Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.12.2010, Az. 20 F 15/10

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2010, 301

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Selbstständige Kostenentscheidung bei in-camera-Verfahren


Leitsatz

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht; denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Mitglied der Fraktion "[X.]", begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Antragsgegnerin umfassende Auskunft über die zu seiner Person erhobenen Daten. Das [X.] hatte dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren einige ihm vorliegende Informationen mitgeteilt, eine vollständige Auskunft der weiteren vorliegenden Einzelinformationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen sind, die nicht auf die Person des Antragstellers zielten, jedoch zum Schutz der den [X.] übertragenen Aufgabenerfüllung, zum Schutz von [X.] und zum Quellenschutz verweigert. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 1. Dezember 2008 verpflichtet, die Personenakte des Antragstellers vorzulegen. Daraufhin hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des [X.] unter dem 15. März 2010 eine "geschwärzte Fassung" der über den Antragsteller gesammelten Erkenntnisse vorgelegt und zugleich eine Sperrerklärung abgegeben. Danach werden zahlreiche nach [X.] der [X.] bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen, gar nicht oder in Form von Austauschblättern vorgelegt.

II.

2

Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Antragstellers ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

3

1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - [X.] 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - [X.] 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - [X.] 2 AV 1.02 - [X.]E 117, 8 = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - [X.] 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - [X.] 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - [X.] 20 [X.] - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).

4

Gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das [X.] dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Gemäß § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn einer der dort genannten [X.] vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen [X.] ganz oder teilweise zu verweigern, so genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die [X.] des [X.] verweist. Die oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der [X.] der Akten zusätzlich (gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer [X.] zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten [X.] eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das [X.] der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.

5

2. In der Sperrerklärung vom 15. März 2010 hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Antragstellers an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des [X.] im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als einem wesentlichen Element des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen des Antragstellers zu berücksichtigen (Abschnitt [X.] und 2 der Sperrerklärung).

6

Bei seiner Abwägung ist der Beigeladene unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat zunächst nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet, innerhalb derer die Zurückhaltung der Information jeweils durch denselben Geheimhaltungsgrund gerechtfertigt ist (Abschnitt [X.] der Sperrerklärung). Dabei ist es - wie der [X.] bereits wiederholt entschieden hat (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - [X.] 20 F 10.06 - Rn. 6 f. und vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 8) - nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel (Abschnitt [X.] a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt [X.] b), [X.], Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt [X.] c) sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt [X.] d) sowie Schutz der Kommunikationswege (Abschnitt [X.] f) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 9 m.w.N.). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene, sofern er kein vorrangiges Aufklärungsinteresse des Antragstellers feststellen konnte, die Namen von in den Akten genannten anderen Personen unkenntlich gemacht hat, über die das [X.] Informationen sammeln könnte (Abschnitt [X.] e). Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und - insbesondere bei Unterstreichungen und Hervorhebungen von Namen - der Vermeidung von Rückschlüssen auf weitere Beobachtungsobjekte, die Arbeitsweise und den Erkenntnisstand des [X.]. Der Beigeladene hat auch erkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wie auch dem privaten Informationsinteresse des Antragstellers zumindest teilweise dadurch Rechnung getragen werden konnte, dass als milderes Mittel zu einer Schwärzung der Austausch von Seiten vorgenommen wurde.

7

Weiter ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene darüber hinaus im Rahmen von Einzelfallabwägungen (Abschnitt [X.] der Sperrerklärung) weitere Seiten der Akte ganz oder teilweise zurückgehalten hat, weil sie - mitunter zusätzlich zu den bereits angesprochen formalen Aspekten - Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, Methoden der operativen Arbeit des [X.] oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise des [X.] ermöglichen würden (Deckblattberichte, Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen). Das gilt auch für (nunmehr) allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber durch den Zeitpunkt der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder die Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können.

8

3. Der [X.] hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte "geschwärzte Fassung" der Personenakte des Antragstellers und das ihm vorgelegte Original (2 Bände) im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dass die Aktenstücke aus den Jahren vor 1992 in ausgedruckter Fassung vorgelegt worden sind, weil sie nur noch auf Mikrofilm vorhanden sind, ist nicht zu beanstanden. Der [X.] hat keinen Anlass, an der Übereinstimmung der vorgelegten Aktenseiten mit der Mikrofilm-Fassung zu zweifeln.

