Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.03.2009, Az. 5 StR 21/09

5. Strafsenat | REWIS RS 2009, 4310

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

5 StR 21/09 [X.]BESCHLUSS vom 25. März 2009 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der [X.]wahrung - 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 25. März 2009 beschlossen: 1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des [X.] (Oder) vom 2. Oktober 2008 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. G r ü n d e
1 Das [X.] hat gegen den Verurteilten nachträglich die Siche-rungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1. Der Verurteilte ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten: 2 a) Das [X.] Frankfurt (Oder) hat ihn am 8. Juli 1998 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und se-xuellem Missbrauch von [X.] in acht Fällen sowie wegen sexu-ellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jah-ren verurteilt. Die Einzelstrafen für die Vergewaltigungsfälle betrugen jeweils vier Jahre und sechs Monate. Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte in den Jahren 1992 und 1993 in [X.] wiederholt sexuelle Handlungen an seiner acht bzw. neun Jahre alten Stieftochter vorgenommen hat. In 20 Fäl-len vollzog er [X.] zumeist unter Mitwirkung seiner Ehefrau, die das Kind [X.] - 3 - hielt [X.] den vaginalen Geschlechtsverkehr mit dem Mädchen. Den in den [X.] acht dieser Fälle von der Geschädigten noch geleisteten Widerstand überwand der Verurteilte mit Gewalt. Das Urteil wurde am 6. Januar 1998 hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs rechtskräftig, hinsichtlich der Frage der Anordnung einer Maßregel [X.] zunächst war der Verurteilte im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, nach insoweit erfolgter Aufhebung durch den [X.] wurde eine Maßregel nicht erneut angeordnet [X.] trat [X.] am 8. Juli 1998 ein. 4 Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verbüßte der Verurteilte vollständig. Seit dem 15. August 2008 befindet er sich aufgrund des [X.] des [X.] (Oder) vom 11. August 2008 im [X.] der einstweiligen Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO. 5 6 b) Bereits vor dieser [X.] war der Verurteilte von [X.] wegen sexuell motivierter Delikte bestraft worden, so 1963 wegen versuchter Notzucht (Zuchthausstrafe ein Jahr) und erneut wegen versuchter Notzucht in Tateinheit mit gewaltsamer Unzucht (Zuchthausstrafe zwei Jahre und sechs Monate), 1968 wegen Unzucht mit Kindern (Zuchthausstrafe von zwei Jahren), 1972 wegen Vornahme sexueller Handlungen in der Öffent-lichkeit (Freiheitsstrafe fünf Monate). Sodann erfolgte am 10. Mai 1979 durch das Kreisgericht [X.] eine Verurteilung wegen Nötigung zu sexuellen Handlungen zu einer Freiheits-strafe von zwei Jahren. Nach den Feststellungen zog der Verurteilte eine etwa 20 Jahre alte Frau vom Fahrrad und brachte sie zu Boden, um sie zu vergewaltigen. Hiervon nahm er aber Abstand und berührte ihr bedecktes Geschlechtsteil. Als es der Geschädigten gelang, aufzuspringen, onanierte er in ihrer Gegenwart und wies sie an, solange zu bleiben. 7 - 4 - Am 30. Juli 1981 wurde er durch das [X.] (Oder) wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass er ein elfjähri-ges Mädchen in seine Wohnung gelockt, ihm dort Alkohol zu trinken gegeben und an ihm sexuelle Handlungen, wie Küssen, Berühren und Lecken des nackten Geschlechtsteils, vorgenommen hatte. 8 Am 10. März 1986 wurde gegen den Verurteilten wegen mehrfacher Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit und sexuellen [X.] auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Mona-ten erkannt. Der Verurteilte hatte sein Geschlechtsteil vor Kindern entblößt, ein Kind hatte er dabei über der Hose an dessen Geschlechtsteil gestreichelt. 9 10 Das [X.] (Oder) erkannte gegen den Verurteilten am 4. Dezember 1989 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf eine Frei-heitsstrafe von sechs Monaten. Dem lag zugrunde, dass er das unbedeckte Geschlechtsteil seiner fünfjährigen Stieftochter berührt und erfolglos versucht hatte, seinen Finger in ihre Scheide einzuführen. 