Bundespatentgericht, Beschluss vom 24.11.2020, Az. 8 W (pat) 18/18

8. Senat | REWIS RS 2020, 285

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Gegenstand

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Startgerät" - ein ursprünglich nicht offenbartes Merkmal steht im Widerspruch zu den Ursprungsunterlagen - exklusives Aliud – Widerruf des Streitpatents


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 11 2011 100 628

hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] am 24. November 2020 durch den Vorsitzenden [X.]. Dr. phil. nat. [X.], [X.], die Richterin [X.] und [X.] Ing. Univ. Maierbacher

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. Juli 2018 aufgehoben und das Patent 11 2011 100 628 widerrufen.

Gründe

I.

1

Auf die PCT Patentanmeldung [X.] 2011/072282, die die [X.] Priorität 2010 -221024 vom 30. September 2010 in Anspruch nimmt, ist das [X.] Patent 11 2011 100 628 mit der Bezeichnung „Startgerät“ der Beschwerdegegnerin erteilt und seine Erteilung am 10. November 2016 veröffentlicht worden.

2

Gegen das Patent hat die Beschwerdeführerin am 2. August 2017 Einspruch erhoben mit der Begründung, das Patent sei gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen in mehreren Merkmalen unzulässig erweitert und zudem nicht patentfähig, da es gegenüber dem Stand der Technik nicht erfinderisch sei.

3

Zur Begründung verweist sie auf folgende Druckschriften:

4

([X.]): WO 2010/ 000 220 [X.],

5

([X.]): EP 2 005 991 [X.],

6

([X.]): [X.] 2008 056 636 [X.],

7

([X.]): [X.] 6 050 376 A,

8

sowie im weiteren Verlauf des Verfahrens auf die Druckschriften:

9

([X.]): [X.] 2009 002 481 [X.],

([X.]): JP 2009- 243 536 A,

([X.]): [X.] 2011 011 469 [X.].

Die Patentinhaberin hat das Patent mit geändertem Hauptantrag vom 27. Juni 2018 und mit vier Hilfsanträgen vom 19. Juli 2018 verteidigt.

Die [X.] des [X.] hat das Streitpatent mit in der Anhörung vom 19. Juli 2018 verkündetem Beschluss beschränkt gemäß Hilfsantrag 2 aufrechterhalten.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Vorwurf der unzulässigen Erweiterung den Widerruf des Patents nicht rechtfertige. Das Merkmal „ausschließlich der [X.] (72) der Sperrkupplung (74) radial über einen äußeren Umfang des [X.] (247) hinausgeführt[X.] ist“ erweitere die Anmeldung zwar unzulässig. Es könne lediglich aus der Zeichnung der Figur 4 der [X.] herausgezogen werden, was aber als [X.] nicht genüge. Zudem befänden sich auch weitere Bauteile jenseits des äußeren Umfangs des [X.]. Eine Streichung des Merkmals sei nicht möglich, da dies zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzumfangs des Patents führen würde. Das Merkmal könne jedoch im Anspruch verbleiben, weil es den Gegenstand der Anmeldung einschränke. Es könne aber nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden. Jedoch sei sowohl der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag, als auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1, soweit er jeweils nicht über den Gegenstand der Anmeldung hinausgehe, gegenüber der aus der nachveröffentlichten Druckschrift [X.] offenbarten Vorrichtung jeweils nicht neu. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 sei dagegen, soweit er nicht über den Gegenstand der Anmeldung hinausgehe weder vorweggenommen noch durch den Stand der Technik nahegelegt, folglich patentfähig.

Gegen diesen Beschluss, der ihr am 8. August 2010 zugestellt worden ist, richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden und Beschwerdeführerin vom 07. September 2018. Sie ist der Auffassung, dass auch der von der [X.] Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 im Merkmal 1.10 auf einer unzulässigen Erweiterung beruhe und zudem der damit beanspruchte Gegenstand gegenüber der [X.] nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Die Einsprechende und Beschwerdeführerin stellt den Antrag,

den angefochtenen Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. Juli 2018 aufzuheben und das Patent 11 2011 100 628 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin hat sich im Verfahren zur Sache nicht geäußert, sondern schriftsätzlich erklärt, dass sie nicht beabsichtige, auf die Beschwerdebegründung Stellung zu nehmen. Auf die [X.] hat sie mitgeteilt, dass sie das Verfahren nicht weiterführen wolle. [X.] ist sie zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Der geltende Patentanspruch 1 nach in der durch den angegriffenen Beschluss aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 2 lautet (Gliederung entsprechend der Merkmalsanalyse der Beschwerdeführerin vom 30. Juni 2020):

