Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.07.2012, Az. VII R 29/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 4275

STEUERRECHT INSOLVENZ BUNDESFINANZHOF (BFH)

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Gegenstand

(Keine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen, wenn aufgrund eines erst während des Insolvenzverfahrens eingetretenen Tatbestandes Umsatzsteuer zu berichtigen ist - Maßgeblichkeit der Verwirklichung des materiell-rechtlichen Berichtigungstatbestands des § 17 Abs. 2 UStG - Änderung der Rechtsprechung)


Leitsatz

Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist entscheidend, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird. Nicht entscheidend ist, wann die zu berichtigende Steuerforderung begründet worden ist (Änderung der Rechtsprechung) .

Ohne Bedeutung ist --ebenso wie der Zeitpunkt der Abgabe einer Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheids, in dem der Berichtigungsfall erfasst wird--, ob der Voranmeldungszeitraum oder Besteuerungszeitraum erst während des Insolvenzverfahrens abläuft .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der H-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) am 21. Februar 2002 eröffneten Insolvenzverfahren. Die Eröffnung des Verfahrens war von der Schuldnerin am 6. November 2001 beantragt worden.

2

Vom Kläger 2006 wegen angeblich uneinbringlich gewordener Forderungen aus einer Reihe von Ausgangsrechnungen vorgenommene Berichtigungen der Umsatzsteuer 2002 und 2003 führten zu [X.]. Der Kläger hat dazu erklärt, die Berichtigung der betreffenden Anmeldungen habe zu einer Verminderung der Zahllast in den beiden Jahren um die in dem Urteil des Finanzgerichts ([X.]) angeführten Beträge geführt, die deshalb zu erstatten seien.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) hat gegen diese Beträge indes die Aufrechnung mit seinen unbefriedigten Umsatzsteuerforderungen März, April und September 2001 erklärt und hierüber aufgrund des Widerspruchs des [X.] den angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 17. Oktober 2006 erlassen. Aufgrund einer späteren Berichtigungserklärung des [X.] für 2002 ist ein weiteres Vergütungsguthaben von rund ... € entstanden, welches das [X.] mit weiterhin rückständiger Umsatzsteuer März 2001 verrechnet hat. Hierüber ist der Abrechnungsbescheid vom 13. Februar 2007 ergangen.

4

Nach erfolglosem Einspruch gegen die beiden [X.] ist Klage erhoben worden, mit der sich der Kläger auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) beruft, dass eine Umsatzsteuerforderung erst dann entstanden sei, wenn der volle steuerrechtliche Tatbestand verwirklicht worden ist (Hinweis auf die Urteile vom 29. Januar 2009 V R 64/07, [X.]E 224, 24, [X.], 682; vom 30. April 2009 V R 1/06, [X.]E 226, 130, [X.], 138, sowie vom 9. Dezember 2010 V R 22/10, [X.]E 232, 301, [X.], 996). Das sei hier erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Fall gewesen, so dass der Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) entgegenstehe.

5

Abgesehen davon verstoße der Abrechnungsbescheid vom 17. Oktober 2006 gegen das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Der Kläger bezieht sich dabei auf einen nach seiner Darstellung und den Ausführungen im Urteil des [X.] verrechneten Umsatzsteuerbetrag November 2001; dieser sei erst nach Stellung des Insolvenzantrags entstanden (Hinweis auf das Urteil des [X.] --[X.]-- vom 22. Oktober 2009 IX ZR 147/06, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 2010, 90, und die Urteile des Senats vom 2. November 2010 [X.] R 62/10, [X.]E 232, 290, [X.], 439 und [X.] R 6/10, [X.]E 231, 488, [X.], 374).

6

Die Klage ist ohne Erfolg geblieben ([X.]-Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1593).