2. Das [X.] ist nunmehr sachverständig beraten zu der Über-zeugung gelangt, dass der Verurteilte aufgrund eines Hangs zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten gefährlich sei. Es bestehe eine hohe Wahr-scheinlichkeit für die Begehung solcher Taten, da nicht ersichtlich sei, dass sich die für die Delinquenz bedeutsamen Persönlichkeitseigenschaften des Verurteilten [X.] seine im sexuellen Bereich bestehende moralische Verwahrlo-sung, seine Egozentrik und sein Mangel an Empathie [X.] gewandelt hätten; eine Auseinandersetzung mit seinen Taten sei nicht erfolgt, dies sei aber Voraussetzung für den Aufbau eines Wertesystems gewesen. Auch das Alter des Verurteilten —spreche nicht gegen eine ungünstige Prognosefi. Dies lasse zwar eine Abnahme der sexuellen Spannkraft erwarten, entsprechend seiner früheren Delinquenz seien aber —Taten zu befürchten, in welchen primär die Unterwerfung des Opfers Ziel des Übergriffs ist, und nicht das [X.] - 5 - ner sexuellen Potenzfi ([X.]). Dass die vom Verurteilten ausgehende Gefahr schon bei der [X.] vom 1. Juni 1993 erkennbar gewe-sen sei, bleibe gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB unschädlich, da zum dama-ligen Zeitpunkt eine Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. 3. Das Urteil hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. 12 a) Das [X.] hat zwar zutreffend die formellen Voraussetzungen gemäß § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 2 StGB zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung angenommen. 13 14 Rechtsfehlerfrei hat es zunächst die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB aufgrund der [X.] durch das [X.] Frankfurt (Oder) vom 8. Juli 1998 bejaht. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen beur-teilt sich gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB allein nach der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung geltenden Rechtslage (vgl. [X.], 205, 207). b) Auch die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 lie-gen vor, da gegen den Verurteilten aus rechtlichen Gründen bei der [X.] vom 8. Juli 1998 keine Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte. Denn Art. 1a [X.] ließ zum damaligen Zeitpunkt die Anwendung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung im Gebiet der ehemaligen [X.] nur zu, wenn wenigstens einer der in diesem Gebiet begangenen [X.] nach dem 1. August 1995 begangen worden war (zusammenfassend [X.] [X.] Kammer [X.] Beschluss vom [X.], insoweit in [X.], 516 nicht abgedruckt; vgl. auch [X.], 205). Diese Begrenzung entfiel erst zum 29. Juli 2004 mit dem Inkrafttreten des [X.] ([X.] 1838). 15 - 6 - c) Indes begegnet die Feststellung der Gefährlichkeit des Verurteilten [X.] selbst eingedenk des nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprü-fungsmaßstabs (vgl. [X.], 40, 41) [X.] durchgreifenden [X.]. 16 Die äußerst belastende Maßregel der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nur in außergewöhnlichen, seltenen Ausnahmefäl-len gegen verurteilte Straftäter berechtigt, bei denen aufgrund ihres bisheri-gen Werdegangs ein —hohes Maß an Gewissheitfi über die Gefahr besteht, dass sie besonders schwere Straftaten begehen werden (vgl. [X.]E 109, 190, 236; [X.] [X.] Kammer [X.] [X.], 516 m.w.N.; BGHSt 50, 121, 125; 50, 373, 378; vgl. auch Gesetzentwurf der Bundesregierung zur [X.] der nachträglichen Sicherungsverwahrung, BT-Drucks. 15/2887, [X.]). Eine hohe Wahrscheinlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn (nur) überwiegende Umstände auf eine künftige Delinquenz des [X.] hindeuten ([X.]K 9, 108, 118; [X.] Kammer [X.] [X.], 516). Es bedarf vielmehr unter Ausschöpfung der Prognosemöglichkeiten einer positi-ven Entscheidung über die Gefährlichkeit des Verurteilten. 