Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2022, Az. 6 StR 15/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 9354

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Gegenstand

Unterbringung in Entziehungsanstalt bei suchtgefährdendem Gebrauch von Alkohol und Kokain


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. September 2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes sowie versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilaufhebung (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Entscheidung, von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3

a) [X.] hat sich zur Begründung den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen, dass bereits das Vorliegen eines Hanges zweifelhaft sei. Der Angeklagte leide lediglich unter einem schädlichen und suchtgefährdenden Gebrauch von Alkohol ([X.]: [X.]) und Kokain ([X.]: [X.]). Eine „süchtige Bindung zu Alkohol und Kokain“ bestehe hingegen nicht. Er habe nie Entzugserscheinungen gezeigt, sei jederzeit in der Lage gewesen, seinen Alkohol- und Kokainkonsum zu kontrollieren und habe weder beruflich noch privat konsumbedingte Einschränkungen erlitten. Im Übrigen liege auch kein symptomatischer Zusammenhang vor zwischen „der ohnehin nicht bestehenden Alkohol- und Kokainabhängigkeitserkrankung oder des Missbrauchsverhaltens und den begangenen Taten, weil er diese nicht durchführte, um einen (ohnehin nicht) bestehenden Suchtdruck zu stillen, sondern infolge häufiger Geldknappheit Barmittel benötigte“.

4

b) Dies lässt besorgen, dass das [X.] bei der Prüfung, ob ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat.

5

Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Februar 2021 – 6 StR 18/21 Rn. 4; vom 7. April 2020 – 6 StR 28/20 Rn. 12 und vom 12. Januar 2017 – 1 [X.], [X.], 672, 673). Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie der Verlust über die Kontrolle des Alkoholkonsums haben zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs, deren Fehlen schließt ihn jedoch nicht aus (vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. März 2021 – 6 [X.] Rn. 4 und vom 12. Januar 2017, aaO).

6

Danach kann angesichts der weiteren Feststellungen zu dem Konsumverhalten des Angeklagten ein Hang nicht ausgeschlossen werden.

7

b) Der erforderliche symptomatische Zusammenhang bestünde auch bei einer Mitursächlichkeit der Intoxikation für die Begehung der Tat (st. Rspr., vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Oktober 2020 – 6 StR 270/20 Rn. 1; vom 27. August 2019 – 4 StR 330/19 Rn. 14 f. mwN). Diese liegt nahe, weil das [X.] bei allen Taten eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) aufgrund einer „Intoxikationspsychose“ angenommen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 28. April 2020 – 2 [X.] Rn. 6, [X.], 338).

8

2. Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. [X.], Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, [X.]St 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

[X.]     

      

Feilcke     

      

Tiemann

      

Fritsche     

      

von [X.]     

      

Meta

6 StR 15/22

23.02.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Verden, 28. September 2021, Az: 10 KLs 10/21

§ 64 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2022, Az. 6 StR 15/22 (REWIS RS 2022, 9354)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9354


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 10 KLs 10/21

Landgericht Bielefeld, 10 KLs 10/21, 08.07.2021.


Az. 6 StR 15/22

Bundesgerichtshof, 6 StR 15/22, 23.02.2022.


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