Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2012, Az. III R 24/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 1123

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Gegenstand

(Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers beim Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch den Kindergeldberechtigten)


Leitsatz

Hat ein Sozialleistungsträger wegen der Leistungen nach dem SGB II, die er dem Kind eines Kindergeldberechtigten gewährt hat, keinen Anspruch auf Erstattung von Kindergeld, weil das Kind in einem eigenen Haushalt lebt und das Kindergeld an das Kind weder abgezweigt noch weitergeleitet worden ist, so besteht dennoch ein Erstattungsanspruch, wenn der kindergeldberechtigte Elternteil ebenfalls Sozialleistungen nach dem SGB II bezieht .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog vom Jobcenter, dem Beigeladenen und Revisionskläger (Beigeladener), im streitigen Zeitraum (August 2008 bis Januar 2009) Leistungen zur [X.]icherung des Lebensunterhalts und zur Bestreitung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem [X.] ([X.]). Die Leistungen beliefen sich auf monatlich 1.414,69 € (August 2008) und 1.425,69 € (ab [X.]eptember 2008). Zur Bedarfsgemeinschaft gehörten auch die Ehefrau des [X.] sowie die gemeinsame Tochter. Der im Juli 1989 geborene [X.] ([X.]) des [X.] lebte im streitigen Zeitraum in einer eigenen Wohnung. Auch [X.] erhielt Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem [X.]. Bei der Berechnung der Höhe der Leistungen nach dem [X.] für den Kläger berücksichtigte der Beigeladene im [X.]treitzeitraum das Kindergeld für die Tochter als Einkommen des [X.], nicht aber den Anspruch auf Kindergeld für [X.].

2

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte gegenüber dem Kläger Kindergeld für [X.] durch Bescheid vom 26. Januar 2009 ab August 2008 fest. Da der Beigeladene einen Erstattungsanspruch geltend gemacht hatte, stellte sie darüber hinaus in dem Bescheid fest, dass der Anspruch des [X.] auf Kindergeld für [X.] für die Zeit von August 2008 bis Januar 2009 in Höhe von 934 € erfüllt sei. Ab Februar 2009 zahlte die Familienkasse das Kindergeld für [X.] an den Kläger aus.

3

Gegen den Abrechnungsbescheid wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch. Die Familienkasse wies den Rechtsbehelf als unbegründet zurück.

4

Im anschließenden Klageverfahren hob das Finanzgericht ([X.]), das den Beigeladenen am Verfahren beteiligt hatte, den Abrechnungsbescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung auf (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1174). Es war der Ansicht, dass in den Fällen, in denen das Kind eines Hilfeempfängers in einem eigenen Haushalt lebe, das Kindergeld nur dann als dessen Einkommen anzurechnen sei, wenn es an dieses abgezweigt worden oder ihm zumindest tatsächlich zugeflossen sei. [X.] habe in einem eigenen Haushalt gelebt und einen eigenen Anspruch auf [X.]ozialleistungen gehabt; auch sei das Kindergeld nicht an [X.] ausgezahlt oder abgezweigt worden. Der Beigeladene habe daher den Kindergeldanspruch des [X.] nicht als Einkommen berücksichtigt.

5

Gegen das Urteil des [X.] wenden sich sowohl die Familienkasse als auch der Beigeladene jeweils mit ihrer Revision.

6

Die Familienkasse trägt zur Begründung ihrer Revision vor, das [X.] gehe zwar zutreffend davon aus, dass abgezweigtes oder weitergeleitetes Kindergeld als Einkommen des im eigenen Haushalt lebenden Kindes anzusehen sei. Allerdings sei der Umkehrschluss unzutreffend, dass das Kindergeld in den übrigen Fällen nicht als Einkommen von Eltern anzusehen sei, die selbst Leistungen nach dem [X.] bezögen.

