Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.06.2018, Az. 3 StR 23/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7013

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2018:280618U3STR23.18.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

URTEIL
3
StR 23/18
vom
28. Juni
2018
in der Strafsache
gegen

1.
2.

3.
4.

wegen [X.]ubes mit Todesfolge

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 28.
Juni
2018, an der
teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Gericke

als Vorsitzender,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
die [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
Hoch,
Dr. Leplow

als beisitzende [X.],

[X.] beim Bundesgerichtshof

als Vertreter
der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

aus Köln

als Verteidiger
der Angeklagten [X.]

,

Rechtsanwalt

aus Krefeld

als Verteidiger des Angeklagten S.

,

Rechtsanwalt [X.]

aus Mönchengladbach

als Verteidiger des Angeklagten [X.]

,

-
3
-
Rechtsanwalt

aus Essen

für die Nebenklägerin,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
4
-

1.
Die Revisionen der St[X.]tsanwaltschaft und der Angeklagten [X.]

, [X.]

und S.

gegen das Urteil des Landge-
richts Krefeld vom 28. Juli 2017 werden verworfen.
2.
Die Angeklagten [X.]

, [X.]

und S.

haben die
Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisi-onsverfahren dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten der Rechtsmittel der St[X.]tsanwaltschaft und die den Angeklagten
[X.]

, [X.]

, S.

und [X.]

dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der
St[X.]tskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten wegen [X.]ubes mit Todesfolge zu Jugendstrafen von sieben Jahren und neun Monaten ([X.]

und [X.]

),
sieben Jahren und drei Monaten ([X.]

) und sechs Jahren und sechs Mona-
ten (S.

) sowie den Mitangeklagten [X.].

wegen besonders schweren
[X.]ubes zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten [X.]

, [X.]

und S.

, die sich
jeweils auf die allgemeine Sachrüge stützen. Die Angeklagte [X.]

hat zudem
mehrere Verfahrensrügen erhoben. Die St[X.]tsanwaltschaft hat zuungunsten 1
-
5
-
der vier Angeklagten [X.]

, [X.]

, S.

und [X.]

Revision einge-
legt, mit der sie die
Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:
Nachdem der Angeklagte [X.]

einen Hinweis erhalten hatte, dass
sich im Haus des später Getöteten ein [X.]
mit
Bargeld in Höhe von 80.000

befinde, und dies im Freundeskreis besprochen hatte, beschlossen die Ange-klagten und der nicht revidierende Mitangeklagte [X.].

, jenen in seinem
Haus zu überfallen und ihm unter Gewaltanwendung den [X.]schlüssel
abzunehmen, um das im [X.] befindliche Geld, aber auch weiteres gegebe-nenfalls im [X.] oder andere Wertgegenstände zu erlan-gen. Dabei gingen sie davon aus, dass es sich bei dem 81jährigen später Getö-teten um [X.] handeln würde, der ihnen körperlich nicht mehr gewachsen sei und den sie leicht überwältigen könnten. Sie begaben sich [X.] zu dessen Anwesen. Dort angekommen folgten die Angeklagten [X.]

und S.

ihrem Opfer, das gerade mit dem Entladen seines Pkw befasst
war, ins Haus, wo sie es dem gemeinsamen [X.] entsprechend noch im Hausflur übermannten. Während der Angeklagte S.

die Rollläden herun-
terließ, hielt der Angeklagte [X.]

den auf den Boden liegenden später
Getöteten im
sogenannten [X.] fest und schlug mit Fäusten auf ihn ein. Zu diesem Zeitpunkt betraten die Angeklagten [X.]

und [X.]

das
Haus, während der Mitangeklagte [X.].

, dem zwischenzeitlich Bedenken
gekommen waren, zum Fahrzeug zurückging,
um dort auf die anderen zu war-ten und die spätere Flucht zu erleichtern. Als die Angeklagten [X.]

und
S.

bemerkten, dass der später Getötete sich wider Erwarten zur Wehr
2
3
-
6
-
setzte, schlugen auch sie mit Fäusten auf dessen Kopf und Oberkörper ein, um seine Gegenwehr schnell und effektiv zu brechen. Schließlich gelang es dem Angeklagten [X.]