7

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom [X.] zugelassene Revision des [X.], der zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] im Wesentlichen vorträgt, der Senat habe seit seinen Entscheidungen vom 21. September 1993 [X.] R 119/91 ([X.]E 172, 308, [X.] 1994, 83) und [X.] ([X.]/NV 1994, 521) den Begriff des Begründetseins i.S. des § 38 [X.] in ständiger Rechtsprechung als gleichbedeutend mit dem Begriff des Schuldigwerdens i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] betrachtet. Von dieser Rechtsprechung sei der [X.] des [X.] in seiner neueren Rechtsprechung (Hinweis auf die Urteile in [X.]E 224, 24, [X.], 682, und in [X.]E 226, 130, [X.], 138) eindeutig abgewichen, wenn er nun für das Begründetsein einer Forderung i.S. des § 38 [X.] die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestands fordere. An dieser Abweichung ändere es nichts, dass der [X.] zum Festsetzungs-, der [X.]. Senat hingegen zum Erhebungsverfahren entscheide; denn beide stellten in ihrer Rechtsprechung auf § 38 [X.] ab.

8

Nach dieser neuen Rechtsprechung seien die angefochtenen [X.] rechtswidrig, da die vollständige Tatbestandsverwirklichung hinsichtlich der aufgerechneten Erstattungsforderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sei.

9

Hinsichtlich des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] hebt die Revision hervor, die Entscheidung des [X.] stehe in Widerspruch zu der Rechtsprechung des [X.] und des [X.]. Senats des [X.]. Der für die Anwendung vorgenannter Vorschrift erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der angefochtenen Rechtshandlung und der Beeinträchtigung des Gläubigerzugriffs auf die Masse sei schon dann gegeben, wenn die Rechtshandlung für die Gläubigerbenachteiligung kausal sei, ohne dass es darauf ankomme, wann die Gegenforderung entstehe. Im Übrigen treffe die Annahme des [X.], bei einer "Gesamtbetrachtung" hätten die Rechtshandlungen der Schuldnerin zu einer Vermögensmehrung geführt, nach der neueren Rechtsprechung des [X.]s des [X.] nicht zu. Denn danach führe z.B. eine im November 2001 erbrachte Leistung zunächst zu einer Umsatzsteuerschuld November 2001, wenn das Entgelt aber erst im März 2002 zur Insolvenzmasse gezogen werden könne, zu einer Umsatzsteuerschuld März 2002. Die durch die Insolvenzeröffnung ausgelöste Notwendigkeit einer Berichtigung nach § 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) spiele selbst bei einer Gesamtbetrachtung insofern keine Rolle, da ein etwaiges Guthaben --welches aufgrund des § 16 Abs. 2 UStG ohnehin unwahrscheinlich [X.] aufrechenbar wäre, so dass die Umsatzsteuer immer die Schuldenmasse erhöhe.

Das [X.] hält eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des [X.]s des [X.] nicht für gegeben und teilt die Auffassung, dass eine Leistungserbringung keine anfechtbare Rechtshandlung i.S. des § 129 [X.] sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet (§ 118 Abs. 1, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der vom [X.] erklärten Aufrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] entgegen.

1. § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.], der Vorrang vor § 96 Abs. 1 [X.] beansprucht, gestattet die Aufrechnung während des Insolvenzverfahrens einem Insolvenzgläubiger, der gegen den Insolvenzschuldner eine vor Verfahrenseröffnung begründete Forderung besitzt, bei welcher eine Bedingung erst während des Insolvenzverfahrens eintritt. Dass ein Anspruch in diesem Sinne bedingt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, nimmt die bereits zur Konkursordnung entwickelte Rechtsprechung des [X.] an, wenn für das Entstehen der Forderung zwar noch eine vertragliche Bedingung oder eine gesetzliche Voraussetzung hinzutreten muss, also "ein Element der rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs noch nicht erfüllt ist", die Forderung jedoch "in ihrem rechtlichen Kern" aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist ([X.]-Urteil vom 29. Juni 2004 IX ZR 147/03, [X.]Z 160, 1). Die Vorschrift solle jedoch nur den Gläubiger schützen, dessen Anspruch gesichert ist und fällig wird, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedürfe (vgl. [X.]-Urteile vom 6. November 1989 II ZR 62/89, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1990, 1301, und vom 9. März 2000 IX ZR 355/98, [X.] Zivilrecht --NJW-RR-- 2000, 1285). Die Befugnis des Gläubigers zur Aufrechnung werde deshalb nur dann unbeschadet der Insolvenzeröffnung nicht angetastet, wenn dieser vor der Eröffnung darauf "vertrauen" durfte, dass die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf das Entstehen einer Aufrechnungslage keine Schwierigkeiten bereiten werde ([X.]-Urteil vom 14. Dezember 2006 IX ZR 194/05, [X.]Z 170, 206). Forderungen, deren Entstehen als Vollrecht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht so weitgehend gesichert war, dass mit ihrem gleichsam "automatischen" Entstehen gerechnet werden konnte, d.h. ohne dass dies von Entscheidungen oder sonstigen Willensbetätigungen des Steuerpflichtigen oder Dritter abhängig wäre, werden danach nicht erfasst (vgl. [X.]-Urteil in [X.]Z 160, 1).

2. Bei steuerlichen Erstattungs- und Vergütungsforderungen hat der erkennende [X.] bisher in Anknüpfung an diese Rechtsprechung für die insolvenzrechtliche Begründung eines Anspruchs nur verlangt, dass die Forderung "[X.] nach" bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist. Er hat dies angenommen, wenn der Sachverhalt, der zu der Entstehung des steuerlichen Anspruchs führte, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden sei (vgl. statt aller [X.]surteile vom 17. April 2007 VII R 27/06, [X.], 8, [X.], 589, und in [X.], 308, [X.] 1994, 83). So liege es in der Regel, wenn eine Steuer, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei, zu erstatten oder zu vergüten oder in anderer Weise dem Steuerpflichtigen wieder gutzubringen sei. Ein diesbezüglicher Anspruch des Steuerpflichtigen werde dann nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, sondern stelle eine vor Eröffnung des Verfahrens aufschiebend bedingt begründete Forderung dar, gegen welche die Finanzbehörde gemäß § 95 [X.] im Verfahren aufrechnen könne, wenn das als aufschiebende Bedingung zu behandelnde, die Erstattung, Vergütung oder sonst die Rückführung der steuerlichen Belastung auslösende Ereignis selbst --z.B. die Notwendigkeit einer Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß § 17 UStG (vgl. [X.]surteil vom 4. August 1987 VII R 11/84, [X.] 1987, 707, und [X.]sbeschluss vom 6. Oktober 2005 VII B 309/04, [X.] 2006, 369)-- nach Eröffnung des Verfahrens eintrete. Insbesondere in den Fällen des § 17 UStG entstehe zwar ein steuerverfahrensrechtlich selbständiger Anspruch, der jedoch kompensatorischen Charakter habe, indem er die ursprünglich vorgenommene Besteuerung ausgleiche und die damals für ein bestimmtes Ereignis erhobene Steuer aufgrund eines späteren, entgegengesetzten Ereignisses zurückführe. Das rechtfertige es, ihn als bereits mit der Verwirklichung des Besteuerungstatbestands insolvenzrechtlich begründet anzusehen.

