Bundessozialgericht, Urteil vom 16.06.2015, Az. B 13 R 12/14 R

13. Senat | REWIS RS 2015, 9698

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anspruch auf medizinische Leistungen für voll erwerbsgeminderte und in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätige Personen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der Werkstattfähigkeit


Leitsatz

Auch voll erwerbsgeminderte Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig sind, haben Anspruch auf medizinische Leistungen, um das für eine Tätigkeit in einer WfbM und damit die Versicherungspflicht in der Renten- und Krankenversicherung erforderliche Restleistungsvermögen zu erhalten oder nach einer Krankheit wiederherzustellen. Der Anspruch hierauf richtet sich jedoch nicht gegen den Träger der Rentenversicherung, sondern gegen die Krankenkassen als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 4. Dezember 2012 und das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2010 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4661,95 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert wird auf 4661,95 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist die Erstattung der von der Klägerin aufgewandten Kosten für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha) für die bei ihr versicherte [X.] in Höhe von 4661,95 Euro.

2

Die 1950 geborene [X.] ist seit 1991 als voll erwerbsgeminderter behinderter Mensch in einer Werkstatt für behinderte Menschen ([X.]) beschäftigt und sowohl in der Rentenversicherung (§ 1 S 1 [X.] [X.] <[X.]>) als auch in der Krankenversicherung (§ 5 Abs 1 [X.] ) versicherungspflichtig. Am [X.] wurde ihr eine Hüfttotalendoprothese implantiert; am 12.6.2006 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse, ihr im [X.] an die Krankenbehandlung eine Leistung zur medizinischen Reha zu gewähren. Die Beklagte leitete den Antrag am [X.] an die Klägerin weiter, die der [X.]n vom 23.6. bis zum [X.] die beantragte [X.]heilbehandlung (AHB) bewilligte. Nach einer Zeit der arbeitsunfähigen Erkrankung vom 22.7. bis 3.9.2006 nahm die [X.] am [X.] ihre Beschäftigung in der [X.] wieder auf.

3

Die Klägerin beanspruchte hierauf als zweitangegangener Träger iS des § 14 Abs 4 [X.] ([X.]) bei der Beklagten die Erstattung der Kosten für diese Reha-Maßnahme in Höhe von 4661,95 Euro, weil sie für die Erbringung der Leistung nicht zuständig gewesen sei. Die erbrachte Leistung habe bei der voll erwerbsgeminderten [X.]n ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wiederherstellen können, sodass die persönlichen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht des Trägers der Rentenversicherung gemäß § 10 Abs 1 [X.] nicht vorgelegen hätten. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab (Schreiben vom 13.9.2006), weil bei der [X.]n zumindest der weitere Verbleib in der [X.] habe sichergestellt werden können.

4

Das Sozialgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen (Urteil vom [X.]), weil die medizinischen Leistungen Voraussetzung für den weiteren Verbleib der [X.]n in der [X.] gewesen seien. Das [X.] ([X.]) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 4.12.2012) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Auch voll erwerbsgeminderte Menschen wie die [X.], die trotzdem rentenversicherungspflichtig beschäftigt und in der Lage seien, nach Erfüllung der Wartezeit von 240 Kalendermonaten durch die Beschäftigung in einer [X.] einen Rentenanspruch zu erwerben, hätten Anspruch auf Erhalt ihrer Leistungsfähigkeit im geschützten Bereich der [X.]. Diese Voraussetzungen nach § 10 [X.] seien bei der [X.]n erfüllt; denn durch die in Frage stehende Leistung zur Reha habe eine wesentliche Verschlechterung der geminderten Erwerbsfähigkeit iS des § 10 Abs 1 [X.] b [X.] abgewendet werden können. Bei behinderten Menschen in einer [X.] liege eine wesentliche Besserung der Leistungsfähigkeit bereits dann vor, wenn zu erwarten sei, dass der Versicherte ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung iS des § 40 Abs 1 [X.] [X.] erbringen könne.