, ihn bäuchlings auf den Boden zu bringen und sich auf
seinen Rücken zu setzen, während er ihn weiterhin im "[X.]" hielt. Dabei nahm er ihm die Armbanduhr ab.
Derweil durchsuchten die Angeklagten [X.]

, [X.]

und S.

das
Anwesen, wobei S.

eine Schachtel Zigaretten einsteckte. Schließlich fan-
den sie auch den [X.]schlüssel, mit dem sie den Geldschrank öffneten, der aber leer war. Dagegen gelang es ihnen nicht, den Waffenschrank
aufzuma-chen, der einem schmalen [X.] ähnelte und in dem sie Bargeld vermuteten.
Deshalb begab sich jedenfalls die Angeklagte [X.]

zu dem Opfer zurück, auf
das sie und der Angeklagte [X.]

-
wie auch die anderen erkannten
-
mit
nun verstärkter Gewalt, der Angeklagte [X.]

mittels Schlägen und Tritten,
die Angeklagte [X.]

auch mit einem Elektroschockgerät, das sie gegen Kopf
und Hals des später Getöteten führte, einwirkten, um mit dessen Hilfe doch noch an das in Aussicht genommene Bargeld zu gelangen. Schließlich zog der Angeklagte [X.]

den Kopf seines nach wie vor auf dem Bauch liegenden,
inzwischen schwer verletzten und heftig blutenden Opfers, dessen Hals er wei-terhin mit der Armbeuge umfasst hielt, nach hinten, so dass der 6.
Halswirbel brach und die Luftzufuhr unterbrochen wurde, was zu dessen Tod führte. Allen vier Angeklagten war die Möglichkeit bewusst, dass das betagte Opfer durch die angewandte Gewalt versterben könnte. Dennoch billigten sie die gegenüber dem ursprünglichen Plan erhöhte Gewalteinwirkung im Hinblick auf die in [X.] genommene Beute. Dagegen konnte nicht festgestellt werden, dass sie den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen hätten. Als dieser gleichwohl eintrat, verließen sie überstürzt das Haus. Das [X.] ist
zugunsten der Angeklagten davon ausgegangen, dass der Getötete zu diesem Zeitpunkt
bereits verstorben war.
4
-
7
-

II.
Die Revision der St[X.]tsanwaltschaft
Das Rechtsmittel der St[X.]tsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. [X.] hat das [X.] aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung
einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint.
1.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt
des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und
dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbe-standsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten [X.] müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens-
als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tat-sächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Moti-vationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsat-zes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzu[X.]; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§
261 [X.]). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden [X.] der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu [X.]. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze ver-5
6
7
-
8
-
stößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte
Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisions-gericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre ([X.], Urteil vom 16.
Mai 2013 -
3
StR 45/13, [X.], 242, 243). Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nach-dem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen (vgl. zu alledem [X.], Urteil vom 20.
September 2012 -
3
StR 140/12, [X.], 75,
76
f. mwN).
2.
Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des [X.]s nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgebli-chen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der [X.] in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Das [X.] hat in seine Überlegungen eingestellt, dass die Angeklagten mit massiver Gewalt auf das ältere, wenn auch entgegen den Erwartungen nicht gebrechliche Opfer einwirkten, weshalb ihnen dessen mögliches Versterben bewusst gewesen sei. Selbst wenn dieser "immensen"
Gewalteinwirkung Indizwirkung auch für die Billigung des tödlichen Erfolgs zukomme, lasse sich gleichwohl bei keinem der Angeklagten feststellen, dass er den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen hätte. Hiergegen spre-che bereits das Motiv für die -
nach dem Öffnen des [X.]s und der Feststel-lung, dass dieser leer war
-
verstärkte und letztlich tödlich wirkende Gewaltan-wendung. Denn die Täter hätten die Gewalttätigkeiten deshalb gesteigert, weil sie allein hierin eine Möglichkeit gesehen hätten, mit Hilfe des später Getöteten doch noch an das in der Wohnung vermutete Bargeld zu gelangen. Außerdem 8
-
9
-
spreche das überstürzte Verlassen des [X.] nach der Feststellung der [X.] des am Boden liegenden Opfers gegen eine Billigung des tödlichen Erfolgs. Das [X.] hat in diesem Zusammenhang rechtsfehlerfrei [X.], dass der Getötete zum Fluchtzeitpunkt jedenfalls aus Sicht eines medizi-nischen Laien verstorben war. Die unmittelbar einsetzende Flucht der Ange-klagten, die mehrere im Hause befindliche Bargeldbeträge -
etwa in der auf dem Küchentisch liegenden Geldbörse
-
zurückließen und sich gegen eine mögliche Beobachtung
durch Nachbarn oder Passanten nicht absicherten,
erkläre sich damit, dass die Angeklagten über ein Geschehen erschrocken
seien, das sie keinesfalls gewollt hätten.
Die [X.] hat somit bedacht, dass es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen naheliegt, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und -
weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt -
einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt ([X.], Urteil vom 19.
April 2016 -
5
StR 498/15, [X.], 204). Sie hat dennoch das
Willenselement des Vorsatzes mit nachvollziehender Begründung verneint. Die von der [X.] gezogenen Schlüsse sind möglich. Soweit die Revision geltend gemacht hat, das [X.] hätte erwägen müssen, ob nicht etwa der Versuch, doch
noch
das Bargeld zu erlangen, sondern Verärgerung über den Geschädigten Grund für die verstärkte Gewalteinwirkung waren, erweist sich die Würdigung der Beweise und Indizien nicht als lückenhaft. Das [X.] hat sich hinsichtlich der Motive für den gesteigerten Einsatz der gegen das
Opfer ausgeübten Gewalt nach Öffnen des [X.]s nicht unmittelbar auf die Einlassungen der Angeklagten, die sich hierzu nicht geäußert haben, stützen können. Es hat aber -
wie eine Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt
-
unter Berücksichtigung der zeitlichen Abfolge, wonach jedenfalls die Angeklagte [X.]

