Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.05.2014, Az. 2 StR 70/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5207

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 70/14
vom
28. Mai 2014
in der Strafsache
gegen

wegen des Verdachts der Vergewaltigung u.a.

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Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 28.
Mai 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. [X.],

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
der
Richter am [X.]
Zeng,

Staatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung,
[X.] beim Bundegerichtshof

bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,
Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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Auf die Revision
der Nebenklägerin wird das Urteil des [X.] vom 11. September 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird
zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das
[X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung freigesprochen. Die Nebenklage rügt mit ihrer hiergegen gerichteten und vom [X.] vertretenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.
1. Die unverändert
zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, am 15. Juni 2012 seine Ehefrau, die Neben-klägerin, vergewaltigt und körperlich misshandelt zu haben. Am Tattag gegen 1
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19 Uhr habe er sie an den Haaren ins Badezimmer gezerrt, sie dort über den Rand der Badewanne gedrückt, dabei ihren Kopf an den Haaren so stark nach hinten gerissen, dass sie durch Überdehnung des Kehlkopfes nicht schreien konnte, ihre Jogginghose heruntergezogen und sodann gegen ihren Willen den Analverkehr durchgeführt. Dabei soll er der Nebenklägerin derart heftig an den Brustwarzen gezogen haben, dass sie erhebliche Schmerzen litt und zudem infolge des gewaltsamen Analverkehrs am After blutete.
2. Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten. Das [X.] hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte und die Nebenklägerin sind seit März 2010 verheiratet und haben zwei gemeinsame Kinder. Am 11. Mai 2012 ließ die Nebenklägerin gegen den Willen des Angeklagten einen Schwangerschaftsabbruch vorneh-men. Dies führte dazu, dass sich die Eheleute endgültig trennten, nachdem es schon zuvor häufig zu Spannungen und Streitigkeiten gekommen war. Am 24.
August 2012 suchte der Angeklagte seine Ehefrau in deren Wohnung auf. Es kam zu einem Streit, der derart eskalierte, dass die Nebenklägerin die [X.] informierte. Den Beamten gegenüber erwähnte sie, dass der Angeklagte sie vor einiger Zeit vergewaltigt habe.
3. Zur Begründung des Freispruchs hat das [X.] im Wesentlichen ausgeführt:
Die Angaben der Nebenklägerin seien insgesamt als nicht glaubhaft zu beurteilen. Die zahlreichen und bei mehreren Vernehmungen konstant geschil-derten Details sprächen zwar für einen real erlebten Vorgang. Die Nebenkläge-rin habe aber ihre ursprünglichen Angaben zur zeitlichen Einordnung der Tat im 3
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Rahmen der Hauptverhandlung revidiert und der Aussage des Zeugen U.

angepasst. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und bei ihrer ersten Befra-gung
in der Hauptverhandlung habe sie noch angegeben, die Vergewaltigung sei einige Wochen nach dem Schwangerschaftsabbruch, also Mitte Juni 2012, erfolgt. Nach Vorhalt der Aussage des Zeugen U.

