Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.01.2023, Az. III R 36/21

3. Senat | REWIS RS 2023, 2310

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Gegenstand

Allgemeine Leistungsklage des Jobcenters gegen die Familienkasse wegen Erstattung


Leitsatz

1. Erstattungsansprüche des Jobcenters nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 102 bis 105 SGB X sind mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen, da zwischen den Leistungsträgern kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht.

2. Für die Monate, in denen die Familienkasse rechtzeitig geleistet hat, scheidet ein Erstattungsanspruch des Jobcenters aus (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, Senatsurteil vom 02.06.2022 - III R 9/21, BFHE 277, 294, BStBl II 2022, 840).

3. Ein Erstattungsanspruch ist außerdem ausgeschlossen, wenn die Familienkasse selbst geleistet hat, bevor sie von der Leistung des Jobcenters Kenntnis erlangt hat (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, Senatsurteil vom 02.06.2022 - III R 9/21, BFHE 277, 294, BStBl II 2022, 840).

4. Im Fall des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB X hat die Familienkasse von der Leistung des Jobcenters Kenntnis erlangt, sobald eine entsprechende Mitteilung unter der eigens für Erstattungsanträge eingerichteten Funktionsadresse der Familienkasse eingegangen ist.

5. Organisatorische Entscheidungen der Familienkasse, die dazu führen, dass dem für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergelds zuständigen Sachbearbeiter eine in den Geschäftsbereich gelangte Information nicht bekannt wird, rechtfertigen es nicht, diese im Verhältnis zu Dritten als unbekannt zu werten.

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 16.04.2021 - 2 K 302/18 wird dahingehend geändert, dass die Familienkasse verurteilt wird, dem Jobcenter 486 € zu erstatten.

Im Übrigen werden die Klage des [X.] und die Revision der Familienkasse abgewiesen.

Die Familienkasse trägt 3/5 und das Jobcenter 2/5 der Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

I.

1

Die [X.]eklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) wendet sich gegen ein Urteil, wonach sie dem Kläger und Revisionsbeklagten (Jobcenter) gemäß § 74 [X.]bs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 104 [X.]bs. 1 Satz 1 des [X.] ([X.]) einen Teil der von diesem in der [X.] bis Oktober 2017 nach dem [X.] ([X.]) an die [X.]eigeladene (Kind) gezahlten Leistungen erstatten muss.

2

Mit [X.]escheid vom 08.05.2017 bewilligte das Jobcenter dem 1993 geborenen Kind, das zwischenzeitlich eine eigene Wohnung angemietet hatte, ab Juni 2017 Leistungen nach dem [X.] ohne [X.]nrechnung von Kindergeld. [X.]m selben Tag sandte das Jobcenter an die damals eigens eingerichtete Funktionsadresse der Familienkasse für Erstattungsanträge eine E-Mail und teilte u.a. mit, das Kind erhalte seit dem 01.06.2017 Leistungen nach dem [X.], weshalb ein Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. [X.] i.V.m. § 40a [X.] geltend gemacht werde. Das Jobcenter gab dabei die [X.] des in [X.] wohnenden Kindsvaters an, unter der der Kindergeldanspruch für das Kind früher (wohl bis 2014) geführt worden war, den Namen und das Geburtsdatum des Kindes, dessen aktuelle [X.]dresse in [X.] sowie die Namen und Geburtsdaten seiner Eltern. Dieses Schreiben wurde --nach [X.]ngaben der Familienkasse in der mündlichen [X.] wie alle unter der Funktionsadresse eingehenden E-Mails inhaltlich nicht geprüft, sondern nur weitergeleitet und zwar --im Hinblick auf die angegebene [X.]-- an eine Familienkasse in [X.]; dort sei es dem Datensatz des Kindsvaters zugeordnet worden.

3

Die für den Vater des Kindes zuständige Familienkasse in [X.] teilte dem Jobcenter unter [X.]ezugnahme auf die bereits vom Jobcenter verwendete [X.] des [X.] (ohne zu erwähnen, um wessen [X.] es sich handelte) mit Schreiben vom 09.06.2017, eingegangen beim Jobcenter am 19.06.2017, mit, dass aus dortiger Sicht ungewiss sei, ob eine Kindergeldbewilligung in [X.]etracht komme und wer gegebenenfalls kindergeldberechtigt sei. Es werde anheimgestellt, eine [X.]erechtigtenbestimmung gemäß § 64 [X.]bs. 3 EStG herbeizuführen oder Hinderungsgründe mitzuteilen, sonst werde der [X.] abgelehnt.