nach der Feststellung, dass der [X.] leer und der einem [X.]
ähnelnde Waffenschrank nicht zu öffnen war, zu dem später Getöteten [X.]
-
10
-
ging und zusammen mit dem Angeklagten [X.]

mit verstärkter Gewalt auf
jenen einwirkte, sowie mit der Überlegung, dass in dieser Situation ausschließ-lich mit dessen Hilfe noch die im Haus vermutete Bargeldsumme erlangt werde konnte, den Schluss gezogen, dass mit der gesteigerten Gewalteinwirkung die Mithilfe des Opfers erzwungen werden sollte. Dieser Schluss ist möglich und nicht fernliegend. Andere Motive für die Erhöhung des [X.] mögen denkbar sein. Sie lagen indes nicht in einem Maße nahe, dass ihre Nichterörte-rung durch das [X.] eine Lücke in der Beweiswürdigung darstellte.
Welches Gewicht das Tatgericht diesem Beweisanzeichen für das voluntative Vorsatzelement zugewiesen hat, entzieht sich revisionsgerichtlicher [X.]. Auch soweit der [X.] darauf verwiesen hat, das Zurück-lassen einiger im Haus befindlicher Bargeldbeträge deute nicht unbedingt auf eine überstürzte Flucht aus Erschütterung über das tödliche Geschehen hin, da nicht festgestellt sei, dass die Angeklagten diese Beträge überhaupt bemerkt hätten, hat er ebenfalls keinen sachlich-rechtlichen Mangel aufgezeigt, da letzt-endlich das eilige Verlassen des Hauses die Angeklagten auch daran gehindert haben kann, von der Suche nach weiteren Bargeldbeträgen abzusehen.
Da das [X.] fehlerfrei festgestellt hat, dass der Getötete zum Zeitpunkt des Verlassens des Anwesens durch die Angeklagten bereits verstor-ben war bzw. diese ihn für tot hielten, erübrigten sich auch Erörterungen dazu, ob ein Tötungsdelikt darin gesehen werden könnte, dass die Angeklagten ihr Opfer ohne Hilfe zurückließen.