9

Die Durchsicht hat ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen zurückgehalten hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht gesondert erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch [X.] kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die zum Teil zwischen die eigentlichen Aktenbestandteile oder diesen vorgeheftet sind und - ähnlich etwa der Beschriftung von [X.] - ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthalten. Selbst wenn man diese Vorblätter zum Akteninhalt rechnete, was hier dahinstehen kann, erfüllen sie zweifelsfrei die genannten [X.] für Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass sich - in Einzelfällen - Schwärzungen etwa von Unterstreichungen oder [X.] nicht auf eine Unkenntlichmachung an der konkreten Stelle beschränken, sondern auch darüber hinausgreifen, weil andernfalls Rückschlüsse im Hinblick auf das konkrete Erkenntnisinteresse sowie die Arbeitsmethode des [X.] möglich wären. Der [X.] hat sich auch insoweit vergewissert, dass in diesen Fällen Anlass und Umfang der Schwärzungen von den genannten [X.]n gedeckt sind. Zu Blatt 143 und 145 hat der Beigeladene vorgetragen, dass sich bestimmte Schwärzungen bereits auf dem Original befinden. Das hat die Einsicht bestätigt; der [X.] hat auch insoweit keinen Anlass, an der Richtigkeit der Erklärung des Beigeladenen zu zweifeln.

Auf die - jedenfalls sinngemäß - im Hauptsacheverfahren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG auf die Informationen beschränkt ist, die (gezielt) zu dem Antragsteller gespeichert und in der ihn betreffenden Personenakte zusammengeführt sind, oder auch solche Daten erfasst, die in Sachakten oder den Personenakten Dritter über den Antragsteller gespeichert sind ([X.], Beschluss vom 13. Februar 2009 - [X.] 844/08 - NVwZ-RR 2009, 505 zu [X.], Urteil vom 13. Dezember 2007 - 20 K 6242/03 -; vgl. auch [X.], Urteil vom 21. Juli 2010 - [X.] 6 C 22.09 - DVBl 2010, 1370), kommt es für dieses Zwischenverfahren nicht an. Der [X.] hat nur darüber zu entscheiden, ob die Sperrerklärung des Beigeladenen rechtmäßig ist, welche sich allein auf die vom Verwaltungsgericht angeforderte Personenakte des Antragstellers bezieht.

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem [X.] nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht; denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit. An der gegenteiligen Ansicht (Beschlüsse vom 15. August 2003 - [X.] 20 F 3.03 - juris Rn. 19 , vom 15. August 2003 - [X.] 20 [X.] - NVwZ 2004, 745 und vom 29. Juli 2002 - [X.] 2 AV 1.02 - ) hält der [X.] nicht fest. Zwar betrifft ein solches Verfahren einen anderen Streitgegenstand als das Hauptsacheverfahren, über den ein besonderer Spruchkörper befindet. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der verweigerten Aktenvorlage hat indes keine eigenständige Bedeutung, sondern erschöpft sich in ihrer Auswirkung auf das Hauptsacheverfahren. [X.] bildet das Verfahren vor dem [X.] - anders als ein Beschwerdeverfahren nach § 99 Abs. 2 Satz 12 VwGO - mit dem Hauptsacheverfahren deshalb einen Rechtszug im Sinne des § 35 GKG und § 19 Abs. 1 RVG; die dortige Kostenentscheidung umfasst auch etwaige Kosten des Zwischenverfahrens (vgl. zur Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf das Zwischenverfahren bereits Beschluss vom 8. Mai 2009 - [X.] 20 KSt 1.09 / [X.] 20 F 26.08).

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es ebenfalls nicht, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem [X.] nicht anfallen.

Meta

20 F 15/10

16.12.2010

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

§ 99 VwGO, § 35 GKG, § 19 Abs 1 S 2 Nr 3 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.12.2010, Az. 20 F 15/10 (REWIS RS 2010, 301)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 301

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

20 F 8/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Zur Schwärzung von Aktenteilen in Zusammenhang mit der Partei "Die Linke"


20 F 16/09 (Bundesverwaltungsgericht)

in-camera-Verfahren; Prüfungsmaßstab


20 F 14/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Ermessensfehler bei Sperrerklärungen


20 F 15/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Verweigerung der Akteneinsicht bei Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG


20 F 17/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Eigenständige Kostenentscheidung im in-camera-Verfahren


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.