Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2022, Az. III R 38/20

3. Senat | REWIS RS 2022, 6623

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Gegenstand

Zur Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids über das Erlöschen von Kindergeldansprüchen infolge von Leistungen des Jobcenters


Leitsatz

1. NV: Kindergeldansprüche gelten gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt und gemäß § 47 AO als erloschen, soweit das Jobcenter wegen unterlassener oder verzögerter Kindergeldzahlungen einen Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse hat.

2. NV: Die Frage, ob die Familienkasse geleistet hat, bevor sie von der Leistung des Jobcenters Kenntnis hatte, stellt sich nur in Nachzahlungsfällen, nicht aber, wenn die Familienkasse rechtzeitig leistet.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 17.06.2019 - 5 K 140/16 und der Abrechnungsbescheid der Familienkasse vom 24.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.12.2015 dahingehend geändert, dass bei Auszahlung des Kindergelds in den Monaten März bis Juli 2015 jeweils noch nicht als erfüllt geltende Kindergeldansprüche der Klägerin in Höhe von 184 €/Monat bestanden haben; die Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin wird von 1.472 € um 920 € auf 552 € vermindert.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Die Familienkasse trägt 63 % und die Klägerin trägt 37 % der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

I.

1

In der Sache ist streitig, ob die Kindergeldansprüche der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gemäß §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die [X.] von Dezember 2014 bis Juli 2015 wegen der Leistungen des Beigeladenen (Jobcenter) und dessen Erstattungsansprüchen gegen die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 des [X.] ([X.]) als erfüllt gelten und erloschen sind. Streitig ist auch, ob die Klägerin das Kindergeld für die Monate Dezember 2014 bis Juli 2015 zurückzahlen muss.

2

Die Klägerin bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Grundsicherung in Form von Arbeitslosengeld II --ALG II--) gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 des [X.] ([X.]). Nach der Geburt eines Kindes am ...12.2014 erhöhte das Jobcenter seine Leistungen für die nun aus der Klägerin und dem in ihren Haushalt aufgenommenen Kind bestehende Bedarfsgemeinschaft. Der Kindergeldanspruch der Klägerin wurde dabei zunächst (mangels Zuflusses) nicht bedarfs- und leistungsmindernd berücksichtigt.

3

Mit am 07.01.2015 bei der Familienkasse eingegangenem Antrag beantragte die Klägerin für das Kind Kindergeld. Sie legte dabei eine am ...12.2014 ausgestellte Geburtsurkunde vor, die den Vermerk "Nur gültig zur Beantragung von Kindergeld" nicht aufwies. Die Familienkasse bewilligte zunächst kein Kindergeld und forderte die Klägerin wiederholt vergeblich auf, die Geburtsurkunde mit dem der Vermeidung von Mehrfachanträgen dienenden Vermerk vorzulegen.

4

Noch bevor eine Entscheidung über den [X.] ergangen war, zeigte das Jobcenter der Familienkasse mit Schreiben vom 21.01.2015 (dort eingegangen am 26.01.2015) an, dass es für die Klägerin und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen seit dem "01.09.2014" Leistungen nach dem [X.] erbringe und machte einen "Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. [X.]" geltend.

5

Mit Bescheid vom 17.03.2015 setzte die Familienkasse Kindergeld ab Dezember 2014 für das am ...12.2014 geborene Kind fest. Außerdem veranlasste die Familienkasse noch im März 2015 die Auszahlung des Kindergelds an die Klägerin für die [X.] von Dezember 2014 bis März 2015 in Höhe von 736 € (184 €/Monat x 4 Monate) und die Auszahlung des Kindergelds in Höhe von 184 €/Monat ab April 2015 zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen. Das Schreiben des Jobcenters vom 21.01.2015 wurde dabei übersehen.

6

Mangels Kenntnis hiervon zahlte das Jobcenter bis Juli 2015 jeweils zum 20. des Vormonats für die aus der Klägerin und dem Kind bestehende Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aus, ohne das nun ausgezahlte Kindergeld bedarfs- und leistungsmindernd zu berücksichtigen.

