Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.08.2013, Az. 2 StR 180/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3501

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR
180/13

vom
13. August 2013
in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags u.a.

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2
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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 13. August 2013 gemäß
§
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. November 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a)
im Fall IV. der Urteilsgründe,

b)
im Strafausspruch im Fall III. der Urteilsgründe,

c)
im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige [X.] des Land-gerichts
zurückverwiesen.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags
(Fall III. der Ur-teilsgründe) sowie versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körper-verletzung und versuchter schwerer Körperverletzung (Fall IV. der Urteilsgrün-de) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und das bei der

letzten
Tat verwendete [X.] eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit ge-fährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das [X.] hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellun-gen und Wertungen getroffen:
[X.]) Am 8. Juli 2011 tötete der Angeklagte die Mutter seiner Ehefrau (Fall III.
der Urteilsgründe). Er wurde noch am Tattag vorläufig festgenommen, in der Folge aber mangels dringenden Tatverdachts wieder freigelassen. Seine Ehe-frau, die den Angeklagten trotzdem der [X.]chaft verdächtigte, trennte sich von ihm und zog in eine andere
Wohnung. Am 7. Januar 2012 begegneten sich der Angeklagte und seine Ehefrau in einem Lebensmittel-Markt. Als der Ange-klagte
seine Ehefrau ansprach, antwortete diese nicht, sondern zahlte,
und ver-ließ mit den von ihr gekauften Gegenständen den Markt. Der Angeklagte folgte ihr und rief ihr etwas hinterher, was die Geschädigte auf Grund ihrer Schwerhö-schnitt ihr mit einem mitgebrachten klappbaren Rasiermesser mit einer Klingen-länge von ca. 10 cm von hinten in Höhe des rechten Auges d

(UA S.
14). Die Geschädigte erlitt eine ca. 15 cm lange, über der Mitte des 1
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rechten Oberlides beginnende und in einem leichten Abwärtsbogen bis zum rechten Ohr verlaufende Schnittwunde. Weder das Auge noch die in der Kopf-
bzw. Halsregion verlaufenden lebenswichtigen Blutgefäße wurden verletzt. Die Geschädigte konnte sich aus der Umklammerung befreien, wobei sie sich eine Abwehrverletzung am linken Daumen zuzog, und in ihre nahegelegene [X.] flüchten. Der Angeklagte erkannte, dass er auf Grund seiner bestehenden Gehbehinderung nicht in der Lage war, die Geschädigte einzuholen, und warf das bei der Tat zerbrochene Rasiermesser in ein Gebüsch.
bb) Der Angeklagte war entweder wegen des wortlosen Davonlaufens
seiner Ehefrau, der er die Schuld für die vermeintliche Distanzierung von sei-nem [X.] gab, gekränkt oder er hatte ihr von vornherein zu dem Zweck aufge-lauert, sich für die Trennung von ihm zu rächen. Beide Sachverhalts-alternativen hat
das [X.] als gleichermaßen wahrscheinlich
bewertet
und sich zu sicheren Feststellungen außerstande
gesehen. Für die erste Vari-ante ist es sachverständig beraten zu der Auffassung
gelangt, dass der Ange-klagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei,
und [X.] davon ausgegangen, dass bei Anwendung des [X.] die Voraus-setzungen des § 21 StGB nicht ausschließbar gegeben gewesen seien.
cc) Das [X.] hat bedingten Vorsatz sowohl hinsichtlich einer möglichen Tötung der Geschädigten als auch hinsichtlich einer Verletzung ihres rechten Auges mit der Folge des Verlustes der Sehkraft angenommen. Der von hinten durch das Gesicht der Nebenklägerin geführte Messerschnitt sei generell geeignet
gewesen, die Geschädigte lebensgefährlich zu verletzen, was dem Angeklagten grundsätzlich bekannt gewesen sei. Bei Messerstichen in den Kopf-
oder Halsbereich liege der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz nahe. Der Täter sei zu einer schonenden Dosierung des Angriffs auf Grund der ([X.]) in der Regel nicht in der 5
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in unmittel-barer Nähe lebenswichtiger Blutgefäße

sowie des Umstands, dass der Angriff im Gehen und hinterrücks verübt wurde, sei auszuschließen, dass der Ange-klagte ernsthaft darauf vertraut haben könnte, den Messerstich

gezielt dosie-ren und eine Lebensgefährdung ausschließen zu können. Auch hinsichtlich ei-nes möglichen Verlusts der Sehfähigkeit habe der Angeklagte angesichts des [X.], nicht zu kontrollierenden Geschehens nicht ernsthaft auf einen glücklichen Ausgang vertrauen können.
b) Die Beweiswürdigung zur Frage des bedingten Tötungsvorsatzes hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
[X.]) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den [X.] des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich
eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten [X.] beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens-
als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objek-tiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefähr-lichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzu-beziehen sind (std. Rspr; vgl. nur [X.], Urteil vom 28. Mai 2013

3 [X.], Rn. 5 juris; Urteil vom 4. April 2013

3 StR 37/13, Rn. 3 juris; Urteil vom 28. Februar 2013

4 [X.], Rn. 15 juris;
Urteil vom 22. März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 ff., jeweils mwN).

