Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.05.2013, Az. X ARZ 65/13

10. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6093

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zuständigkeitsbestimmung bei Streitgenossen mit unterschiedlichen Gerichtsständen: Eingeschränktes Auswahlermessen bei einem europarechtlichen inländischen Gerichtsstand eines Streitgenossen


Leitsatz

1. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO findet Anwendung, wenn hinsichtlich eines Antragsgegners im Inland lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben.

2. Ergibt sich der Gerichtsstand eines Antragsgegners aus einer abschließenden Zuständigkeitsbestimmung der Brüssel-I-Verordnung, ist das Auswahlermessen des Gerichts im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeschränkt.

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin, die in [X.] wohnt, beabsichtigt, die Antragsgegnerinnen wegen einer gescheiterten Kapitalanlage aus Prospekthaftung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Nach ihrem Vortrag beteiligte sie sich an einem in [X.] aufgelegten geschlossenen Medienfonds. Die Antragsgegnerin zu 1 ist nach dem Vorbringen der Antragstellerin die Initiatorin und Prospektherausgeberin des Fonds, die Antragsgegnerin zu 2 die Treuhänderin, mit der Antragsgegnerin zu 3 habe sie einen obligatorischen Finanzierungsvertrag geschlossen.

2

Die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 haben ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts [X.] I, die Antragsgegnerin zu 3 ist in [X.] ansässig.

3

Die Antragstellerin hat beim [X.] [X.] beantragt, ein zuständiges Gericht zu bestimmen, ohne ein bestimmtes Gericht zu bezeichnen. Das [X.] [X.] hat die Sache dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

4

II. Die Vorlage ist gemäß § 36 Abs. 3 ZPO zulässig.

5

Nach § 36 Abs. 3 ZPO hat ein [X.], das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem [X.] vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen [X.]s oder des [X.]s abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen vor.

6

Das vorlegende [X.] vertritt den Standpunkt, das Gericht sei im nationalen Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht zwingend auf das nach Art. 16 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.]) zuständige Gericht festgelegt. Der Anwendungsvorrang der [X.] könne in Ausübung des im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeräumten Auswahlermessens überwunden werden. Damit würde es von der Rechtsauffassung des [X.]s Frankfurt am Main abweichen, das der Ansicht ist, die Regelung des Art. 16 [X.] führe bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts zu einer Beschränkung des Auswahlermessens insoweit, als die dort geregelten ausschließlichen Zuständigkeiten zwingend zu beachten seien ([X.], [X.], 387; ebenso mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b [X.] KG, [X.], 1007).

7

III. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

8

1. Die Antragsgegnerinnen können als Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO verklagt werden. Die Norm beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt ([X.], Beschluss vom 3. Mai 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18; [X.], Beschluss vom 23. Mai 1990 - [X.], [X.] 1991, 222 f. = NJW-RR 1991, 381). Ein solcher Zusammenhang ist auch im Streitfall gegeben. Er ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerinnen auf Ersatz derselben Schäden in Anspruch nimmt, die ihr im Zusammenhang mit der als einheitlichen Lebenssachverhalt zu beurteilenden Vermögensanlage entstanden sind. Dabei ist unerheblich, ob die Ansprüche gegen die Antragsgegnerinnen auf unterschiedliche Verträge gestützt werden, die ihrerseits nicht in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang stehen ([X.], Beschluss vom 3. Mai 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18).

9

2. Die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 einerseits und die [X.] zu 3 andererseits haben verschiedene allgemeine Gerichtsstände. Während die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts [X.] I haben, hat die Antragsgegnerin zu 3 keinen allgemeinen inländischen Gerichtsstand. Zudem besteht für die Antragsgegnerinnen kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand.

3. Dem Antrag steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin zu 3 im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Für die in [X.] ansässige Antragsgegnerin zu 3 ist ein Gerichtsstand nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 [X.] am nach Art. 59 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 7 BGB zu bestimmenden Wohnsitz der Antragstellerin und damit beim Landgericht [X.] begründet.

a) Bei dem beabsichtigten Rechtsstreit um den obligatorischen Finanzierungsvertrag, den die Antragstellerin als Bestandteil der Vermögensanlage mit der Antragsgegnerin zu 3 geschlossen hat, handelt es sich um eine [X.] im Sinne von Art. 15 Abs. 1 [X.].

Dieser Begriff ist autonom zu bestimmen. Dabei ist eine enge Auslegung geboten, weil die daran anknüpfende Zuständigkeitsregel eine Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 [X.] normierten Grundsatz der Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Beklagten darstellt ([X.], Urteil vom 20. Januar 2005 - [X.]/01, Slg. [X.], 439 Rn. 31, 32, 43 - [X.]/[X.]). Die [X.] ist nach der objektiven Stellung der betroffenen Person im Rahmen des konkreten Vertragsverhältnisses in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung zu bestimmen ([X.], Urteil vom 3. Juli 1997 - [X.], Slg. [X.], 3767 Rn. 16 - [X.]; [X.], Urteil vom 28. Februar 2012 - [X.], [X.], 747 Rn. 28).