Es liegt auf der Hand und ist von der Rechtsprechung des [X.]s schon bisher nicht in Abrede gestellt worden, dass in den Fällen des § 17 Abs. 2 UStG bei Entstehen der betreffenden Steuerforderung ungewiss ist, ob es zu deren Kompensation durch einen entgegengesetzten Vergütungsanspruch bzw. einen aufgrund des Anspruchs auf Berücksichtigung eines entsprechenden Berichtigungsbetrags gemäß § 17 Abs. 2 UStG entstehenden Erstattungsanspruchs kommen wird, weil der künftige, dafür erforderliche Eintritt der "Bedingung" (hier: das Uneinbringlichwerden von Forderungen der Schuldnerin), also der Eintritt des steuerverfahrensrechtlichen Entstehungsgrunds --anders als in den vorgenannten, vom [X.] entschiedenen Fällen das Entstehen der betreffenden zivilrechtlichen Forderung als [X.] ungewiss ist (vgl. u.a. Urteil des [X.]s in [X.], 8, [X.], 589). Der [X.] hat gleichwohl die in der Behandlung gemäß § 17 UStG berichtigter Umsatzsteuerforderungen in seiner Rechtsprechung liegende Zurückverlagerung des Entstehenszeitpunkts solcher Forderungen für gerechtfertigt gehalten, weil zwischen der durch eine solche Berichtigung ausgelösten und der ursprünglich begründeten Steuerforderung ein enger Zusammenhang dergestalt besteht, dass das Steuerrecht den Steueranspruch entstehen lässt, bevor der eigentliche steuerliche [X.] eingetreten ist bzw. unabänderlich feststeht, und zum Ausgleich für die Vorverlagerung der Steuerschuldentstehung dem Steuerpflichtigen einen ("kompensatorischen") Korrekturanspruch für den Fall garantiert, dass der steuerliche [X.] nicht in der von dem Steuergesetz vorausgesetzten Weise dauerhaft eintritt. Dass das UStG in einem solchen Fall einen eigenständigen Berichtigungsanspruch gewährt, statt entsprechend § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) eine rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung zuzulassen, beruht allein auf steuerverfahrensrechtlichen Zweckmäßigkeitserwägungen und ändert an dem vorstehend zum Wesen der Umsatzsteuerberichtigung dargestellten Befund nichts.

3. Die Rechtsprechung des [X.]s hat im Schrifttum keinen oder nur zurückhaltenden Widerspruch gefunden (vgl. etwa Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 95 Rz 19, m.N. auch zu kritischen Stellungnahmen; [X.]/[X.], Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rz 9.279; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Aufl., S. 92 ff.). Der für das Umsatzsteuerrecht zuständige V. [X.] des [X.] ist ihr in neuerer [X.] jedoch nicht gefolgt, sondern meint, jedenfalls für das Festsetzungsverfahren sei § 38 [X.] dahin auszulegen, dass sich die "Begründung" steuerlicher Forderungen und damit die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimme, ob der den [X.] begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung "vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen" ist; nicht maßgeblich sei lediglich der [X.]punkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG ([X.]-Urteile in [X.]E 224, 24, [X.], 682, und zuletzt vom 8. März 2012 V R 24/11, [X.]E 236, 274, [X.] 2012, 466). Auch der ebenfalls für Umsatzsteuer zuständige [X.]. [X.] des [X.] scheint diesem Verständnis zu folgen. Der I. [X.] des [X.] hat ein bedingtes Entstehen einer Steuerforderung nur dann anerkennen wollen, wenn "der anspruchsbegründende Tatbestand abgeschlossen ist und damit ein gesicherter Rechtsgrund für das Entstehen der Gegenforderung festgestellt werden kann", so dass "ohne weitere Rechtshandlung eines Beteiligten der entsprechende Anspruch kraft Gesetzes entsteht"; das sei nicht der Fall, wenn der Anspruch z.B. einen --bei Verfahrenseröffnung noch nicht gefällten-- Gewinnausschüttungsbeschluss voraussetze (vgl. Urteil vom 23. Februar 2011 I R 20/10, [X.]E 233, 114, [X.] 2011, 822).