7

Der Beigeladene trägt zur Begründung der von ihm eingelegten Revision im Wesentlichen vor, die für einen Erstattungsanspruch erforderliche Gleichartigkeit von Kindergeld und Leistungen nach dem [X.] sei hier gegeben, weil das Kindergeld für [X.], wenn es an den Kläger ausgezahlt worden wäre, als dessen Einkommen anzusehen gewesen wäre. Lediglich für die im Haushalt des [X.] lebende Tochter sei das Kindergeld angerechnet worden.

8

Die Familienkasse und der Beigeladene beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

Ein Erstattungsanspruch bestehe nicht. Das [X.] ([X.]) habe im Beschluss vom 14. Juli 2011  1 BvR 932/10 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2011, 3215) klargestellt, dass das Kindergeld in voller Höhe für das Kind einzusetzen sei. Dies gelte auch dann, wenn es in einem eigenen Haushalt lebe. Aus diesem Grund sei das Kindergeld nicht als sein ---des [X.]-- Einkommen anzusetzen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revisionen der Familienkasse und des Beigeladenen sind begründet. [X.]ie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat einen Erstattungsanspruch des Beigeladenen zu Unrecht verneint. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig.

1. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass der Kindergeldanspruch des [X.] nicht nach § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für den [X.]treitzeitraum maßgeblichen Fassung (E[X.]tG) i.V.m. § 104 des [X.] ([X.]) wegen eines Erstattungsanspruchs des Beigeladenen im Hinblick auf die gegenüber [X.] erbrachten [X.]ozialleistungen erloschen ist.

a) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger [X.]ozialleistungen erbracht, ohne dass die --hier nicht einschlägigen-- Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 [X.] vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.] der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. [X.] verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 [X.]atz 2 [X.]).

b) Eine Erstattung nach § 104 Abs. 1 [X.] setzt voraus, dass die von verschiedenen Trägern erbrachten Leistungen gleichartig sind, d.h. dass sie für die gleichen Zeiträume bestimmt sind und sich in der Leistungsart und Zweckbestimmung entsprechen. Außerdem muss zwischen ihnen ein Verhältnis von vorrangiger und nachrangiger Verpflichtung zur Leistung bestehen ([X.]enatsurteile vom 17. April 2008 III R 33/05, [X.], 47, B[X.]tBl II 2009, 919; vom 17. Juli 2008 III R 87/06, [X.], 1833; vom 19. Juni 2008 III R 89/07, [X.], 1995; vom 19. April 2012 III R 85/09, [X.], 145, [X.], 1369; vom 26. Juli 2012 III R 28/10, [X.], 1874).

c) Lebt das durch [X.]ozialleistungen nach dem [X.]GB II unterstützte Kind, für das ein Elternteil Kindergeld begehrt, im eigenen Haushalt, so fehlt es hinsichtlich der an das Kind gezahlten Leistungen und dem Kindergeld am Verhältnis von Gleichartigkeit und [X.]keit, sofern das Kindergeld nicht an das Kind abgezweigt oder an das Kind weitergeleitet wird ([X.]enatsurteile in [X.], 47, B[X.]tBl II 2009, 919, sowie in [X.], 1874). In einem solchen Fall ist das Kindergeld sozialrechtlich dem Einkommen des [X.] zuzurechnen ([X.]enatsurteil in [X.], 1874). Auch § 104 Abs. 2 [X.] erlaubt es nicht, die an den im eigenen Haushalt lebenden Angehörigen --im [X.]treitfall an [X.]-- erbrachten [X.]ozialleistungen dem [X.] zuzurechnen. Denn der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 2 [X.] ist kein von den Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 [X.] unabhängiger Anspruch eigener Art, sondern erweitert diesen nur ([X.]enatsurteile in [X.], 47, B[X.]tBl II 2009, 919; in [X.], 1833; vom 7. April 2011 III R 88/09, [X.], 1326, sowie in [X.], 1874).

d) Im [X.]treitfall wurde das Kindergeld nicht an [X.] abgezweigt oder an ihn weitergeleitet, so dass es sozialrechtlich dem Einkommen des [X.] zuzurechnen gewesen wäre, wenn es an ihn ausgezahlt worden wäre. Im Hinblick auf die an [X.] erbrachten Leistungen nach dem [X.]GB II gilt der Kindergeldanspruch des [X.] somit nicht nach § 107 [X.] als erfüllt.