17 Hinzu kommt, dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsver-wahrung nur auf § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB gestützt werden kann. Im Hinblick darauf, dass diese Vorschrift die rechtskräftige [X.] jedenfalls tangiert ([X.] [X.] Kammer [X.] [X.], 516; [X.], 39) und ein Vertrauenstatbestand für den Ausschluss der Sicherungsverwahrung für die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten geschaffen worden war, ist die Anwendung dieser Vorschrift auf Extremfälle, das heißt Verurteilte mit höchstem Gefährdungspotenzial zu begrenzen ([X.] aaO; vgl. auch [X.], 205, 212). 18 Den damit verbundenen hohen Anforderungen an die Gefährlichkeits-prognose werden die Darlegungen des [X.] nicht gerecht. 19 - 7 - aa) So stützt das [X.] seinen Schluss, es seien von dem [X.] aufgrund seines Hangs mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche [X.] zu erwarten, im Wesentlichen auf die Darlegungen der beiden gehörten Sachverständigen. Diesen kann allerdings keine ausreichende po-sitive Bewertung zukünftiger höchster Gefährlichkeit des Verurteilten ent-nommen werden. Vielmehr sind sie darauf bezogen, keine positive Prognose zukünftigen rechtstreuen Verhaltens begründen zu können. So hat der Sach-verständige L. nach den Urteilsgründen u. a. ausgeführt, er könne keine prognostisch positiven Schlussfolgerungen auf die Ausführungen des Verurteilten gründen, dass er kein sexuelles Interesse mehr habe und zu se-xuellen Handlungen aus biologischen Gründen auch nicht mehr in der Lage sei ([X.]), und es gebe keine gegen weitere Straftaten sprechende [X.] Beurteilungsgrundlage ([X.]). Der weitere Sachverständige K. kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass von einer Nivel-lierung der Triebimpulse des Verurteilten nicht ausgegangen werden könne ([X.]). Hieran anknüpfend stellt das [X.] fest, dass eine Wand-lung der für die Taten bedeutsamen Persönlichkeitseigenschaften nicht fest-gestellt werden könne. 20 Mit diesen allein an der fehlenden Feststellbarkeit einer günstigen Kriminalprognose orientierten Erwägungen ist die erforderliche positive Ent-scheidung über eine vom Verurteilten ausgehende gegenwärtige erhebliche Gefahr schwerster Straftaten nicht nachvollziehbar belegt. 21 bb) [X.] begegnet zudem, dass das [X.] die vom Verurteilten zu erwartenden Taten nicht hinreichend deutlich konkretisiert hat, so dass für das Revisionsgericht nicht ersichtlich ist, ob es sich insoweit um besonders schwere Straftaten handelt. 22 So hat das [X.] aus dem gewichtigen Umstand, dass die Po-tenz des Verurteilten bereits abgenommen habe, Schlüsse auf die Natur der zu erwartenden Taten gezogen. Diese hat es aber unter Verweis auf seine 23 - 8 - frühere Delinquenz lediglich dahin umschrieben, dass auch in Zukunft solche Taten zu befürchten seien, in denen primäres Ziel des Übergriffs die Unter-werfung des Opfers und nicht das Ausleben einer sexuellen Potenz sei. An-gesichts dieser nur vagen Umschreibung der erwarteten Taten ist nicht er-kennbar, ob es sich um erhebliche Straftaten handelt, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Der Hinweis auf frühere Delinquenz vermag diese Unbestimmtheit angesichts der großen Bandbreite der begangenen Taten [X.] von Exhibitionismus bis zu Vergewaltigung [X.] nicht zu ersetzen. In solchen Konstellationen ist es erforderlich, spezifisch zur Wahrscheinlichkeit gerade der gesetzlich einzig bedeutsamen schweren De-likte Stellung zu nehmen ([X.] [X.] Kammer [X.] [X.], 516). Dies un-terlässt das Urteil. 24 4. Die Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Siche-rungsverwahrung hat daher ein neues Tatgericht umfassend neu zu prüfen. Es wird die mögliche Verringerung der Gefährlichkeit des Verurteilten durch alters- und krankheitsbedingte Veränderungen erneut in den Blick zu [X.] haben. [X.] Raum Brause Schneider Dölp

Meta

5 StR 21/09

25.03.2009

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.03.2009, Az. 5 StR 21/09 (REWIS RS 2009, 4310)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 4310

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.