Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.09.2015, Az. 4 StR 359/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5108

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 359/15

vom
22. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 22.
September
2015
gemäß §
349 Abs.
4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3.
März 2015 mit den zuge-hörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
2.
Im
Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen we-gen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Stra-ßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer ander-weit verhängten Geldstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten und einer
Woche verurteilt; ferner hat es Maßregeln nach §§
69, 69a
1
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3
-
StGB angeordnet. Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, so-weit dieser verurteilt worden ist.
I.
Nach den dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen be-schleunigte der Angeklagte seinen Pkw [X.] auf öffentlichen Straßen in [X.] auf eine Fahrtgeschwindigkeit von mindestens 99
km/h. [X.] ihm saß die nicht angegurtete Nebenklägerin auf dem Beifahrersitz. Im [X.] Verlauf der Fahrt bremste der
Angeklagte sein Fahrzeug heftig ab und
steuerte es im Wege einer kontrollierten Lenkbewegung leicht nach rechts. Er fuhr gezielt auf das Heck eines am Straßenrand geparkten anderen Autos auf. Hierbei verfolgte er die Absicht, die Nebenklägerin zu töten. Die Kollisionsge-schwindigkeit betrug mindestens 60
km/h. Die Front des Fahrzeugs des Ange-klagten und das Heck des am Straßenrand abgestellten Pkw überdeckten sich zu ca. 70
%, sodass im Wesentlichen die Beifahrerseite des [X.] von der Kollision betroffen war. Während der Angeklagte nur geringfügige Verlet-zungen erlitt, war die Nebenklägerin unmittelbar nach dem Aufprall eine Zeit lang nicht ansprechbar, wenn auch durchgängig bei Bewusstsein. Mehrere durch die Kollisionsgeräusche auf das Geschehen aufmerksam gewordene Zeugen alarmierten die Polizei. Eine dem Angeklagten knapp eine Stunde nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,97

2
-
4
-
II.
Die

ersichtlich nur gegen die Verurteilung gerichtete

Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1.
Die [X.]e Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags gemäß §§
212, 22, 23 Abs.
1 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil das [X.] einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nicht geprüft hat, obwohl die getroffenen Feststellungen hierzu drängten.
Zwar wären Erörterungen zum Rücktritt entbehrlich, wenn ein fehlge-schlagener Versuch vorliegen würde. Die Feststellungen tragen indes eine sol-che Annahme nicht.
a)
Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach [X.] des [X.] vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen na-heliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt
oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestal-tung allerdings Indizwirkung für den [X.] des [X.] zukommen kann, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten [X.] (sog. Rücktrittshorizont; vgl. [X.], Beschlüsse
vom 15.
Januar 2015

4
StR
560/14, Rn.
6,
vom 22.
März 2012

4
StR
541/11, [X.], 239, 240,
und vom 2.
November 2007

2
StR
336/07, [X.], 393). Ein [X.] liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollen-dung der Tat im unmittelbaren [X.] noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein [X.] als freiwilliger 3
4
5
6
-
5
-
Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten ([X.], Beschlüsse
vom 21.
April 2015

4
StR
92/15, NJW 2015, 2898, 2899, vom 22.
März 2012, aaO, und vom 26.
September 2006

4
StR
347/06, [X.], 91). Fehlgeschlagen ist der Versuch erst, wenn der Täter erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte,
etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung
des unmit-telbaren Handlungsfortgangs, sodass sich das Geschehen aus der Perspektive eines [X.] nicht mehr als ein einheitlicher Lebenssachverhalt darstellen wür-de ([X.], Beschlüsse vom 4.
August 2015

1
StR
329/15, vom 21.
April 2015, aaO, vom 9.
September 2014

4
StR
367/14, [X.], 26, und vom
19.
Mai 1993

GSSt
1/93, [X.]St 39, 221, 232; Urteile
vom 8.
Februar 2007

3
StR 470/06, [X.], 399,
und
vom 30.
November 1995

5
StR
465/95, [X.]St 41, 368, 369).
b)
Zu der Vorstellung des Angeklagten nach dem [X.] des [X.] ins Auge gefassten Tatablaufs

nach der Kollision mit dem am rechten Fahrzeugrand abgestellten Pkw

enthält das Urteil keine konkreten Feststel-lungen. Der [X.] kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte im Rücktrittshorizont eine Vollendung der Tat mit anderen Mitteln nicht mehr für möglich hielt. Zwar hatten mehrere Zeugen infolge des Kollisionsgeräuschs die Polizei gerufen. Wie der [X.] in seiner Antragsschrift indes mit Recht ausführt, muss davon ausgegangen werden, dass eine gewisse Zeit bis zum Eintreffen der Polizei verstrich. In Übereinstimmung mit dem [X.] hält es der [X.] daher nicht für fernliegend, dass der Angeklagte seinen Tötungsvorsatz noch hätte weiterverfolgen können, wenn er dies noch gewollt hätte.

7
-
6
-
2.
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entschei-dung. Die Aufhebung betrifft auch die [X.] erfolgten Verurteilungen we-gen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverlet-zung (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
September 2011

3
StR
231/11, [X.], 325, Rn.
25; [X.] in [X.], 7.
Aufl., §
353 Rn.
12). Sie zieht zudem die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der auf §§
69, 69a
StGB ge-stützten Maßregelanordnung nach sich.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] auf Folgendes hin:
1.
Der nunmehr
zur Entscheidung berufene Tatrichter wird Gelegenheit haben, die vom [X.] in seiner Antragsschrift erhobenen Be-denken gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil in seine Erwägun-gen einzubeziehen.
2.
Die dortige Verwertung des anfänglichen Schweigens des Angeklag-ten, der sich erst in der Hauptverhandlung substantiiert eingelassen hat, [X.] durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl.
[X.], Beschluss vom 28.
Mai 2014

3
StR
196/14, [X.], 666, 667; [X.]/[X.], [X.], 58.
Aufl., §
261 Rn.
18 mwN). Die nur fragmentarischen Angaben des .

, er sei
gefahren, [X.] Staatsangehöriger und die Nebenklägerin sei eine
8
9
10
11
-
7
-
Bekannte von ihm, begründen kein der Verwertung zugängliches Teilschweigen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16.
April 2015

2
StR
48/15 und vom 16.
Dezem-ber 2010

4
StR
508/10, NStZ-RR 2011, 118; [X.]/[X.], aaO, Rn.
17 mwN).
VRin[X.] Sost-Scheible ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert.
Roggenbuck
Roggenbuck
Cierniak
Franke
Bender

Meta

4 StR 359/15

22.09.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.09.2015, Az. 4 StR 359/15 (REWIS RS 2015, 5108)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5108

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4 StR 359/15

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