4

[X.]m 20.07.2017 sprach das Kind beim Jobcenter vor und teilte mit, dass der [X.]ntrag auf Kindergeld über die Mutter laufe.

5

Mit Datum vom 20.07.2017, eingegangen bei der für den Vater zuständigen Familienkasse am 24.07.2017, stellte die Mutter für das Kind einen [X.]ntrag auf Kindergeld. Zugleich wurde ein [X.]bzweigungsantrag gestellt; Namen und [X.]dressen der Kindseltern, die keinen Unterhalt leisteten, wurden angegeben.

6

Die für den Vater zuständige Familienkasse leitete den [X.] Ende Juli 2017 an die beklagte, für die Mutter zuständige, Familienkasse weiter. Die Erstattungsanzeige wurde dabei nicht an die beklagte Familienkasse zurückübertragen.

7

Die beklagte Familienkasse setzte mit [X.]escheiden vom 12.09.2017 gegenüber der Kindsmutter Kindergeld für das Kind ab Juni 2017 fest, zweigte das Kindergeld an das Kind ab, zahlte das Kindergeld für die [X.] bis September am 12./18.09.2017 aus und veranlasste die laufende [X.]uszahlung des Kindergelds ab Oktober 2017. Von der E-Mail vom 08.05.2017 hatte der [X.]earbeiter keine Kenntnis.

8

Mit Schreiben vom 18.09.2017 forderte das Jobcenter den [X.]escheid über die Festsetzung des Kindergelds an, der dort am 20.09.2017 zusammen mit dem [X.]bzweigungsbescheid einging. Ein Mitarbeiter des [X.] rief daraufhin am 21.09.2017 beim Servicecenter der Familienkassen an und teilte u.a. mit, es sei bereits ein Erstattungsanspruch geltend gemacht worden. Mit [X.]escheid vom 21.09.2017 änderte das Jobcenter den [X.]ewilligungsbescheid gegenüber dem Kind und rechnete das Kindergeld ab November 2017 auf die Leistungen nach dem [X.] an. [X.]ußerdem machte das Jobcenter mit Schreiben vom 21.09.2017 (eingegangen am 25.09.2017) gegenüber der [X.]eklagten einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. [X.] geltend und beantragte, 810 € für den Zeitraum von Juni bis Oktober 2017 an das Jobcenter zu erstatten (5 x 192 €/Monat Kindergeld abzüglich einer im Hinblick auf § 74 [X.]bs. 2 EStG i.V.m. § 104 [X.]bs. 3 [X.] abzuziehenden Pauschale von 30 €/Monat gemäß § 11 [X.]bs. 1 Satz 1, § 11b [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 13 [X.]bs. 1 Nr. 3 [X.] i.V.m. § 6 [X.]bs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur [X.]erechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim [X.]rbeitslosengeld II/Sozialgeld, [X.] II-IV).

9

Die Familienkasse lehnte eine Erstattung ab, weil sie selbst geleistet habe, bevor sie von der Leistung des Sozialhilfeträgers Kenntnis erlangt habe. Die Erstattungsforderung sei erst am 21.09.2017 eingegangen, nachdem die [X.] [X.]eträge bereits am 12./18.09.2017 zur [X.]uszahlung angewiesen worden seien. Seither werde das Kindergeld laufend gezahlt. Das Jobcenter, das einräume, am 20.07.2017 erfahren zu haben, dass die Kindsmutter die Kindergeldberechtigte sei, hätte in der Folge einen (erneuten) Erstattungsanspruch mit den Daten der Kindsmutter stellen müssen.

Hierauf hat das Jobcenter eine allgemeine Leistungsklage erhoben.

Das Finanzgericht ([X.]) hat der Klage stattgegeben.

Hiergegen wendet sich die beklagte Familienkasse mit der Revision.