10
-
11
-
III.
Die Revisionen der Angeklagten
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben ebenfalls keinen Erfolg.
1.
Die durch die allgemeinen Sachrügen veranlasste Überprüfung des Urteils hat auch zum Nachteil der
Angeklagten keine sachlich-rechtlichen Män-gel ergeben. Insbesondere hat die [X.] ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Angeklagten mit ihrer Tat den Tod des betagten Opfers leichtfertig verursacht haben. Die Rechtsmittel erweisen
sich mithin insoweit als unbegrün-det im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].
2.
Auch die Verfahrensrügen der Angeklagten [X.]

verhelfen ihrer
Revision nicht zum Erfolg.
a) Die [X.], die [X.] sei fehlerhaft besetzt gewesen und ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit der gesamten [X.] sei rechtsfehlerhaft als unzulässig zurückgewiesen worden, sind aus den in der Zuschrift des [X.]s dargelegten Gründen bereits unzulässig, wären aber auch unbegründet.
b) Auch die Rüge, das
Urteil beruhe auf den unter Verstoß gegen §
136a [X.] gewonnenen Einlassungen der Angeklagten gegenüber der Polizei,
erweist sich als teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
[X.])
Soweit das [X.] auch ergeben sollte, dass nach [X.] der Verteidigung die Revisionsführerin im [X.]hmen der polizeilichen
Vernehmung nur unzureichend belehrt und ihre Verteidigung durch einen Rechtsanwalt behindert worden sei, ist eine Beanstandung, mit der die Unver-wertbarkeit der Angaben der Angeklagten und der Mitangeklagten [X.].

und S.

wegen dieser Mängel geltend gemacht würde, nicht erhoben. Die
Stoßrichtung der Verfahrensrüge geht allein dahin, dass bei der Festnahme der 11
12
13
14
15
16
17
-
12
-
Angeklagten der [X.]vorbehalt bewusst umgangen worden bzw. die Vorfüh-rung der Festgenommenen vor den Ermittlungsrichter nicht rechtzeitig gewesen sei. Deshalb habe die Vernehmung der Beschuldigten in einer den in §
136a Abs.
1 Satz
1 [X.] genannten Umständen vergleichbaren Zwangslage stattge-funden und die Einlassungen hätten in Anlehnung an §
136a Abs.
3 [X.] bei der Urteilsfindung nicht verwertet werden dürfen.
bb) Im Hinblick auf diese letztgenannte Rüge ist auf der Grundlage des [X.]s, das durch die Urteilsgründe ergänzt werden kann, die der Senat im [X.]hmen der gleichzeitig erhobenen Sachrüge zur Kenntnis [X.] darf, von folgenden Verfahrenstatsachen auszugehen:
Am Morgen des 28. Januar 2015 fanden bei allen Angeklagten, dem nicht revidierenden Mitangeklagten sowie zwei weiteren Beschuldigten Haus-durchsuchungen statt, die durch am Vortag erlassene richterliche Durch-
suchungsbeschlüsse angeordnet worden waren. Die Angeklagten und die [X.] Beschuldigten, die Mütter der Angeklagten [X.]

und [X.]

, wurden
"in der Folge" vorläufig festgenommen und nach den entsprechenden [X.] nach §
136 Abs.
1 Satz
1 und 2 [X.] vernommen, wobei sie sich zur Sache einließen. Danach wurden die Vernehmungsprotokolle dem [X.] übergeben und ihr Inhalt in einer Teamsitzung von den ermittelnden Poli-zeibeamten besprochen, die am Folgetag [X.] unter Vorhalt der Angaben der Mitbeschuldigten durchführten. Danach wurden die Angeklagten noch in der Frist des §
128 Abs.
1 Satz
1 [X.] am 29.
Januar 2015 dem [X.] vorgeführt, der auf Antrag der St[X.]tsanwaltschaft die entsprechenden Haftbefehle erließ. Die Mütter der Angeklagten [X.]

und [X.]

