Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2023, Az. 1 StR 180/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4587

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Gegenstand

Zäsurwirkung bei Gesamtstrafenbildung aus Einzelstrafen für nachfolgende Taten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Januar 2023 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Unterschlagung, Betrugs in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten, [X.] in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten in zwei Fällen, [X.] in zwei Fällen, [X.] in 34 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug in 57 tateinheitlichen Fällen und mit Fälschung beweiserheblicher Daten, [X.] in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten sowie Betrugs in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.]     vom 17. Dezember 2020 (                    ) und nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Strafbefehl des [X.]         vom 13. Juli 2021 (                     ) unter Einbeziehung der Einzelstrafen für die Taten vom 2. Dezember 2020 und vom 7. Dezember 2020 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen Betrugs in sechs Fällen hat es ihn außerdem unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des [X.]         vom 13. Juli 2021 für die Taten vom 11. Januar 2021, 26. Januar 2021 und 22. Februar 2021 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es eine [X.] getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er – ohne weitere Ausführungen – die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des [X.]s (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. [X.] ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

3

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat Rechtsfehler im Schuldspruch, in den Einzelstrafaussprüchen sowie in der [X.] nicht ergeben.

4

3. Hingegen hält der [X.] rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten mit dem – nicht erledigten – Strafbefehl des [X.]     vom 17. Dezember 2020 eine Zäsurwirkung angenommen, die einer Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen für die zeitlich nachfolgenden Taten sowohl aus dem – ebenfalls nicht erledigten – Strafbefehl des [X.]         vom 13. Juli 2021 als auch aus dem angefochtenen Urteil (Fälle unter Ziffer [X.] 14. bis 18. der Urteilsgründe) entgegenstehe. Dies erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn der [X.] kann anhand der schriftlichen Urteilsgründe nicht ausschließen, dass sich das [X.] an der Bildung einer einheitlichen Gesamtstrafe zu Unrecht gehindert gesehen hat.

5

Zäsurwirkung entfaltet gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Bei einem Strafbefehl ist für die Zäsurwirkung daher grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses maßgeblich. Dies gilt jedoch nicht, wenn nach einem Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl ein Urteil nach Tatsachenverhandlung oder ein Beschluss nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ergeht; dann ist auf den Tag einer solchen Entscheidung abzustellen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Januar 2020 – 3 StR 561/19, [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Sachentscheidung 2 Rn. 7-12 und vom 3. Dezember 2019 – 1 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Zäsurwirkung 4 Rn. 13-18; je mwN). Der Strafbefehl des [X.]     vom 17. Dezember 2020 ist erst am 20. Mai 2021 rechtskräftig geworden, was auf die Einlegung eines Rechtsmittels hindeutet. Dazu verhält sich das Urteil jedoch nicht. Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, ob das Strafbefehlsverfahren durch eine anschließende Sachentscheidung beendet worden ist. Sollte eine solche nach dem 23. März 2021 (Zeitpunkt der letzten Tat unter Ziffer [X.] 18. der Urteilsgründe) tatsächlich ergangen sein, wäre eine einheitliche Gesamtstrafe zu bilden gewesen. Obschon das [X.] das mit der Bildung zweier gesonderter Gesamtfreiheitsstrafen verbundene Gesamtstrafübel ausdrücklich bedacht hat, kann der [X.] nicht ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch beschwert ist. Die Sache bedarf deshalb im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung neuer Verhandlung und Entscheidung; hierzu hebt der [X.] vorsorglich die zugehörigen Feststellungen auf (vgl. auch [X.], Beschlüsse vom 13. Juni 2023 – 1 [X.] und vom 9. Januar 2023 – 1 StR 381/22 Rn. 5 f.).

6

Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§§ 55, 53 StGB), durch die ein Angeklagter nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden soll, wird das Tatgericht in der neuen Verhandlung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verhandlung – hier also dem 26. Januar 2023 – zu beurteilen haben (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 [X.] Rn. 5; Beschlüsse vom 16. März 2021 – 2 StR 37/21 Rn. 4; vom 25. Oktober 2017 – 1 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Zäsurwirkung 3 Rn. 3 und vom 5. Juli 2011 – 3 [X.] Rn. 5). Eine Erledigung der Geldstrafe nach Verkündung des ersten Urteils stünde ihrer Einbeziehung daher nicht entgegen, obwohl der dadurch bedingte Wegfall der Zäsurwirkung dem Angeklagten an sich günstig wäre (vgl. [X.], Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 [X.] Rn. 5 f.).

Jäger     

  

Bär     

  

Leplow

  

Allgayer     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 180/23

28.06.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 26. Januar 2023, Az: 8 KLs 104 Js 125878/20

§ 55 Abs 1 S 2 StGB, § 411 Abs 1 S 2 StPO, § 411 Abs 1 S 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2023, Az. 1 StR 180/23 (REWIS RS 2023, 4587)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4587

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