7

Mit Schreiben vom 15.07.2015 erinnerte das Jobcenter die Familienkasse an das Schreiben vom 21.01.2015. In der Folge erfuhr das Jobcenter von der Festsetzung und Auszahlung des Kindergelds und rechnete es ab August 2015 auf die Grundsicherungsleistungen an. Am 24.08.2015 erstattete die Familienkasse dem Jobcenter 1.472 €, erließ den streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid und forderte von der Klägerin die Rückzahlung von 1.472 € (184 €/Monat x 8 Monate).

8

Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 16.12.2015) und Klage der Klägerin waren erfolglos. Die Vorentscheidung ist in juris veröffentlicht.

9

Die Klägerin wendet sich gegen das Urteil mit der Revision.

Mit Beschluss vom 19.05.2022 wurde das Jobcenter beigeladen (§ 60 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 123 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Die Klägerin trägt sinngemäß vor, das Finanzgericht ([X.]) sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Abrechnungsbescheid rechtmäßig sei. Das Kindergeld sei nicht [X.] gezahlt worden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 74 Abs. 2 EStG, § 104 Abs. 1 und § 107 [X.], § 47 AO seien nicht erfüllt. Auch wenn sie wirtschaftlich Leistungen in Höhe von 1.472 € doppelt erhalten haben sollte, sei sie nicht zur Rückzahlung an die Familienkasse verpflichtet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Abrechnungsbescheid der Familienkasse vom 24.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.12.2015 dahingehend zu ändern, dass bei Auszahlung des Kindergelds in Höhe von 736 € im März 2015 und in Höhe von jeweils 184 €/Monat in der [X.] von April bis Juli 2015, insgesamt also in Höhe von 1.472 €, (jeweils) unerfüllte Kindergeldansprüche in gleicher Höhe bestanden haben und dass die Rückzahlungsverpflichtung gegenüber der Familienkasse somit 0 € beträgt.

Hilfsweise beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Jobcenter hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

I[X.]

Die Revision ist teilweise begründet. Die Vorentscheidung verstößt zum Teil gegen [X.]undesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).

Soweit die Vorentscheidung das für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 im März 2015 nachgezahlte Kindergeld betrifft, ist sie richtig. Für diese Monate gelten die Kindergeldansprüche der Klägerin infolge der Zahlungen und des Erstattungsanspruchs des [X.] gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 [X.] als erfüllt; sie sind damit erloschen (§ 47 [X.]). Die Klägerin ist gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 [X.] zur Rückzahlung des von der Familienkasse im März 2015 für die Vormonate nachgezahlten Kindergelds verpflichtet.

Soweit die Vorentscheidung das in den Monaten März bis Juli 2015 von der Familienkasse rechtzeitig gezahlte Kindergeld betrifft, verstößt sie hingegen gegen [X.]undesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O). Für diese Monate gelten die Kindergeldansprüche der Klägerin trotz der Zahlungen des [X.] nicht gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 [X.] als erfüllt, weil das Jobcenter insoweit nicht zur Leistung verpflichtet war und keinen Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] gegen die Familienkasse hat. Die Klägerin ist nicht zur Rückzahlung des in den Monaten März bis Juli 2015 jeweils rechtzeitig ausgezahlten Kindergelds verpflichtet.

1. Ein Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 [X.] (vgl. Urteil des [X.] --[X.]FH-- vom 18.08.2020 - VII R 39/19, [X.], 329, Rz 22, m.w.N.), der von einem Erlöschen (vgl. [X.]FH-Urteil vom 18.02.2020 - VII R 39/18, [X.], 391, Rz 22) der Kindergeldansprüche gemäß § 47 [X.] i.V.m. § 74 Abs. 2 EStG, § 107 Abs. 1 [X.] ausgeht, ist rechtmäßig, wenn das Jobcenter wegen seiner Leistungen gegenüber der Familienkasse einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. [X.] hat.

a) Im Streitfall kommt als Anknüpfungstatbestand für die [X.] des § 107 [X.] nur ein Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 und 2 [X.] in [X.]etracht (vgl. z.[X.]. Senatsurteil vom 14.04.2021 - III R 1/20, [X.], 41, [X.] 2021, 700, Rz 17 f.; [X.] vom 05.06.2014 - VI R 15/12, [X.], 298, [X.] 2015, 145, Rz 20; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Kommentar, Fach A, [X.] Kommentierung, § 74 Rz 39; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 74 EStG Rz 17).