Nach diesen Grundsätzen ist das zugrundeliegende Geschäft im Hinblick darauf, dass es sich vorliegend um eine Vermögensanlage zu privaten Zwecken handelt, als [X.] anzusehen. Unerheblich ist insoweit, dass die konkrete Form der Vermögensanlage als Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft ausgestaltet ist. Der Abschluss eines Darlehensvertrages ist dann von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c [X.] erfasst, wenn der mit der Kreditaufnahme verfolgte Zweck nicht mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Darlehensnehmers zusammenhängt ([X.], Urteil vom 20. Januar 2005 - [X.]/01, Slg. [X.], 439 Rn. [X.]. - [X.]/[X.]; [X.], Urteil vom 28. Februar 2012 - [X.], [X.], 747 Rn. 27 ff.). Dies ist bei dem allein der Finanzierung der Beteiligung an dem Medienfonds zur privaten Vermögensanlage dienenden Darlehen der Fall (vgl. auch [X.]/v. [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 15 EuGVVO Rn. 20).

b) Die Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 1 [X.], der in seiner zweiten Alternative nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit regelt, schließt zudem einen Rückgriff auf Art. 6 Nr. 1 [X.] aus, sodass auch hieraus kein gemeinsamer Gerichtsstand für die Antragsgegnerinnen abgeleitet werden kann.

Die Zuständigkeit für [X.]n ist in [X.], Abschnitt 4 der [X.] abschließend geregelt. Insoweit hat der [X.] zu den in [X.], Abschnitt 5 geregelten Zuständigkeiten für individuelle Arbeitsverträge entschieden, dass die darin aufgeführten Bestimmungen abschließenden Charakter haben und jeden Rückgriff auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung verbieten ([X.], Urteil vom 22. Mai 2008 - [X.]/06, Slg. [X.], 3965 = EuZW 2008, 369 - Glaxosmithkline). Entsprechendes gilt für die in [X.], Abschnitt 4 der [X.] geregelten Zuständigkeit bei [X.]n ([X.]/v. [X.], aaO, Art. 16 Rn. 1; [X.] in [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 6 Rn. 2; Corneloup/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 2012, Art. 6 Rn. 41).

c) § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch in Fällen anzuwenden, in denen hinsichtlich eines Antragsgegners im Inland lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach den unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben ([X.], Beschluss vom 19. März 1987 - I ARZ 903/86, NJW 1988, 646; [X.] in [X.], ZPO, 22. Aufl., § 36 Rn. 25; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 36 Rn. 39; Lange in Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., § 36 Rn. 6). Danach ist der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hier eröffnet.

IV. Als zuständiges Gericht kommen das Landgericht [X.] I und das Landgericht [X.] in Betracht.

Das dem Gericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichtes nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeräumte Auswahlermessen ist jedoch insoweit eingeschränkt, als der in Art. 16 Abs. 1 [X.] statuierte Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers Vorrang genießt ([X.] in [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., [X.]. Rn. 27; [X.], ebd., Art. 16 Rn. 1; Wagner, [X.], 116; s. auch KG [X.], 1007, 1008 zu Art. 9 [X.]). Die sich aus dem [X.] Zivilverfahrensrecht ergebende abschließende Zuständigkeitsregel kann im Rahmen des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - anders als die im nationalen Prozessrecht geregelten ausschließlichen Zuständigkeiten - nicht überwunden werden, weil ansonsten der durch den [X.] Gesetzgeber im internationalen Zuständigkeitsrecht getroffene Interessenausgleich beeinträchtigt würde. Als zuständiges Gericht ist daher das Landgericht [X.] zu bestimmen.

[X.]                          Gröning

                    Hoffmann                        Deichfuß

Meta

X ARZ 65/13

06.05.2013

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

§ 36 Abs 1 Nr 3 ZPO, § 60 ZPO, Art 16 Abs 1 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.05.2013, Az. X ARZ 65/13 (REWIS RS 2013, 6093)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6093

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X ARZ 65/13 (Bundesgerichtshof)


1 AR 94/19 (BayObLG München)

Gerichtsstandvereinbarung bei ausschließlichem Gerichtsstand


1 AR 88/19 (BayObLG München)

Vorlage an den BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts


101 AR 67/22 (BayObLG München)

Gerichtsstand, Gerichtsstandsvereinbarung, Berufung, Auslegung, Widerspruch, Rahmenvertrag, Eigentumsverletzung, Anlage, Klage, Bestimmungsverfahren, Bestimmung, Vertrag, Vereinbarung, Anspruch, Tschechische …


101 AR 53/21 (BayObLG München)

Leistungen, Gerichtsstand, Bauvertrag, Vertragsschluss, Gerichtsstandsvereinbarung, Bebauung, Schadensersatz, Gerichtsstandsbestimmung, Genehmigung, Berufung, Verletzung, Polen, Verbraucher, Bundesgebiet, besonderer …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.