Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. XII ZB 296/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1151

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 296/12

vom

21. November 2012

in der [X.]

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG §§ 26, 280
Hat das Betreuungsgericht vor Anordnung der Betreuung kein Sachverständigengut-achten gemäß §
280 FamFG
eingeholt, ohne dass eine der Ausnahmen der §§
281, 282 FamFG vorgelegen hat, gebietet die Amtsermittlungspflicht im Verfahren auf Aufhebung der Betreuung die Einholung eines Sachverständigengutachtens, das den Anforderungen des §
280 FamFG entspricht.

[X.], Beschluss vom 21. November 2012 -
XII [X.] 296/12 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 21.
November 2012 durch [X.], die Richterin Dr.
Vézina und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Günter und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.] vom 20.
April 2012 auf-gehoben.
[X.] wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Betroffene erstrebt die Aufhebung der für sie eingerichteten Betreu-ung.
Mit Beschluss vom 23.
Dezember 2011 hat das Amtsgericht nach [X.] einer ärztlichen Stellungnahme für die Betroffene mit deren Einverständnis den Beteiligten zu
1 zu ihrem Betreuer bestellt für die [X.] Gesund-heitssorge, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Gerichten, Äm-tern, Behörden, Kranken-
und Pflegekassen sowie gegebenenfalls gegenüber der Heimverwaltung, alle Wohnungsangelegenheiten, die [X.], soweit sie nicht offensichtlich den persönlichen Bereich betrifft.
1
2
-
3
-
Mit Schreiben vom 1.
März 2012 hat sich die Betroffene gegen die Be-treuung gewandt. Das
Amtsgericht hat nach Anhörung der Betroffenen und Einholung einer mündlichen Stellungnahme der im Anhörungstermin anwesen-den Sachverständigen Dr.
S.
mit Beschluss vom 22.
März 2012 den Antrag der Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung zurückgewiesen. Das
Beschwerde-gericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechts-beschwerde der Betroffenen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG ohne Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverwei-sung der Sache an das Beschwerdegericht.
1.
Allerdings greift die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdege-richt habe die Betroffene erneut anhören müssen, weil sie an ihrem [X.] mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festgehalten habe, nicht. Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde hat sich die Be-troffene bereits bei ihrer Anhörung in erster Instanz gegen die Betreuung ge-wandt.
2.
Das Beschwerdegericht
war entgegen der Ansicht der Rechtsbe-schwerde auch nicht verpflichtet, der
Betroffenen unaufgefordert die Qualifikati-on der Sachverständigen Dr.
S. darzulegen. Die Sachverständige ist, wie sich der in den Akten befindlichen Rechnung entnehmen lässt, Fachärztin für [X.] und Psychotherapie. Allein darin, dass das Beschwerdegericht dies der
Betroffenen nicht unaufgefordert mitgeteilt hat, liegt kein Verfahrensfehler.
3
4
5
6
-
4
-
3.
Das Beschwerdegericht
hat jedoch dadurch, dass es ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens den Antrag der Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung zurückgewiesen hat, gegen seine Amtsermittlungspflicht (§
26 FamFG) verstoßen.
a)
Das Betreuungsgericht hatte vor Anordnung der Betreuung das ge-mäß §
280 FamFG obligatorische
Sachverständigengutachten nicht eingeholt, obwohl keine der in §§
281, 282 FamFG geregelten Ausnahmen vorlag. Zwar war die Betroffene mit der Bestellung eines Betreuers ursprünglich einverstan-den. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sie auf eine Begutachtung verzichtet hat. Auch kann im Hinblick auf den Umfang der [X.] des Betreuers nicht davon ausgegangen werden, dass die Einholung eines Gutachtens unver-hältnismäßig gewesen wäre.
In Fällen, in denen -
wie hier
-
das Betreuungsgericht die Betreuung ver-fahrensfehlerhaft ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet hat und gegen diese Anordnung innerhalb der Beschwerdefrist (§
63 Abs.
1 FamFG) keine Beschwerde eingelegt worden ist, findet §
294 Abs.
2, der für den Fall
des §
281
Abs.
1 Nr.
1
FamFG die Nachholung des Gutachtens vorschreibt, keine Anwendung ([X.]/[X.] FamFG 17.
Aufl. §
294 Rn.
10).
b) Allerdings gebietet es in diesen Fällen regelmäßig die Amtsermitt-lungspflicht, in dem Verfahren auf Aufhebung der Betreuung zu prüfen, ob zur Aufrechterhaltung der Betreuung weitere tatsächliche Ermittlungen, insbeson-dere die Einholung eines Sachverständigengutachtens, erforderlich sind.
[X.])
Das Beschwerdegericht hat die Zurückweisung des Antrags auf Auf-hebung der Betreuung damit begründet, dass bei der Betroffenen nach dem Ergebnis der vom Amtsgericht durchgeführten persönlichen Anhörungen und 7
8
9
10
11
-
5
-
der im Rahmen der Anhörungen eingeholten Stellungnahmen der [X.] G.
und Dr.
S.
in Übereinstimmung mit der medizinischen Einschätzung des Oberarztes Dr.
R.
