Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.06.2010, Az. VII B 247/09

7. Senat | REWIS RS 2010, 5698

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Gegenstand

Anspruch auf rechtliches Gehör - Einholung weiterer Sachverständigengutachten - Gestellung eines im Ausland ansässigen zu einem Auslandssachverhalt benannten Zeugen


Leitsatz

1. NV: Ist das FG dem Beteiligenvorbringen nicht gefolgt, lässt sich daraus nicht schließen, dass es dieses Vorbringen in einer den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzenden Weise nicht zur Kenntnis genommen hat.

2. NV: Liegt zu einer streitigen Tatsachenfrage ein Sachverständigengutachten vor, steht es im Ermessen des Tatrichters, von der Einholung weiterer Gutachten abzusehen. Das Ermessen wird allerdings fehlerhaft ausgeübt, wenn sich die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung aufdrängen müsste, weil das bereits vorliegende Gutachten offenbar mangelhaft ist, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche enthält oder wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters bestehen.

3. NV: Ein im Ausland ansässiger zu einem Auslandssachverhalt benannter Zeuge ist zur mündlichen Verhandlung zu gestellen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte im Mai 2005 drei [X.] zusammen mit anderen "Sammelstücken von geschichtlichem Wert" aus [X.] nach [X.] ein. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --[X.]--) nahm die Zollanmeldung an und überließ die Waren. Mit der Begründung, dass die [X.] als irakisches Kulturgut einem Einfuhrverbot unterlegen hätten, widerrief das [X.] im Februar 2006 deren Überlassung und ordnete die Sicherstellung an.

2

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin geltend macht, dass weder anhand der auf den Tafeln verwendeten Sprache noch der Datierung ein gesicherter Rückschluss auf ihre Herkunft aus dem heutigen [X.] gezogen werden könne, wies das Finanzgericht ([X.]) aus den in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2010, Beilage 1, 7 veröffentlichten Gründen ab.

3

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf den Zulassungsgrund des [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) stützt.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensmängel sind zum Teil nicht schlüssig dargelegt, wie es § 116 Abs. 3 Satz  3 [X.]O erfordert, liegen aber jedenfalls nicht vor.

5

1. Anders als die Beschwerde meint, hat das [X.] Vorbringen zur Herkunft der [X.] nicht in einer den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) verletzenden Weise unberücksichtigt gelassen. Das [X.] ist nicht verpflichtet, sich in der Urteilsbegründung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 18. Juni 2001 [X.]/00, [X.] 2001, 1292). Daher liegt in derartigen Fällen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das [X.] Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat ([X.] vom 19. November 2002 [X.]/01, [X.] 2003, 335, m.w.N.).

6

Hierfür gibt es im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte. Das [X.] ist aufgrund des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. X zu der Überzeugung gelangt, dass die Tafeln der (heutigen) [X.] Kultur zuzuordnen sind, wobei es die gegen dieses Gutachten vorgebrachten Einwendungen der Klägerin, insbesondere zur möglichen Herkunft der Tafeln aus dem Gebiet des heutigen [X.] sowie zu angeblichen Widersprüchen zu den dem [X.] vorgelegten Ausführungen des Prof. Dr. Y berücksichtigt und sich mit ihnen ausdrücklich auseinandergesetzt hat. Das [X.] hat diese Einwendungen allerdings nicht für substantiiert gehalten und ist ihnen nicht gefolgt bzw. hat den Ausführungen des Prof. Dr. Y keine Widersprüche zum Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. X entnehmen können, woraus jedoch keine einen Verfahrensfehler begründende Nichtberücksichtigung des klägerischen Vorbringens hergeleitet werden kann, weil die richterliche Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen ist und somit eine (angebliche) fehlerhafte Beweiswürdigung keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O darstellt und nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