b) Ein Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 [X.] setzt voraus, dass ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Leistungen erbracht hat, die er bei rechtzeitiger Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers nicht hätte erbringen müssen. Dabei darf der vorrangig verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet haben, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]).

aa) Das Gesetz zielt u.a. darauf ab, [X.] zu verhindern, und setzt deshalb die Kongruenz, also die Gleichartigkeit der Leistungen und die Übereinstimmung der Leistungszeiträume voraus (vgl. etwa [X.]/[X.], § 74 EStG Rz 17, m.w.N.). § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 [X.] erweitert den Erstattungsanspruch auch auf Fälle, in denen von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind, wenn ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Kindergeldanspruch nach dem EStG hat oder hatte (vgl. Senatsurteil vom 26.07.2012 - III R 28/10, [X.], 315, [X.] 2013, 26, Rz 11).

bb) Der nachrangige Leistungsträger ist nur dann zur Leistung verpflichtet, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger die ihm obliegende Leistung nicht oder nicht rechtzeitig erbracht hat oder erbringt (vgl. z.[X.]. Urteile des [X.] --[X.]SG-- vom [X.] [X.] 11/96, [X.], 30, Rz 15; vom 30.06.1997 - 8 [X.] 28/95, Sozialrecht --[X.]-- 3-2600 § 93 [X.] 4, Rz 27 und 30; vom 25.01.1994 - 7 [X.] 42/93, [X.], 36, Leitsatz 1 und unter I[X.]6., und vom 19.03.1992 - 7 [X.] 26/91, [X.], 186, Rz 37 ff.; Urteil des [X.] --MV-- vom 17.06.2021 - L 14 AS 255/17, Neue Justiz --NJ-- 2021, 421, Rz 55; [X.] in Diering/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2019, Vor § 102 Rz 24 f., und § 104 Rz 12; [X.] in Schütze, [X.], 9. Aufl. 2020, § 104 Rz 6).

Aufgrund der in § 11 Abs. 1 Satz 5 [X.] angeordneten [X.]erücksichtigung des Kindergelds als Kindeseinkommen ist die durch das Jobcenter geleistete Grundsicherung in Form von [X.] grundsätzlich nachrangig.

Eine rechtzeitige Erfüllung i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 2 [X.] durch die Familienkasse liegt vor, wenn sie das Kindergeld im jeweiligen Monat für den jeweiligen Monat zahlt. Mangels eines in § 66 Abs. 2 EStG gesetzlich geregelten Auszahlungstermins im einzelnen [X.] ist es nicht erforderlich, dass die Familienkasse die nur durch eine Verwaltungsanweisung geregelten, nach Kindergeldendziffern gestaffelten kassenmäßigen [X.] einhält (a.A. LSG MV in NJ 2021, 421, Rz 55; vgl. auch [X.] in [X.], 30, Rz 16, m.w.N.; [X.], a.a.[X.], § 104 Rz 6). Gemäß § 31 Satz 3 EStG wird Kindergeld laufend monatlich als Steuervergütung gezahlt; auch sonst wird das Kindergeldrecht vom Monatsprinzip geprägt (vgl. § 66 Abs. 2 EStG).

[X.]) Gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] besteht ausnahmsweise kein Erstattungsanspruch, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

(1) Umstände und Form der Kenntniserlangung sind nicht von [X.]edeutung (vgl. etwa [X.] in [X.], 298, [X.] 2015, 145, Rz 22; [X.] in [X.], 186, Rz 42; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Vor §§ 102 ff. Rz 77e).

(2) Ob inhaltlich Kenntnis von der Leistung des anderen Leistungsträgers i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 und § 107 [X.] gegeben ist, ist in erster Linie eine Tatfrage ([X.] in [X.], 36, unter I[X.]8.). Hierzu sind der Akteninhalt und alle sonstigen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