1.1 Startgerät mit: einem Sperrkupplungsmechanismus (70), bestehend aus einer Sperrkupplung (74) und einem Kolben (71) zum Einrücken der Sperrkupplung (74) für deren Reibeingriff mit einem an einen Motor gekoppelten Eingangselement (20) des Startgeräts (1), derart, dass mechanisch eine Leistung von dem Motor zu einer [X.] (50) eines Getriebes übertragen wird;

1.2 einer Fluidkopplung mit einem Turbinenlaufrad (40) und einem Pumpenlaufrad (30),

1.3 sodass bei ausgerückter Sperrkupplung (74) eine Leistung von dem Motor über ein Fluid der Fluidkopplung zu der [X.] (50) übertragen wird;

1.4 einem Dämpfergerät (200) aufweisend

1.5 - zumindest einen ersten Dämpfer (220) mit einer ersten Feder (124),

1.6 - einen ersten Leistungsübertragungsabschnitt (223), der eine Leistung von einem [X.] (72) der Sperrkupplung (74) zu dem zumindest einen ersten Dämpfer (220) überträgt und

1.7 - einen ersten [X.] (142, 145), der die Leistung von dem zumindest einen ersten Dämpfer (220) in Richtung hin zu der [X.] (50) des Getriebes überträgt; und

1.8 einem Pendeldämpfer (247) mit einem [X.] (248) und einem das [X.] (248) haltenden Pendelleistungsübertragungsabschnitt (250), der eine Leistung von dem ersten [X.] (142, 145) des zumindest einen ersten Dämpfers (220) zu dem [X.] (248) überträgt,

dadurch gekennzeichnet, dass

1.9 die mittels des [X.] (71) mit dem Eingangselement (20) in Reibeingriff bringbare Sperrkupplung (74), der Kolben (71), das [X.] (248), das Dämpfergerät (200) und die Fluidkopplung aufeinanderfolgend in dieser Reihenfolge in einer axialen Richtung des Startgeräts (1) positioniert sind

1.10 und ausschließlich der [X.] (72) der Sperrkupplung (74) radial über einen äußeren Umfang des Pendeldämpfers (247) hinaus geführt und

1.11 mit dem Leistungsübertragungsabschnitt (223) des Dämpfergeräts (200) an einem Verbindungsabschnitt (223a) wirkverbunden ist,

1.12 der auf Seiten des äußeren Umfangs des Pendeldämpfers (247) angeordnet ist, derart, dass eine radial innerste periphere Seite des [X.] (223a) radial außerhalb zur radial äußersten peripheren Seite des Pendeldämpfers (247) liegt, wobei

1.12a der Leistungsübertragungsabschnitt (223) eine Vielzahl Zähne (123a) hat, die in der axialen Richtung zu dem Kolben (71) vorspringen; und

1.12b der [X.] (72) eine Vielzahl Zähne (72a) hat, die in der axialen Richtung zu einer ersten Dämpferplatte (222) vorspringen;

1.12c sodass die Zähne (123a, 72a) in der axialen Richtung zueinander gerichtet sind, wobei

1.13 der erste [X.] (142, 145) des zumindest einen ersten Dämpfers (220) und der Pendelleistungsabgabeabschnitt (250) miteinander auf Seiten eines radial inneren Umfangs des [X.]s (248) verbunden sind.

An den Patentanspruch 1 schließen sich die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 und 3 an.

Wegen des Wortlautes der [X.] und der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

1. Die zulässige, frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde der Einsprechenden ist in der Sache begründet. Sie führt gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.] zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zum Widerruf des Patents.

[X.] betrifft gemäß Absatz [0001] ein Startgerät (Startergerät), das zwischen einem Motor und einem Getriebe angeordnet ist.

[X.] geht dabei gemäß Absatz [0002] von einem Stand der Technik aus, bei dem ein [X.], das ein Aufprallmoment (Momentenstoß) oder Ähnliches empfängt und aufnimmt, mit Bezug auf ein Turbinenlaufrad eines [X.] in der axialen Richtung an einer Seite eines [X.] angeordnet ist. Bei solchen Konfigurationen werde ein ungenutzter Raum an der äußeren Umfangsseite des Turbinenlaufrads erzeugt, der nicht wirkungsvoll verwendet werden könne.

