Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.03.2010, Az. 20 F 16/09

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2010, 8664

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

in-camera-Verfahren; Prüfungsmaßstab


Tenor

Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Antragstellerin, Abgeordnete des [X.] und Mitglied der Fraktion "[X.]", begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Antragsgegnerin umfassende Auskunft über die zu ihrer Person erhobenen Daten. Das [X.] hatte der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren einige ihm vorliegende Informationen mitgeteilt, eine vollständige Auskunft der weiteren vorliegenden Einzelinformationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen sind, jedoch zum Schutz der den [X.] übertragenen Aufgabenerfüllung, zum Schutz von [X.] und zum Quellenschutz verweigert. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 30. Juni 2008 verpflichtet, die Personenakte der Antragstellerin vorzulegen. Daraufhin hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des [X.] unter dem 24. Februar 2009 eine "geschwärzte Fassung" der über die Antragstellerin gesammelten Erkenntnisse vorgelegt und zugleich eine Sperrerklärung abgegeben. Danach werden zahlreiche nach [X.] der [X.] bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen, gar nicht oder in Form von Austauschblättern vorgelegt.

II

2

Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag der Antragstellerin ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

3

1. Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 30. Juni 2008 der Antragsgegnerin die Vorlage der umstrittenen Personenakte aufgegeben und damit zu erkennen gegeben, dass es diese Akte als entscheidungserheblich ansieht. Einer weiteren Beschlussfassung anlässlich der Vorlage der Hauptsacheakten an den [X.] - wie es der Antragstellerin möglicherweise vorschwebt - bedurfte es nicht.

4

2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 [X.] - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).

5

Gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das [X.] dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Gemäß § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn einer der dort genannten [X.] vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen [X.] ganz oder teilweise zu verweigern, so genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die [X.] des [X.] verweist. Die oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der [X.] der Akten zusätzlich (gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer [X.] zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten [X.] eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das [X.] der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.

6

3. In der Sperrerklärung vom24. Februar 2009 hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse der Antragstellerin an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des [X.] im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als eines wesentlichen Elements des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen der Antragstellerin zu berücksichtigen (Abschnitt [X.] und 2 der Sperrerklärung, S. 4 bis 5).

7

Bei seiner Abwägung ist der [X.] Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat zunächst nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet, innerhalb derer die Zurückhaltung der Information jeweils durch denselben Geheimhaltungsgrund gerechtfertigt ist (Abschnitt [X.] der Sperrerklärung, S. 5 bis 9). Dabei ist es - wie der [X.] bereits wiederholt entschieden hat (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 a.a.[X.] Rn. 6 f. und vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 8) - nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel (Abschnitt [X.] a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt [X.] b), [X.], Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt [X.] c) sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt [X.] d) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 9 m.w.N.). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene, sofern er kein vorrangiges Aufklärungsinteresse der Antragstellerin feststellen konnte, die Namen von in den Akten genannten anderen Personen unkenntlich gemacht hat, über die das [X.] Informationen sammeln könnte (Abschnitt [X.] e). Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und - insbesondere bei Unterstreichungen und Hervorhebungen von Namen - der Vermeidung von Rückschlüssen auf weitere Beobachtungsobjekte, die Arbeitsweise und den Erkenntnisstand des [X.]. Der Beigeladene hat auch erkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wie auch dem privaten Informationsinteresse der Antragstellerin zumindest teilweise dadurch Rechnung getragen werden konnte, dass als milderes Mittel zu einer Schwärzung der Austausch von Seiten vorgenommen wurde.

8

Weiter ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene darüber hinaus im Rahmen von Einzelfallabwägungen (Abschnitt [X.], [X.] bis 32 der Sperrerklärung) weitere Seiten der Akte ganz oder teilweise zurückgehalten hat, weil sie - mitunter zusätzlich zu den bereits angesprochen formalen Aspekten - Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, Methoden der operativen Arbeit des [X.] oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise des [X.] ermöglichen würden (Deckblattberichte, Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen). Das gilt auch für (nunmehr) allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber wegen des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder der Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können.

9

Der [X.] hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte "geschwärzte Fassung" der Personenakte der Antragstellerin (ein Band Blatt 1 bis 407) und das ihm vorgelegte Original (zwei Bände, Band 1: Blatt 1 bis 280, Band 2: Blatt 281 bis 403) im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen zurückgehalten hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht gesondert erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch [X.] kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die den eigentlichen Aktenbestandteilen jeweils vorgeheftet sind und - ähnlich etwa der Beschriftung von [X.] - ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthalten. Selbst wenn man diese Vorblätter zum Akteninhalt rechnete, was hier dahinstehen kann, erfüllen sie zweifelsfrei die genannten [X.] für Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel. Die in der [X.] nicht vorhandenen Blatt 404 bis 407, die sich in der "geschwärzten Fassung" der Personenakte befinden, enthalten keine Schwärzungen, so dass der [X.] keinen Anlass hatte, die vier Aktenseiten nachzufordern.

Auf den im Hauptsacheverfahren von der Antragstellerin - unter Bezugnahme auf ein beim [X.] gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG anhängig gemachtes Verfahren - erhobenen Einwand, die nachrichtendienstliche Sammlung und Auswertung von Informationen im Hinblick auf Abgeordnete des [X.] stelle eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung eines Mitglieds eines Verfassungsorgans dar und sei rechtswidrig, kommt es für dieses Zwischenverfahren nicht an. Der [X.] hat nur darüber zu entscheiden, ob die Sperrerklärung des Beigeladenen gemessen an den dargestellten Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtmäßig ist, nicht hingegen darüber, ob die Datenerhebung durch die Antragsgegnerin die fachgesetzlich und gegebenenfalls verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen beachtet hat (vgl. Beschluss vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 13). Darüber hat vielmehr das Hauptsachegericht zu entscheiden, soweit dort die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung beantragt wird oder sonst nach der Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts entscheidungserheblich sein sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

20 F 16/09

09.03.2010

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

§ 99 Abs 1 S 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.03.2010, Az. 20 F 16/09 (REWIS RS 2010, 8664)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8664

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

20 F 15/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Verweigerung der Akteneinsicht bei Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG


20 F 8/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Zur Schwärzung von Aktenteilen in Zusammenhang mit der Partei "Die Linke"


20 F 15/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Selbstständige Kostenentscheidung bei in-camera-Verfahren


20 F 14/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Ermessensfehler bei Sperrerklärungen


20 F 17/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Eigenständige Kostenentscheidung im in-camera-Verfahren


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.