(a) Im Fall des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] genügt es für die Kenntnis von der Leistung des [X.], dass die Familienkasse in dem [X.]punkt, in dem über eine Nachzahlung zu entscheiden ist, nach dem objektiven Empfängerhorizont positive Kenntnis davon hat, dass und ab wann das Jobcenter Leistungen zur Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten des [X.] und der mit ihm in einem Haushalt lebenden und eine [X.]edarfsgemeinschaft bildenden Kinder gewährt oder gewährt hat und dass das Jobcenter deshalb "Erstattung" gemäß §§ 102 ff. [X.] begehrt (wie [X.] vom 29.03.1994 - 13 [X.], Aktueller Informationsdienst für die berufsgenossenschaftliche Sachbearbeitung [X.] 1994, 1735, Rz 20, zu § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 4 [X.]; [X.]eschlüsse des [X.] --[X.]ln-[X.][X.]-- vom 11.05.2009 - L 22 R 220/09 ER, juris, Rz 52, und vom 22.01.2009 - L 31 U 398/08, UV Recht Aktuell 2009, 398; Störmann in [X.], [X.], § 104 Rz 9; vgl. auch [X.] vom 22.06.2010 - [X.] 1 KR 21/09 R, [X.], 206, Rz 27 ff.; [X.]eschluss des [X.] vom 11.05.2017 - S 2 [X.] 33/15, juris, Rz 12). Allein die Mitteilung, es handele sich um einen "Sozialhilfefall" oder "Sozialfall" o.Ä. genügt hingegen regelmäßig nicht (vgl. z.[X.]. Senatsurteil in [X.], 41, [X.] 2021, 700, Rz 18; [X.]e in [X.] 1994, 1735, Rz 20, und in [X.], 186, Rz 43).

(aa) Nach dem objektiven Empfängerhorizont der Familienkasse, einer [X.]ehörde, deren [X.]eschäftigten das Erstattungsverfahren im Wesentlichen bekannt ist, beinhaltet die Mitteilung, dass das Jobcenter um "Erstattung" ersucht, regelmäßig die Information, dass dieses Leistungen erbracht hat oder noch erbringt, die nach ihrer Art und der zeitlichen Zuordnung den verspäteten, an sich vorrangig von der Familienkasse zu erbringenden Leistungen entsprechen. Die Mitteilung eines Erstattungsfalls beinhaltet die Information, dass maximal ein [X.]etrag in Höhe des Kindergelds zu erstatten ist. Denn der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs. 3 [X.]). Ein Erstattungsanspruch besteht nur für einen Monat, in dem sowohl eine Leistung erbracht wurde, als auch ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Der Anspruch kann somit frühestens ab dem Monat bestehen, ab dem Kindergeld festgesetzt wird, auch wenn das Jobcenter seine Leistung vorher aufgenommen hat. Hat es seine Leistung erst später aufgenommen, ist dieser [X.]punkt maßgeblich. Falls das Jobcenter nicht mitgeteilt hat, dass es seine Leistungen vorher eingestellt hat, endet der Erstattungsanspruch mit der Aufnahme der rechtzeitigen Zahlung des Kindergelds. Auch diesen [X.]punkt kennt die Familienkasse. Somit ist in der Regel klar, in welcher Höhe die Nachzahlung zurückzustellen ist, um eine Überzahlung zu vermeiden.

(bb) Die Kenntnis von den Leistungen des [X.] wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Familienkasse nicht weiß, ob sich die Verspätung in allen Monaten vollumfänglich in höheren Zahlungen des [X.] niedergeschlagen hat oder ob es (in einem Aufzahlungsfall oder Aufstockungsfall) nur ergänzende Leistungen erbracht hat. Es genügt, wenn deutlich wird, dass es bei einer Nachzahlung des ausstehenden Kindergelds an den [X.] (jedenfalls) zu einer Doppelzahlung käme. Erfährt die Familienkasse von der Leistung des nachrangig zur Leistung verpflichteten [X.] im Leistungszeitraum und kann sie somit von einer teilweisen Erfüllung nach § 107 Abs. 1 [X.] ausgehen, darf sie eine sofortige Leistung gegenüber dem [X.]erechtigten verweigern, um die Höhe der Nachzahlung abzuklären (vgl. z.[X.]. [X.] in [X.], 206, Rz 27).

([X.]) Soweit es nach der Entscheidung des Senats in [X.], 41, [X.] 2021, 700 für eine Kenntniserlangung ausreicht, dass die Umstände, die für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und der [X.]raum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt wurden, sodass es dem erstattungsverpflichteten Leistungsträger ohne weitere Nachforschungen möglich ist, zu entscheiden, welche Teile der von ihm zu erbringenden Leistung zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche an den [X.] auszuzahlen sind (Senatsurteil in [X.], 41, [X.] 2021, 700, Rz 18), heißt dies nicht, dass diese Anforderungen stets zwingend erfüllt sein müssen.

