Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.06.2018, Az. 4 StR 646/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7612

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Gegenstand

Betrug durch Unterlassen: Pflicht des Kindes zur Anzeige des Todes des Versorgungsberechtigten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Juli 2017 wird

a) der [X.], soweit er sich auf Zahlungen des [X.] des [X.] für die Monate Dezember 2007 bis einschließlich April 2009 bezieht, von der Strafverfolgung ausgenommen; die insoweit entstandenen Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse;

b) das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin abgeändert, dass die Einziehung eines Betrages von 187.765,06 € angeordnet wird.

2. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen; insoweit trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges unter Einbeziehung dreier Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung eines Betrages in Höhe von 247.089,25 € angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner allgemein auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Beschränkung der Strafverfolgung und damit einhergehend zu einer Änderung der Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. a) Nach den Feststellungen des [X.]s lebte der erwerbslose Angeklagte ab August 2007 mit seinem Vater, der Beamter im Ruhestand war und monatliche Ruhegehaltszahlungen sowie [X.] vom [X.] des [X.] ([X.]) bezog, in einer gemeinsamen Wohnung in [X.]. Ruhegehalt und [X.] wurden auf ein im Jahr 2006 eingerichtetes Konto eingezahlt, für das sowohl der Angeklagte als auch sein Vater verfügungsberechtigt waren.

3

Nach dem Tod seines [X.] am 4. November 2007 entschied sich der Angeklagte, das [X.] hierüber in Unkenntnis zu lassen. Er wollte für möglichst lange [X.] Ruhegehalt und [X.] seines [X.] beziehen und für seinen eigenen Lebensunterhalt verwenden. Das [X.] erlangte in der Folgezeit keine Kenntnis vom Tod des [X.] des Angeklagten und zahlte für die [X.] von Dezember 2007 bis einschließlich Januar 2015 monatlich Ruhegehalt und [X.] auf das genannte Konto aus, insgesamt 313.506,87 €.

4

Mit zwei an den Vater des Angeklagten adressierten Schreiben vom 6. März 2009 und vom 12. März 2010 mahnte das [X.] jeweils die Übersendung einer Steuerkarte an. Der Angeklagte, der verhindern wollte, dass das [X.] vom Tode seines [X.] erfuhr, beantwortete die Schreiben unter dem 25. März 2009 und unter dem 24. März 2010, wobei er, insbesondere durch die Imitation der Unterschrift seines [X.], den Eindruck erweckte, dieser habe die Schreiben verfasst. Er erklärte unter anderem, keine Lohnsteuererklärung mehr abgeben zu wollen und eine Mehrbesteuerung in Kauf zu nehmen.

5

Wie von dem Angeklagten beabsichtigt, ging das [X.] aufgrund der Schreiben davon aus, dass der Vater des Angeklagten weiterhin lebe. Erst Ende 2014 fiel bei einer behördeninternen Prüfung auf, dass seit Ende 2007 kein [X.] mehr gestellt worden war; durch eine daraufhin veranlasste Anfrage beim zuständigen Einwohnermeldeamt erlangte das [X.] Kenntnis vom Tod des [X.] des Angeklagten. Mit Wirkung ab Februar 2015 stellte es die Zahlungen ein.

6

b) Das [X.] hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betruges durch Unterlassen angenommen. Aus dem in § 64 Abs. 4 L[X.] [X.] [X.]. § 118 Abs. 4 [X.] geregelten Erstattungsanspruch habe sich „analog § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I“ eine strafrechtliche Garantenpflicht des Angeklagten ergeben, das [X.] über den Tod seines [X.] zu informieren. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift sei gerechtfertigt, da anderenfalls ein unberechtigter Empfänger von beamtenrechtlichen Ruhegehaltszahlungen günstiger gestellt werde als ein unberechtigter Empfänger von Rentenleistungen.

