Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.01.2015, Az. 4 C 13/14

4. Senat | REWIS RS 2015, 17488

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Gegenstand

Ostsee-Pipeline; Aussetzung des Revisionsverfahrens mit Blick auf anhängiges Vertragsverletzungsverfahren


Tenor

Das Verfahren wird mit Rücksicht auf die beim [X.] von der [X.] gemäß Art. 258 Abs. 2 AEUV unter dem 21. März 2014 eingereichte Klage gegen die [X.] ([X.]/14) ausgesetzt.

Gründe

1

1. Die Klägerin wendet sich gegen die naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme „Martensches [X.]ruch“, die der Planfeststellungsbeschluss des [X.]eklagten vom 6. August 2009 für die mit dem Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung-OPAL-Vorhaben verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft vorsieht. Inhalt der Kompensationsmaßnahme ist die Wiedervernässung des Martenschen [X.]ruches durch [X.] in dessen Wasserläufen während eines mehrjährigen Zeitraumes. Vorhabenträger sind die [X.]eigeladenen. Die Ortslage der Klägerin befindet sich im Norden der zu [X.] und zu überflutenden Flächen des „Martenschen [X.]ruches“ in einer Entfernung von etwa drei bis vier Kilometern.

2

Die gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 6. August 2009 erhobene Klage hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Juni 2014 abgewiesen. Es war der Auffassung, dass die Klage unbegründet ist, weil die Klägerin mit ihren Einwendungen gemäß § 43a Nr. 7 [X.] präkludiert sei. Das gelte auch für einen Aufhebungsanspruch nach § 4 Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 UmwRG.

3

Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung bislang höchstrichterlich noch nicht geklärter Fragen der Einwendungspräklusion von Gemeinden in [X.]ezug auf die Vorschriften des [X.] zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Meinung, dass eine Präklusion nach § 43a Nr. 7 [X.] nicht eingetreten sei. Die Auslegung des § 4 Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 UmwRG durch das Oberverwaltungsgericht sei zudem mit Art. 11 der Richtlinie 2011/92/[X.] des [X.] und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (A[X.]l. [X.] 2012 L 26 S. 1 - [X.] -) und der sog. [X.]-Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 7. November 2013 - [X.]/12 [[X.]:[X.]:[X.]], Gemeinde [X.] - NVwZ 2014, 49 = [X.] 2014, 61 = DV[X.]l 2013, 1597) nicht vereinbar.

4

[X.]eklagter und [X.]eigeladene verteidigen das angefochtene Urteil. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2014 regte der [X.]eklagte an, das vorliegende Verfahren im Hinblick auf das von der [X.] gegen die [X.] eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen. Nach Ansicht der Kommission soll die [X.] u.a. gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 11 [X.] verstoßen haben, indem sie die [X.]estimmungen der [X.] grundsätzlich als keine subjektiven Rechte verleihend ansehe und damit deren gerichtliche Geltendmachung durch Einzelpersonen wegen § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO weitgehend ausschließe, sowie dadurch, dass sie die Klagebefugnis und den gerichtlichen Prüfumfang auf Einwendungen beschränke, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren, das zur Annahme der Entscheidung geführt hat, eingebracht worden seien (§ 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 6 VwVfG). [X.]eigeladene und Klägerin haben einer Aussetzung des Verfahrens zugestimmt.

5

2. Im Einverständnis mit allen [X.]eteiligten wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ohne gleichzeitige Vorlage an den [X.] ausgesetzt. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

6

a) Die Abweisung der Klage als unbegründet hat das Oberverwaltungsgericht damit begründet, dass die Klägerin ihre Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 6. August 2009 nicht rechtzeitig geltend gemacht habe; sie sei damit gemäß § 43a Nr. 7 [X.] präkludiert. Das gelte auch in [X.]ezug auf die fehlerhafte Vorprüfung der Umweltverträglichkeit des verfahrensgegenständlichen Vorhabens. Damit ist vorliegend nicht nur die Frage entscheidungserheblich, ob die Voraussetzungen des § 43a Nr. 7 [X.] gegeben sind (was die Klägerin bestreitet), sondern vielmehr als Vorfrage hierzu zu klären, ob die Norm mit Unionsrecht im Einklang steht. Denn ist letzteres nicht der Fall, darf § 43a Nr. 7 [X.] nicht angewendet werden und muss nicht mehr geklärt werden, ob die Voraussetzungen der Präklusionsnorm erfüllt sind. Die Klägerin wäre dann mit ihren Einwendungen nicht ausgeschlossen, ihre Revision voraussichtlich erfolgreich.