5

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 10 Abs 1 [X.] b [X.] sowie des § 14 [X.] und führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Eine "wesentliche" Besserung des Leistungsvermögens der [X.]n iS des § 10 Abs 1 [X.] b [X.] habe durch die durchgeführte Reha-Maßnahme nicht erreicht werden können. Denn eine solche wesentliche Besserung verlange, dass die Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zumindest teilweise und nicht nur vorübergehend behoben werde. Liege bereits eine volle Erwerbsminderung vor, reiche es nicht, wenn die geminderte Erwerbsfähigkeit zwar gebessert, nicht aber die volle Erwerbsminderung beseitigt werde. Denn Leistungen eines Rentenversicherungsträgers zur Teilhabe sollten der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dienen und nicht allein auf die Gesundung eines Versicherten gerichtet sein oder lediglich dazu dienen, einen Versicherten vor weiterem Abgleiten zu bewahren, ohne dass Aussicht bestehe, seine Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen (Hinweis auf [X.] Urteil vom [X.] - B 5 RJ 8/99 R - [X.], 298 = [X.]-2600 § 10 [X.]). Bei der Klägerin habe aber ein Leistungsvermögen außerhalb einer [X.] nicht hergestellt werden können. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Eine Benachteiligung wegen der Behinderung liege nicht vor, wenn ein ohnehin eingeschränktes Leistungsvermögen, das einen Versicherten nur zu einer Tätigkeit in einer [X.] befähige, nicht durch eine Reha-Maßnahme des Rentenversicherungsträgers so geschützt werde wie die Leistungsgrenze eines nicht behinderten Versicherten.

6

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen [X.]s vom 4. Dezember 2012 und das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 4661,95 Euro zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist ergänzend auf Arbeitsanweisungen der [X.] ([X.]) (auf der Internetseite http://www.deutsche-rentenversicherung-regional.de/Raa/Raa.do?f=SGB6_10R3.9). Dort heiße es: "Versicherte, die wegen Art und Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, deshalb in einer [X.] tätig und nach § 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] versicherungspflichtig sind, können weiterhin Leistungen zur medizinischen Reha durch den Rentenversicherungsträger erhalten, selbst wenn die nach § 44 Abs. 2 [X.] in der Fassung bis 31.12.2000 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 [X.] in der Fassung ab 01.01.2001 bestehende Erwerbsunfähigkeit/volle Erwerbsminderung voraussichtlich nicht im Sinne des § 10 [X.] behoben und keine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die medizinischen Leistungen für den weiteren Verbleib in der [X.] notwendig sind und bisher weder die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt sind (Umdeutung nach § 116 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) noch eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/voller Erwerbsminderung nach § 44 Abs. 1 oder 3 [X.] (ab 01.01.2001: § 43 Abs. 2 oder 6 [X.]) bezogen wird bzw. begründet beantragt wurde ([X.]:[X.]:[X.] 6 und [X.] 3/99 5)."

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist begründet. Entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen hat die [X.]lägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung der [X.]osten der Leistungen zur medizinischen Reha für die Beigeladene in Höhe von 4661,95 Euro.

Gemäß § 14 [X.] 4 S 1 [X.] erstattet ein [X.], der für die Leistung zuständig ist, dem [X.], der die Leistung erbracht hat, ohne zuständig zu sein, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften, wenn nach Bewilligung der Leistung durch den leistenden [X.] nach [X.] 1 S 2 bis 4 der Vorschrift festgestellt wird, dass der andere [X.] zuständig ist. Vorliegend hat die Beigeladene den [X.] bei der Beklagten gestellt; diese hat den Antrag innerhalb von zwei Wochen an die [X.]lägerin weitergeleitet, die die medizinische Reha-Maßnahme in Gestalt einer [X.] bewilligt hat. Diese Vorgehensweise entspricht § 14 [X.] 1 S 1 und 2 [X.], wonach der erstangegangene [X.] innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm feststellt, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; verneint er dies, leitet er den Antrag unverzüglich dem seiner Auffassung nach zuständigen [X.] zu. Dieser ist nach § 14 [X.] 2 S 1 und 3 [X.] verpflichtet, unverzüglich den [X.] festzustellen.

Für Leistungen zur medizinischen Reha sind grundsätzlich sowohl die Träger der Rentenversicherung als auch der [X.]rankenversicherung zuständig (§ 5 [X.] iVm § 6 [X.] 1 [X.] und 4 [X.], § 9 [X.] 1 S 1 [X.]I für die Rentenversicherung, § 40 [X.] für die [X.]rankenversicherung). Dass der [X.] in Form der [X.] bei der Beigeladenen bestanden hat, hat das [X.] - unwidersprochen - festgestellt. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ). Nach Bewilligung der Leistung durch die [X.]lägerin hat diese sich iS des § 14 [X.] 4 [X.] an die Beklagte mit ihrer Erstattungsforderung gewandt, weil sie für die Leistungserbringung nicht, vielmehr die Beklagte als zuständiger [X.]rankenversicherungsträger zuständig sei. Diese Forderung ist berechtigt; denn die Beigeladene erfüllt die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erbringung der Leistung durch die [X.]lägerin als Rentenversicherungsträger nicht. Zuständig zur Leistungserbringung ist die [X.]rankenkasse (Beklagte).