7

2. Der Senat nimmt aus verfahrensökonomischen Gründen den Betrugsvorwurf mit Zustimmung des [X.] gemäß § 154a Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung aus, soweit er sich auf Zahlungen des [X.] für den [X.]raum von Dezember 2007 bis einschließlich April 2009 bezieht. Die Verfahrensbeschränkung hat zugleich die aus der [X.] ersichtliche Änderung des [X.] über die Einziehung des Wertes von Taterträgen zur Folge.

8

3. In dem nach der Verfahrensbeschränkung verbleibenden Umfang hält die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges sachlich-rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

9

a) Soweit das [X.] auf eine Täuschung durch Unterlassen abgestellt hat, begegnet dies allerdings rechtlichen Bedenken, da eine strafrechtliche Garantenpflicht (§ 13 StGB) des Angeklagten, aufgrund derer er das [X.] über den Tod seines [X.] hätte informieren müssen, nicht bestand.

aa) Soweit das [X.] zur Begründung einer gesetzlichen Garantenstellung auf die Vorschrift des § 64 Abs. 4 L[X.] [X.] [X.]. § 118 Abs. 4 [X.] und eine damit verknüpfte analoge Anwendung von § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I abgestellt hat, geht dies bereits im Ansatz fehl, da § 64 L[X.] [X.] erst mit dem Dienstrechtsmodernisierungsgesetz für das [X.] vom 14. Juni 2016 (GV. [X.]. 2016, [X.]) eingeführt worden und erst zum 1. Juli 2016 - mithin geraume [X.] nach Beendigung des Tatzeitraums - in [X.] getreten ist.

bb) Eine strafrechtliche Garantenpflicht bestand aber auch nicht aufgrund der zur Tatzeit geltenden Vorschriften.

(1) Zu Beginn des Tatzeitraums galt für Beamte des [X.] gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG weiterhin das Beamtenversorgungsgesetz des [X.], da der Landesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz, die durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 ([X.], S. 2034, 2035) auf ihn übergegangen war, noch keinen Gebrauch gemacht hatte.

Zwar enthielt das Beamtenversorgungsgesetz des [X.] in seiner zu Beginn des Tatzeitraums geltenden Fassung in § 52 Abs. 5 eine Erstattungspflicht desjenigen, der dem Versorgungsberechtigten zustehende Geldleistungen nach dessen Tod in Empfang genommen hatte. Eine neben diese Erstattungspflicht tretende Mitteilungspflicht sah das [X.] - auch in späteren Gesetzesfassungen - jedoch nicht vor.

(2) Eine strafrechtliche Garantenpflicht folgt auch nicht aus einer analogen Anwendung der sozialrechtlichen Vorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I.

Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung für eine Analogie. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 62 [X.] spezifische Regelungen dazu getroffen, bei welcher Änderung versorgungsrelevanter Umstände eine Anzeigepflicht des Beamten besteht. Zudem enthält § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] auch Anzeigepflichten des verwitweten Ehepartners des Beamten. Da schließlich § 52 Abs. 5 [X.] nur eine Erstattungspflicht für zu Unrecht nach dem Tod des Versorgungsberechtigten erbrachte Leistungen, indes keine diesbezügliche Anzeigepflicht vorsah, mithin dem Gesetzgeber die vorliegend in Rede stehende Fallgestaltung vor Augen stand, kann nicht davon ausgegangen werden, dass insoweit die Regelung einer Anzeigepflicht für andere Personen als den Beamten selbst und den verwitweten Ehepartner des Beamten planwidrig unterblieben ist.