Die Familienkasse vertritt die [X.]uffassung, dass die Mitteilung vom 08.05.2017 nicht dazu geführt habe, dass sie i.S. des § 104 [X.]bs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] Kenntnis von den Leistungen des [X.] erlangt habe, bevor sie die (Nach-)Zahlung im September 2017 geleistet habe. Die [X.]kten würden nach [X.] geführt. Der Erstattungsantrag habe sich in der Kindergeldakte des Kindsvaters befunden. Die für den Vater zuständige Familienkasse habe das Jobcenter darauf hingewiesen, dass sie nicht entscheiden könne, wer vorrangig kindergeldberechtigt sei, und gebeten, eine [X.]erechtigtenbestimmung herbeizuführen. Das Jobcenter habe daher mit der [X.]blehnung des [X.]s und seines Erstattungsanspruchs rechnen müssen, wenn es keine weiteren [X.]ktivitäten entfalte. Mangels [X.]nstrengungen des [X.] habe man davon ausgehen können, dass sich der Erstattungsanspruch erledigt habe. Nachdem das Kind dem Jobcenter mitgeteilt hatte, dass der [X.] über die Mutter laufe, hätte das Jobcenter einen diesbezüglichen Erstattungsanspruch geltend machen müssen.

Für den Monat Oktober 2017 habe sie (die Familienkasse) zwar durch das Schreiben des [X.] vom 21.09.2017 i.S. des § 104 [X.]bs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] Kenntnis von der Leistung des [X.] erlangt. Für Oktober 2017 scheide jedoch ein Erstattungsanspruch im Hinblick auf die im Oktober 2017 für diesen Monat erfolgte Zahlung des Kindergelds aus.

Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des Hessischen [X.] vom 16.04.2021 - 2 K 302/18 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Das Jobcenter beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Es hält die Vorentscheidung für richtig. Der Erstattungsanspruch sei mit Schreiben vom 08.05.2017 nicht nur in [X.]ezug auf einen bestimmten [X.] geltend gemacht worden. [X.]uch der von den Familienkassen bereitgestellte Vordruck ([X.]) frage nach der "leistungsbeziehenden Person", hier also nach dem Namen und der [X.]dresse des Kindes, und nicht nach den "[X.]". Gleichwohl seien auch die Namen beider Eltern angegeben worden. Die Nennung der [X.] sei nicht erforderlich. Dass die letzte [X.] genannt worden sei, sei unschädlich.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist teilweise begründet. Die Vorentscheidung ist dahingehend abzuändern, dass ein Erstattungsanspruch nur in Höhe von 486 € für die drei Monate Juni bis August 2017 besteht.

Für die Monate Juni bis August 2017 hat das [X.] einen Erstattungsanspruch des [X.] gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] zutreffend bejaht und der Leistungsklage zu Recht stattgegeben. Die Vorentscheidung verstößt hingegen gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), soweit das [X.] entschieden hat, dass die Leistungsklage des [X.] für die Monate September und Oktober 2017 begründet ist, in denen die Familienkasse das gemäß §§ 62 ff. EStG festgesetzte Kindergeld rechtzeitig gezahlt hat. Insoweit ist die Vorentscheidung zugunsten der Familienkasse zu ändern und die Klage des [X.] abzuweisen.

1. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die Klage als allgemeine Leistungsklage zulässig ist. Erstattungsansprüche nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 102 bis 105 [X.] sind mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen, da zwischen den Leistungsträgern kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, das zu einer Entscheidung durch Verwaltungsakt berechtigen würde (vgl. Senatsurteil vom [X.], [X.], 1, [X.], 544, unter [X.], m.w.N.).

2. Das [X.] hat der Klage des [X.] auf Erstattung der in den Monaten September und Oktober 2017 erbrachten Leistungen in Höhe von je 162 € (192 € abzüglich Pauschale) zu Unrecht stattgegeben. In diesen Monaten hat die Familienkasse rechtzeitig geleistet. Ein Erstattungsanspruch des [X.] scheidet insoweit aus. Zur Begründung wird auf die Senatsurteile vom 22.09.2022 - III R 38/20 ([X.]/NV 2023, 35, Rz 23 ff.) und vom 02.06.2022 - III R 9/21 ([X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 24 ff.) verwiesen.