waren
bereits nach ihren Vernehmungen am 28.
Januar 2015 wieder entlassen
worden.
18
19
-
13
-
Die Revision wertet dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden in zweifa-cher Hinsicht als eine bewusste Umgehung des [X.]vorbehalts in Art.
104 Abs.
2 Satz
1 GG, Art.
5 Abs.
3 Satz
1 MRK: Zum einen habe spätestens bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse nicht nur der hierfür erforderliche einfa-che, sondern ebenso ein dringender Tatverdacht vorgelegen, so dass bereits vor der Durchsuchungsaktion und den ihr folgenden Festnahmen Haftbefehle hätten eingeholt werden können. Deshalb sei für die in ermittlungsbehördlicher [X.] durchgeführte Festnahme nach §
127 Abs.
2 [X.] kein [X.]um gewesen. Zum anderen hätte die Polizei die Angeklagten nach der Festnahme nicht vernehmen dürfen, sondern zunächst unverzüglich dem Haftrichter vorfüh-ren müssen (§
128 Abs.
1 Satz
1 [X.]).
cc) Mit diesem Vorbringen dringt die Revision nicht durch.
(1) Soweit die Revision eine Verletzung des [X.]vorbehalts bei Frei-heitsentziehungen darin sieht, dass die Ermittlungsbehörden trotz eines bereits im Vorfeld der Festnahmen gegebenen dringenden Tatverdachts keine richterli-chen Haftbefehle eingeholt, sondern die Beschuldigten aufgrund ihrer nach §
127 Abs.
2 [X.] gegebenen [X.] vorläufig festgenommen hätten, ist die Verfahrensrüge unzulässig (§
344 Abs.
2 Satz
2 [X.]). Dem [X.] kann nämlich -
auch unter
Einbeziehung der im Urteil mitgeteilten Ver-fahrenstatsachen
-
nicht entnommen werden, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls bereits vor der Durchsuchung und den anschlie-ßenden Vernehmungen vorgelegen haben. Insbesondere versäumt es die

Revision die Tatsachen vorzutragen, die den Ermittlungsbehörden schon vor Beginn der Durchsuchungsaktion Anhaltspunkte für den dringenden Tatver-dacht hätten liefern können. Allein dass die Durchsuchungen am Morgen des 28.
Januar 2015 nach mehrmonatigen Ermittlungen sorgfältig vorbereitetet
worden waren und aus der Sicht des Ermittlungsrichters gegen sämtliche
20
21
22
-
14
-
sieben Beschuldigte ein die Anordnung der Hausdurchsuchung rechtfertigender einfacher Tatverdacht vorgelegen hat, genügt für die Annahme, dass auch
bereits ein dringender, den Erlass von Haftbefehlen erlaubender Tatverdacht gegeben gewesen ist, nicht. Auch den Urteilsgründen ist nur zu entnehmen, dass die Ermittlungsbehörden zum Zeitpunkt des Erlasses der [X.] von einem aus den fünf Angeklagten und den Müttern der Ange-klagten [X.]

und [X.]

