Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2010, Az. B 2 U 14/10 R

2. Senat | REWIS RS 2010, 1642

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Betriebsweg - sachlicher Zusammenhang - Handlungstendenz - gemischte Motivationslage - Abgrenzung zur gemischten Tätigkeit - objektivierbar betriebliche Verrichtung - Streckenidentität - Fahrt zum nächsten beruflichen Einsatzgebiet - Verkehrsüberwachung - Abholen und Abstellen des reparierten Motorrades


Leitsatz

Ein Versicherter verrichtet nach den objektiven Umständen nicht die versicherte Tätigkeit in der Verkehrsüberwachung, wenn er mit einem Motorrad von einer Werkstatt zu seiner Wohnung fährt, auch wenn er damit zugleich das Ziel verbindet, zum nächsten beruflichen Einsatzgebiet zu gelangen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. April 2010 aufgehoben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2008 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

2

Der 1976 geborene Kläger war als Verwaltungsangestellter im Außendienst bei der [X.] beschäftigt, um den ruhenden Verkehr zu überwachen, und wohnte in der sog H.-Siedlung in [X.]-A.

3

Am Nachmittag des [X.] erhielt der Kläger, der seinen Dienst um 12.00 Uhr angetreten hatte, an seinem Einsatzort in [X.] die telefonische Nachricht, dass er auf dienstliche Anweisung zusammen mit seinem Kollegen [X.] zunächst den Theaterparkplatz in [X.]-Mitte überwachen und anschließend in der H.-Siedlung in [X.]-A. parkende Lastkraftwagen kontrollieren sollte. Der Kläger fuhr mit seinem privaten Pkw zum T.-Parkplatz in [X.]-Mitte, stellte sein Fahrzeug ab und nahm die Überwachungstätigkeit auf. Er vereinbarte mit seinem Kollegen, dass er seine Pause, die 30 Minuten betrug, dafür nutzen wolle, zu der in der [X.] gelegenen Werkstatt zu fahren, in der sich sein Motorrad zur Wartung befand. Der Kläger wollte dort nachfragen, ob die Wartung abgeschlossen sei.

4

Nachdem er und sein Kollege die Überwachungstätigkeit auf dem T.-Parkplatz gegen 16.30 Uhr beendet hatten, fuhren sie im Pkw des Kollegen zur Werkstatt. Die Wartung des Motorrads war abgeschlossen. Der Kläger vereinbarte mit seinem Kollegen, dass er mit dem Motorrad zu der in der H.-Siedlung gelegenen Wohnung des [X.] fahren sollte, damit der Kläger sein Motorrad dort abstellen konnte und um von dort aus die Ermittlungen aufzunehmen. Der Kollege sollte mit seinem Pkw dorthin kommen.

5

Gegen 16.40 Uhr trat der Kläger mit dem Motorrad die Fahrt von der Werkstatt in Richtung [X.]-A. an. Er befuhr die [X.] in Richtung [X.]-A., als er gegen 16.48 Uhr mit einem in diese Straße einbiegenden Fahrzeug kollidierte. Dabei zog er sich eine Beckenring- und Oberschenkelfraktur zu.

6

Die [X.] meldete den Unfall dem Rechtsvorgänger der Beklagten, dem [X.]. Mit Bescheid vom 26.6.2007 in der Fassung des [X.] wurde die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe sein Motorrad in der Arbeitspause von der Werkstatt zu seiner Wohnung bringen wollen. Diese private Tätigkeit sei unversichert. Dass der sich anschließende Weg zum nächsten Einsatzort nicht mehr so weit gewesen sei, begründe keinen Versicherungsschutz.

7

Das [X.] hat die Klage, die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls gerichtet war, mit Urteil vom 2.12.2008 abgewiesen.