3. Die Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O), soweit das [X.] entschieden hat, dass der Erstattungsanspruch des [X.] für die Monate Juni bis August 2017 besteht, in denen die Familienkasse das gemäß §§ 62 ff. EStG festgesetzte Kindergeld nicht rechtzeitig gezahlt hat.

a) Die Familienkasse hat das Kindergeld für die Monate Juni bis August 2017 erst im September 2017 und somit nicht rechtzeitig gezahlt. Bei rechtzeitiger Leistung durch die Familienkasse wäre das [X.] in Höhe des Kindergelds abzüglich Pauschale nicht zur Leistung verpflichtet gewesen.

b) Der Erstattungsanspruch des [X.] gegen die Familienkasse wegen der Leistungen für diese Monate ist nicht gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] ausgeschlossen. Die Familienkasse hat für diese Monate erst geleistet, nachdem sie von der Leistung des [X.] durch das Schreiben des [X.] vom 08.05.2017 Kenntnis erlangt hat.

aa) Gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] besteht ausnahmsweise kein Erstattungsanspruch, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Umstände und Form der Kenntniserlangung sind nicht von Bedeutung (Senatsurteile in [X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 27, und in [X.]/NV 2023, 35, Rz 27). Ob inhaltlich Kenntnis von der Leistung des anderen Leistungsträgers i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 und § 107 [X.] gegeben ist, ist in erster Linie eine Tatfrage. Hierzu sind der Akteninhalt und alle sonstigen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (Senatsurteile in [X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 28 ff., und in [X.]/NV 2023, 35, Rz 28 ff.).

(1) Im Fall des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] genügt es für die Kenntnis von der Leistung des [X.], dass die Familienkasse in dem Zeitpunkt, in dem über eine Nachzahlung zu entscheiden ist, nach dem objektiven Empfängerhorizont positive Kenntnis davon hat, dass und ab wann das [X.] Leistungen zur Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten des Kindes gewährt oder gewährt hat und dass das [X.] deshalb "Erstattung" gemäß §§ 102 ff. [X.] begehrt. Allein die Mitteilung, es handele sich um einen "Sozialhilfefall" oder "Sozialfall" o.Ä. genügt hingegen regelmäßig nicht (vgl. z.B. Senatsurteil vom 14.04.2021 - III R 1/20, [X.]E 273, 41, [X.] 2021, 700, Rz 18; vgl. dazu auch Senatsurteil in [X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 32).

(a) Nach dem objektiven Empfängerhorizont der Familienkasse, einer Behörde, deren Beschäftigten das Erstattungsverfahren im Wesentlichen bekannt ist, beinhaltet die Mitteilung, dass das [X.] um "Erstattung" ersucht, regelmäßig die Information, dass dieses Leistungen erbracht hat oder noch erbringt, die nach ihrer Art und der zeitlichen Zuordnung den verspäteten, an sich vorrangig von der Familienkasse zu erbringenden Leistungen entsprechen. Die Mitteilung eines Erstattungsfalls beinhaltet die Information, dass maximal ein Betrag in Höhe des Kindergelds zu erstatten ist. Denn der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs. 3 [X.]). Ein Erstattungsanspruch besteht nur für einen Monat, in dem sowohl eine Leistung erbracht wurde, als auch ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Der Anspruch kann somit frühestens ab dem Monat bestehen, ab dem Kindergeld festgesetzt wird, auch wenn das [X.] seine Leistung vorher aufgenommen hat. Hat es seine Leistung erst später aufgenommen, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich. Falls das [X.] nicht mitgeteilt hat, dass es seine Leistungen vorher eingestellt hat, endet der Erstattungsanspruch mit der Aufnahme der rechtzeitigen Zahlung des Kindergelds. Auch diesen Zeitpunkt kennt die Familienkasse. Somit ist in der Regel klar, in welcher Höhe die Nachzahlung zurückzustellen ist, um eine Überzahlung zu vermeiden.

(b) Die Kenntnis von den Leistungen des [X.] wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Familienkasse nicht weiß, ob sich die Verspätung in allen Monaten vollumfänglich in höheren Zahlungen des [X.] niedergeschlagen hat oder ob es (in einem Auszahlungsfall oder Aufstockungsfall) nur ergänzende Leistungen erbracht hat (z.B. Senatsurteil in [X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 31).

