Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2011, Az. XII ZB 100/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5056

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 100/11

vom

6. Juli 2011

in der
Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 63 Abs. 1, § 64 Abs. 1; ZPO § 621e Abs. 1, 3, § 517
Hat das Familiengericht seinen Beschluss in einer Umgangsrechtssache inhaltlich statt auf das gemäß Art.
111 [X.] fortgeltende frühere Recht fehlerhaft auf das neue Verfahrensrecht gestützt, wird die Beschwerdefrist nach dem Grundsatz der [X.] auch durch die Einlegung einer Beschwerde beim Amtsgericht gewahrt (im [X.] an den Senatsbeschluss vom 6.
April 2011 -
XII
ZB
553/10
-
FamRZ 2011, 966).
[X.], Beschluss vom 6. Juli 2011 -
XII ZB 100/11 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6.
Juli
2011
durch die Vorsit-zende Richterin Dr.
Hahne, die Richterin [X.] und die Richter Dose, Schilling und Dr. Günter
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Be-schluss des 2.
Senats für Familiensachen des [X.]-Holsteinischen [X.]s
in [X.] vom 1.
Februar 2011 aufgehoben, soweit er die Versagung der Wiedereinsetzung und die Verwerfung der Beschwerde betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
[X.]: 3.000

Gründe:

I.
Die Beteiligte zu
1 wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Zu-rückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit einhergehende Verwerfung ihrer Beschwerde.
1
-
3
-
Die Eltern streiten um das Umgangsrecht des
Beteiligten zu
2 (im [X.]:
Vater)
mit ihrem
im Oktober 2008 geborenen Kind. Die Beteiligte zu
1 (im Folgenden:
Mutter) und der Vater des betroffenen Kindes waren seit August 2008 verheiratet, trennten sich im
Januar 2009 und wurden im Oktober 2010 geschieden.
Mit einem am 20.
Februar 2009 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz beantragte der Vater eine gerichtliche Regelung seines [X.]. Mit Beschluss vom 8.
September 2009 bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu
3 zum Verfahrenspfleger. Mit Schriftsatz vom 9.
Dezember
2009
rügte
dieser, dass
eine Beiordnung als Verfahrensbeistand nach neuem Verfah-rensrecht
geboten gewesen sei und bat um eine Änderung des Beschlusses. Das Amtsgericht wies ihn
mit Verfügung vom 11.
Dezember
2009
darauf hin, dass wegen der
Einleitung des Verfahrens im Februar 2009 weiterhin das frühere Verfahrensrecht anwendbar sei. Dieser Hinweis wurde den übrigen [X.] nicht übersandt.
Mit Beschluss vom 5.
Oktober 2010 hat das Amtsgericht der Antrags-gegnerin
das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Bereich des [X.] des Kindes mit dem Vater entzogen,
insoweit eine Umgangspflegschaft angeordnet und die Beteiligte zu
4 zur Umgangspflegerin bestellt. Für den Fall
einer verweigerten Herausgabe des Kindes an die
Umgangspflegerin wurde zum
Vollzug des Beschlusses das Betreten und Durchsuchen der Wohnung genehmigt. In dem Beschluss ist der Beteiligte zu
3 als "Verfahrensbeistand"
bezeichnet. Die Durchsuchungsanordnung wurde auf §
91 FamFG, die Kosten-entscheidung auf die §§
80, 81 FamFG und die Festsetzung des Verfahrens-wertes auf §
45 [X.] gestützt. Der Beschluss endet mit einer Rechts-behelfsbelehrung, die darauf hinweist, dass die nach §
58 Abs.
1 FamFG zuläs-sige Beschwerde gemäß §
64 Abs.
1 FamFG beim Amtsgericht einzulegen sei.
2
3
4
-
4
-
Der Beschluss wurde der Mutter am 13.
Oktober
2010 zugestellt. Mit ei-nem am Montag, dem 15.
November
2010 per Telefax beim Amtsgericht einge-gangenen Schriftsatz hat die Mutter Beschwerde gegen den Beschluss einge-legt und diese zugleich begründet. Der Schriftsatz wurde an das Oberlandesge-richt weitergeleitet und ging dort am 19.
November 2010 ein. Nachdem ihr die für das Beschwerdeverfahren beantragte Prozesskostenhilfe mit einem am 10.
Januar 2011 zugestellten Beschluss versagt worden war, legte die
Mutter mit einem am 24.
Januar 2011 beim [X.] eingegangenen Schrift-satz ergänzend "Berufung"
ein, beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die "Berufung"
und den Wiedereinsetzungsantrag.
Das [X.] hat den Antrag der Mutter auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zurückgewie-sen und ihre Beschwerde als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Mutter.