Um einen derartigen ungenutzten Raum wirkungsvoll zu nutzen, sei gemäß Absatz [0004] eine Konfiguration entwickelt worden, in der ein neues einen Dämpfer ausbildendes Element in einem Raum an der äußeren Umfangsseite eines Turbinenlaufrads angeordnet sei, um das Turbinenlaufrad in der axialen Richtung teilweise zu überlappen.

Weiterhin sei gemäß Absatz [0005] aus der [X.] 2009 002 481 [X.] ein hydrodynamischer Drehmomentwandler bekannt, bei dem ein Verbindungsabschnitt zwischen einem Scheibenträger und einem Leistungsübertragungsabschnitt axial zu einem Pendeldämpfer versetzt sowie radial innenseitig bezüglich des äußeren Umfangs des [X.] angeordnet ist. Diese Anordnung habe den Nachteil, dass die Gesamtlänge des [X.] in dessen Axialrichtung unvorteilhaft erhöht sei. (vgl. [0005]).

Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe besteht gemäß Absatz [0007] des Streitpatents darin, ein Startgerät bereitzustellen, das eine Verbesserung der Festigkeit einer Dämpferplatte und so weiter und des Freiheitsgrades in der Konstruktion eines Pendels eines Fliehkraftpendeldämpfers ermöglicht, während ein Raum an der äußeren Umfangsseite eines Turbinenlaufrads wirkungsvoll verwendet wird.

Die Lösung der Aufgabe besteht nach Absatz [0008] des Streitpatents darin, dass ein Startgerät (Eingangsgerät) bereitgestellt wird mit einem Sperrkupplungsmechanismus, der mechanisch eine Leistung (Kraft/Moment) von einem Motor zu einer [X.] eines Getriebes überträgt, eine Fluidkupplung (Strömungskupplung) mit einem Turbinenlaufrad und einem Pumpenrad, um eine Leistung von dem Motor über ein Fluid zu einer [X.] zu übertragen; einen Federdämpfer mit einer Feder, einem Leistungsübertragungsabschnitt, der eine Leistung von einem [X.] des Sperrkupplungsmechanismus zu der Feder überträgt, und einem [X.], der eine Leistung von der Feder zu der [X.] überträgt; und einen Pendeldämpfer mit einem Pendel und einem Pendelleistungsübertragungsabschnitt, der eine Leistung von dem [X.] des Federdämpfers zu dem Pendel überträgt, wobei die Sperrkupplung, der Kolben, das [X.], der Federdämpfer und die Fluidkupplung nacheinander in dieser Reihenfolge von dem Motor in einer axialen Richtung angeordnet sind, und ausschließlich der [X.] des Sperrkupplungsmechanismus über einen äußeren Umfang des [X.] hinaus geführt und mit dem Leistungsübertragungsabschnitt des Federdämpfers an einem Verbindungsabschnitt wirkverbunden ist, der auf Seiten des äußeren Umfangs des [X.] angeordnet ist, derart, dass eine radial innerste periphere Seite des [X.] radial außerhalb zur radial äußersten peripheren Seite des [X.] liegt, wobei der erste [X.] des Federdämpfers und der Pendelleistungsabgabeabschnitt miteinander auf Seiten eines radial inneren Umfangs des [X.]s verbunden sind.

Der zuständige Fachmann ist im vorliegenden Fall ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Berufserfahrung in der Konstruktion von Drehmomentwandlern.

Einige Merkmale des Patentanspruchs 1 bedürfen einer Auslegung.

Im Merkmal 1.1 wird zwischen dem Sperrkupplungsmechanismus und der Sperrkupplung unterschieden. Der Sperrkupplungsmechanismus ist in diesem Merkmal dahingehend weiter definiert, dass er die Sperrkupplung und den die Sperrkupplung betätigenden Kolben umfasst. Festgelegt wird weiterhin, dass es sich bei der Sperrkupplung um eine Reibungskupplung handeln soll, die mechanische Leistung von einem motorseitigen Eingangselement zu einer getriebeseitigen [X.] übertragen soll. Ob und ggfs. welche weiteren Bauteile neben dem im Merkmal 1.10 beanspruchten [X.] zu diesem Zweck der Leistungsübertragung sonst noch zu der Sperrkupplung und damit auch zum Sperrkupplungsmechanismus gehören sollen, bleibt offen.

Das Merkmal 1.9 legt die axiale Reihenfolge der Bauteile Sperrkupplung, Kolben, [X.], Dämpfergerät und Fluidkopplung in ihrer geometrischen Anordnung fest, die sich jeweils auf ihren axialen Beginn bzw. ihre Mitte bezieht, wobei eine axiale Überlappung der Bauteile möglich ist.