Aus dem durch das Gesetz zur Neuordnung und Modernisierung des [X.]rechts vom 5. Februar 2009 ([X.], [X.]) in § 52 Abs. 4 [X.] eingeführten Verweis auf § 118 Abs. 4 [X.] - diese Vorschrift regelt eine Erstattungspflicht für zu Unrecht erbrachte Rentenleistungen nach dem Tod des Berechtigten - ergibt sich nichts anderes. Durch diese dynamische Verweisung sollte lediglich eine Anpassung an die rentenrechtliche Regelung erfolgen und eine fortlaufende Neuregelung des Erstattungsanspruches im Beamtenversorgungsgesetz entbehrlich werden (vgl. BT-Drucks. 16/7076, [X.]). Dass durch den Verweis auf das Sozialgesetzbuch weitergehende Verpflichtungen - insbesondere weitere Mitteilungspflichten - geschaffen werden sollten, ist nicht ersichtlich; denn ein Verweis auf § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I ist gerade nicht erfolgt.

Es bedarf daher vorliegend keiner Entscheidung, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich aus der sozialrechtlichen Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I überhaupt eine strafrechtliche Garantenpflicht ergeben kann (vgl. zum Streitstand bezüglich nach dem Tod des Berechtigten fortgezahlter Rentenleistungen [X.], Beschluss vom 14. August 2017 - 1 OLG 2 Ss 37/17, juris; [X.], [X.], 520 ff.; jeweils mwN).

b) Die Feststellungen tragen jedoch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges durch eine aktive Täuschungshandlung. Durch das von ihm verfasste Schreiben vom 25. März 2009 erweckte der Angeklagte gegenüber dem [X.] gezielt den Eindruck, dass sein Vater noch lebe. Infolge der hierdurch hervorgerufenen Fehlvorstellung auf Seiten des [X.] wurden die monatlichen Auszahlungen nicht beendet, sondern bis einschließlich Januar 2015 weiterhin vorgenommen. Daher ist jedenfalls bezüglich der ab Ende April 2009 erfolgten Auszahlungen eine Strafbarkeit wegen Betruges gegeben.

c) Die Vorschrift des § 265 StPO steht einer Verurteilung des Angeklagten auf Grundlage einer aktiven Täuschung nicht entgegen. Es ist auszuschließen, dass sich der Angeklagte gegen den Vorwurf des Betruges durch [X.] wirksamer als geschehen hätte verteidigen können, zumal sein hierfür maßgebliches Schreiben vom 25. März 2009 - ebenso wie sein weiteres Schreiben vom 24. März 2010 - bereits im [X.] genannt ist.

d) Der Senat schließt ebenfalls aus, dass die [X.] angesichts des um 59.423,19 € - also um weniger als ein Fünftel - verringerten Schadensumfangs eine niedrigere Strafe verhängt hätte, da sie bei der Bemessung der [X.] im Rahmen des § 263 Abs. 3 StGB nicht die konkrete Schadenshöhe in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen gerückt, sondern maßgeblich darauf abgestellt hat, dass die erhebliche Schadenshöhe die Grenze für das Vorliegen eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes weit überschritten habe.

4. Da der nicht von der Verfahrensbeschränkung betroffene Teil des Urteils durch Verwerfung der Revision rechtskräftig wird, war auch die Entscheidung nach § 154a Abs. 2 StPO mit einer Kostenentscheidung zu verbinden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16, [X.], 346; vom 15. Juni 1993 - 4 StR 287/93, [X.]R StPO § 154a Kostenentscheidung 1; [X.], 7. Aufl., § 154a Rn. 12; [X.]/[X.], 26. Aufl., § 154a Rn. 27).

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

     Quentin

                          

Ri[X.] [X.] ist im Urlaub
und daher gehindert zu
unterschreiben.

        
        

Feilcke     

        

Sost-Scheible

        

Meta

4 StR 646/17

19.06.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Münster, 18. Juli 2017, Az: 9 KLs 8/17

§ 13 StGB, § 263 Abs 1 StGB, § 60 Abs 1 S 2 SGB 1, § 118 Abs 4 SGB 6, § 64 Abs 4 BeamtVG NW

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.06.2018, Az. 4 StR 646/17 (REWIS RS 2018, 7612)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7612

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Wird zitiert von

4 StR 646/17

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