([X.]) V 33.1 Satz 4 der Dienstanweisung des [X.]undeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem EStG ([X.]) 2017 ([X.]St[X.]l I 2017, 1007; vgl. auch V 34.1 Abs. 1 Satz 4 [X.] 2021, [X.]St[X.]l I 2021, 1599), wonach etwa der Sozialleistungsträger durch detaillierte Angaben darzulegen hat, dass er einen Erstattungsanspruch hat, betrifft die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs, nicht das Verschaffen der Kenntnis i.S. des § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]. Im Übrigen können die Familienkassen die Anforderungen an die Kenntnis von der Leistung des anderen Leistungsträgers nicht zu dessen Lasten regeln.

(b) Zur Vermittlung der Kenntnis i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] genügt es, dass die Information über die Leistung des nachrangigen Leistungsträgers, die Leistungszeit und sein Erstattungsbegehren vor der Nachzahlung in den Geschäftsgang der zuständigen Familienkasse gelangt ist. Das Gesetz stellt nicht auf den [X.]ediensteten, sondern auf den Leistungsträger ab (vgl. [X.] vom 18.10.1991 - 9b/7 [X.] 12/88, [X.] 1992, 1312, Rz 17; LSG [X.]ln-[X.][X.], Urteil vom 10.07.2009 - [X.] 415/08, juris, Rz 37).

[X.]) Die (hier gewahrte) Ausschlussfrist des § 111 [X.] ist im Streitfall unerheblich, denn sie betrifft nur das Verhältnis der Leistungsträger untereinander (vgl. [X.] vom 06.02.1992 - 12 [X.], [X.], 93, Rz 27 f.; [X.] vom 25.04.1991 - 11 [X.], juris; [X.]/[X.]mann/ [X.], § 74 EStG Rz 49; [X.], a.a.[X.], § 102 [X.]. 2 S. 37).

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Revision teilweise begründet.

Soweit die Vorentscheidung die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 betrifft, wurde die Klage gegen den Abrechnungsbescheid zu Recht abgewiesen. Denn die Familienkasse hat zutreffend entschieden, dass die Kindergeldansprüche der Klägerin für das am ...12.2014 geborene Kind für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015, für die das Kindergeld verspätet gezahlt wurde, wegen der Leistungen des [X.] und seines hieran anknüpfenden Erstattungsanspruchs gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 [X.] als erfüllt gelten und damit erloschen sind (§ 47 [X.]). Somit erfolgte die Nachzahlung des Kindergelds für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 ohne Rechtsgrund. Die Klägerin ist gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 [X.] in Höhe von 552 € (3 x 184 €) zur Rückzahlung verpflichtet.

Soweit die Vorentscheidung das für die [X.] von März bis Juli 2015 von der Familienkasse rechtzeitig gezahlte Kindergeld in Höhe von 920 € (5 x 184 €) betrifft, verstößt sie gegen [X.]undesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O). Diesbezüglich sind die Vorentscheidung und der Abrechnungsbescheid zugunsten der Klägerin zu ändern.

a) Es ist im Streitfall nicht zweifelhaft, dass die Leistungen des [X.] und die Kindergeldansprüche und -zahlungen in Höhe des Kindergelds kongruent sind, dieselben Monate betreffen und demselben Zweck dienen, nämlich der Deckung des Lebensbedarfs des [X.] und des mit ihm in einer [X.]edarfsgemeinschaft lebenden Kindes.

b) Das [X.] hat jedoch zu Unrecht nicht geprüft, ob das Jobcenter im Streitfall zur Leistung verpflichtet war; nur dann kann es einen Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] haben und der Kindergeldanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 Abs. 1 [X.] als erfüllt gelten und gemäß § 47 [X.] erloschen sein. Dies setzt voraus, dass die Familienkasse ihre Leistungen nicht oder nicht rechtzeitig erbracht hat (§ 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 war das Jobcenter gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 2 [X.] (nachrangig) zur Leistung verpflichtet. Die Familienkasse hat erst im März 2015 --für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 also zu spät-- gezahlt.