4. Der erkennende [X.] hat all dies zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zu überprüfen. Er hält nicht länger an seiner Rechtsansicht fest, dass eine aufgrund Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 UStG entstehende steuerliche Forderung bereits mit Begründung der zu berichtigenden Steuerforderung im insolvenzrechtlichen Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] begründet ist. Dafür ist vor allem das Bestreben maßgeblich, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren bzw. wiederherzustellen, womit es nur schwer vereinbar wäre, wenn § 38 [X.] im umsatzsteuerlichen Festsetzungsverfahren anders ausgelegt und angewendet würde als § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] bei der Erhebung der Umsatzsteuer. Denn beide Vorschriften beruhen auf demselben Rechtsgedanken: unter einem Vermögensanspruch, der gegen das Finanzamt zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war (§ 38 [X.]), kann unbeschadet der unterschiedlichen Wortwahl des Gesetzes nichts anderes verstanden werden als etwas, was das Finanzamt nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Dass letztere Vorschrift vor allem im Erhebungsverfahren zum Zuge kommt, nämlich bei einer Aufrechnung, während erstere die Zuordnung von Ansprüchen zu den Insolvenzforderungen --im Unterschied zu den Masseverbindlichkeiten (§§ 53 bis 55 [X.])-- betrifft, die zumindest in erster Linie für das Steuerfestsetzungsverfahren bedeutsam ist, ist insofern belanglos und ändert an der rechtslogischen Notwendigkeit nichts, die beiden vorgenannten Vorschriften gleich auszulegen.

Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist danach als entscheidend anzusehen, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird, die in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen also eintreten. Wird ein Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht, insbesondere etwa dadurch, dass der Unternehmer zahlungsunfähig wird (wie es in der Regel ohne weiteres aus der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens --außer in den Fällen des § 18 [X.]-- geschlossen werden kann), greift das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] allerdings auch dann nicht ein, wenn der betreffende Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum erst während des Insolvenzverfahrens endet und mithin die Steuer i.S. des § 13 UStG erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht (vgl. [X.]-Urteil vom 19. Juli 2007 IX ZR 81/06, NJW-RR 2008, 206). Auf den [X.]punkt der Abgabe einer Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheids, in dem der [X.] erfasst wird, kommt es in diesem Zusammenhang selbstredend erst recht nicht an.

5. [X.] ist entscheidungsreif.

Aufgrund der Steueranmeldungen des [X.], denen das [X.] zugestimmt hat, steht gemäß § 168 Satz 2 [X.] --wenn auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung-- zwischen den Beteiligten fest, dass in den [X.] 2002 und 2003 zugunsten der Schuldnerin negative Umsatzsteuerbeträge zu berücksichtigen sind, die den vom [X.] verrechneten Anspruch ausgelöst haben. Der für dieses Verfahren --vorbehaltlich einer Änderung aufgrund des [X.] verbindlichen Rechtswirkung dieser Festsetzungen steht nicht entgegen, dass bei Abgabe der betreffenden Anmeldungen bereits das Insolvenzverfahren eröffnet war und im Insolvenzverfahren grundsätzlich keine Steuerfestsetzungen ergehen können, vielmehr die Forderungen des [X.] nach den Vorschriften der [X.] geltend zu machen, nämlich zur Tabelle anzumelden, zu erörtern und zur Tabelle mangels Widerspruchs gegen die Anmeldung oder aufgrund eines Bescheids nach § 251 Abs. 3 [X.] festzustellen sind. Es geht hier nämlich nicht um die Festsetzung einer Steuer zu Lasten der Insolvenzmasse, sondern um die Berichtigung einer Steuerfestsetzung mit dem Ziel einer Verringerung der (gegen den Kläger) festgesetzten nachinsolvenzlichen Steuerschuld der Schuldnerin. Dies kann durch Abgabe einer entsprechenden Steuererklärung mit [X.] ebenso bewirkt werden, wie im Insolvenzverfahren ein Erstattungsbescheid über vorinsolvenzliche [X.] ergehen könnte ([X.]-Urteil vom 13. Mai 2009 [X.] R 63/07, [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11), weil eine solche Anmeldung nicht den Bestand der Forderungen zu Lasten der [X.] verändert, die in der eben geschilderten Weise Gegenstand des insolvenzrechtlichen Prüfungsverfahrens sind.