Gemäß § 9 [X.] 1 S 1 [X.]I erbringt die Rentenversicherung ua Leistungen zur medizinischen Reha, um den Auswirkungen einer [X.]rankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das [X.]. Nach [X.] 2 dieser Vorschrift können diese Leistungen erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Gemäß § 10 [X.] 1 [X.]I haben Versicherte für Leistungen zur Teilhabe die persönlichen Voraussetzungen ua erfüllt, bei denen nach [X.] dieser Vorschrift voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Reha oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, oder b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Reha oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann. Die Beigeladene ist Versicherte iS dieser Vorschrift; denn rentenversicherungspflichtig sind nach § 1 S 1 [X.] Buchst a [X.]I ua behinderte Menschen, die in anerkannten [X.] tätig sind. Die Beigeladene ist seit 1991 in einer [X.] tätig und damit versicherungspflichtig.

Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) ist die [X.]lägerin jedoch dauerhaft voll erwerbsgemindert iS des § 43 [X.] 2 S 3 [X.] [X.]I. Hiernach sind voll erwerbsgemindert ua Versicherte nach § 1 S 1 [X.] [X.]I, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Versicherte wie die [X.]lägerin, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit - vorliegend bei Eintritt in das Erwerbsleben - voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, können nach § 43 [X.] 6 [X.]I dennoch einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erlangen, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Da die Beigeladene iS des § 43 [X.] 2 S 3 [X.] [X.]I dauerhaft voll erwerbsgemindert ist, konnte durch die von der [X.]lägerin bewilligte [X.] weder eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet (§ 10 [X.] 1 [X.] Buchst a [X.]I) noch die geminderte Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen zur medizinischen Reha wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden (§ 10 [X.] 1 [X.] Buchst b [X.]I).

Wie der 5. Senat des BSG bereits in seinem Urteil vom 24.4.1996 (5 RJ 56/95 - [X.], 163 = [X.]-2600 § 44 [X.]) ausgeführt hat, liegt bei dauerhaft Erwerbsgeminderten mit einer Beschäftigung in einer [X.] eine Benachteiligung wegen Behinderung nicht vor, wenn der behinderte Mensch einerseits wegen Art oder Schwere seiner Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar und infolgedessen als erwerbsunfähig (heute: voll erwerbsgemindert) angesehen wird, er andererseits aber einen Rentenanspruch (damals nach § 44 [X.] 1 bis 3 [X.]I) erwerben kann, sofern er 240 Monate versichert ist. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 [X.] 3 S 2 Grundgesetz (GG) vor, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

In einem weiteren Urteil vom [X.] (B 5 RJ 8/99 R - [X.], 298 = [X.]-2600 § 10 [X.]) hat der 5. Senat des BSG ferner entschieden, dass Versicherte, die in einer [X.] tätig und erwerbsunfähig (= voll erwerbsgemindert) sind und lediglich Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 [X.] 3 [X.]I alter Fassung erhalten können, vom Rentenversicherungsträger keine medizinischen Leistungen zur Reha beanspruchen können, um lediglich ihr Leistungsvermögen für die Tätigkeit in einer solchen Werkstatt zu erhalten oder wiederherzustellen. In der Begründung heißt es, eine "wesentliche" Besserung iS des § 10 [X.] 1 [X.] Buchst b [X.]I verlange, dass die Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zumindest teilweise und nicht nur vorübergehend behoben werde. [X.] bereits Erwerbsunfähigkeit vor, reiche es nicht, wenn zwar die geminderte Erwerbsfähigkeit gebessert, nicht aber die Erwerbsunfähigkeit beseitigt werde (so bestätigt durch das Urteil des 5. Senats des BSG vom 11.5.2011 - B 5 R 54/10 R - [X.], 158 = [X.]-3250 § 17 [X.], RdNr 47). Denn Leistungen eines Rentenversicherungsträgers zur Reha schieden von vornherein als nicht zweckgerichtet aus, wenn diese allein auf die Gesundung des Versicherten gerichtet seien oder lediglich dazu dienen sollten, vor weiterem Abgleiten zu bewahren, ohne dass Aussicht bestehe, seine Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überzeugungsbildung an; sie entspricht der Zielsetzung des [X.] bzw Eingliederung in den "ersten" Arbeitsmarkt, dh der Herstellung eines Leistungsvermögens außerhalb einer [X.].

