Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. XII ZB 114/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1169

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 114/12

vom

21. November 2012

in der Betreuungssache

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 21.
November 2012 durch [X.], die Richterin Dr.
Vézina und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Günter und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 8.
Zivilkammer des [X.] vom 10.
Februar 2012 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
[X.]: 3.000

Gründe:
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung.
Mit Beschluss vom 28.
September 2011 hat das Amtsgericht nach [X.] eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung der Betrof-fenen den Beteiligten zu
3
als Betreuer für die [X.] Gesundheitssor-ge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Sozialleistungsträgern, Vertretung vor Ämtern und Behörden und Widerruf von Vollmachten bestellt. Über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung sollte bis spätestens zum 28.
September 2018 entschieden werden. Auf die Beschwerden
der Betroffe-nen und der Beteiligten zu
1 und 2 hat das [X.] nach Anhörung der Be-1
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troffenen den Beschluss des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass es den [X.] zu
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von der Betreuung der Betroffenen entbunden und den Beteiligten zu
1 zum Betreuer bestellt
hat. Die weitergehenden Beschwerden hat es zu-rückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG statt-haft und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Ent-scheidung und zur Zurückverweisung
des Verfahrens an das [X.].
1. Das [X.] hat zur Begründung ausgeführt, bei der Betroffenen bestehe Bedarf für eine Betreuung in den festgesetzten [X.]n. Dies ergebe sich zum einen aus dem nervenärztlichen Fachgutachten des Dr.
H. vom 18.
Juli 2011. Dieser habe ausgeführt, bei der Betroffenen bestünden er-hebliche kognitive Defizite, wobei eine dementielle Entwicklung mit organischer wahnhafter Störung vorliege. Es seien deutliche Lücken im Kurzzeitgedächtnis sowie im Intermediärgedächtnis vorhanden. Dies beeinträchtige das Kritik-
und Urteilsvermögen der Betroffenen, welches als eingeschränkt zu bezeichnen sei. Daneben bestünden bei der Betroffenen auch körperliche Einschränkungen, wie Osteoporose, Glaukom und eine Gangstörung unklarer Genese. Nach [X.] von Dr.
H. werde das [X.] aufgrund des Alters und der Spezifik der Störung auf Dauer fortbestehen. Soweit der Verfahrensbevoll-mächtigte des Beteiligten zu
1 angeführt habe, dass sich mit dem Absetzen ei-nes Medikamentes auf Anraten ihres Arztes der Zustand der Betroffenen ver-bessert habe, möge dies so sein. Dennoch lasse gegenwärtig der geistige und 3
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körperliche Gesamtzustand der Betroffenen eine Aufhebung der Betreuung nicht zu.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Nach §
1896 BGB bestellt das Betreuungsgericht für einen Volljähri-gen, der aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geisti-gen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer.
Im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in die Freiheitsrechte, der mit einer
Betreuerbestellung verbunden ist, erfordert die Anordnung und [X.] einer Betreuung eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung zu den me-dizinischen Voraussetzungen einer Betreuerbestellung ([X.]/Budde FamFG
17.
Aufl.
§
280 Rn.
1). Gemäß §
26 FamFG ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen er-forderlichen Ermittlungen durchzuführen. Über Art und Umfang dieser Ermitt-lungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Er-messen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch unter anderem [X.], ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Se-natsbeschluss vom 16.
Mai 2012 -
XII
ZB
584/11
-
FamRZ 2012, 1210 Rn.
6). Dazu gehört, dass sich der Tatrichter davon überzeugt, dass das seiner Ent-scheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten auf zutreffenden [X.] beruht.
Diesen Anforderungen wird die von den Instanzgerichten durchgeführte Sachverhaltsermittlung nicht gerecht.

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-
5
-
Der Sachverständige Dr.
H. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Betroffene örtlich, zeitlich und zur Person recht gut orientiert sei. Es finde sich aber bei ihr eine dementielle Entwicklung, die in Bezug auf ihr nahestehen-de Menschen mit wahnhaften Inhalten (Unterstellung von Diebstählen)
einher-gehe. Hinzu kämen Lücken hinsichtlich des Kurzzeit-
und Intermediärgedächt-nisses. Darüber hinaus sei die Betroffene im Gehen beeinträchtigt und es [X.] eine Fallneigung.
Soweit der Sachverständige und ihm folgend das Beschwerdegericht da-von ausgehen, dass die Betreuungsbedürftigkeit durch die wahnhaft organische Störung mit verursacht sei, fehlt es an einer hinreichenden Aufklärung des zu-grunde gelegten Sachverhalts. Im Hinblick darauf, dass der Diebstahlsverdacht der Betroffenen gegen ihr nahestehende Personen zu der
Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und zur Durchführung einer Hausdurch-suchung geführt hat, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Verdacht um eine wahnhafte Vorstellung der Betroffenen gehandelt hat.
b) Darüber hinaus hat das Beschwerdegericht auch keine Feststellungen zu dem Fehlen eines freien Willens der Betroffenen getroffen.
Nach §
1896 Abs.
1
a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Stimmt -
wie hier
-
der Betroffene der Ein-richtung einer Betreuung nicht zu, so ist neben der Notwendigkeit einer Betreu-ung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschlüsse
vom 14.
März 2012 -
XII
ZB
502/11
-
FamRZ 2012, 869 Rn.
13 und
vom 9.
Februar 2011 -
XII
ZB
526/10
-
FamRZ 2011, 630 Rn.
3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Be-10
11
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6
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troffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist.
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Das Beschwerdegericht äußert sich zu der Frage, ob die Betroffene zu einer freien Willensbildung in der Lage ist, nicht. Auch aus dem vom Beschwerdegericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Gutachten des Sachver-ständigen Dr.
H. ergibt sich nicht, ob die Betroffene zur Bildung eines freien Wil-lens in der Lage ist. Feststellungen dazu, ob die Betroffene wegen ihrer Erkran-kung nicht mehr in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden und die Bedeutung der Einrichtung einer Betreuung für ihre Lebensgestaltung zu erkennen, hat der Sachverständige nicht getroffen.
Da die Betroffene die Bestellung eines Betreuers ablehnt, durfte ohne entsprechende Feststellungen zu §
1896 Abs.
1
a BGB keine Betreuung ange-ordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für sie objektiv vorteil-haft wäre
(Senatsbeschluss vom 14.
März 2012 -
XII
ZB
502/11
-
FamRZ 2012, 869 Rn.
19).
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7
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3. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben;
das Verfahren ist
an das [X.] zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen zur [X.] und [X.] zum Fehlen eines freien Willens der Betroffenen zurückzuverweisen.

Dose

Vézina

Klinkhammer

Günter

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 28.09.2011 -
56 XVII 93/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.02.2012 -
8 [X.]/12 -

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Meta

XII ZB 114/12

21.11.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. XII ZB 114/12 (REWIS RS 2012, 1169)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1169

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