8

Das L[X.] Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des [X.] geändert und entsprechend dem im Berufungsverfahren geänderten Antrag des [X.] unter Aufhebung der angefochtenen Ablehnungsentscheidung festgestellt, dass der Unfall vom [X.] ein Arbeitsunfall ist. Die zum Unfall führende Fahrt habe nicht trennbar sowohl unversicherten privaten als auch versicherten Zwecken gedient. Als sog gemischte Tätigkeit habe die Fahrt unter Versicherungsschutz gestanden, weil sie auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck - das [X.] des Motorrads - entfallen wäre. Wäre das Motorrad nicht in der Werkstatt gewesen, wäre der Kläger nach der Pause mit dem Kollegen in dessen [X.] zum nächsten Einsatzort gefahren. Der Kläger sei arbeitsrechtlich nicht gehalten gewesen, seine Dienstfahrten in einer bestimmten Weise - zB zusammen mit dem Kollegen oder mit einem Pkw - zurückzulegen. Er hätte vom Einsatzort in [X.]-Stadtmitte bei Wahl der kürzesten Wegstrecke über die [X.] zu seinem neuen Einsatzort gelangen müssen.

9

Die Beklagte hat die vom L[X.] zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung von § 8 [X.]B VII gerügt. Die unfallbringende Fahrt habe nicht im erforderlichen sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Überwachungstätigkeit gestanden. Der Kläger habe die versicherte Tätigkeit vorerst beendet gehabt und sich durch das rein privatwirtschaftliche Aufsuchen der Werkstatt in seiner Pause von der betrieblichen Tätigkeit gelöst. Der Weg ab der Werkstatt sei maßgeblich von den eigenwirtschaftlichen Interessen des [X.] - Verbringung des Motorrads zur Wohnung - geprägt, denn für die Wahl des Zeitpunkts und des Verkehrsmittels seien andere Gründe maßgebend gewesen als die Absicht, den nächsten Ort der Tätigkeit zu erreichen. Aus Sicht eines unbeteiligten Dritten sei das Aufsuchen der Werkstatt, die Auslösung des Motorrads und dessen Verbringung an den Wohnort eine einheitliche, eigenwirtschaftliche Handlung. Die reine Streckenidentität mit dem Weg zwischen den Einsatzgebieten genüge nicht zur Begründung von Versicherungsschutz, der auch nicht nach § 8 Abs 2 Nr 1 [X.]B VII oder § 8 Abs 2 Nr 5 [X.]B VII in Betracht komme.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des L[X.] Nordrhein-Westfalen vom [X.] aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des [X.] Dortmund vom 2.12.2008 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des L[X.] für zutreffend. Er sei nur mit dem Motorrad nach [X.]-A. gefahren, weil es sich wegen des in der Nähe seiner Wohnung gelegenen Einsatzortes angeboten habe und nicht, weil er das Motorrad "zu sich nach Hause bringen wollte". Mit Antritt der Fahrt ab der Werkstatt habe er nach außen erkennbar seinen Dienst wieder angetreten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des [X.] und Zurückweisung der Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] begründet, denn das L[X.] hat zu Unrecht das klageabweisende Urteil des [X.] geändert und unter Aufhebung des Bescheides vom 26.6.2007 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2007 einen Arbeitsunfall festgestellt.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem L[X.] den Antrag einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1, § 55 Abs 1 [X.] [X.]G gestellt. Das L[X.] hat sachlich über diesen Klageantrag entschieden und so den Übergang des [X.] von einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf eine Anfechtungs- und Feststellungsklage im Berufungsverfahren bindend zugelassen (§ 153 Abs 1 [X.]G iVm § 99 Abs 4 [X.]G; vgl B[X.]E 48, 159, 162; B[X.] vom 4.5.1999 - B 2 U 89/98 B; Leitherer in [X.], [X.]G, 9. Aufl 2008 § 99 RdNr 15). Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erweist sich als zulässig. Denn die grundsätzliche prozessrechtliche Nachrangigkeit der Feststellungsklage steht der Zulässigkeit der mit der Anfechtungsklage verbundenen Feststellungsklage nach ständiger Rechtsprechung des Senats in Fällen der vorliegenden Art nicht entgegen (vgl B[X.] vom [X.] - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr 9; B[X.] vom [X.] U 46/03 R - [X.] 4-2700 § 2 [X.] RdNr 4 f; Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] RdNr 8). Begehrt der Versicherte allein die von dem Unfallversicherungsträger abgelehnte Feststellung des Vorliegens eines Versicherungsfalls, kann er durch die Verbindung einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage ggf unmittelbar eine gerichtliche, von der Verwaltung nicht mehr beeinflussbare Feststellung erlangen.