Durch die der Beigeladenen bewilligte [X.] konnte deren Leistungsvermögen nicht so weit gebessert werden, dass sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - also außerhalb einer [X.] - erwerbstätig sein könnte. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des [X.] konnte lediglich ihr eingeschränktes Leistungsvermögen erhalten bzw wieder erreicht werden. Durch ein solches Maßnahmeziel werden die Voraussetzungen des § 10 [X.]I indes nicht erfüllt. Auf den Umstand, dass die Beigeladene weiterhin in einer [X.] beschäftigt ist, kommt es mithin nicht an. Die von der Beklagten zitierten Arbeitsanweisungen der [X.] stehen - unabhängig von der Frage der rechtlichen Bindungswirkung solcher Arbeitsanweisungen - dieser Entscheidung auch nicht entgegen. Denn sie können nicht über den gesetzlichen Anspruch hinausgehen, der für Leistungen zur Teilhabe nur dann besteht, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 9 [X.] 2 [X.]I).

Soweit sich das [X.] für seine - entgegengesetzte - Auffassung auf eine in der Literatur vertretene Auffassung ([X.], juris P[X.] - § 10 [X.]I, 2. Aufl 2013, "[X.]" 52) beruft, vermögen diese - isoliert herausgegriffenen - Ausführungen den Senat vom Gegenteil nicht zu überzeugen. Denn auch [X.] erkennt (aaO RdNr 37, vgl auch RdNr 39 f), dass für den Begriff der Erwerbsfähigkeit das Leistungsvermögen des behinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entscheidend ist; Versicherte, die in einer [X.] tätig seien und die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (gemeint: voller Erwerbsminderung) erfüllt hätten, könnten vom Rentenversicherungsträger deshalb keine medizinischen Leistungen zur Reha beanspruchen, um lediglich ihr Leistungsvermögen für die Tätigkeit in einer solchen Werkstatt zu erhalten oder wiederherzustellen.

Eine "wesentliche" Besserung erfordert mithin eine nicht nur geringfügige oder vorübergehende Behebung der Leistungseinschränkung; liegt bereits eine volle Erwerbsminderung vor, reicht es nicht, wenn zwar die geminderte Erwerbsfähigkeit gebessert, gleichwohl aber volle Erwerbsminderung bestehen bleibt ([X.], 158 = [X.]-3250 § 17 [X.], RdNr 47 mwN). Ebenso wenig liegt eine wesentliche Besserung vor, wenn nur eine Linderung oder eine sonstige Erleichterung der Lebensumstände erreicht wird (vgl auch Auslegungsgrundsätze der Rentenversicherungsträger vom [X.] idF vom [X.], Ziffer 2.6, abgedruckt im [X.] Anl 5 zu § 15 [X.] 1 S 1 [X.]I; vgl ferner Günniker in [X.]/[X.], [X.]I, Stand: Oktober 2012, [X.] § 10 Rd[X.]4).

Scheidet hiernach eine Leistungspflicht der [X.]lägerin mangels Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen des § 10 [X.]I durch die Beigeladene aus, ergibt sich die Leistungspflicht der Beklagten aus § 11 [X.] 2 S 1 iVm § 40 [X.] 1 und 2 [X.]. Hiernach haben Versicherte ua Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Reha, wenn diese notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern; zum Leistungsumfang der [X.]rankenkasse gehört auch eine erforderliche stationäre Reha-Maßnahme. Die Beigeladene ist bei der Beklagten gegen [X.]rankheit versichert und die Erforderlichkeit der stationären Reha-Maßnahme in Form einer [X.] ist durch das [X.] bindend festgestellt worden. Als zuständiger Träger iS des § 14 [X.] 4 S 1 [X.] ist die Beklagte der [X.]lägerin gegenüber mithin zur [X.]ostenerstattung verpflichtet.

Diese Zuständigkeitsaufteilung zwischen Trägern der Renten- und [X.]rankenversicherung ist mit Art 3 [X.] 3 GG vereinbar. Eine Benachteiligung wegen Behinderung liegt nicht vor, wenn Behinderte zwar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen der Art oder der Schwere ihrer Behinderung keinen über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Lohn erreichen können und infolgedessen als erwerbsunfähig angesehen werden müssen, aber ihr eingeschränktes Leistungsvermögen, das sie zur Tätigkeit in einer [X.] befähigt, nicht durch Reha-Maßnahmen des Rentenversicherungsträgers so geschützt wird wie die Leistungsgrenze eines nicht behinderten Versicherten (vgl im Einzelnen [X.], 298 = [X.]-2600 § 10 [X.], [X.] Rd[X.]2 mwN). Sie stellt auch keine Diskriminierung behinderter Menschen dar, die Art 5 [X.] 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BR[X.]) verhindern will. Diese Vorschrift der UN-BR[X.] gebietet es nicht, dass der Anspruch des - dem Grunde und der Sache nach unstreitigen - [X.]s im gegliederten Sozialsystem [X.] gerade durch den Träger der Rentenversicherung und nicht durch den Träger der [X.]rankenversicherung gedeckt wird.

