Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2019, Az. 1 StR 190/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 6534

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Gegenstand

Strafverfahren: Relativer Revisionsgrund bei Hinzuziehung eines nicht ordnungsgemäß vereidigten Dolmetschers


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. November 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg.

2

Die Rüge, mit welcher der Angeklagte einwendet, der für ihn in der Hauptverhandlung in der Sprache [X.] übersetzende Dolmetscher sei nicht beeidigt und daher unter Verstoß gegen §§ 189, 185 Abs. 1 Satz 1 [X.] hinzugezogen worden, dringt durch.

3

1. Am ersten Verhandlungstag belehrte der Vorsitzende den Dolmetscher [X.]     , treu und gewissenhaft zu übertragen. Der Dolmetscher erklärte, er sei öffentlich bestellt sowie allgemein beeidigt, und berief sich darauf. Tatsächlich hatte er [X.] (§ 189 Abs. 2 [X.]) abgelegt. Da der Vorsitzende den Angaben des Dolmetschers glaubte, sah er davon ab, diesem die Eidesformel nach § 189 Abs. 1 [X.] abzunehmen.

4

2. Nach § 189 Abs. 2 [X.] genügt vor allen Gerichten des [X.] und der Länder die Berufung auf [X.], wenn der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt ist. Tatsächlich hatte [X.]      nie [X.] - etwa nach Art. 4 Abs. 1 des [X.] über die öffentliche Bestellung und allgemeine Beeidigung von Dolmetschern und Übersetzern (Dolmetschergesetz - [X.]; [X.]) i.V.m. § 189 Abs. 2 [X.] - geleistet, wie die Revision zutreffend vorgetragen hat; dementsprechend wurde [X.]      nicht in der Datenbank der [X.] Justizverwaltung oder einer länderübergreifenden Dolmetscher- und Übersetzerdatenbank (Art. 7 [X.] BY) geführt. Damit ist der Verstoß gegen §§ 189, 185 Abs. 1 Satz 1 [X.] erwiesen. Das Be-ruhen des Urteils auf dieser Verfahrensverletzung (§ 337 Abs. 1 StPO) ist nicht auszuschließen:

5

a) Mit [X.]esleistung in der Hauptverhandlung (§ 189 Abs. 1 [X.]) bzw. mit dem Berufen auf [X.] (§ 189 Abs. 2 [X.]) soll dem Dolmetscher seine besondere Verantwortung im konkreten Fall bewusst gemacht wer-den ([X.], Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 189 Beeidigung 5; Urteil vom 7. November 1986 - 2 StR 499/86, [X.]R [X.] § 189 Abs. 2 Übertragung, zusätzliche 1). Eine solche Verpflichtung ist bereits deswegen erforderlich, weil das Gericht in der Regel - gegebenenfalls mit Ausnahme gängiger Fremdsprachen wie etwa [X.] oder [X.] - die Übersetzung nicht überprüfen kann. In diesem Sinne ist die Vereidigung eine wesentliche und unverzichtbare Förmlichkeit des Verfahrens ([X.], Urteil vom 8. März 1968 - 4 [X.], [X.]St 22, 118, 120). Mit der - zu protokollieren-den (vgl. etwa Art. 4 Abs. 3 [X.] BY) - Abnahme [X.] und der anschließenden Aufnahme derart vereidigter Dolmetscher in fortzuführenden Verzeichnissen als Aufgabe der Justizverwaltung soll den Gerichten im Einzelfall das Auffinden eines qualifizierten Übersetzers erleichtert werden (BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2007 - 6 C 15/06 Rn. 33).

6

Eine solche Eidesleistung setzt indes ein besonderes Justizverwaltungsverfahren voraus, welches etwa im [X.] nach Art. 3 Abs. 1 [X.] BY auf Antrag des Dolmetschers eingeleitet wird und für welches die Präsidenten der [X.]e zuständig sind (Art. 2 [X.] BY). In diesem Verfahren werden insbesondere die durch eine Prüfung nachzuweisende fachliche Eignung (Art. 3 Abs. 1 Buchst. d, Art. 15 [X.] BY) sowie persönliche Zuverlässigkeit (insbesondere Art. 3 Abs. 1 Buchst. c [geordnete wirtschaftliche Verhältnisse] und e [gerichtliche Strafen oder sonstige Maßnahmen] [X.] BY) des Antragstellers geprüft. Mit der allgemeinen Beeidigung und der nach der [X.] Rechtslage einhergehenden Bestellung wird das Verwaltungsverfahren (regelmäßig spätestens nach drei Monaten, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] BY) ab-geschlossen. Die Beeidigung ist ein feststellender Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG des Inhalts, dass der Dolmetscher fachlich geeignet und persönlich zuverlässig ist; Beeidigung und Aufnahme in das Verzeichnis sollen eine gewisse Gewähr dafür bieten, dass der allgemein beeidigte Dolmetscher die ihm zugedachten Aufgaben zuverlässig und sachgerecht erfüllt sowie infolgedessen den Gerichten hierfür allgemein zur Verfügung steht (BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2007 - 6 C 15/06 Rn. 23, 32).

7

b) Der Dolmetscher [X.]      hat [X.] nach Art. 4 Abs. 1 [X.] BY (i.V.m. § 1 des [X.] Verpflichtungsgesetzes) geleistet; seine im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 3 StPO) eingeholte Stellungnahme, es habe nach mehreren einzelnen [X.] (§ 189 Abs. 1 [X.]) geheißen, er sei jetzt allgemein beeidigt, legt gar nahe, dass bislang kein förmliches Beeidigungs- und Bestellungsverfahren nach Art. 1 ff. [X.] BY eingeleitet ist.

8

c) Nach alledem gab es [X.], von welchem [X.]     sich bei seinen Übertragungsleistungen hätte "leiten" lassen können. Damit liegt dieser Fall gänzlich anders als die Sachverhalte, in welchen der Dolmetscher [X.] leistete, die Entgegennahme aber möglicherweise fehlerbehaftet war ([X.], Urteil vom 17. Januar 1984 - 5 StR 755/83 [durch beauftragten [X.] anstelle des [X.]spräsidenten oder dessen Vertreter]), sich [X.] nur auf einen anderen Gerichtsbezirk erstreckte oder der Dolmetscher auch eine andere Sprache übersetzte ([X.], Urteil vom 7. November 1986 - 2 StR 499/86, [X.]R [X.] § 189 Abs. 2 Übertragung, zusätzliche 1 [[X.] neben [X.]]). In den zuletzt genannten Konstellationen kann ausgeschlossen werden, dass sich der Dolmetscher seiner besonderen Verantwortung und seiner Pflicht zur treuen und gewissenhaften Übersetzung nicht bewusst gewesen ist. Eine solche noch ausreichende Gewähr ist in diesem Fall aber mangels erfolgreicher Durchführung eines besonderen Justizverwaltungsverfahrens im Sinne des § 189 Abs. 2 [X.] i.V.m. Art. 1 ff. [X.] BY nicht gegeben.

Raum     

        

Fischer     

        

Hohoff

        

Leplow     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 190/19

06.06.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 12. November 2018, Az: 458 Js 191328/17 - 1 JKLs

§ 185 Abs 1 S 1 GVG, § 189 Abs 1 GVG, § 189 Abs 2 GVG, § 337 Abs 1 StPO, Art 4 Abs 1 DolmG BY

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2019, Az. 1 StR 190/19 (REWIS RS 2019, 6534)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6534

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 29/21

3 StR 406/21

Zitiert

1 StR 579/11

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