Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2013, Az. 8 AZR 471/12

8. Senat | REWIS RS 2013, 4837

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Gegenstand

Schadensersatz - Asbestbelastung - vorsätzliche Schädigung


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15. März 2012 - 3 Sa 313/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

[X.]ie Parteien streiten darüber, ob die beklagte [X.]tadt (im Folgenden: Beklagte) verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen [X.]äden zu ersetzen, die er aufgrund an asbestfaserhaltigen Bauteilen durchgeführter [X.]rbeiten erleiden sollte.

2

[X.]er Kläger ist seit 1992 bei der [X.] als [X.]ngestellter tätig. Von 1994 bis Mai 1995 war er bei dem [X.]ozialamt der [X.] in der [X.]bteilung Obdachlosenhilfe beschäftigt und als Betreuer für [X.]sylbewerber, [X.]sylanten und Flüchtlinge im [X.]sylbewerberheim [X.] in [X.] eingesetzt. [X.]ieses Gebäude war bis Januar 1990 als Kindereinrichtung genutzt worden. Zum 1. Februar 1990 war diese Nutzung wegen der möglichen Freisetzung von [X.]sbestfasern in einer die Gesundheit gefährdenden Konzentration eingestellt worden. [X.]ie [X.]sbestkontamination der Innenwände des Gebäudes infolge der Verwendung des Baustoffes [X.] war dem Bürgermeister der [X.] aufgrund eines [X.]reibens des [X.] vom 11. November 1991 bekannt.

3

[X.]ie Beklagte beabsichtigte, [X.]nfang des Jahres 1995 das Gebäude des [X.]sylbewerberheims grundlegend zu sanieren. [X.]er Kläger führte mit drei weiteren [X.]ngestellten der [X.], drei Zivildienstleistenden sowie zwölf bis 15 [X.]sylbewerbern auf Weisung des [X.]bteilungsleiters des [X.] sowie des [X.] in der [X.] vom 1. Februar bis zum 5. Mai 1995 dort folgende [X.]anierungsarbeiten durch:

        

-       

[X.]emontage der Rippenheizkörper,

        

-       

[X.]bspachteln der aufgeblühten Wandoberflächen,

        

-       

Entfernen vorhandener Tapetenreste,

        

-       

[X.]ufbringen der Klebemasse,

        

-       

[X.]nbringen von Gipskartonplatten auf den Wänden,

        

-       

Verspachteln der Fugen zum [X.]ufbringen eines Farbanstrichs.

4

Insgesamt leisteten die eingesetzten Personen etwa 800 [X.]rbeitsstunden. Eine besondere [X.]ufklärung über die [X.]rt und Weise der durchzuführenden Tätigkeiten sowie die [X.]nweisung zum Tragen von [X.]utzbekleidung und [X.]temschutzgeräten erfolgte nicht.

5

[X.]nfang Mai 1995 wies ein Mitarbeiter eines Bauunternehmens, der Folgearbeiten abstimmen sollte, den Kläger darauf hin, dass bei den [X.]anierungsarbeiten [X.] freigesetzt werde und derartige [X.]rbeiten nur von spezialisierten Unternehmen ausgeführt werden dürften. [X.]er Kläger leitete diese Information an den zuständigen [X.]bteilungsleiter [X.] weiter. [X.]ieser erklärte, das Vorhandensein asbesthaltigen Materials sei allgemein bekannt und drängte auf die Fortsetzung der [X.]rbeiten.

6

Einer der beteiligten Zivildienstleistenden schaltete daraufhin das staatliche Gewerbeaufsichtsamt [X.] ein. [X.]ieses stellte fest, dass durch das [X.]bkratzen und [X.]bschaben der verbauten [X.]verkleidungen eine extreme Exposition von [X.]sbestfasern aus dem lockeren Faserverband bewirkt worden sei. Materialproben der [X.]platten ergaben einen Fasergehalt von bis zu 40 % Chrysotilasbest. [X.]as Gewerbeaufsichtsamt verfügte am 5. Mai 1995 die sofortige Einstellung der [X.]rbeiten und die Versiegelung des Gebäudes.

7

[X.]nlässlich einer Erkrankung des [X.] im Jahre 2006 vermutete der behandelnde [X.]rzt das Vorhandensein von Krebserregern als [X.]uslöser. [X.]ieser Verdacht, der sich letztlich nicht bestätigte, veranlasste den Kläger, sich näher mit der Problematik auseinanderzusetzen, ob die damaligen [X.]anierungsarbeiten, während derer er [X.]sbestfasern eingeatmet hatte, für ihn das Risiko einer Krebserkrankung erhöht haben oder in Zukunft zum [X.]usbruch einer Krebserkrankung führen könnten.