Für die Monate März bis Juli 2015 war das Jobcenter nicht (nachrangig) zur Leistung verpflichtet und hat keinen Erstattungsanspruch, weil die Familienkasse von März bis Juli 2015 im jeweiligen Monat für den Monat Kindergeld gezahlt und damit rechtzeitig geleistet hat. Ob das Jobcenter davon wusste oder die Doppelzahlung hätte verhindern können, ist unerheblich; § 104 Abs. 1 [X.], an den § 107 [X.] anknüpft, stellt allein auf die rechtzeitige Erfüllung der Leistungsverpflichtung ab.

c) Für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 ist der Erstattungsanspruch des [X.] insbesondere auch nicht gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] ausgeschlossen. Denn die Familienkasse hat nicht geleistet, bevor sie von den Leistungen des [X.] Kenntnis erlangt hat.

aa) Im März 2015, als die Familienkasse die Nachzahlung für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 erbracht hat, war das Schreiben des [X.] vom 21.01.2015, dem die Familienkasse die relevanten Informationen entnehmen konnte, bereits in ihren Geschäftsbereich gelangt. Das in der Kindergeldakte der Klägerin abgelegte Schreiben wurde bei der [X.]earbeitung schlicht übersehen.

bb) Die Familienkasse konnte diesem Schreiben entnehmen, dass das Jobcenter ab dem 01.09.2014 Geldleistungen nach dem [X.] zur Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten der Klägerin und des mit ihr in einem Haushalt lebenden und eine [X.]edarfsgemeinschaft bildenden Kindes gewährt hat und dass das Jobcenter deshalb einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. [X.] geltend machen will. Ein derartiger Anspruch konnte nur die [X.] der verspäteten Leistung der Familienkasse (Dezember 2014 bis Februar 2015) betreffen. Wie ausgeführt, genügen diese Angaben im Fall des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] (wie [X.] in [X.] 1994, 1735, Rz 20, zu § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 4 [X.]).

d) Die Gefahr einer doppelten Rückforderung besteht nicht. Die §§ 45 ff. [X.] sind gesperrt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht (vgl. z.[X.]. [X.] vom 08.04.2020 - [X.] 13 R 80/18, juris, Rz 10; [X.]e vom 20.12.2011 - [X.] 4 AS 203/10 R, [X.] 4-1300 § 107 [X.] 5, Rz 19; vom 22.05.2002 - [X.] 8 KN 11/00 R, [X.] 3-2600 § 93 [X.] 12, Rz 17 f., und in [X.] 3-2600 § 93 [X.] 4, Rz 27 ff.).

e) Einer Rückforderung der Zahlung für die Monate Dezember 2014 bis Februar 2015 steht auch der Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder der Verwirkungsgedanke nicht entgegen (wie im Senatsurteil in [X.], 41, [X.] 2021, 700, Rz 26 ff.; vgl. auch Senatsbeschluss vom 27.02.2007 - III [X.] 1/06, [X.]FH/NV 2007, 1120).

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O. Hiernach trägt die Familienkasse 63 % und die Klägerin 37 % der Kosten des Rechtsstreits.

Das Jobcenter trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Der Umstand, dass es im Revisionsverfahren auf mündliche Verhandlung verzichtet und damit dem Senat eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ermöglicht hat, rechtfertigt es nicht, es an den von der Familienkasse zu tragenden Kosten zu beteiligen.

Meta

III R 38/20

22.09.2022

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 17. Juni 2019, Az: 5 K 140/16, Urteil

§ 37 Abs 2 S 1 AO, § 47 AO, § 218 AO, § 31 S 3 EStG 2009, §§ 62ff EStG 2009, § 62 EStG 2009, § 66 Abs 2 EStG 2009, § 74 Abs 2 EStG 2009, Abschn V33.1 Abs 1 S 4 DA-KG 2017, Abschn V34.1 Abs 1 S 4 DA-KG 2021, § 11 SGB 2, § 19 SGB 2, §§ 45ff SGB 10, § 45 SGB 10, §§ 102ff SGB 10, § 102 SGB 10, § 104 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB 10, § 107 SGB 10, § 111 SGB 10, EStG VZ 2014, EStG VZ 2015

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2022, Az. III R 38/20 (REWIS RS 2022, 6623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6623

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