(c) Die V 33.1 Satz 4 der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem EStG ([X.]) 2017 (BStBl I 2017, 1007; vgl. auch V 34.1 Abs. 1 Satz 4 [X.] 2021, BStBl I 2021, 1599), wonach der Sozialleistungsträger durch detaillierte Angaben darzulegen hat, dass er einen Erstattungsanspruch hat, betrifft die Geltendmachung des Anspruchs, nicht das Verschaffen der Kenntnis i.S. des § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]. Im Übrigen können die Familienkassen die Anforderungen an die Kenntnis von der Leistung des anderen Leistungsträgers nicht zu dessen Lasten regeln.

(2) Zur Vermittlung der Kenntnis i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] genügt es, dass die Information über die Leistung des nachrangigen Leistungsträgers, die Leistungszeit und das Erstattungsbegehren vor der Nachzahlung in den Geschäftsgang der zuständigen Familienkasse gelangt ist. Das Gesetz stellt nicht auf den Bediensteten, sondern auf den Leistungsträger ab (z.B. Senatsurteil in [X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 34).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Erstattungsanspruch des [X.] gegen die Familienkasse wegen der Leistungen für die Monate Juni bis August 2017 nicht gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] ausgeschlossen. Die Familienkasse hat zwar selbst geleistet, hatte jedoch bereits zuvor i.S. des § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] Kenntnis von den Leistungen des [X.].

Das [X.] hat festgestellt, dass das [X.] mit Schreiben vom 08.05.2017 an die damals eigens für an die beklagte Familienkasse adressierte [X.] eingerichtete [X.] eine E-Mail gesandt hat. Darin wurde u.a. mitgeteilt, für das Kind würden ab dem 01.06.2017 Leistungen nach dem [X.] gezahlt, weshalb ein Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. [X.] geltend gemacht werde. Nach den dargestellten Grundsätzen ist die Erstattungsanzeige damit bei der Familienkasse eingegangen.

Das Schreiben enthielt alle Angaben, die für eine Zuordnung erforderlich waren, insbesondere auch den Namen der kindergeldberechtigten Mutter und des Kindes. Es war auch nicht widersprüchlich, weil das [X.] nur die letzte bekannte [X.] (die des [X.]) und nicht auch die der Mutter angegeben hat; zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine zweite [X.]. Da die Familienkasse bereits durch die E-Mail vom 08.05.2017 Kenntnis von den relevanten Umständen hatte, ist es ohne Belang, dass das [X.] die Familienkasse [X.] angeschrieben hat.

Dass dem für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergelds zuständigen Bearbeiter der Familienkasse die E-Mail vom 08.05.2017 nicht bekannt war, spielt keine Rolle (z.B. Senatsurteil in [X.]E 277, 294, [X.] 2022, 840, Rz 34).

Der Umstand, dass die Erstattungsanzeige mit den zur Identifizierung des Kindes dienenden Daten (vgl. § 63 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG in der gemäß § 52 Abs. 49a Sätze 4 und 5 EStG seit 2016 geltenden Fassung) und den Daten der vom [X.] als mögliche Kindergeldberechtigte ausdrücklich genannten Personen (hier den Eltern) nicht verknüpft wurde, beruhte auf einer organisatorischen Entscheidung der Familienkasse, die es nicht rechtfertigt, in ihren Geschäftsbereich gelangte Informationen [X.] gegenüber als unbekannt zu werten.

c) Sonstige Gründe, die einem Erstattungsanspruch entgegenstehen können, hat das [X.] nicht festgestellt; insbesondere wurde die Ausschlussfrist des § 111 [X.] im Streitfall gewahrt.

4. [X.] beruht auf § 143 und § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O. Dem beigeladenen Kind werden keine Kosten auferlegt, aber auch keine Kosten erstattet. Sein Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt.

Meta

III R 36/21

19.01.2023

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 16. April 2021, Az: 2 K 302/18, Urteil

§ 62 EStG 2009, §§ 62ff EStG 2009, § 74 Abs 2 EStG 2009, Abschn V33.1 S 4 DA-KG 2017, Abschn V34.1 Abs 1 S 4 DA-KG 2021, § 102 SGB 10, §§ 102ff SGB 10, § 111 SGB 10, § 104 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB 10, § 40 Abs 1 FGO, EStG VZ 2017

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.01.2023, Az. III R 36/21 (REWIS RS 2023, 2310)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2310

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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