Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.12.2014, Az. IX ZB 69/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 423

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Gegenstand

Insolvenzfestigkeit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung


Leitsatz

Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändung des erst nach Aufhebung des Verfahrens entstehenden Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG insolvenzfest ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 17. Februar 2012 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 26.745,41 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Wegen einer Hauptforderung in Höhe von 80.000 € nebst Zinsen und Kosten erwirkte der Gläubiger am 16. August 2005 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Schuldnerin. Gepfändet wurden Ansprüche der Schuldnerin auf die Versicherungssumme aus zwei mit der Drittschuldnerin geschlossenen [X.]. Die Pfändung bezog "künftig fällig werdende Ansprüche" sowie "das Recht auf Kündigung und Umwandlung der Versicherung" ein.

2

Bei den [X.] handelte es sich um Direktversicherungen im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung ([X.] - [X.]), welche der Arbeitgeber der Schuldnerin abgeschlossen hatte. Der Erlebensfall sollte am 31. Januar 2014 und am 30. April 2014 eintreten und sah jeweils eine Kapitalleistung der Drittschuldnerin vor.

3

Am 23. März 2006 wurde über das Vermögen der Schuldnerin ein Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem die Schuldnerin am 31. März 2009 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, bezog sie am 9. Juli 2009 eine Rente der D.                              und eine solche ihres ehemaligen Arbeitsgebers. Spätestens am 29. November 2010 begann die Wohlverhaltensphase zur Erlangung der Restschuldbefreiung.

4

Mit Vollstreckungserinnerung von diesem Tag hat sich die Schuldnerin gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16. August 2005 gewandt. Die Erinnerung ist erfolglos geblieben. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass (nur) die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen werden. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin sinngemäß weiterhin die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

6

1. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des [X.] vom 11. November 2010 ([X.], [X.], 2366) hat das Beschwerdegericht die Ansicht vertreten, der Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung sei bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls pfändbar. § 2 Abs. 2 Satz 4 [X.] in Verbindung mit § 851 Abs. 1 ZPO stehe nicht entgegen. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei auch nicht im Hinblick auf das im Jahr 2006 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wegen eines sich aus § 91 Abs. 1 [X.] ergebenden Erwerbsverbots aufzuheben. Der Gläubiger habe schon vor Verfahrenseröffnung eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten künftigen Forderungen erlangt.

7

2. Dies hält rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.

8

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 [X.] bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als zukünftige Forderung pfändbar ([X.], Beschluss vom 11. November 2010, aaO Rn. 9f). Dies hat das Beschwerdegericht mit Recht erkannt und wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.

9

b) Auch § 91 Abs. 1 [X.] vermag die Aufhebung des vom Beschwerdegericht auf die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen beschränkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zu begründen.

aa) Nach § 91 Abs. 1 [X.] können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Wird eine künftige Forderung gepfändet, entsteht das Pfandrecht erst mit der Begründung der voraus gepfändeten Forderung. Wegen § 91 Abs. 1 [X.] kann in diesem Fall der Pfandgläubiger an der Forderung zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Dies gilt auch für die Pfändung einer aufschiebend bedingten Forderung. § 91 Abs. 1 [X.] schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die bereits eine gesicherte Rechtsstellung an dem [X.] erworben haben. Wenn der [X.] schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten Forderung erlangt hat, ist die Pfändung [X.] ([X.], Urteil vom 26. Januar 2012 - [X.], [X.], 549 Rn. 29 ff; vgl. auch [X.], Urteil vom 10. November 2011 - [X.], [X.]Z 191, 277 Rn. 9; vom 25. April 2013 - [X.], [X.], 1040 Rn. 27). Diese Grundsätze gelten auch für die Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 [X.].

bb) Im Streitfall fehlt es schon an einem Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

(1) Die Regelungen der §§ 80 ff [X.] gelten nur für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens. Über den Wortlaut des § 91 Abs. 1 [X.] hinaus reicht ein Rechtserwerb irgendwann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens deshalb nicht aus; er muss vielmehr vor Beendigung des Verfahrens erfolgen. Eine Anwendung des § 91 Abs. 1 [X.] nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt nur in Betracht, wenn und soweit es sich um einen der Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 [X.] unterliegenden Gegenstand der Masse handelt (vgl. Piekenbrock in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 91 Rn. 2; vgl. auch [X.], Beschluss vom 6. Dezember 2007 - [X.] 229/06, [X.], 305 Rn. 10).

