Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.11.2016, Az. 4 StR 471/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1926

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:231116B4STR471.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 471/16

vom
23. November
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 23.
November 2016 gemäß §
349 Abs.
4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8.
Juni 2016 mit den Feststellungen auf-gehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und Maßregeln nach
§§
69, 69a StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf eine Verfahrens-
und die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1
-
3
-
I.
1.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen ge-troffen:
Nach einem Streit mit seiner Mutter und seinem Vater, in dessen Verlauf dieser dem Angeklagten eine Ohrfeige versetzt hatte, entschloss sich der An-geklagte, mit dem von allen Familienangehörigen genutzten Pkw [X.] wegzufahren. Dies versuchte der Vater des Angeklagten zu verhindern, indem er gegen die Seitenscheibe des Fahrzeugs schlug und den Angeklagten auffor-derte, den Pkw zu verlassen. Gleichwohl fuhr der Angeklagte los. Sein Vater folgte ihm zu Fuß

wobei er eine Abkürzung benutzte

und es gelang ihm, sich vor den Pkw zu stellen und hierdurch den Angeklagten an der Weiterfahrt , dann Meter zurück und fuhr sodann in der Absicht, seinen Vater frontal mit dem Pkw zu erfassen, auf diesen zu. Ihm war bewusst, dass sein Vater hierbei zu Tode kommen könnte und er nahm dies billigend in Kauf. Er fuhr in einem Links-bogen hinter seinem in einen Carport flüchtenden Vater her, beschleunigte auf 10
km/h und erfasste ihn noch innerhalb des Carports mit dem vorderen rech-ten Eckbereich des Pkws. Hierdurch stürzte der Vater des Angeklagten rechts neben dem Fahrzeug zu Boden.
Nunmehr stieg der Angeklagte aus dem Fahrzeug aus und lief auf seinen g-licherweise den

ufhin trat ihm der [X.] gegen den Bauch, wodurch er seinen Vater verletzen wollte; auch erkannte er 2
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die abstrakte Lebensgefährlichkeit des Tritts gegen den Kopf und nahm diese billigend in Kauf. Anschließend lief er in der Vorstellung davon, dass sein Vater durch die Kollision mit dem Pkw so schwer verletzt worden war, dass er in der Folge versterben könnte
(UA S.
12).
2.
Das Schwurgericht folgerte seine Überzeugung, dass der Angeklagte r-n-fahren seines [X.] mit dem Pkw und dem anschließenden Fußtritt gegen den

29). Es bewertet die Fußtritte
als gefährliche Körperverletzung (§
224 Abs.
1 Nr.
2 und Nr.
5 StGB) und das Anfahren mit dem Pkw

unter an-derem

als versuchten Totschlag. Dieser Versuch sei beendet gewesen; ein Rücktritt sei nicht erfolgt.
II.
Diese rechtliche Würdigung
begegnet durchgreifenden Bedenken. Sie lässt besorgen, dass das [X.] bei der Prüfung, ob ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt, von einem falschen Maßstab ausgegangen ist.
1.
Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem
Versuch
be-stimmt sich nach dem Vorstellungsbild des [X.] nach dem Abschluss der letz-ten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten [X.]. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter [X.] vor, bei dem allein der Abbruch
der begonnenen Tathandlung zum straf-befreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist. Ein beendeter Tötungsver-5
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5
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such, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich da-rum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzuneh-men, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht. Eine Korrektur des [X.]s ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des
Todes für möglich hält, aber nach [X.] Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des [X.] vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des [X.] bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusam-menhang mit dieser ändert. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach [X.] des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits
eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Auch dabei kommt es auf die Sicht des [X.] nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeifüh-rung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfort-gangs, liegt ein Fehlschlag vor. Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des §
24 Abs.
1 oder Abs.
2 StGB aus; um-gekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die
Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung in Fällen des §
24 Abs.
1 StGB -
6
-
stets, in solchen des §
24 Abs.
2 StGB mittelbar dann von Bedeutung ist, wenn sich die (gemeinsame) [X.] von Versuchsbeteiligten in einem einverständlichen Unterlassen des Weiterhandelns erschöpfen kann. [X.] ist gemeinsam, dass es auf das Vorstellungsbild des [X.] im entschei-dungserheblichen Zeitpunkt ankommt. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nach-prüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 19.
März 2013

1
StR 647/12, [X.], 273
f.; vom 13.
August 2015

4
StR
99/15, [X.], 470
jeweils mwN).
2.
Dies zugrunde gelegt lassen die

insofern auch nicht widerspruchs-freien

Ausführungen des Schwurgerichts besorgen, dass es bei der Feststel-lung des [X.] fehlerhaft nicht auf den Zeitpunkt unmittelbar nach der letzten Tathandlung, also der Tötungshandlung, bzw. einen mit dieser in sondern auf die [X.] getragenen Handlung. Hat ein Täter aber nach der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung erkannt, dass er noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes [X.] oder zumindest ausreichend ist, so liegt ein unbeendeter Versuch des
Tötungsdelikts auch dann vor, wenn sein anschließendes Handeln bei unver-ändertem Vorstellungsbild nicht mehr auf den [X.] gerichtet ist, obwohl ihm ein hierauf gerichtetes Handeln

wie von ihm erkannt

möglich gewesen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
Februar 2003

4
StR
25/03 mwN).

8
-
7
-
3.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt (vgl.
[X.]/[X.], [X.], 59.
Aufl., §
353 Rn.
7a mwN).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Ri[X.] Dr.
[X.] ist erkrankt und deshalb gehindert zu unter-schreiben.
Sost-Scheible
Mutzbauer
Quentin

9

Meta

4 StR 471/16

23.11.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.11.2016, Az. 4 StR 471/16 (REWIS RS 2016, 1926)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1926

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4 StR 471/16

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