2. Das [X.] hat jedoch zu Unrecht nicht geprüft, ob hinsichtlich der vom Kläger bezogenen [X.]ozialleistungen und seines Anspruchs auf Kindergeld für [X.] die Voraussetzungen der Gleichartigkeit und des Verhältnisses von Vor- und [X.]keit erfüllt sind. Dies ist zu bejahen.

a) Das nach den §§ 62 ff. E[X.]tG zu gewährende Kindergeld ist, soweit es der Familienförderung dient, ebenso dazu bestimmt, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu bestreiten, wie dies bei den vom [X.]ozialleistungsträger erbrachten oder zu erbringenden Leistungen zum Lebensunterhalt der Fall ist (Urteil des [X.] vom 14. Mai 2002 VIII R 88/01, [X.] 2002, 1156; [X.]enatsurteile in [X.], 1833, sowie in [X.], 47, B[X.]tBl II 2009, 919, jeweils zur [X.]ozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz; [X.]enatsurteil in [X.], 1874, auch zu Leistungen nach dem [X.]GB II).

b) Auch sind die Leistungen nach dem [X.]GB II, die an den Kläger für seine Bedarfsgemeinschaft ausgezahlt wurden, nachrangig gegenüber dem Kindergeld. Dieses wäre bei einer vorherigen Auszahlung bei der Ermittlung der Höhe der Leistungen nach dem [X.]GB II zu berücksichtigen gewesen ([X.]enatsurteil in [X.], 1874). Die vom Kläger für die Bedarfsgemeinschaft bezogenen Leistungen waren unstreitig nicht im Hinblick auf seinen Anspruch auf Kindergeld für [X.] gemindert. Diesen ungekürzten Leistungen ist der Kindergeldanspruch für [X.] gegenüberzustellen. Kindergeld, das nicht im Wege der Abzweigung oder der Weiterleitung an das Kind gelangt ist, führt --wie bereits ausgeführt-- sozialrechtlich zu Einkommen des [X.]. Da es bei Anwendung des § 104 [X.] allein auf die sozialrechtliche Zuweisung des Kindergeldes ankommt, ist es unerheblich, dass aufgrund der ab 1. Januar 2008 in [X.] getretenen Änderung des § 1612b des Bürgerlichen Gesetzbuches das Kindergeld zivilrechtlich dem Einkommen des Kindes zugewiesen wird (s. Beschluss des [X.] in NJW 2011, 3215).

c) Im Hinblick auf die vom Kläger bezogenen Leistungen nach dem [X.]GB II gilt der Kindergeldanspruch gemäß § 74 Abs. 2 E[X.]tG i.V.m. § 107 Abs. 1 [X.] als erfüllt. Der Abrechnungsbescheid vom 26. Januar 2009, in dem diese [X.] für den Zeitraum August 2008 bis Januar 2009 in Höhe von 934 € festgestellt wird, ist rechtmäßig.

Meta

III R 24/11

22.11.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 24. März 2011, Az: 15 K 1055/09, Urteil

§ 74 Abs 2 EStG 2002, § 103 SGB 10, § 104 SGB 10, § 107 Abs 1 SGB 10, § 74 Abs 2 EStG 2009, EStG VZ 2008, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2012, Az. III R 24/11 (REWIS RS 2012, 1123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1123

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Erstattung von Kindergeld durch Familienkasse an Sozialleistungsträger


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Wird zitiert von

L 13 R 171/15

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