Das Merkmal 1.10, wonach „ausschließlich“ der [X.] der Sperrkupplung radial über einen äußeren Umfang des Pendeldämpfers hinausgeführt sein soll, bezieht sich auf die Leistungsabgabe der Sperrkupplung, die in radialer Richtung dort beginnen soll, wo die radiale Erstreckung des Pendeldämpfers endet. Das Merkmal ist aus der Sicht des Fachmanns aufgrund seines Wortlauts und im Gesamtzusammenhang der Unterlagen dahingehend auszulegen, dass kein anderer Abschnitt als der [X.] der Sperrkupplung radial über einen äußeren Umfang des Pendeldämpfers hinausgeführt wird.

Merkmal 1.11 gibt an, wie die Sperrkupplung das Moment an das Dämpfergerät überträgt, nämlich über einen Verbindungsabschnitt, der diese Übertragung zwischen [X.] der Sperrkupplung und Leistungsübertragungsabschnitt des Dämpfergeräts gewährleistet, wobei die Art dieser Übertragung offenbleibt.

Merkmal 1.12. gibt die geometrische Lage des [X.] an, der komplett radial weiter außen liegen soll als die radiale Erstreckung des Pendeldämpfers. Damit wird auch festgelegt, dass Bauteile, die sich weiter nach radial innen erstrecken, nicht dem Verbindungsabschnitt zuzuordnen sind.

Mit den Merkmalen 1.12a bis 1.12b werden jeweils Zähne beansprucht, die in ihrer Form nicht genau festgelegt sind, lediglich in ihrer Richtung. Ein axiales „Vorspringen“ ist dahingehend zu verstehen, dass der [X.] sich axial näher an der angegebenen Richtung befindet als der Zahnfuß. Die Ausrichtung ist dabei nicht auf eine Parallele zur Achse beschränkt.

Dass die Zähne zueinander gerichtet sein sollen, wie dies mit dem Merkmal 1.12c beansprucht wird, bedeutet nicht, dass diese Zähne auch miteinander kämmen müssen. Gegebenenfalls könnte ein Verbindungsabschnitt, wie er mit dem Merkmal 1.11 beansprucht wird, durch ein weiteres Bauteil realisiert sein, welches mit den jeweiligen Zähnen gemäß Merkmal 1.12a und Merkmal 1.12b in Eingriff steht.

2. [X.] ist gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.] zu widerrufen, weil sein Gegenstand in Merkmal 1.10 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

Eine unzulässige Erweiterung ist hier darin zu sehen, dass das Merkmal 1.10 des geltenden Patentanspruchs 1 „und ausschließlich der [X.] (72) der Sperrkupplung (74) radial über einen äußeren Umfang des Pendeldämpfers (247) hinaus geführt …ist“ erst im Laufe des Anmeldeverfahrens am 24. Juni 2016 in den Patentanspruch 1 und Absatz [0018] der Beschreibung aufgenommen worden ist. Das Merkmal ist aus der Sicht des Fachmanns aufgrund seines Wortlauts und im Gesamtzusammenhang der Unterlagen dahingehend auszulegen, dass kein anderer Abschnitt als der [X.] der Sperrkupplung radial über einen äußeren Umfang des Pendeldämpfers hinausgeführt wird.

Für den Fachmann gehören zu der Sperrkupplung unter Berücksichtigung der Auslegung des Merkmals 1.1 in jedem Fall die beiden [X.], die im geschlossenen Zustand der Kupplung miteinander im [X.] stehen und über welche Leistung übertragen wird. Im vorliegenden Fall sind dies der Kolben (71) und der darauf angebrachte Reibbelag als eine Kupplungshälfte und das Gehäuse (20) als andere Kupplungshälfte. Absatz [0019] der [X.] 11 2011 100 628 T5 teilt den Kolben in einen radial innen liegenden Bereich und einen radial äußeren Bereich auf, wobei sich die Sperrkupplung im radial äußeren Bereich des [X.] befinden soll. Damit gibt es zwar einen Hinweis, wo die radial innere Grenze der Sperrkupplung zu sehen ist, nicht jedoch, wo sie radial außen enden soll. Nachdem der [X.] (72) des [X.] (71) ebenfalls Bestandteil der Sperrkupplung ist (vergleiche Absatz [0007], 4. Absatz der [X.] 11 2011 100 628 T5), erstreckt sich die Sperrkupplung in radialer Richtung nach außen mindestens bis zu diesem [X.].