7

2. Ein Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung der dem [X.] obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) ist auch nicht in dem Umstand zu sehen, dass das [X.] ein (in der mündlichen Verhandlung im Übrigen auch nicht beantragtes) weiteres Gutachten nicht eingeholt hat. Gemäß § 412 Abs. 1 der Zivilprozessordnung, der über § 82 [X.]O auch für das finanzgerichtliche Verfahren gilt, kann zwar das Gericht eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. Das somit dem [X.] bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten zustehende Ermessen wird aber nur dann [X.] ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung aufdrängen müsste. Dies ist der Fall, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten insbesondere deswegen nicht gegeben sind, weil sie offen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn ferner Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder ihnen das einschlägige spezielle Fachwissen fehlt ([X.] vom 24. Juli 2003 [X.]/02, [X.] 2004, 54, m.w.N.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das [X.] im Streitfall verfahrensfehlerfrei verneint, indem es nach Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X, denen zufolge die [X.] zweifelsfrei der [X.] Kultur zuzuordnen seien, diese für nachvollziehbar und überzeugend gehalten hat (vgl. [X.] vom 5. Mai 2004 [X.]/03, [X.] 2004, 1533). Das [X.] war nicht allein deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen, weil die Klägerin wegen angeblicher Widersprüche zu Ausführungen des Prof. Dr. Y das bereits vorliegende Gutachten des Prof. Dr. X für keine ausreichende Erkenntnisquelle hielt (vgl. [X.] in [X.] 2004, 54).

8

3. Soweit die Beschwerde mit ihrem übrigen auf die einzelnen Tafeln bezogenen Vorbringen deren Herkunft aus dem Gebiet des heutigen [X.] in Zweifel zu ziehen versucht, wendet sie sich gegen die --wie bereits ausgeführt-- dem materiellen Recht zuzuordnende Beweiswürdigung und legt somit keinen Verfahrensmangel dar.

9

4. Auch soweit das [X.] den Verdacht für begründet gehalten hat, dass die [X.] unter Verstoß gegen [X.] Gesetze und Bestimmungen aus dem [X.] verbracht worden sind, und ihre Ausfuhr aus dem [X.] vor dem 6. August 1990 als nicht erwiesen angesehen hat, hat es --wie sich den Urteilsgründen ohne weiteres entnehmen lässt-- klägerisches Vorbringen nicht unberücksichtigt gelassen, sondern ist lediglich diesem Vorbringen nicht gefolgt. Dass es --wie die Beschwerde unter Hinweis auf die schriftliche Erklärung der [X.] vorträgt-- nicht üblich sei, dass Unterlagen über einen 15 Jahre zurückliegenden Kauf noch aufbewahrt werden, ändert nichts daran, dass --wie vom [X.] festgestellt-- keinerlei Ausfuhrgenehmigungen oder andere Dokumente, aus denen sich die Rechtmäßigkeit des Besitzes ergibt, und auch keine Belege über eine Ausfuhr der Tafeln vor dem 6. August 1990 vorlagen. Wenn das [X.] unter diesen Umständen zwar von den schriftlichen Erklärungen der [X.] ausging, diese jedoch für zu vage bzw. für nicht nachvollziehbar (weil vom "[X.]") hielt und deshalb davon absah, die (seitens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht beantragte) Vernehmung der [X.] als Zeugin vom Amts wegen anzuordnen, so stellt dies keinen Verfahrensmangel dar. Im Übrigen hat das [X.] zutreffend ausgeführt, dass es nicht verpflichtet ist, einen im Ausland ansässigen, jedoch zur mündlichen Verhandlung nicht gestellten Zeugen zu einem sog. Auslandssachverhalt zu vernehmen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 [X.]O i.V.m. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung). Eines vorherigen entsprechenden Hinweises durch das [X.] bedurfte es [X.] als die Beschwerde meint-- nicht, weil die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten sachkundig vertreten war.

5. Die Entscheidung des [X.] stellt auch keine den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar. Die Klägerin hatte in Anbetracht der richterlichen Anordnung vom 4. Juni 2009 keinen Grund zu der Annahme, dass das [X.] "Zweifel an dem Vorliegen von '[X.] Kulturgütern' hegte". Dieser Anordnung konnte lediglich entnommen werden, dass sich das [X.] zu dieser Frage noch kein Urteil gebildet hatte, was allerdings zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich war, da die an dem Urteil mitwirkenden Richter des Senats diese Frage erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu entscheiden hatten. Die Klägerin musste deshalb in Betracht ziehen, dass der [X.]-Senat im Zeitpunkt der Urteilsfindung das ihm vorliegende Gutachten des Prof. Dr. X für seine Überzeugungsbildung ausreichend halten würde.

Meta

VII B 247/09

21.06.2010

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 25. September 2009, Az: 14 K 3436/06, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 AO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 412 Abs 1 ZPO, EGV 1210/2003

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.06.2010, Az. VII B 247/09 (REWIS RS 2010, 5698)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5698

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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