Vorliegend begann spätestens im Zeitpunkt der Einlegung der Vollstreckungserinnerung am 29. November 2010 die Wohlverhaltensphase. Dies setzt eine vorherige Beendigung des Insolvenzverfahrens voraus (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO § 291 Rn. 2; MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 291 Rn. 35; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 286 Rn. 40). Ein durch § 91 Abs. 1 [X.] möglicherweise gesperrter Pfändungspfandrechtserwerb hätte sich daher nach Verfahrenseröffnung und vor dem 29. November 2010 vollziehen müssen. Davon ist nach den Feststellungen des [X.] nicht auszugehen. Die Rechtsbeschwerde zeigt übergangenen Vortrag der insoweit darlegungsbelasteten Schuldnerin (vgl. [X.], Beschluss vom 17. September 2014 - [X.], [X.], 2052 Rn. 15; Sternal in Kindl/[X.]Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., § 766 Rn. 48; [X.]/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 766 Rn. 45; [X.]/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 766 Rn. 27) nicht auf.

(2) Bei einer Direktversicherung handelt es sich nach der Legaldefinition des § 1b Abs. 2 Satz 1 [X.] um eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers, die durch den Arbeitgeber für die betriebliche Altersversorgung abgeschlossen und bei der das Bezugsrecht ganz oder teilweise dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen eingeräumt wird. Das Rechtsverhältnis des Arbeitgebers zum Versicherer und damit auch das dem Arbeitnehmer eingeräumte Bezugsrecht richten sich allein nach dem Versicherungsvertrag. Demgegenüber beurteilen sich die auf die Versicherung bezogenen Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer nach dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis ([X.], Urteil vom 9. Oktober 2014 - [X.], [X.], 2183 Rn. 11; [X.], 209, 213; 134, 372 Rn. 17; vgl. auch [X.], Urteil vom 19. Juni 1996 - [X.], [X.], 1089). Ob es zu einem Rechtserwerb der Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen ist, beurteilt sich nach den Regelungen des [X.]. Vorausgesetzt ist der Eintritt eines die Schuldnerin berechtigenden Versicherungsfalls vor der Beendigung des Insolvenzverfahrens.

Nach den Feststellungen des [X.] sollte der jeweilige Erlebensfall erst im Laufe des Jahrs 2014 eintreten, mithin nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Ein früherer Eintritt des Versicherungsfalls ist nicht ersichtlich. Zu Unrecht verweist die Rechtsbeschwerde auf § 6 [X.]. Diese Bestimmung regelt das arbeitsrechtliche Versorgungsverhältnis, schafft jedoch keinen Versicherungsfall im Sinne des § 159 [X.] ([X.], 360, 366 ff; zu § 166 [X.] aF). Dass in den streitbefangenen Versicherungsverträgen der Versorgungsfall des § 6 [X.] zum Versicherungsfall bestimmt worden wäre, ist nicht festgestellt und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Auf die Frage, ob der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition erlangt hat, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

Kayser                       [X.]                       Vill

               Fischer                         Grupp

Meta

IX ZB 69/12

11.12.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Stuttgart, 17. Februar 2012, Az: 2 T 175/11

§ 91 Abs 1 InsO, § 1b Abs 2 S 1 BetrAVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.12.2014, Az. IX ZB 69/12 (REWIS RS 2014, 423)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 423

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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