Im Übrigen ist weder zwischen den Beteiligten streitig noch aus einem sonstigen Grund ernstlich zweifelhaft und deshalb von Amts wegen aufklärungsbedürftig, dass die vorgenannten [X.] der Höhe und der zeitlichen Zuordnung nach zugunsten der Schuldnerin zu berücksichtigen sind, die den Anmeldungen des [X.] zugrunde liegenden Forderungen aus vorinsolvenzlichen Leistungsvereinbarungen also in 2002 bzw. 2003 uneinbringlich geworden sind. Der erkennende [X.] könnte deshalb diesen Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde legen, ohne dass es einer Zurückverweisung der Sache an das [X.] gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O zur weiteren Sachaufklärung bedürfte. Angesichts der Rechtswirkung vorgenannter Anmeldungen kann er jedoch die Rechtsfrage dahinstehen lassen, ob die betreffenden angemeldeten (und auch entrichteten) Umsatzsteuern aufgrund der Insolvenz der Schuldnerin bereits früher, nämlich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen zu berichtigen gewesen wären. Für den Fall noch nicht entrichteter Umsatzsteuer hat das [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996 erkannt, erbringe ein Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, ohne das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem [X.]punkt zu vereinnahmen, trete mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der wegfallenden Empfangszuständigkeit des Insolvenzschuldners Uneinbringlichkeit der an ihn noch nicht entrichteten Entgelte ein. Mithin werde der Tatbestand des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG verwirklicht und die Umsatzsteuer sei in einer logischen Sekunde vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berichtigen, um sie bei Vereinnahmung des Entgelts durch den Verwalter erneut entstehen lassen zu können.

Es bedarf indes in dieser Entscheidung keiner Stellungnahme des erkennenden [X.]s zu dieser Rechtsauffassung und ihrer Konsequenz für Fälle wie den Streitfall, in dem die auf die angeblich i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich gewordenen Entgelte zu entrichtende Umsatzsteuer bei Insolvenzeröffnung bereits entrichtet war und bei einer Berichtigung auf Null in dem Voranmeldungszeitraum Februar 2002 ggf. zu vergüten gewesen wäre. Auf einen derartigen, bislang auch nicht festgesetzten Vergütungsanspruch dürfte der angefochtene Bescheid im Übrigen ohnehin nicht bezogen werden können.

Ist demnach davon auszugehen, dass das [X.] die von ihm verrechneten [X.] erst 2002 bzw. 2003 i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] schuldig geworden ist, so sind die angefochtenen [X.], welche die diesbezüglich vom [X.] erklärte Aufrechnung als wirksam bestätigt haben, rechtswidrig und folglich entsprechend dem Antrag des [X.] zu ändern.

6. Das [X.] hat den Abrechnungsbescheid vom 17. Oktober 2006 als (Bestätigung einer) Aufrechnung (auch) mit Umsatzsteuer November 2001 angesehen. Dazu weist der erkennende [X.] darauf hin, dass diese Steuerforderung nicht streitgegenständlich ist [X.] wenig wie die im Urteil des [X.] erwähnte Umsatzsteuer Oktober 2001--, nachdem die angefochtenen [X.] über diese Forderungen nicht entscheiden, vielmehr ausschließlich die Aufrechnung gegen Umsatzsteuer März, April und September 2001 betreffen.

Meta

VII R 29/11

25.07.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 10. Mai 2011, Az: 5 K 5350/09, Urteil

§ 38 InsO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 17 UStG 1999

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.07.2012, Az. VII R 29/11 (REWIS RS 2012, 4275)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4275

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 K 2330/19

VII ZR 189/10

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