die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung auch gegen den erklärten Willen der Betroffenen vorlägen. Die Betroffene leide an einer beginnenden vaskulär bedingten dementiellen Symptomatik und einem Zustand nach [X.] Hämatom nach einem Sturz im Jahre 2009 und sei aufgrund ihrer körperlichen psychischen Verfassung nicht mehr in der Lage, ihre alltäglichen Angelegenheiten selbständig zu besorgen.
[X.]) Diese Ausführungen sind nicht geeignet,
die medizinischen Voraus-setzungen für eine Betreuung zu begründen.
Die Anordnung und Aufrechterhal-tung einer Betreuung erfordern
im Hinblick auf den Eingriff in die Freiheitsrech-te, der mit einer Betreuerbestellung verbunden ist, eine sorgfältige Sachver-haltsaufklärung zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuerbestel-lung ([X.]/[X.] FamFG 17.
Aufl. §
280 Rn.
1).
Dem trägt §
280 FamFG Rechnung, der für die Bestellung eines Betreuers die Einholung eines Sachver-ständigengutachtens vorschreibt und die inhaltlichen Anforderungen an das Gutachten näher spezifiziert.
Dieser Standard muss bei
einer Entscheidung über die Betreuungsbedürftigkeit erfüllt sein. Ist ein solches Gutachten
-
wie hier
-
vor Anordnung der Betreuung nicht eingeholt worden, muss es [X.] werden.
Die vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen genügen diesen [X.] nicht.
Sie ermöglichen, dem Gericht keine Überprüfung der von den Ärz-ten
gezogenen Schlussfolgerungen auf ihre wissenschaftliche Begründung, in-nere Logik und Schlüssigkeit (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19.
Januar 2011 -
XII
[X.]
256/10
-
FamRZ 2011, 637 Rn.
12 mwN und vom 9.
November 2011 -
XII
[X.]
286/11
-
FamRZ 2012, 104 Rn.
16).
12
13
-
6
-
Der Oberarzt Dr.
R. hat in einer schriftlichen Erklärung vom 23.
Dezem-ber 2011 eine beginnende, vaskulär bedingte dementielle Symptomatik und Zustand nach [X.] Hämatom nach Sturz 2009 diagnostiziert und aus psychiatrischer Sicht die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung bejaht, zumal diese von der Patientin auch gewünscht werde. Der behandelnde Oberarzt Dr.
S.
hat diese schriftliche Erklärung im Anhörungstermin vom 23.
Dezember 2011
dem Amtsgericht übergeben und ergänzend ausgeführt, dass die Betreuung nach einem Jahr überprüft werden solle, da sich die Hirn-blutung noch zurückbilden könne.
Die Sachverständige Dr.
S., hat bei ihrer Stel-lungnahme im Termin zur Anhörung der Betroffenen am 16.
März 2012 die Di-agnose des Dr.
R.
übernommen. Auf welchen durchgeführten Untersuchungen und welchen Forschungserkenntnissen diese Annahme beruht, bleibt offen. Weiter hat die Sachverständige zur Betroffenen lediglich ausgeführt, dass sie nicht in der Lage sei, ihre Situation zu überschauen und sinnvolle ausreichende Angaben zu ihrer Situation zu machen und ihre Betreuungsbedürftigkeit auch nicht
adäquat zu erfassen vermöge.
Auf der Grundlage dieser nicht überprüfbaren Feststellungen der Sach-verständigen durfte das Beschwerdegericht die Betreuung nicht aufrechterhal-ten. Es
hätte weitere Ermittlungen zu den Voraussetzungen einer [X.] durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durchführen müs-sen.
c) Das Beschwerdegericht hat darüber hinaus die neben der Notwendig-keit einer Betreuung erforderliche Prüfung, ob die Ablehnung der Betreuung durch die Betroffene auf ihrem freien Willen beruht (vgl. hierzu [X.] vom 14.
März 2012 -
XII
[X.]
502/11
-
FamRZ 2012, 869 Rn.
13
und
vom 9.
Februar 2011 -
XII
[X.]
526/10
-
FamRZ 2011, 630 Rn.
3) unterlassen. Aus der bloßen Annahme der Sachverständigen, die Betroffene vermöge ihre Be-14
15
16
-
7
-
treuungsbedürftigkeit nicht adäquat zu erfassen, kann auf einen fehlenden freien Willen nicht geschlossen werden.
4. [X.] ist deshalb zur Nachholung der erforderlichen Feststellun-gen an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§
74 Abs.
6 Satz
2
FamFG).
Dose

Vézina

Klinkhammer

Günter

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.03.2012 -
83 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 20.04.2012 -
4 T 107/12 -

17

Meta

XII ZB 296/12

21.11.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. XII ZB 296/12 (REWIS RS 2012, 1151)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1151

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 296/12 (Bundesgerichtshof)

Verfahren auf Aufhebung einer Betreuung: Notwendige Einholung eines Sachverständigengutachtens


XII ZB 270/12 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 270/12 (Bundesgerichtshof)

Betreuungsverfahren: Unterlassene Mitteilung der Qualifikation des Sachverständigen; Anforderungen an das Sachverständigengutachten; erforderliche Feststellungen bei Ablehnung …


XII ZB 614/13 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 114/12 (Bundesgerichtshof)

Rechtliche Betreuung: Voraussetzungen der Anordnung; Betreuerbestellung gegen den freien Willen des betroffenen Volljährigen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

XII ZB 296/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.