Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 11.06.2010, Az. 2 BvR 3044/09

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2010, 5949

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 13 Abs 1 GG bei Wohnungsdurchsuchung ohne hinreichenden Tatverdacht - iÜ Unzulässigkeit mangels Rechtswegerschöpfung und unzureichender Substantiierung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 18. November 2009 - 2 [X.]/09 -, der Beschluss des [X.] vom 16. Oktober 2009 - 5 Gs 2163/09 - und die Durchsuchung seiner Wohnung am 7. Juli 2009 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die gerichtlichen Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Vorliegen eines Tatverdachts als Eingriffsvoraussetzung bei einer strafprozessualen Durchsuchung.

2

1. Der Beschwerdeführer war am 6. Juli 2009 Beifahrer in einem PKW, der von Polizeibeamten gegen 21.10 Uhr einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen wurde. Bei dem Fahrer wurde in der Hosentasche Haschisch aufgefunden und der daraufhin veranlasste [X.]war positiv. Bei dem Beschwerdeführer wurden keine Betäubungsmittel gefunden. Ein Urintest wurde bei ihm nicht durchgeführt. Zum Anlass ihrer Fahrt gaben beide an, dass sie einen Rasenmäher transportiert hätten. Der Beschwerdeführer wurde zur [X.]verbracht, wo er bei der Vernehmung keine weiteren Angaben machte. Den Ermittlungsbeamten war der Beschwerdeführer wegen mehrerer Verstöße gegen das [X.] bekannt. Zuletzt war er im Jahr 2006 wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden, wobei die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die Dauer der Bewährungszeit wurde bis zum 15. Januar 2010 festgesetzt.

3

2. Gegen 22.45 Uhr nahmen die Ermittlungsbeamten Kontakt mit dem Staatsanwalt auf. Dieser ordnete die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers gemäß § 102 StPO an. Der Beschwerdeführer räumte nach der Mitteilung der durch den Staatsanwalt angeordneten "Nachschau" ein, dass er Haschisch in der Wohnung aufbewahre. Die Durchsuchung wurde dann gegen 00.08 Uhr vollzogen, wobei 5,7 Gramm Haschisch aufgefunden und beschlagnahmt wurden.

4

3. Der Beschwerdeführer stellte nach Erhalt der Anklageschrift am 1. September 2009 einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung, weil kein Anfangsverdacht bestanden habe.

5

4. Der Staatsanwalt nahm am 25. September 2009 zu dem Sachverhalt Stellung. Die Ermittlungsbeamten hätten ihm mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer und der Fahrer zum Anlass der Fahrt "völlig unglaubwürdige Angaben" gemacht hätten. Das von der Polizei mitgeteilte Verhalten und die Vorstrafen des Beschwerdeführers, der [X.] beim Fahrer und die unglaubwürdige Einlassung hätten den Verdacht begründet, dass der Beschwerdeführer weiterhin mit Betäubungsmitteln zu tun habe und diese bei sich aufbewahre.

6

5. Das Amtsgericht stellte mit Beschluss vom 16. Oktober 2009 fest, dass die Durchsuchung rechtmäßig gewesen sei. Ein Tatverdacht habe vorgelegen. Bei dem Fahrer des Pkw seien Betäubungsmittel gefunden worden und ein Drogenschnelltest positiv verlaufen. Zum Anlass der Fahrt hätten der Beschwerdeführer und der Fahrer unglaubwürdige Angaben gemacht. Ferner sei der Beschwerdeführer polizeibekannt mehrmals wegen Verstößen gegen das [X.] in Erscheinung getreten. Diese Gesamtumstände hätten den Staatsanwalt zum Anordnungszeitpunkt zutreffend auf einen Anfangsverdacht schließen lassen. Ferner sei um 00.08 Uhr kein Ermittlungsrichter zu erreichen gewesen. Bei einem Abwarten bis zum Beginn des richterlichen Notdienstes gegen 06.00 Uhr hätte die Gefahr eines Beweismittelverlusts bestanden. Es sei daher von einer Gefahr im Verzug auszugehen.

7

6. Die Beschwerde wurde mit Beschluss des [X.] vom 18. November 2009 verworfen. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat seien gewesen, dass der Fahrer des PKW Betäubungsmittel mit sich geführt habe und dass diese Situation von den Fahrzeuginsassen nicht plausibel habe erklärt werden können. Ferner sei der Beschwerdeführer zwischen 1987 und 2006 fünfmal wegen Verstößen gegen das [X.] verurteilt worden, davon zweimal wegen unerlaubten Handeltreibens. Es habe auch Gefahr im Verzug bestanden.

8

7. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des [X.] vom 7. Dezember 2009 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

9

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG durch die Durchsuchung und die Beschlagnahme.

1. Es habe kein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestanden. Der Umstand, dass bei dem Fahrer des PKW Betäubungsmittel gefunden worden seien, begründe noch keinen Anfangsverdacht auf einen Besitz von Betäubungsmitteln bei dem Beschwerdeführer. Der Bezug auf frühere Verurteilungen nähre lediglich Vermutungen, führe aber nicht zu einem konkreten Anfangsverdacht.

