Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2014, Az. XII ZB 632/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8485

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 632/12

vom

22. Januar 2014

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §
1896 Abs.
1
a
FamFG §
26
Zum Umfang tatrichterlicher Ermittlungen bei der Prüfung, ob die Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.
[X.], Beschluss vom 22. Januar 2014 -
XII ZB 632/12 -
LG [X.] II

[X.]

-
2
-

Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 22.
Januar
2014
durch den Vorsitzenden Richter Dose
und
die Richter Schilling, Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur
beschlossen:
Dem Betroffenen wird für die Durchführung des Rechtsbeschwer-deverfahrens ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts Dr.
S.

bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
II
vom 4.
Oktober
2012
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde,
an das [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
für den 76-jährigen Betroffenen eine Betreuung mit den [X.]n der Gesundheitsfürsorge sowie der Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die
Beteiligte zu
1 zur
Betreuerin
bestellt.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen
hat das [X.] zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
1
-
3
-

II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der [X.] Entscheidung.
1. [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung [X.] ausgeführt: Nach den Feststellungen des Sachverständigen leide der Betroffene an einem organischen Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten und dem Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung. Aufgrund dieser psychischen Erkrankung sei er nicht mehr in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen und "entsprechend dieser Einsicht"
seine von der Bestellung des Betreuers umfass-ten Angelegenheiten zu besorgen. Für die [X.] der Gesundheitssor-ge und Wohnungsangelegenheiten bestünde Betreuungsbedarf, weil der Be-troffene krankheitsbedingt erforderliche Therapien nicht in Anspruch genommen habe und ihm eine adäquate Strukturierung seines Umfelds nicht möglich sei. An der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen bestünden keine Zweifel. Der langjährig erfahrene Sachverständige habe nachvollziehbar und in sich schlüssig die tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens dargelegt und Art sowie Ausmaß
der Erkrankung des Betroffenen ausführlich dargestellt. Sei-ne Feststellungen zum reduzierten Pflegezustand des Betroffenen und zur [X.] Verwahrlosung und Vermüllung seiner Wohnung seien durch den Hausarzt, die Mitarbeiterin der [X.] Beratungsstelle und durch den persön-lichen Eindruck des [X.] anlässlich seiner Anhörung bestätigt worden.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
Zwar hat das Beschwerdegericht auf der Grundlage des [X.] rechtsfehlerfrei eine psychische Erkrankung des Betroffenen 2
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-
4
-

und das Bestehen eines objektiven Betreuungsbedarfs in den [X.]n Gesundheitssorge und Wohnungsangelegenheiten bejaht. Hingegen rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass die Feststellungen des [X.] zum Ausschluss der freien Willensbestimmung nicht in vollem Umfang den rechtlichen Anforderungen genügen.
a)
Nach §
1896 Abs.
1
a BGB
darf gegen den freien Willen des Volljähri-gen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene

wie hier

der Ein-richtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Be-treuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestim-mung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des
§
1896 Abs.
1
a BGB und des §
104 Nr.
2 BGB im [X.] deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffe-nen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern
nur ein natürlicher Wille vor.
Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grund-satz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine über-spannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt wer-den. Auch der an einer Erkrankung
im Sinne des
§
1896 Abs.
1
a BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu [X.]. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter

1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Be-6
7
-
5
-

treuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechen-den Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9.
Februar 2011

XII
ZB
526/10
FamRZ 2011, 630 Rn.
8 und vom 14.
März 2012

XII
ZB
502/11

FamRZ 2012, 869 Rn.
14
f.).
Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzu-grenzen (vgl. [X.], 152; [X.] Betreuungsrecht 4.
Aufl. §
1896 Rn.
13).
Die
Feststellungen zum Ausschluss der
freien Willensbestimmung
müs-sen
durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Senatsbeschlüsse
vom 14.
März 2012

XII
ZB
502/11
FamRZ 2012, 869 Rn.
16 und vom 16.
Mai 2012

XII
ZB
584/11

FamRZ 2012, 1210 Rn.
11; [X.]/[X.] 6.
Aufl. §
1896 Rn.
27; [X.] Betreuungsrecht 4.
Aufl. §
1896 Rn.
13).

Beruht die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines Be-treuers auf einer nach den vorgenannten Maßstäben freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (Senatsbeschluss vom 14.
März 2012

XII
ZB
502/11
amRZ 2012, 869 Rn.
19
mwN).
b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht in vol-lem Umfang gerecht.
Zwar enthält das Sachverständigengutachten Aussagen dazu, dass "der Betroffene seinen Willen im Bereich der Gesundheitsfürsorge sowie in Bezug 8
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"
und in Bezug auf Wohnungsangelegenheiten sowie auf die Erledigung des [X.] einen "natürlichen Willen"
nicht bilden
könne, so dass "die Einrichtung einer Betreuung entgegen des Wunsches des Betroffenen aus medizinischer Sicht empfohlen"
werde. Andererseits hat der Sachverständige die zivilrechtliche Ge-schäftsfähigkeit
des Betroffenen nicht bezweifelt und bei "ausgeglichener Grundstimmung"
keine Bewusstseinsstörungen und (lediglich) leichte Ein-schränkungen der Gedächtnisfunktionen, der Auffassungsgabe und der "[X.] Fähigkeiten"
festgestellt. Im Übrigen
hat das
Beschwerdegericht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers mit der Begründung abgesehen, dass der Betroffene sich selbst zur Betreuung äußern und seine Interessen
im Ver-fahren selbst wahrnehmen könne.
Jedenfalls bei einer solchen Sachlage durfte das Beschwerdegericht sei-ne
Feststellungen zum Unvermögen der freien Willensbildung aufseiten des Betroffenen nicht allein auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen stützen. Der Umstand, dass der Betroffene objektiv notwendige Hilfen im Zu-sammenhang mit der Regelung seiner Wohnsituation ("Vermüllung") und im Bereich der Gesundheitssorge ("mangelnde Compliance") nicht in Anspruch nehmen will, mag Ausdruck einer psychischen Erkrankung sein, die gleichzeitig
eine ansatzweise realistische Einschätzung der eigenen Defizite und eine da-rauf gegründete
Abwägung der für und gegen die Betreuung sprechenden [X.] ausschließt. Zwangsläufig ist diese Schlussfolgerung im vorlie-genden Fall aber
nicht.
Es hätte

gegebenenfalls durch eine ergänzende Be-fragung des Sachverständigen

weiterer Aufklärung zu der Frage
bedurft, ob die Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen und seine damit verbun-dene Entscheidung, Angelegenheiten betreffend die Wohnsituation und die [X.]
-
7
-

sundheitssorge unerledigt zu lassen, auf einer freien Willensbestimmung beruht (§
26 FamFG; vgl. auch [X.] [X.] 2006, 117).

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose

Schilling

Günter

Nedden-Boeger

Botur

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.07.2012 -
B [X.] -
LG [X.] II, Entscheidung vom 04.10.2012 -
6 T 4587/12 -
14

Meta

XII ZB 632/12

22.01.2014

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2014, Az. XII ZB 632/12 (REWIS RS 2014, 8485)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8485

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