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bb) Auch unter Berücksichtigung des bestehenden tatrichterlichen Be-wertungsspielraums werden die Ausführungen des [X.]s den [X.] an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
Das [X.] stellt zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf ab, dass bei einem hochgradig dynamischen Geschehen der Täter zu einer schonenden Dosierung seines Messerstichs in aller Regel nicht in der Lage ist. Ungeachtet des Umstands, dass es sich vorliegend nicht um einen Messerstich, sondern um einen Schnitt
handelteaber durch die insoweit unklaren Feststellungen nicht belegt. Insoweit ist nur festgestellt, dass der Angeklagte die vor ihm gehende Geschädigte von hinten umgriff, be-vor er sie mit dem Rasiermesser verletzte. Nähere Einzelheiten zur Position der Geschädigten, zur Art des
Umgreifens

insbesondere ob und inwieweit der Kopf der Nebenklägerin dadurch fixiert war

sowie zur Schnelligkeit der Schnittbewegung werden nicht mitgeteilt. Der [X.] kann die Bewertung des [X.] daher nicht nachprüfen.
c) Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils im Fall IV. der Urteilsgründe mitsamt den zugehörigen Feststellungen. Die Aufhebung er-streckt sich auch auf die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körper-verletzung und versuchter schwerer Körperverletzung, wobei gegen letztere ihrerseits
durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen.
Nach der Rechtsprechung des [X.] liegt zwischen einem vollendeten vorsätzlichen Tötungsdelikt und einem vollendeten vorsätzlichen Körperverletzungsdelikt
keine Tateinheit vor, sondern das Körperverletzungsde-likt tritt

soweit tatbestandlich überhaupt anwendbar (vgl. [X.], Urteil vom 22.
Januar 1997

3 StR 522/96, [X.], 233, 234)

als subsidiär zurück 9
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(std. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 28. Juni 1961

2 [X.], [X.]St 16, 122, 123; [X.], StGB, 60. Aufl., § 211 Rn. 107 und § 212 Rn. 22 mwN). Nichts anderes kann gelten, wenn sowohl das Tötungsdelikt als auch das
Kör-perverletzungsdelikt im Versuchsstadium steckengeblieben sind
(vgl. Eser
in Schönke/[X.], StGB, 28. Aufl., § 212 Rn. 22; [X.] in [X.], 4.

Aufl.,
§ 212 Rn.
40). Ob
eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, wenn dem qualifizierten
Körperverletzungsdelikt ein selbständiger Unwertgehalt zukommt
(vgl. hierzu Eser
[X.]O Rn.
20;
[X.] [X.]O Rn. 35; [X.] in Münch-Komm, StGB, 2. Aufl., § 212 Rn. 92),
muss hier
nicht entschieden werden. Denn ein solcher
selbständiger Unwertgehalt liegt in [X.], in denen

wie hier

nach den Feststellungen bei einer einheitlichen Verletzungshandlung alle Verletzungsfolgen

und damit auch solche im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB

bis hin zum Tode gleichermaßen
billigend in Kauf genommen werden, nicht vor.
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Totschlags
(Fall III.
der Urteils-gründe)
hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der
Straf-ausspruch begegnet
hingegen durchgreifenden
rechtlichen
Bedenken.
a) Das [X.] hat die gegen den Angeklagten verhängte [X.] dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen; einen minder schweren Fall des Totschlags hat es unter Berücksichtigung von [X.] und Täterpersönlich-keit verneint. Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um ein situatives Tatgeschehen und keine von langer Hand geplante Tat gehandelt hat, der Angeklagte bei der Tat
stark erregt war
und er alters-
und krankheitsbedingt besonders haftempfindlich und nicht vorbestraft ist. [X.] führt die [X.] nicht auf.
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b) Diese Ausführungen sind

auch unter Berücksichtigung des einge-schränkten revisionsgerichtlichen [X.] (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 3. August 2011

2 [X.], Rn. 5 juris; [X.], Beschluss vom 17. Juli 2009

5 [X.], [X.], 336, jeweils mwN)

lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft. Die [X.] stützt sich zur Begründung der im anwendba-ren Strafrahmen gefundenen Strafe ausschließlich auf Strafmilderungsgründe. Eine Abwägung "aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände" (UA S.
52) findet gerade nicht statt. Damit
ist aber nicht erkennbar begründet, warum sich die Strafe am oberen Rand des zur Verfügung stehenden Strafrah-mens von elf Jahren drei Monaten bewegt.
c) Die Sache bedarf auch insoweit neuer Verhandlung und Entschei-dung, da der [X.] ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler letztlich nicht ausschließen kann. Dies gilt trotz des Umstandes, dass es [X.] ausreichend konkreter Feststellungen an einer Grundlage für die vorge-nommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB fehlt. Wie [X.] Störung in Zusammenhang mit einer leichten kognitiven Störung bei [X.] zu einan sich im normalpsychologischen Bereich liegenden Persönlichkeitszügen geführt haben
soll
([X.]), ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Zuordnung dieses [X.] zum Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung.

Im Hinblick auf die vom [X.] erörterten Sachverhaltsalternativen weist der [X.] darauf hin, dass es durch den
Zweifelssatz nicht
geboten ist, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten oder sonstige Umstände zu unterstel-len, für deren Vorliegen die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte erbracht hat (std. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. April 2007

1 [X.], [X.]St 51, 324, 325 mwN).
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3. Durch den Wegfall der Einzelstrafen
wird auch dem Gesamtstrafen-ausspruch die Grundlage
entzogen.
[X.] Appl Eschelbach

Ott Zeng
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Meta

2 StR 180/13

13.08.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.08.2013, Az. 2 StR 180/13 (REWIS RS 2013, 3501)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3501

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