2. Der Richtervorbehalt sei missachtet worden. Der am [X.] eingerichtete Notdienst des [X.] ende um 21.00 Uhr und beginne um 06.00 Uhr. Damit werde die Anordnungsbefugnis des Staatsanwalts wegen Gefahr im Verzug in dieser [X.] zum Regelfall. Dies widerspreche den Anforderungen des Art. 13 Abs. 2 1. Halbsatz GG, der eine ständige Erreichbarkeit des [X.] gebiete.

Das [X.] hatte Gelegenheit zur Stellungnahme; es hat hiervon keinen Gebrauch gemacht. Dem [X.] hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft [X.] (110 Js 19182/09) vorgelegen.

Soweit der Beschwerdeführer die Beschlagnahme des Betäubungsmittels und die Nichtbeachtung des verfassungsrechtlichen [X.]aus Art. 13 Abs. 2 1. Halbsatz GG rügt, liegen die Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs. 2 [X.]) nicht vor. Hinsichtlich der Beschlagnahme ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft hat ([[X.]-2645-4207-a8c2-1142770afb12]§ 90 Abs. 2 Satz 1 [X.][/ref]). Er hätte zunächst eine Entscheidung des Amtsgerichts über die Beschlagnahme nach [[X.]-4ba8-4c8b-bc2e-d070ce1975e5]§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO[/ref] herbeiführen müssen. In dem hier vorliegenden Verfahren hat er nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung beantragt. Dementsprechend betreffen die gerichtlichen Entscheidungen nur diese Frage. Ebenfalls unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit die Nichteinhaltung des [X.] gerügt wird, weil die Begründung nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügt. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, dass er im fachgerichtlichen Verfahren diese Rüge bereits vorgetragen hat (vgl. [X.] 81, 97 <102>; 104, 65 <70 f.>; 112, 50 <60 ff.>). Dies kann auch den angegriffenen Entscheidungen nicht entnommen werden.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde im Übrigen zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b [X.]. § 93a Abs. 2 Buchst. b [X.]). Die Voraussetzungen des [ref=1ab1d10a-4c44-4cb7-b051-4506563549d4]§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.][/ref] für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 13 Abs. 1 GG hat das [X.] bereits entschieden. Die angegriffenen Beschlüsse und die Durchsuchung verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.

Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in dieses Grundrecht ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. [X.] 59, 95 <97>; 115, 166 <197 f.>; 117, 244 <262 f.>). Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (vgl. [X.]K 8, 332 <336>; 11, 88 <92>).

Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Die Annahme eines ausreichenden Tatverdachts ist von Verfassungs wegen nicht haltbar. Bei dem Beschwerdeführer selbst wurden keine Betäubungsmittel aufgefunden. Anders als bei dem Fahrer des PKW wurde auch kein Drogenschnelltest durchgeführt, der zu weiteren tatsächlichen Anhaltspunkten für den Besitz von Betäubungsmitteln hätte führen können. Auch die übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und des Fahrers zum Zweck ihrer Fahrt waren nicht derart fernliegend oder in sich widersprüchlich, dass diese als unglaubwürdig und damit als ein weiterer hinreichender Anknüpfungspunkt für einen Tatverdacht gewertet werden konnten. Die fünf Vorverurteilungen des Beschwerdeführers wegen Verstößen gegen das [X.] aus den Jahren 1987 bis 2006 waren ohne das Vorliegen weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte keinesfalls ausreichend, um einen Tatverdacht auf eine aktuelle Straftat anzunehmen. Schließlich begründet auch die Gesamtschau der aufgeführten Indizien keinen auf tatsächlichen Gründen beruhenden Tatverdacht. Daran ändert auch die Einlassung des Beschwerdeführers auf die Mitteilung der Durchsuchungsanordnung hin nichts, weil für das Vorliegen eines Tatverdachts hier auf den [X.]punkt der Anordnung abzustellen ist (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 18. September 2008 - 2 BvR 683/08 -, [X.], S. 2027 <2029>). Den Ermittlungsbehörden lag kein Hinweis darauf vor, dass der Fahrer des PKW die bei ihm aufgefundenen Betäubungsmittel von dem Beschwerdeführer erhalten hat. Auch geht aus den Ermittlungsakten nicht hervor, dass der Beschwerdeführer den Eindruck erweckt hatte, Betäubungsmittel konsumiert zu haben. Die Annahme eines Verstoßes gegen das [X.] beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen.

Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 95 Abs. 2 [X.]). Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

2 BvR 3044/09

11.06.2010

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Traunstein, 18. November 2009, Az: 2 Qs 311/09, Beschluss

Art 13 Abs 1 GG, Art 13 Abs 2 Halbs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 102 StPO, § 98 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 11.06.2010, Az. 2 BvR 3044/09 (REWIS RS 2010, 5949)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5949

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

18 Qs 49/23, 18 Qs 50/23, 18 Qs 51/23

2 BvR 2668/18

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