Entgegen der Entscheidung des L[X.] war der Unfall des [X.] vom 31.3.2006 kein Arbeitsunfall nach § 8 [X.]B VII.

Nach § 8 Abs 1 [X.]B VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 [X.]B VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur [X.] zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat ([X.]) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl ua B[X.] vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - B[X.]E 96, 196, 198 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]7 Rd[X.]0 mwN; B[X.] vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]0 Rd[X.]0 mwN).

Der Kläger war zwar zur Zeit des [X.] Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 [X.] [X.]B VII und hat am 31.3.2006 einen Unfall mit der Folge eines Gesundheitsschadens erlitten.

Dieser Unfall ist jedoch kein Arbeitsunfall, da die vom Kläger im Zeitpunkt des [X.] ausgeübte Verrichtung - die [X.] von der Werkstatt zur eigenen Wohnung in der H.-Siedlung - nicht im inneren bzw sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden hat. Es handelt sich weder um eine versicherte Tätigkeit nach § 8 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII (dazu sogleich unter 1.) noch um das Zurücklegen eines mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Wegs nach oder von dem Ort der Tätigkeit nach § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII (dazu unter 2.) noch um ein mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängendes Verwahren, Befördern, Instandhalten oder Erneuern eines Arbeitsgeräts nach § 8 Abs 2 Nr 5 [X.]B VII (dazu unter 3.).

1. Mit der [X.] zum Unfallzeitpunkt erfüllte der Kläger keine arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht, die ihm als Verwaltungsangestellten zur Kontrolle des ruhenden Verkehrs oblag, insbesondere legte er keinen Betriebsweg zurück, der Teil der versicherten Tätigkeit iS von § 8 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII wäre.

Ein Betriebsweg unterscheidet sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren [X.] zurückgelegt wird und nicht - wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII - der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt (vgl hierzu B[X.] Urteil vom [X.] Juris Rd[X.]6). Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren [X.] zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl B[X.] vom 10.10.2006 - B 2 U 20/05 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]9 Rd[X.]4). Als objektive Umstände, die Rückschlüsse auf die Handlungstendenz zulassen, ist beim Zurücklegen von Wegen insbesondere von Bedeutung, ob und inwieweit Ausgangspunkt, Ziel, Streckenführung und ggf das gewählte Verkehrsmittel durch betriebliche Vorgaben geprägt werden.

Die [X.] als konkrete Verrichtung des [X.] zum Zeitpunkt des [X.], die nach den Feststellungen des L[X.] zugleich betrieblichen und privaten Zwecken dienen sollte, beruhte angesichts der objektiven Umstände nicht auf der vom L[X.] bindend festgestellten betrieblichen Handlungstendenz.

