Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2013, Az. V ZB 85/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2867

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZB 85/12
vom

12. September 2013

in der Zurückschiebungshaftsache

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am
12. September
2013
durch die Vorsitzende [X.]in Dr.
Stresemann, den [X.] Dr.
[X.], die [X.]innen Dr.
Brückner und [X.] und
den [X.] Dr.
Kazele

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des [X.]

2.
Zivilkammer

vom 20.
April 2012 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 8.
März 2012 ihn in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden
in allen Instanzen
nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:

I.
Der
Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 8.
März 2012 von [X.] kommend nach [X.] ein. Er besaß weder einen Aufenthaltstitel noch
einen Reisepass.

1
-

3

-
Die beteiligte Behörde betrieb die Zurückschiebung des Betroffenen in die [X.] gemäß Verordnung ([X.]) Nr.
343/2003 ([X.]). Dort hatte der Betroffene zuvor einen Asylantrag gestellt. Die Verfügung über die [X.] wurde dem Betroffenen am 8.
März 2012 mitgeteilt.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht ebenfalls am 8.
März 2012 [X.] für die Dauer von längstens acht Wochen und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Am 4.
April
2012 ist der Betroffene in die [X.] zurückgeschoben worden. Mit Beschluss vom glei-chen Tage hat das Amtsgericht die Haftanordnung aufgehoben. Der Betroffene hat daraufhin im Rahmen seiner schon zuvor eingelegten Beschwerde [X.], die Rechtswidrigkeit der Zurückschiebungshaft festzustellen. Das [X.] hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbe-schwerde des Betroffenen.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung sei von Anfang an rechtmäßig gewesen und auch geblieben. Insbesondere sei ein ordnungsge-mäßer Haftantrag gestellt worden. Dieser
enthalte sämtliche Tatsachen im Sin-ne des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG und beschränke sich auch nicht auf [X.] Wendungen.
III.
Die nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz 2
FamFG ohne Zulassung statt-hafte (vgl. zur Erledigung bereits in der Beschwerdeinstanz Senat, Beschluss vom 21.
Oktober 2010

V
ZB
96/10, juris Rn.
10
f.) und nach §
71 FamFG auch im Übrigen zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet.

2
3
4
5
-

4

-
Die ursprüngliche Haftanordnung
hat
den Betroffenen bereits deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach §
417 Abs.
1 FamFG unverzichtbaren Grundlage für die Freiheitsent-ziehung fehlte.
1. Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforde-rungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen
zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3
bis 5 FamFG). Fehlt es [X.], darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (Senat, [X.] vom 14.
Juni 2012

V
ZB
28/12, juris Rn.
8 mwN). In einem Verfahren der Zurückschiebungshaft

wie hier

gilt nichts anderes, § 417 Abs. 2 Nr. 5 FamFG (Senat, Beschluss vom 14.
Juni 2012
V
ZB
28/12, aaO Rn.
9).
2. Den genannten Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht, weil darin nicht alle in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannten Punkte behandelt wurden (siehe eingehend Senat, Beschluss vom [X.] 2011

[X.], [X.] 2011,
317 f. Rn. 9).
a) Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Zurückschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene zurückge-schoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Zu-rückschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforder-lich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durch-laufen werden können (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013

[X.], 6
7
8
9
-

5

-
InfAuslR
2013, 349
Rn. 12). Auch bei den [X.] zur Sicherung einer Zurückschiebung in einen Mitgliedstaat der [X.] auf der [X.] eines Aufnahme-
oder Wiederaufnahmeersuchens nach Art. 16 ff. der [X.] bedarf es konkreter Angaben dazu, in welchem Verfahren die Zurückschiebung erfolgt und innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen in den betreffenden Mitgliedstaat üblicherweise möglich sind. Pauschale Angaben zu den Fristen für die Beantwortung des Ersuchens und für die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat reichen nicht aus (Senat, Beschluss vom 31. Janu-ar 2013