7

Das [X.] hat zwar bereits mehrfach die Unionsrechtskonformität der Präklusionsregelungen im [X.] Recht geprüft und bejaht (vgl. [X.], Urteile vom 14. Juli 2011 - 9 A 12.10 - [X.]E 140, 149 zu § 17a Nr. 7 Satz 2 [X.] und vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 - [X.]E 136, 291 zu § 61 Abs. 3 [X.]NatSchG 2002; [X.]eschlüsse vom 14. September 2010 - 7 [X.] 15.10 - [X.] 406.254 URG Nr. 2 zu § 2 Abs. 3 UmwRG und zu § 10 Abs. 3 [X.]ImSchG und vom 11. November 2009 - 4 [X.] - [X.] 406.254 URG Nr. 1 zu § 2 Abs. 3 UmwRG), auch in [X.]ezug auf § 43a Nr. 7 [X.] ([X.], [X.]eschluss vom 17. Juni 2011 - 7 [X.] 79.10 - [X.] 406.254 [X.]). Die [X.] hält hingegen die zu § 43a Nr. 7 [X.] vergleichbaren § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 6 VwVfG für unionsrechtswidrig und hat u.a. deshalb beim [X.] ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die [X.] eingeleitet ([X.]/14). Wie der Gerichtshof entscheiden wird, erscheint als offen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 16. September 2014 - 7 VR 1.14 - [X.] 2014, 782 - juris Rn. 17).

8

b) Im Regelfall verpflichtet Art. 267 Abs. 3 A[X.]V das nationale Gericht, den [X.] zur Klärung einer - wie hier - entscheidungserheblichen und zweifelhaften Frage des Unionsrechts anzurufen. Im vorliegenden Fall kann der Rechtsstreit jedoch ohne Vorlage an den Gerichtshof in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ausgesetzt werden.

9

Im Einklang mit der Praxis anderer oberster [X.]undesgerichte (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 10. November 2000 - 3 [X.] 3.00 - [X.]E 112, 166 = juris Rn. 11 m.w.[X.]) hält es der Senat unter den hier gegebenen Umständen für zulässig und sachgerecht, den Rechtsstreit auszusetzen, ohne zugleich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen. Denn die im vorliegenden Verfahren entscheidungserhebliche Frage der Vereinbarkeit des § 43a Nr. 7 [X.] mit Unionsrecht ist in der Sache bereits Gegenstand des beim [X.] anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens. Die Anrufung in einem Vorlageverfahren würde zum einen den Gerichtshof zusätzlich belasten, ohne dass davon irgendein zusätzlicher Erkenntniswert zu erwarten wäre; weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht verlässt das vorliegende Verfahren den Rahmen, der Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens ist. Zum anderen bestünde die Gefahr, dass sich durch ein weiteres Vorlageverfahren die [X.]eantwortung der entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Frage sogar hinauszögern könnte (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 10. November 2000 - 3 [X.] 3.00 - [X.]E 112, 166 = juris Rn. 11). Schließlich haben sich die [X.]eteiligten mit einer Aussetzung des Verfahrens ohne Vorlage an den [X.] im Hinblick auf das anhängige Vertragsverletzungsverfahren einverstanden erklärt.

Meta

4 C 13/14

07.01.2015

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 12. Juni 2014, Az: 5 K 19/09, Urteil

§ 43a Nr 7 EnWG 2005, § 4 Abs 3 UmwRG, § 4 Abs 1 S 2 UmwRG, § 94 VwGO, Art 11 EURL 92/2011

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.01.2015, Az. 4 C 13/14 (REWIS RS 2015, 17488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17488

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