, eines [X.]mitar-beiters, der angegeben hatte, die Nebenklägerin hätte ihm bereits am 22. Mai 2012 von einer kurz zuvor (19./20. Mai 2012) erfolgten Vergewaltigung durch den Angeklagten berichtet, habe die Nebenklägerin in einer zweiten Verneh-mung dessen zeitliche Einordnung bestätigt, nachdem sie nach eigenen Anga-ben zwischenzeitlich zusammen mit ihrer Mutter weitere Überlegungen ange-stellte hatte.
Vor diesem Hintergrund hat die Kammer sich im Hinblick auf den [X.] nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen habe. Es sei kaum nachvollziehbar, wieso die [X.] Nebenklägerin über ein Jahr nach der Tat nunmehr zuverlässiger sein sollte und warum sie nicht schon bei früheren Vernehmungen die Tatzeit hinterfragt und genauere Überlegungen angestellt habe.
Der Nebenklägerin falle es zwar offensichtlich schwer, Ereignisse bestimmten Daten zuzuordnen. Ein Schwangerschaftsabbruch und eine Vergewaltigung seien aber für eine Frau derart einschneidende Erlebnisse, dass man normalerweise einordnen könne, ob die Vergewaltigung nur einige Tage oder mehrere Wochen danach geschehen sei. Berücksichtige man weiter, dass der Vorwurf der [X.] nach Trennung der Eheleute zum [X.] beim Jugendamt erhoben wurde, sei nicht auszuschließen, dass die Nebenklägerin die Beschuldigung erhoben habe, um das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu bekommen. Hinzu käme, dass die Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung kaum emoti-onale Betroffenheit habe erkennen lassen.
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II.
Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand.
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des [X.] (§
261
StPO), dessen Schlussfolgerungen nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen (vgl. [X.], Urteil vom 7.
Oktober 1966 -
1 [X.], [X.]St 21, 149, 151; Beschluss vom 7.
Juni 1979 -
4 [X.], [X.]St 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. [X.] sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen. Das Urteil muss erken-nen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Ent-scheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich zudem ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur iso-liert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt [X.] (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 10.
August 2011 -
1 [X.], [X.], 110
f.; vom 11.
August 2011 -
4 [X.]; vom 26.
April 2012 -
4 StR 599/11 und vom 8.
August 2012 -
1 StR 88/12).
2.
Die insoweit erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt. Das [X.] hat die Aussage der Nebenklägerin vor allem mit Blick auf die Umstände, die der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegenstehen, ausführlich erörtert und überprüft (UA S.
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8), während es die für die Glaubhaftigkeit ihrer 9
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Angaben sprechenden Gesichtspunkte nur knapp und ohne erkennbare Würdi-gung aufgelistet hat ([X.] -
5).
Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller entscheidungsrele-vanten Umstände hätte sich das [X.] insbesondere damit auseinander-setzen müssen, dass die im Urteil mitgeteilten Aussagen der Nebenklägerin (polizeiliche Vernehmung, richterliche Vernehmung, Angaben in der [X.]) eine beachtliche inhaltliche [X.] sowie einige originelle Details aufweisen. Auch wurden die Angaben der Nebenklägerin von ihrer Schwester vollständig bestätigt, die sich nach eigenen Angaben während des [X.] im Nebenzimmer aufgehalten hat. Insoweit verweist die [X.] auf die Möglichkeit, dass die Schwestern Gelegenheit hatten, sich abzu-sprechen. Es fehlt indes eine Würdigung der Aussage der Schwester und es bleibt entsprechend offen, ob und inwieweit das Gericht der Schwester über-haupt Glauben schenkt.
Die [X.] hat es aber auch versäumt, die Aussage des Zeugen U.

vollständig in die Gesamtwürdigung einzustellen. Der Umstand, dass
die Nebenklägerin diesem bereits am 22. Mai 2012 von der ihr widerfahrenen [X.] berichtet hat, könnte für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spre-chen und insbesondere die [X.] ihrer Angaben bestätigen. Es fehlt jedoch schon eine Darstellung dessen, was der Zeuge U.

zu den konkreten Anga-ben der Nebenklägerin bekundet hat. Ferner erscheint auch die Erwägung der [X.] wenig lebensnah, es sei nur schwer nachvollziehbar, dass die Nebenklägerin ihrer Mutter am Sonntag vor dem Besuch des [X.] ledig-r-zählen. Dass eine Frau sich scheut, auch ihr nahestehenden Personen, eine Vergewaltigung näher zu schildern und in Bezug auf das Vorgefallene ggf. auf 12
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nur allgemeine Beschreibungen zurückfällt, erscheint jedenfalls nicht außerge-wöhnlich.

die Nebenklägerin gegenüber dem [X.]mitarbeiter die Beschuldigung gegen den Angeklagten nur deshalb erhoben hat, um das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen, bleibt diese Erwägung schon im Hinblick auf das Fehlen entsprechender Feststellungen zu einem zum damaligen Zeitpunkt be-stehenden [X.] reine Spekulation.
Der Senat kann
daher nicht ausschließen, dass das [X.] bei ei-ner umfassenden Gesamtschau auch der den Angeklagten belastenden Um-stände den Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin ein geringeres Gewicht beigemessen und sich von der Richtigkeit ihrer Anga-ben überzeugt hätte.
3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das angefochtene Urteil schon den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht wird. Das Urteil lässt auch im
Gesamt-zusammenhang der Urteilsgründe nicht erkennen, von welchem Sachverhalt die [X.] im Hinblick auf den Tatvorwurf letztlich ausgegangen ist. Auch wären vorliegend Feststellungen zu Werdegang, strafrechtlichen Vorbelastun-gen und Persönlichkeit des Angeklagten wie auch zum Verlauf seiner Ehe mit der Nebenklägerin geboten gewesen, da diese für die Beurteilung des [X.] eine Rolle hätten spielen können und deshalb zur Überprüfung des [X.] durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. [X.], Urteile vom 13.
Oktober 1999 -
3 [X.], [X.], 91, vom 14.
Februar 2008 -
4 StR 317/07, [X.], 206, 207, vom 23.
Juli 2008
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2 StR 150/08, [X.]St 52, 314, 315, und vom 25. Oktober 2012 -
4 [X.], [X.], 52).
[X.] [X.] Eschelbach

[X.] Zeng

Meta

2 StR 70/14

28.05.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.05.2014, Az. 2 StR 70/14 (REWIS RS 2014, 5207)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5207

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1 StR 114/11

4 StR 170/12

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