urteil noch nicht zugelassen. Das Verfahren ist entgegen den Beanstandungen der Verteidigung mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

Insgesamt steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Der Senat geht davon aus, dass - wie vom [X.] in seiner Zuschrift angekündigt - alsbald Anklage erhoben werden kann.

[X.]

Meta

AK 1 und 2/12, AK 1/12, AK 2/12

16.02.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: AK

§ 129b Abs 1 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2012, Az. AK 1 und 2/12, AK 1/12, AK 2/12 (REWIS RS 2012, 9067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9067

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