8

Mit [X.]nwaltsschreiben vom 6. [X.]eptember 2006 ließ der Kläger die Beklagte auffordern, ihre uneingeschränkte [X.]adensersatzpflicht dem Grunde nach für alle materiellen und immateriellen [X.]äden, die ihm aufgrund der in der [X.] vom 1. Februar bis 5. Mai 1995 geleisteten [X.]anierungsarbeiten im [X.]sylbewerberheim entstanden sind und noch entstehen werden, anzuerkennen. [X.]ie Beklagte lehnte eine Haftung unter Hinweis auf den Haftungsausschluss nach § 104 [X.]bs. 1 [X.]GB VII mit [X.]reiben vom 20. [X.]ezember 2006 ab.

9

[X.]er Kläger hat die [X.]nsicht vertreten, dass er bereits jetzt mit einer Feststellungsklage die Verpflichtung der [X.] zur Zahlung eines [X.]adensersatzes grundsätzlich feststellen lassen könne.

Weiter meint er, der [X.] sei der Vorwurf vorsätzlichen Handelns zu machen. [X.]ie Kenntnis der [X.] über die gesundheitsschädigende Wirkung des asbestfaserhaltigen Materials gehe zum einen aus dem [X.]reiben des [X.] vom 11. November 1991 und zum anderen aus den vom [X.]usschuss für Gefahrstoffe bereits 1994 beschlossenen Technischen Regeln für Gefahrstoffe ([X.] 519) hervor. [X.]ein direkter Vorgesetzter, der [X.]bteilungsleiter [X.], habe sogar, nachdem der Kläger ihn über die [X.]ussage des Mitarbeiters der Baufirma [X.] informiert hatte, erklärt, dass das Vorhandensein asbesthaltigen Materials allgemein bekannt sei, und auf die Fortführung der [X.]rbeiten gedrängt. [X.]ieses Verhalten seines Vorgesetzten müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.

[X.]er Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen [X.]äden, welche er aufgrund der nach Weisung der [X.] im [X.]raum vom 1. Februar bis 5. Mai 1995 an asbestfaserhaltigen Bauteilen im damaligen [X.]sylbewerberheim in [X.], [X.], ausgeführten [X.]rbeiten erleidet, unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 100 % zu ersetzen, soweit die [X.]nsprüche nicht auf [X.]ozialversicherungsträger oder sonstige [X.]ritte übergehen.

[X.]ie Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

[X.]ie hat gemeint, es fehle bereits an einem Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag. [X.]em Kläger sei es auch nicht gelungen, die haftungsbegründende Kausalität für einen eventuellen [X.]aden aufzuzeigen.

[X.]ie Beklagte bestreitet ferner, dass die die [X.]rbeiten im [X.]sylbewerberheim anordnenden Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt haben. Es habe niemand den Eintritt eines Gesundheitsschadens billigend in Kauf genommen. [X.]aher stünde einem [X.]adensersatzanspruch des [X.] auch der Haftungsausschluss des § 636 [X.]bs. 1 [X.]atz 1 RVO entgegen. [X.]ie Mitarbeiter [X.] und [X.] hätten gerade darauf vertraut, dass kein Gesundheitsschaden bei dem Kläger eintreten werde. [X.]ie [X.]nnahme eines bedingten Vorsatzes sei lebensfremd.

[X.]as [X.]rbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. [X.]ie Berufung des [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. [X.]uf die Revision des [X.] hat das [X.] mit Urteil vom 28. [X.]pril 2011 (- 8 [X.]ZR 769/09 - [X.]P [X.]GB VII § 104 Nr. 6 = Ez[X.] RVO § 636 Nr. 14) das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die [X.]ache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Nach erneuter Verhandlung hat das [X.] dem Feststellungsantrag des [X.] stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

[X.]ie Revision der Beklagten ist unbegründet. [X.]er Kläger hat Anspruch auf die beantragte Feststellung.