Der Kläger verrichtete keine "gemischte Tätigkeit", da diese zumindest zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraussetzt, von denen (wenigstens) eine im sachlichen Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit steht, während die [X.] des [X.] eine einzige Verrichtung war. Denn eine "Verrichtung" ist nur ein konkretes, also auch räumlich und zeitlich bestimmtes Verhalten, das seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Die [X.] ist aus Sicht eines objektiven Betrachters eine einzige einheitliche Verrichtung, selbst wenn sie unterschiedlichen Zwecken dient. Die [X.] ist die konkrete Verrichtung, durch die der Kläger von der Werkstatt aus sein Motorrad zur Wohnung fahren und selbst zum nächsten Einsatzort gelangen wollte. Deswegen kann die konkrete Verrichtung des [X.] zum Unfallzeitpunkt entgegen der Formulierung im L[X.]-Urteil nicht abstrakt als "Fahrt" bezeichnet werden ohne Angabe des Fortbewegungsmittels. Eine "Fahrt" ohne Verkehrsmittel ist nicht möglich, sodass schon die Definition der zum Unfallzeitpunkt vorgenommenen konkreten Verrichtung des [X.] die Angabe eines Transportmittels voraussetzt.

Die [X.] zur klägerischen Wohnung war eine Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz bzw mit gemischter Motivationslage (vgl B[X.] vom 12.5.2009 - B 2 U 12/08 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]3 Rd[X.]6), denn sie erfolgte sowohl mit privatwirtschaftlicher als auch mit betrieblicher Handlungstendenz. Eine betriebliche, den sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit begründende Handlungstendenz des Beschäftigten liegt vor, wenn er den Willen hat, durch die Verrichtung eine seiner Pflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen oder die Erfüllung von Vor- und Nachbereitungshandlungen, die das Gesetz versichert, zu ermöglichen, zu fördern oder zu sichern. Nach den Feststellungen des L[X.] hatte der Kläger zwei Ziele. Er wollte zwecks Wiederaufnahme seiner Beschäftigung weisungsgemäß seinen nächsten Einsatzort erreichen, also den Weg auch als "Betriebsweg" zurücklegen (betriebliche Handlungstendenz) und er wollte sein Motorrad an seiner Wohnung abstellen (privatwirtschaftliche Handlungstendenz). Bei der "Handlungstendenz" handelt es sich um eine sog innere Tatsache. Daher sind diese von der Beklagten nicht gerügten Feststellungen des L[X.] für den Senat bindend.

Eine solche Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz steht dann im inneren bzw sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre (vgl B[X.] vom 12.5.2009 - B 2 U 12/08 R - aaO), wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenzen, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt. Die Ausführungen des L[X.] darüber, was vermutlich geschehen wäre, wenn der Kläger zur Unfallzeit nicht mit seinem Motorrad von der Werkstatt zu seiner Wohnung gefahren wäre, enthalten keine maßgeblichen Tatsachenfeststellungen. Denn sie befassen sich mit hypothetischen Geschehensabläufen außerhalb der konkreten Verrichtung "[X.]", die als nicht erfolgte Ereignisse keine (feststellbaren) Tatsachen sind.

Nach den objektiven Umständen lässt die tatsächlich erfolgte [X.] des [X.] von der Werkstatt zur Wohnung einen sachlichen Zusammenhang mit der verrichteten Tätigkeit, hier zB sich zum nächsten Einsatzgebiet zu begeben, nicht deutlich werden. Der betriebliche Zweck, sich (von einem) zum nächsten Einsatzgebiet zu begeben, vermag nach den objektiven Umständen nicht zu erklären, dass die Fahrt an der Werkstatt beginnt, dass als Ziel im nächsten Einsatzgebiet gerade die Wohnung des [X.] gewählt worden ist und die Fahrt auf dem Motorrad erfolgt anstatt einer Fahrt mit dem eigenen Pkw oder einer Fahrt als Beifahrer im Pkw des Kollegen. Vorliegend wurden Ausgangsort, Ziel und das genutzte Verkehrsmittel nicht durch betriebliche Erfordernisse bestimmt, sondern finden ihren Grund in der privaten Motivation des [X.], sein Motorrad von der Werkstatt zur eigenen Wohnung zu fahren.