Damit ist das neu hinzugefügte Merkmal jedoch weder in der ursprünglich eingereichten Beschreibung enthalten, noch auch nur angedeutet. Soweit die [X.] davon ausgegangen ist, dass das Merkmal aus der Figur 4 herausgezogen werden könne, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Denn das Merkmal ist auch in Figur 4 nicht dargestellt, da auch hier nicht nur der [X.] (72), sondern zusätzlich auch das Gehäuse, das einen Teil der Sperrkupplung bildet, radial über den äußeren Umfang des [X.] hinausragt, eine Ausschließlichkeit im Sinne des Merkmals 1.10 somit auch in Figur 4 nicht erkennbar ist.

Eine beschränkte Aufrechterhaltung gemäß § 21 Abs. 2 [X.] kommt entgegen der Auffassung der [X.] nicht in Betracht. Denn das nachträglich eingeführte nicht ursprungsoffenbarte Merkmal 1.10 führt nicht zu einer bloßen Konkretisierung eines bereits im Wesentlichen in den [X.] offenbarten technischen Sachverhalts, sondern verändert den Gegenstand der Erfindung in einer Weise, dass er nicht mit dem ursprünglich offenbarten Gegenstand übereinstimmt, sondern ein Aliud bildet.

Gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ist ein Patent grundsätzlich zu widerrufen, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Führt die Einfügung des ursprünglich nicht offenbarten Merkmals dazu, dass der Gegenstand des Patents eingeschränkt worden ist, kommt eine Streichung des Merkmals nicht in Frage, da sie zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Patents führen würde, die gemäß § 22 Abs. 1 [X.] unzulässig wäre, sodass das Patent aus diesem Grund widerrufen werden müsste.

Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.], 40 -48 – Winkelmesseinrichtung; [X.], 1003-1007 – Integrationselement; BGHZ 2004, 199-216 – Wundbehandlungsvorrichtung) ist ein Patent bei einer Einschränkung durch ein ursprünglich nicht offenbartes Merkmal nicht stets zu widerrufen. Der Vertrauensschutz der Öffentlichkeit gebietet dies nicht zwingend. Ihm kann auch dadurch Genüge getan werden, dass das einschränkende Merkmal zwar im Anspruch verbleibt, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Betracht gelassen wird, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf.

Dieser Lösungsweg ist jedoch nur eröffnet, wenn das ursprünglich nicht offenbarte Merkmal tatsächlich zu einer bloßen Einschränkung des Patentanspruchs führt. Er scheidet aus, wenn die Hinzufügung des Merkmals dazu geführt hat, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen [X.] ein „Aliud“ darstellt. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen.

Bei der Unterscheidung zwischen einer bloßen Beschränkung und einer Wesensänderung des Patentgegenstands ist nicht auf bloße Formalien abzustellen. Entscheidend ist vielmehr, ob mit der Hinzufügung des Merkmals lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist ([X.], Rdnr. 22).

Das neu eingefügte Merkmal 1.10 schränkt den Patentanspruch 1 zwar ein, sodass es ohne die Folge der unzulässigen Erweiterung seines Schutzbereichs nicht gestrichen werden kann, reicht aber über eine bloße Einschränkung weit hinaus und ergänzt den Gegenstand der Erfindung um einen neuen technischen Aspekt, der in den [X.] nicht nur vollständig fehlt, sondern zu diesen sogar in Widerspruch steht. Denn dort bildet das Gehäuse den radial äußersten Teil der Sperrkupplung und wird somit zwangsläufig ebenso wie der [X.] des [X.] radial über den äußeren Umfang des [X.] hinausgeführt. Damit steht der patentierte Gegenstand zum ursprünglich [X.] in einem Ausschließlichkeitsverhältnis, sodass der Gegenstand des Patentanspruchs ein gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.] unzulässiges exklusives Aliud bildet.

Die Beschwerdegegnerin hat die noch im Einspruchsverfahren verfolgten Hilfsanträge 3 und 4 nicht mehr zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht, sondern erklärt, dass sie das Verfahren nicht weiterführen wolle.

Daher war der angegriffene Beschluss aufzuheben und das Patent vollumfänglich zu widerrufen.

Meta

8 W (pat) 18/18

24.11.2020

Bundespatentgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG, § 22 Abs 1 PatG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 24.11.2020, Az. 8 W (pat) 18/18 (REWIS RS 2020, 285)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 285

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