V ZB
20/12, [X.] 2013, 130 f.
Rn. 19
mwN).
In dem Haftantrag ist dazu lediglich ausgeführt, die Erfahrungswerte zu-rückliegender Fälle, mit einer Überstellung nach der [X.]-Verordnung in die [X.]
zeigten, dass eine Haft von bis zu acht Wochen für eine Zurückschie-bung notwendig sei. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass für die Einleitung eines entsprechenden Konsultationsverfahrens das Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge zuständig sei und die Zurückschiebung die Zustimmung der [X.] erfordere. Diese Ausführungen sind zu allgemein gehalten und ermöglichen weder dem Betroffenen noch dem [X.],
die [X.] nachzuvollziehen.
Die [X.]-Verordnung (Verordnung [[X.]] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, [X.] L 50/1 vom 25. [X.] 2003) bestimmt Fristen von zwei Monaten, von einem Monat und von zwei Wochen, in denen ein Mitgliedstaat ein Aufnahme-
oder Wiederaufnahmeersu-chen beantworten muss, anderenfalls seine Zustimmung als erteilt gilt (Art.
18 Abs.
6, 7 und Art.
20 Abs.
1 Buchstaben b
und c [X.]). [X.] welcher Zeit geantwortet werden muss, richtet sich nach dem jeweils an-zuwendenden Verfahren. Die kürzeste Frist von zwei Wochen gilt für die auf Angaben aus dem [X.] gestützten
Wiederaufnahmeersuchen (Art.
20 Abs.
1 Buchstaben b und c
[X.]). Da ein solches [X.] hier in Betracht kam
im Haftantrag wird ein [X.]
-

6

-
wähnt
war
erläuterungsbedürftig, warum dennoch acht Wochen Haft für [X.] erachtet wurden. Aus dem Haftantrag ergibt sich aber schon nicht, in welchem Verfahren der Betroffene zurückgeschoben werden soll. Weiterhin fehlt es an der Mitteilung, welche Erfahrungen mit einer Reaktion der [X.] auf das [X.] in dem entsprechenden Verfahren bestehen. Schließlich bliebt offen, welche Erfahrungswerte über den notwendigen Zeit-raum der sich an die Zustimmung der [X.] anschließenden tatsächlichen Überstellung des Betroffen bestehen, wobei dies anhand einer -
knappen -
Dar-stellung des Ablaufs
der Überstellung zu erläutern gewesen wäre.
b) Die entsprechenden Angaben waren hier nicht deshalb entbehrlich, weil bei [X.] nach der [X.] grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Abschiebung in einen Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung wird erfolgen können. Nach §
62 Abs.
1 Satz
2 [X.] ist die Inhaftnahme des Ausländers auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Daher darf die Haft von [X.] nur für den Zeitraum [X.] werden, der für die Durchführung der zur Zurück-
oder Abschiebung notwendigen Maßnahmen unverzichtbar ist. Einer dies darlegenden [X.] bedarf es mithin auch dann, wenn die Behörde -
wie hier -
eine Haftdauer von weniger als drei Monaten beantragt (Senat, Beschluss vom 31.
Januar 2013
V
ZB 20/12, [X.]
2013, 130
f. Rn.
15 mwN).
3.
Dass der
Betroffene tatsächlich kurzfristig
in die [X.] zurückge-schoben worden ist, ändert an der Unzulässigkeit des [X.] nichts. Zwar kann im Falle einer fehlenden Prognose des [X.] im Sinne von §
62 Abs.
3
Satz
4 [X.] aus den späteren Abläufen
auf den mutmaßlichen In-halt einer gebotenen, aber unterlassenen Prognose geschlossen werden, mit der Folge, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auswirkt. Das gilt aber nicht für den Fall eines unzulässigen Antrags; dieser wird durch den späteren Ge-11
12
-

7

-
schehensablauf nicht zulässig (Senat, Beschlüsse vom 26.
Januar 2012

V
ZB 234 und 235/11, juris
jeweils Rn.
10).
4.
Damit hätte das Amtsgericht die Haft nicht anordnen dürfen. Dass die Behörde während des Beschwerdeverfahrens die Zustimmung der [X.] zur Wiederaufnahme vorgelegt hat, hätte den Mangel des [X.] allenfalls mit Wirkung für die Zukunft heilen können und ist daher für die Beurteilung der [X.] des Amtsgerichts ohne Bedeutung.
5. Ob -
worauf die Rechtsbeschwerde ihre Angriffe gegen die Entschei-dung des [X.] stützt

ein Verstoß gegen das Trennungsgebot des § 62a Abs. 1 [X.] vorliegt, bedarf nach dem Vorstehenden keiner Ent-scheidung.
13
14
-

8

-
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
81 Abs.
1, §
83 Abs.
2, §
430
FamFG, Art.
5 EMRK analog, §
128c Abs.
3 Satz
2 [X.], die Festsetzung des [X.] aus §
128c Abs.
2 [X.], §
30 Abs.
2 [X.].

Stresemann

[X.]

Brückner

[X.]

Kazele

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.03.2012 -
1 [X.]/12 -

LG [X.], Entscheidung vom 20.04.2012 -
2 T 56/12 -

15

Meta

V ZB 85/12

12.09.2013

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2013, Az. V ZB 85/12 (REWIS RS 2013, 2867)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2867

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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