Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2016, Az. 1 StR 233/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 6893

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Gegenstand

Steuerstrafverfahren: Schätzung von Besteuerungsgrundlagen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. November 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe und

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte als freiberuflicher Ingenieur selbstständig tätig. Er erbrachte dabei Dienstleistungen gegenüber verschiedenen Firmen, für die er Qualitätskontrollen und beratende [X.] im Bereich Projektmanagement ausführte. Der Angeklagte beschäftigte hierbei keine Mitarbeiter, sondern war ausschließlich allein tätig. In den von ihm erstellten Rechnungen gab er statt seiner richtigen Steuernummer jeweils aus erdachten Ziffernfolgen gebildete fiktive Steuernummern an. Für die Jahre 2007 bis 2012 gab er keine Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuerjahreserklärungen ab und verkürzte dadurch die sich aus den erzielten Umsätzen und Gewinnen ergebenden Steuern. Da nach Auffassung des [X.]s die getroffenen Feststellungen für eine konkrete Berechnung von Betriebsausgaben nicht ausreichten, schätzte es die Betriebsausgaben „unter Beachtung des [X.]“ auf vier Prozent der Einnahmen. Nach Berechnung des [X.]s ergab sich durch die Nichtabgabe der Steuererklärungen eine Steuerverkürzung von 290.703,21 Euro. Für die Umsatzsteuer setzte das [X.] im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigungsfähige Vorsteuern in Höhe von 3.955 Euro an.

3

Da der Angeklagte verhindern wollte, dass das Finanzamt [X.] in Höhe von insgesamt 490.865,39 Euro gegen ihn vollstrecken konnte, machte er zudem bei einem Vollstreckungsversuch des Finanzamts im Jahr 2009 falsche Angaben über seine Vermögensverhältnisse. Er verschwieg dabei ein Konto bei der [X.], auf dem für ihn in den darauffolgenden Tagen Einkünfte von insgesamt 16.357,74 Euro eingingen. Die Finanzbehörden waren deshalb nicht in der Lage, durch etwaige Pfändungen die offenen Steuerforderungen in dieser Höhe zu senken.

4

Das [X.] hat den Angeklagten daher wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) in 17 Fällen und in einem weiteren Fall durch [X.] (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) verurteilt.

II.

5

Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe und der Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

6

1. Der Schuldspruch insgesamt und die Einzelstrafe im Fall 18 der Urteilsgründe werden von den Feststellungen getragen. Der nachfolgend dargestellte Rechtsfehler des [X.]s betrifft ausschließlich den [X.]. Es ist ausgeschlossen, dass eine rechtsfehlerfreie Bestimmung der Betriebsausgaben des Angeklagten zum Wegfall des Schuldspruchs in irgendeiner der verfahrensgegenständlichen Taten führen kann.

7

2. Der Strafausspruch in den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das [X.] den [X.] nicht zutreffend bestimmt hat. Hierzu hat der [X.] ausgeführt:

„1. [X.] hat die ´Betriebsausgaben auf 4% der Einnahmen geschätzt´ ([X.]). Dabei hat die Kammer zwar unter Hinweis auf den Beschluss des [X.]s vom 10. November 2009 - 1 [X.] - im Ansatz zutreffend erkannt, dass Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden dürfen. Jedoch kommt eine Schätzung des [X.]s nur dann in Betracht, wenn mangels vorhandener Unterlagen eine konkrete Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht vorgenommen werden kann ([X.] aaO Rn. 16). Eine pauschale Schätzung ist erst dann zulässig, wenn sich eine konkrete Schätzung von vorneherein oder nach entsprechenden Berechnungsversuchen als nicht möglich erweist ([X.], Urteil vom 28. Juli 2010 - 1 [X.] Rn. 41).

2. Nach diesen Maßstäben kann die Beweiswürdigung der Kammer keinen Bestand haben, da sie sich aufgrund eines Denkfehlers den Blick darauf verstellt hat, dass ein Großteil der Betriebsausgaben konkret hätte berechnet werden können. [X.] hat in ihre Beweiswürdigung eingestellt, dass der Angeklagte ´Kosten, wie Fahrten, Hotelübernachtungen sonstige für die Tätigkeit bei den jeweiligen Auftraggebern angefallene Aufwendungen bei den Abrechnungen geltend machen [konnte] und (…) dies auch [tat], wie sich aus den Rechnungen des Angeklagten gegenüber seinen Auftraggebern ergibt´ ([X.]). Dem Angeklagten sind demnach Betriebsausgaben erwachsen, die er seinerseits gegenüber seinen Auftraggebern geltend gemacht und erstattet bekommen hat. [X.] hat dabei nicht bedacht, dass die vorgenannten Aufwendungen einen ´durchlaufenden Posten´ bei dem Angeklagten darstellen. Zwar hat sie bei der Ermittlung der Einnahmen jeweils die vollen - auch die Spesen enthaltenden - Rechnungsbeträge berücksichtigt ([X.] ff.). Jedoch hat sie dem Angeklagten die gebotene Anerkennung der unschwer aus den Rechnungen ersichtlichen ´Kosten´ als Betriebsausgaben versagt, weshalb sich die Beweiswürdigung in diesem Punkt als lückenhaft erweist.

3. Da sich das [X.] bei der Bemessung der Einzelstrafen, wie an den jeweiligen Relationen erkennbar ist, an der Höhe der jeweiligen ´Hinterziehungssumme´ orientiert hat ([X.]), wird der [X.] nicht ausschließen können, dass die Kammer wegen niedrigerer Hinterziehungsbeträge jeweils geringere Einzelstrafen verhängt hätte. Hinsichtlich der verkürzten Umsatzsteuern hat es zwar wegen des [X.] des § 370 Abs. 4 Satz 3 [X.] keine tatbestandlichen Auswirkungen, wenn der Täter einer Steuerhinterziehung tatsächlich entstandene Vorsteuern nicht geltend gemacht hat. Ein nicht geltend gemachter Vorsteuerabzug kann jedoch zu einer Minderung der nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden verschuldeten Auswirkungen der Tat führen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 8. Januar 2008 - 5 StR 582/07 mwN).“

8

Dem schließt sich der [X.] an.

9

3. Angesichts der Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe kann auch die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben. Da der Rechtsfehler des [X.]s die dem [X.] zugrunde liegenden Feststellungen betrifft, sind diese aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).

Graf                                Jäger                            Radtke

              [X.]                         Fischer

Meta

1 StR 233/16

10.08.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 26. November 2015, Az: 302 Js 206/14 - 21 KLs

§ 162 AO, § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 370 Abs 1 Nr 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2016, Az. 1 StR 233/16 (REWIS RS 2016, 6893)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6893

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Wird zitiert von

1 StR 233/16

1 StR 27/21

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