A. [X.]as [X.] hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: [X.]as nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse sei zu bejahen. [X.]er Feststellungsantrag sei auch begründet. § 636 Abs. 1 RVO stehe einem Schadensersatzanspruch des [X.] nicht entgegen, da sich die Beklagte die Kenntnis des damaligen Vorgesetzten des [X.], des Abteilungsleiters S, zurechnen lassen müsse. [X.]ieser habe eine Schädigung des [X.] zumindest billigend in Kauf genommen. [X.]ies ergebe sich daraus, dass das Gebäude zum 1. Februar 1990 geschlossen worden sei, weil sowohl die Außen- als auch die Innenwände des Gebäudes mit asbesthaltigem Material verkleidet gewesen seien. [X.]ass auch der [X.] über dieses Wissen konkret verfügt habe, folge aus seiner Antwort, die er dem Kläger gegeben habe, nachdem dieser ihn darüber informiert gehabt habe, dass ihn ein Mitarbeiter der Firma [X.] darauf aufmerksam gemacht habe, an den Wänden dürfe nur mit einer besonderen Schutzausrüstung gearbeitet werden. [X.]er Abteilungsleiter habe geantwortet, das Vorhandensein asbesthaltigen Materials sei allgemein bekannt. Er habe jedoch nicht eine sofortige Einstellung der Arbeiten verfügt, sondern auf die weitere Fortsetzung derselben gedrängt. [X.]er Abteilungsleiter habe nach alledem so leichtfertig gehandelt, dass er eine mögliche Gesundheitsverletzung der mit den Sanierungsarbeiten Beschäftigten, darunter auch des [X.], in Kauf genommen haben müsse. Es habe auch keiner fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse bedurft, um die von den Sanierungsarbeiten ausgehende Gefahr zu erkennen. Allein das Wissen, dass die ehemals in dem Gebäude betriebene Kindereinrichtung wegen der [X.] geschlossen werden musste und die Sanierungsarbeiten allein von spezialisierten Fachfirmen durchgeführt werden durften, genüge, um auf die besonders große Leichtfertigkeit des Handelns des verantwortlichen Abteilungsleiters zu schließen.

B. [X.]as Urteil des [X.]s hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. [X.]ie Feststellungsklage ist zulässig. [X.]as besondere Feststellungsinteresse ist nach § 256 Abs. 1 ZPO gegeben. [X.]ies hat der [X.] in der vorliegenden Streitsache bereits entschieden ([X.] 28. April 2011 - 8 [X.] 769/09 - Rn. 24 ff., [X.] § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14).

II. [X.]ie Feststellungsklage ist auch begründet.

1. [X.]ie Beklagte haftet dem Kläger grundsätzlich für solche Schäden, die dieser aufgrund der Arbeiten vom 1. Februar bis 5. Mai 1995 an asbestfaserhaltigen Bauteilen im damaligen Asylbewerberheim der Beklagten erleidet. [X.]er [X.] hat im vorliegenden Rechtsstreit entschieden, dass eine Haftung der Beklagten (nur noch) von der Frage abhängt, ob eine Herbeiführung eines möglichen Arbeitsunfalls in Form einer Gesundheitsschädigung durch den Abteilungsleiter des [X.], S, vorsätzlich erfolgt ist. Zur diesbezüglichen Feststellung hat er den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen ([X.] 28. April 2011 - 8 [X.] 769/09 - Rn. 31 ff., [X.] § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14).

2. [X.]er [X.] handelte mit Vorsatz in Bezug auf die Pflichtverletzung und in Bezug auf eine in Zukunft möglicherweise noch auftretende Gesundheitsschädigung des [X.].

a) [X.]as Eingreifen des [X.] nach § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO in der bis 31. [X.]ezember 1996 geltenden Fassung erfordert einen „doppelten“ Vorsatz. [X.]er Vorsatz des Handelnden muss sich zum einen auf die Verletzungshandlung beziehen. Zum anderen muss der Vorsatz aber auch den [X.] umfassen. Allein der Verstoß gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls iSd. § 636 Abs. 1 RVO. Es verbietet sich, die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge mit einem gewollten Arbeitsunfall oder einer gewollten Berufskrankheit gleichzusetzen (vgl. [X.] 28. April 2011 - 8 [X.] 769/09 - Rn. 50, [X.] § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14).

Vorsatz enthält ein „Wissens“- und ein „Wollenselement“. [X.]er Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben ([X.] 20. [X.]ezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 10). [X.]ie Annahme eines bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. [X.]ie objektive Erkennbarkeit der Tatumstände reicht nicht aus (vgl. [X.] 20. [X.]ezember 2011 - VI ZR 309/10 - aaO). Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn der Handelnde darauf vertraut, der Schaden werde nicht eintreten ([X.]/[X.] 72. Aufl. § 276 Rn. 10).