In rechtlicher Wertung sprach nichts dafür, dass die berufliche Handlungstendenz, die private Motivation weggedacht, zu der unfallbringenden [X.] des [X.] geführt hätte. Ohne die private Motivation, das Motorrad von der Werkstatt zur Wohnung zu fahren, wäre insbesondere nicht das Motorrad als Verkehrsmittel gewählt worden und die konkrete, zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Verrichtung - nämlich die [X.] auf der [X.] in Richtung der Wohnung - wäre nicht erfolgt. Das Führen eines Motorrads ist objektiv eine andere Verrichtung als eine Fahrt mit dem eigenen Pkw oder als Beifahrer im Pkw des Kollegen.

Dass der Kläger aus arbeitsrechtlicher Sicht sein privates Motorrad für dienstliche Fahrten nutzen durfte, vermag keinen inneren bzw sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit mit solchen [X.]en des [X.] zu begründen, die nach dem oben dargelegten Maßstab für die Ermittlung der objektivierten Handlungstendenz bei gemischter Motivationslage gerade nicht auf einer objektivierten betrieblichen Handlungstendenz beruhen.

Eine den inneren bzw sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit begründende objektivierte betriebliche Handlungstendenz des [X.] kann nicht daraus gefolgert werden, dass sich der Unfall an einer Stelle ereignet hat, die der Kläger mutmaßlich passiert hätte, wenn er eine Fahrt von einem zum anderen Einsatzgebiet zurückgelegt hätte.

Zutreffend hat die Revisionsklägerin darauf hingewiesen, dass reine Streckenidentität einer mit privater Handlungstendenz erfolgten [X.] mit einer möglichen, tatsächlich aber nicht erfolgten betrieblich veranlassten (Pkw-)Fahrt, die mutmaßlich (oder möglicherweise) an Stelle der [X.] getreten wäre, keinen inneren bzw sachlichen Zusammenhang der durchgeführten [X.] als konkrete Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit begründen kann (vgl auch B[X.] vom 10.10.2006 - B 2 U 20/05 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]9 Rd[X.]5).

2. Die [X.] des [X.] als Verrichtung zur Zeit des [X.] war auch keine versicherte Tätigkeit iS des § 8 Abs 2 [X.] [X.]B VII.

Danach sind versicherte Tätigkeiten das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 und 6 [X.]B VII zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Begründet wird dieser Versicherungsschutz damit, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer auf die versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden (vgl B[X.] vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]3; B[X.] vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - B[X.]E 102, 111 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] RdNr 21). Sie erfolgen entweder mit der Handlungstendenz, sich aus dem privaten Bereich in den betrieblichen Bereich (Weg zu dem Ort der Tätigkeit) oder sich aus dem betrieblichen Bereich zurück in den privaten Bereich zu begeben (Weg von dem Ort der Tätigkeit). Der Kläger hat mit der [X.] keinen unmittelbaren Weg von oder zu dem Ort der Tätigkeit zurückgelegt. Wie bereits dargelegt, fehlte der Verrichtung bei gemischter Motivationslage eine objektivierte betriebliche Handlungstendenz. Außerdem war Ausgangsort der konkreten [X.] kein Ort der Tätigkeit als Angestellter der Verkehrsüberwachung, sondern die aus privaten Gründen aufgesuchte Werkstatt, und deren Endpunkt die private Wohnung.

3. [X.] war ferner kein Arbeitsgerät iS von § 8 Abs 2 Nr 5 [X.]B VII, denn es war nicht dazu bestimmt, hauptsächlich der Tätigkeit im Unternehmen zu dienen (vgl B[X.] vom 12.5.2009 - B 2 U 12/08 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.]3 Rd[X.] mit Verweis auf B[X.] vom [X.] - B[X.]E 24, 243, 246).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 14/10 R

09.11.2010

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Dortmund, 2. Dezember 2008, Az: S 36 U 20/08, Urteil

§ 8 Abs 1 S 1 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2010, Az. B 2 U 14/10 R (REWIS RS 2010, 1642)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1642

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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