bestehenden Täterkreis ausgingen, aber über
keine Kenntnisse von den Vorgängen im Haus des später Getöteten und über die Rollenverteilung der Täter verfügten. Zudem war den Ermittlungsbehörden zum Zeitpunkt der Durchsuchung zwar bekannt, dass einer der fünf bzw. sieben Beschuldigten nicht im [X.] gewesen war und deshalb möglich-erweise als Mittäter an der [X.]ubtat und dem Tötungsdelikt ausschied. Welcher Beschuldigte das Anwesen nicht betreten hatte und ob diesem gleichwohl eine den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigende Beteiligung an der Tat vorzuwer-fen war, war vor den Einlassungen der Beschuldigten allerdings offen. Gegen das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts bereits am Vortag der [X.] spricht vielmehr, dass in den späteren Haftbefehlsanträgen dieser
insbesondere auf das Ergebnis der polizeilichen Vernehmungen gestützt [X.] ist.
Zwar setzt auch eine Festnahme nach §
127 Abs.
2 [X.] voraus, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls und damit ein dringender Tatverdacht vorliegen. Das [X.] verhält sich aber nicht dazu, ob die Angeklagten und die übrigen Beschuldigten gleich zu Beginn der [X.] oder aber später aufgrund gegebenenfalls neu gewonnener
Erkenntnisse vorläufig festgenommen worden sind ("in der Folge").
Da insoweit eine zulässige Verfahrensrüge nicht vorliegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Festnahme auf der Grundlage eines bereits 23
24
-
15
-
erlassenen Haftbefehls und damit das Verfahren nach §
115 [X.] im Hinblick auf Art.
104 Abs.
2 Satz
1 GG, Art.
5 Abs.
3 Satz
1 MRK Vorrang vor der ermitt-lungsbehördlichen [X.] nach §
127 Abs.
2 [X.] hat ([X.], [X.], 26.
Aufl., §
127 Rn.
36; vgl. insoweit auch [X.], Urteil vom 17.
November 1989 -
2
StR 418/89, NJW 1990, 1188
f.).
(2) Soweit nach Auffassung der Revision ein ein Verwertungsverbot
begründender [X.] darin zu sehen sei, dass die Angeklagten nach ihrer vorläufigen Festnahme vor der Vorführung vor den Ermittlungsrichter zunächst polizeilich mehrfach vernommen worden sind, ist die Rüge unbegrün-det. Zwar verlangen
§
128 Abs.
1 Satz
1 [X.], Art.
104 Abs.
2 Satz
1, Abs.
3 Satz
1 GG, dass der Beschuldigte "unverzüglich" dem [X.] vorgeführt wird. Dass dies spätestens am nächsten Tag, d.h. bis zum Ende des auf die Fest-nahme folgenden Tages, geschehen muss, ändert am Erfordernis der Unver-züglichkeit nichts ([X.], Beschluss vom 4.
September 2009 -
2
BvR 2520/07, juris Rn.
19 ff.
mwN). Doch darf die Vorführung nach vorläufiger Festnahme durch die Ermittlungsbehörden hinausgeschoben werden, soweit dies sachdien-lich erscheint (vgl. [X.], [X.], 7.
Aufl., §
128 Rn.
5). Denn anders als bei der Festnahme auf der Grundlage eines
bereits vorliegenden Haftbefehls, bei dem die Ermittlungsbeamten -
mitunter ohne nähere [X.] und Entscheidungsbefugnis
-
den richterlichen Beschluss lediglich vollziehen und deshalb den Festgenommenen "unverzüglich" dem [X.] vorzuführen
haben (§
115 Abs.
1 [X.]; vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 9.
Februar 1995
-
5
StR 547/94, [X.], 283; vom 20.
Oktober 2014 -
5
StR 176/14, [X.]St 60, 38, 43), war der [X.] bei der vorläufigen Festnahme nach §
127 Abs.
2 [X.] mit der Sache noch nicht befasst. In diesen Fällen verbleibt den [X.] ein gewisser zeitlicher Spielraum, in dem sie vor einer mögli-chen Vorführung des Beschuldigten vor den [X.] weitere Ermittlungsbefug-nisse und -pflichten haben. Denn die mit der Aufklärung des Sachverhalts [X.]
-
16
-
traute festnehmende Behörde hat zunächst -
je nach Sachlage unter Vornahme weiterer Ermittlungen
-
zu entscheiden, ob die vorläufig festgenommene Person wieder freizulassen oder tatsächlich dem Ermittlungsrichter vorzuführen ist; im letzteren Fall muss sie dem [X.] eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten. Es wird deshalb in vielen Fällen sachgerecht sein, den Beschuldigten, der -
wie vorliegend
-
nach ordnungsgemäßer Beleh-rung zu einer Einlassung bereit ist, nach Erklärung der vorläufigen Festnahme (weiterhin) zu vernehmen, um dann darüber zu befinden, ob ein Haftbefehl zu beantragen ist und welche Umstände, die dessen Erlass begründen können, dem [X.] darzulegen sind. Damit wird dem Beschuldigten gleichzeitig er-möglicht, die Verdachtslage in seinem Sinne zu beeinflussen und etwaige Haft-gründe zu entkräften, so dass gegebenenfalls auf die Stellung eines [X.] sogar verzichtet werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 17.
November 1989 -
2
StR 418/89, NJW
1990, 1188). Dass diese Grundsätze vorliegend be-folgt wurden, zeigt insbesondere der Umstand, dass die ehemaligen [X.], die Mütter der Angeklagten [X.]

und [X.]

, nach ihren Ver-
nehmungen entlassen wurden.
Da das Vorgehen der Ermittlungsbehörden vorliegend somit im Hinblick auf den [X.]vorbehalt nach Art.
104 Abs.
2 Satz
1 GG, Art.
5 Abs.
3 Satz
1 MRK, §
128 Abs.
1 Satz
1 [X.] keiner Beanstandung unterliegt, braucht der 26
-
17
-
Senat nicht zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen das Gebot der "Unverzüg-lichkeit" der Vorführung überhaupt ein Verwertungsverbot nach sich zieht (zu §
115 [X.] vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Februar 1995 -
5
StR 547/94,
[X.], 283).

Gericke [X.] [X.]

Hoch Leplow

Meta

3 StR 23/18

28.06.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.06.2018, Az. 3 StR 23/18 (REWIS RS 2018, 7013)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7013

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 StR 23/18

1 StR 726/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.