b) [X.]as Verschulden und die einzelnen Arten des Verschuldens, insbesondere auch der Begriff der Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe. [X.]ie Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. [X.]as Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt sowie [X.]enkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. [X.] 15. September 2011 - 8 [X.] 846/09 - Rn. 43, [X.] § 280 Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Krankenhausarzt Nr. 4). Eine Aufhebung des Berufungsurteils durch das Revisionsgericht darf nur erfolgen, wenn eine Überschreitung des [X.] durch den Tatsachenrichter festzustellen ist ([X.] 19. Februar 2009 - 8 [X.] 188/08 - Rn. 48, [X.] § 105 Nr. 4 = EzA SGB VII § 105 Nr. 5). [X.]agegen genügt es für die Aufhebung eines landesarbeitsgerichtlichen Urteils nicht, wenn im Streitfall auch eine andere Beurteilung als die des [X.]s möglich wäre und das Revisionsgericht, hätte es die Beurteilung des [X.] selbst vorzunehmen, zu dem Ergebnis gekommen wäre, es liege ein anderer Verschuldensgrad als der vom Berufungsgericht angenommene vor ([X.] 15. September 2011 - 8 [X.] 846/09 - aaO).

c) Nach diesen Grundsätzen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht angenommen hat, dem Vorgesetzten des [X.], S, sei der Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens zu machen, weil er es billigend in Kauf genommen habe, dass neben den übrigen Betroffenen der Kläger infolge der angewiesenen Sanierungsarbeiten eine durch Asbest bewirkte Gesundheitsschädigung erfährt.

[X.]as [X.] hat dies damit begründet, es sei der Leitungsebene der Beklagten und dem [X.] bekannt gewesen, dass das fragliche Gebäude, welches früher als Kindereinrichtung gedient hatte, deshalb zum 1. Februar 1990 geschlossen wurde, weil sich herausgestellt hatte, dass die Innenwände mit asbesthaltigem Material verkleidet waren und von Asbest eine Gesundheitsgefährdung für die sich in dem Gebäude aufhaltenden Personen ausging. Auf Vorhalt des [X.] Anfang Mai 1995, dass derartige Arbeiten nur von einer Fachfirma ausgeführt werden dürften, habe der Abteilungsleiter geantwortet, dass das Vorhandensein asbesthaltigen Materials allgemein bekannt sei, und auf die weitere Fortsetzung der Arbeiten gedrängt. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das [X.] nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine Tatsache, wozu auch innere Tatsachen gehören, als wahr oder unwahr erachtet. [X.] ist nur zu prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen [X.]enkgesetze verstößt (vgl. [X.] 20. [X.]ezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 13). Im vorliegenden Fall ist ein Fehler des Berufungsgerichts nicht zu erkennen. [X.]ies gilt vor allem auch deshalb, weil diese vom [X.] seiner Entscheidung zugrundegelegten Tatsachen im Wesentlichen unstreitig sind.

Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, gibt es nicht. Zwar hat der [X.] entschieden, dass ein Arbeitgeber trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen wird, es werde kein Unfall eintreten (vgl. [X.] 19. Februar 2009 - 8 [X.] 188/08 - Rn. 50, [X.] § 105 Nr. 4 = EzA SGB VII § 105 Nr. 5). [X.]iese Ausführungen sind einer Verallgemeinerung im Sinne eines Erfahrungssatzes auf tatsächlichem Gebiet allerdings nicht zugänglich. Stets kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an.

Es kann naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (vgl. [X.] 20. [X.]ezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 11). [X.]avon ist das [X.] im Ergebnis ausgegangen, indem es entscheidend auf die Tatsache abgestellt hat, dass der Abteilungsleiter den Kläger mit der Sanierung der Räume in der oberen Etage des [X.] beauftragt hat, obwohl die gesundheitsschädliche und krebserzeugende Wirkung, die durch das Einatmen von [X.] hervorgerufen werden kann, bereits seit 1995 bekannt war.

[X.]ass das Berufungsgericht aufgrund dieser Tatsache und dem [X.]rängen des Abteilungsleiters auf Fortsetzung der Sanierungsarbeiten, nachdem er durch den Kläger auf die [X.]en hingewiesen worden war, angenommen hat, der Abteilungsleiter habe eine mögliche Gesundheitsschädigung des [X.] billigend in Kauf genommen, lässt eine Überschreitung des dem [X.] zustehenden Beurteilungsspielraumes nicht erkennen und ist revisionsrechtlich daher nicht zu beanstanden.

C. [X.]ie Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Andreas Henninger    

        

    Umfug    

                 

Meta

8 AZR 471/12

20.06.2013

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Dessau-Roßlau, 1. Juli 2008, Az: 6 Ca 236/07, Urteil

§ 636 Abs 1 S 1 RVO vom 18.08.1980, § 256 Abs 1 ZPO, § 286 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2013, Az. 8 AZR 471/12 (REWIS RS 2013, 4837)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4837

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Referenzen
Wird zitiert von

11 Sa 233/22

5 Sa 298/17

7 Sa 231/16

7 Ca 3099/17

7 Ca 3743/17

9 Sa 151/15

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