Die UN-BR[X.] hat den Rang einfachen Gesetzesrechts und bedarf der Umsetzung durch nationales Recht, soweit die Bestimmungen der [X.]onvention nicht wegen ihres hohen [X.]onkretisierungsgrades unmittelbar anwendbar - self-executing - sind. Letztes ist bei Art 5 [X.] 2 UN-BR[X.] der Fall (so bereits der 1. Senat des BSG im Urteil vom 6.3.2012 - B 1 [X.]R 10/11 R - [X.], 194 = [X.]-1100 Art 3 [X.]9, Rd[X.]9). Diese Vorschrift verbietet den Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantiert Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen. Mit seinen Vorschriften über medizinische Reha-Leistungen erfüllt [X.] wesentliche Verpflichtungen, die es mit der Ratifizierung der UN-BR[X.] eingegangen ist, und verhindert damit gerade eine Diskriminierung behinderter Menschen. Denn auch voll erwerbsgeminderte behinderte Menschen, die lediglich über ein für Tätigkeiten in einer [X.], nicht jedoch für den allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichendes Restleistungsvermögen verfügen, werden in die Versicherungspflicht der Rentenversicherung und [X.]rankenversicherung einbezogen. Diese Systeme gehen im Grundsatz davon aus, dass die Versicherten durch versichertes Arbeitsentgelt, das sie auf dem regulären Arbeitsmarkt erzielen, Vorsorge für den Fall der [X.]rankheit treffen und eine Altersvorsorge aufbauen können. Obwohl dies bei von Anfang an voll erwerbsgeminderten behinderten Menschen nicht der Fall ist, sollen sie durch mindestens 20-jährige Tätigkeit in einer [X.] in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Rentenanspruch und damit eine bedürftigkeitsunabhängige Altersvorsorge aufbauen können.

Dies dient in hohem Maße dem Selbstwertgefühl, der finanziellen Unabhängigkeit und Selbständigkeit behinderter Menschen. Dass die gesetzliche Rentenversicherung medizinische Reha-Leistungen nur zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der am allgemeinen Arbeitsmarkt orientierten Erwerbsfähigkeit vorsieht, ist unbedenklich, weil der medizinische [X.] zur Wiederherstellung der "[X.]" wegen erlittener [X.]rankheit durch die [X.]rankenversicherung abgedeckt ist.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 [X.] 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Streitwert bestimmt sich nach § 197a [X.] 1 S 1 SGG iVm §§ 47, 52 [X.] 1 und 3 Gerichtskostengesetz.

Meta

B 13 R 12/14 R

16.06.2015

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Landshut, 25. Februar 2010, Az: S 1 KR 92/08 E, Urteil

§ 5 Abs 1 Nr 8 SGB 5, § 11 Abs 2 S 1 SGB 5, § 40 Abs 1 SGB 5, § 40 Abs 2 SGB 5, § 1 S 1 Nr 2 SGB 6, § 9 Abs 1 SGB 6, § 9 Abs 2 SGB 6, § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst a SGB 6, § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB 6, § 43 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB 6, § 43 Abs 6 SGB 6, § 5 Nr 1 SGB 9, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB 9, § 6 Abs 1 Nr 4 SGB 9, § 14 Abs 1 SGB 9, § 14 Abs 4 SGB 9, Art 3 Abs 3 GG, Art 5 Abs 2 UNBehRÜbk

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.06.2015, Az. B 13 R 12/14 R (REWIS RS 2015, 9698)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9698

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 5 R 1/19 R (Bundessozialgericht)

(Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Anschluss an …


L 19 R 444/16 (LSG München)

Zum Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegen den Rentenversicherungsträger, wenn prognostisch die Wiedereingliederung …


L 14 R 184/21 (LSG München)

Leistungen, Rente, Erwerbsminderung, Bewilligung, Rentenversicherung, Behinderung, Berufung, Antragstellung, Teilhabe, Bescheid, Erwerbsminderungsrente, Krankenkasse, Auslegung, Revision, Leistungen …


L 18 SO 110/19 (LSG München)

Sozialhilfe: Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bei Beschäftigung in einer WfbM


L 19 R 331/18 (LSG München)

Leistungen, Erwerbsminderung, Rente, Rentenversicherung, Arzt, Versorgung, Antragstellung, Gerichtsbescheid, Eingliederung, Erwerbsminderungsrente, Teilhabe, Berufung, Erstattungsanspruch, Arbeit, Leistungen …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.