II.
Für das Verfahren ist gemäß Art.
111 Abs.
1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor [X.] Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3.
November 2010 -
XII
ZB
197/10
-
FamRZ 2011, 100).
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
574 Abs.
1 Nr.
1 ZPO in Verbin-dung mit §§
621e Abs.
3 Satz
2, 522 Abs.
1 Satz
4, 238 Abs.
2 Satz
1 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§
574 Abs.
2 Nr.
2 ZPO).
5
6
7
8
-
5
-
Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrens-grundrecht der Mutter auf Gewährung wirkungsvollen Rechtschutzes (Art.
2 Abs.
1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung einge-räumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 2.
April
2008 -
XII
ZB
189/07
-
FamRZ 2008, 1338 Rn.
8 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Auch wenn die Mutter die nach dem hier anwendbaren früheren Recht geltende Frist zur Einlegung der Beschwerde beim Beschwerdegericht ver-säumt hat, darf ihr dies nach den Grundsätzen der [X.] nicht zum Nachteil gereichen.
Das [X.]sprinzip greift zunächst in Fällen, in denen das Gericht eine der Form nach unrichtige Entscheidung gewählt hat. Dann steht den Parteien dasjenige Rechtsmittel zu, welches nach Art der ergangenen Ent-scheidung statthaft ist. Daneben bleibt das Rechtsmittel zulässig, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung gegeben gewesen wäre ([X.], 213 =
NJW-RR 2003, 277 Rn.
46). Das [X.]sprinzip stellt damit eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der allgemeinen Gleichheit vor dem Gesetz und des Vertrauensschutzes dar. Über die Fälle in-korrekter Entscheidung hinaus kommt es daher immer dann zur Anwendung, wenn für den Rechtsmittelführer eine Unsicherheit, das einzulegende [X.] betreffend, besteht, sofern diese auf einem Fehler oder einer Unklarheit der anzufechtenden Entscheidung beruht ([X.], 213 =
NJW-RR 2003, 277 Rn.
46 und [X.] Beschluss vom 21.
Oktober 1993 -
V
ZB
45/93
-
WM
1994, 180).
9
10
11
12
-
6
-
Ebenso findet der Grundsatz der [X.] Anwendung, wenn das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entschei-dungsart zwar zutreffend gewählt, inhaltlich aber falsches
Verfahrensrecht
an-gewandt hat. Denn auch in diesen Fällen ist das Vertrauen der Beteiligten auf die Richtigkeit der gewählten Entscheidungs-
bzw. Verfahrensform schutzwür-dig (Senatsbeschluss vom 6.
April
2011 -
XII
ZB
553/10
-
FamRZ
2011, 966
Rn.
13).
b) Gemessen an diesen Anforderungen hätte das Beschwerdegericht das Rechtsmittel der Mutter nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Denn gegen den Beschluss des Amtsgerichts war nach dem [X.]sprinzip auch die Beschwerde nach neuem Verfahrensrecht gemäß den §§
58
ff. [X.] statthaft, die gemäß §§
63 Abs.
1, 64 Abs.
1
FamFG binnen einer Frist von einem Monat bei dem Gericht einzulegen ist, dessen Beschluss angefoch-ten wird.
Zutreffend hatte
das Amtsgericht
allerdings
durch Beschluss entschie-den, weil über Anträge zur Regelung des Umgangs mit einem Kind auch
nach früherem Verfahrensrecht
im Beschlusswege zu entscheiden war (vgl. jetzt §
38 Abs.
1 FamFG). Gleichwohl liegt der Entscheidung neues Verfahrensrecht zu-grunde, wie sich aus ihrem
Inhalt ergibt. Zwar
hatte das Amtsgericht den Betei-ligten zu
4 (im Folgenden:
Verfahrenspfleger) zuvor
darauf hingewiesen, dass weiterhin altes Verfahrensrecht anwendbar sei und es deswegen bei der [X.] als Verfahrenspfleger (nicht Verfahrensbeistand) verbleibe. In seiner
spä-teren Entscheidung vom 5.
Oktober 2010 hat es diese Rechtsauffassung aller-dings nicht umgesetzt, sondern den Verfahrenspfleger als Verfahrensbeistand bezeichnet und auch alle übrigen
verfahrensrechtlichen Entscheidungen auf Vorschriften des FamFG gestützt. Zudem hat es dem Beschluss eine [X.]belehrung beigefügt,
die erst nach neuem Verfahrensrecht (vgl. §
39 13
14
15
-
7
-
FamFG) vorgeschrieben ist. Auch der Inhalt der Rechtsmittelbelehrung, nämlich dass
gegen die Entscheidung gemäß §
58 Abs.
1 FamFG eine Beschwerde zulässig und diese
gemäß §
64 Abs.
1 FamFG beim Amtsgericht einzulegen sei, spricht eindeutig für die Anwendung des neuen Verfahrensrechts. [X.] von der Beschlussform handelt es sich inhaltlich mithin um eine Ent-scheidung auf der Grundlage des neuen Verfahrensrechts. Das Vertrauen der Mutter auf die Richtigkeit des
gewählten Verfahrensrechts
ist deswegen nach der Rechtsprechung des Senats schutzwürdig.
Die Anforderungen an eine zulässige Beschwerde nach neuem Verfah-rensrecht sind hier gewahrt. Der Beschluss des Amtsgerichts
war der Mutter am 13.
Oktober 2010 zugestellt worden. Am 15.
November 2010 (einem Montag) ist ihre begründete Beschwerde beim Amtsgericht eingegangen. Damit ist die Beschwerdefrist der §§
63 Abs.
1, 64 Abs.
1 FamFG gewahrt.
3. Weil die Beschwerde der Mutter nach dem [X.]sgrund-satz zulässig ist, kommt es auf das Vorliegen einer schuldlosen Fristversäu-mung als Voraussetzung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht an (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 3.
November 2010 -
XII
ZB
197/10
-
FamRZ
2011, 100 Rn.
9
f.; Senatsurteile
vom 25.
November 2009 -
XII
ZR
8/08
-
FamRZ
2010, 192 Rn.
5 und [X.]Z 184, 13 =
[X.], 357 Rn.
7; [X.] Beschluss vom 1.
März
2010 -
II
ZB
1/10
-
[X.], 639).
4. Gemäß §
621e Abs.
2 iVm §
577 Abs.
4 ZPO ist der angefochtene Be-schluss im ausgesprochenen Umfang aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Der Grundsatz der [X.] führt allerdings nicht dazu, dass das Rechtsmittel auf dem vom erstinstanzlichen Gericht eingeschlagenen fal-schen Weg fortgeführt werden müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht 16
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8
-
das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre
(Senatsbeschlüsse vom 6.
April 2011 -
XII
ZB
553/10
-
FamRZ
2011, 966
Rn.
12 und vom 17.
Dezember 2008 -
XII
ZB
125/06
-
MDR 2009, 1000 Rn.
28). Das Beschwerdegericht wird das Verfahren deswegen nach dem bis Ende August 2009 geltenden Verfahrensrecht fortzuführen haben.

Hahne

[X.]

Dose

Schilling

Günter
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
22 [X.]/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 01.02.2011 -
10 UF 254/10 -

Meta

XII ZB 100/11

06.07.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2011, Az. XII ZB 100/11 (REWIS RS 2011, 5056)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5056

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